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7. Präventionsempfehlungen

7.2 Verhältnisprävention

7.2.1 Tabuisierung und Allgegenwart von Alkohol als suchtgenerierender Kontext

Wie die Ergebnisse der hier vorliegenden Studie deutlich machen, ist der Konsum von Alkohol, auch das mitunter exzessive Trinken, für Jungen und Mädchen ein Teil gesellschaftlicher Normalität, der von ihnen nicht in Frage gestellt wird. Damit ist der Erfolg verhältnispräventiver Maßnahmen aufs Engste verknüpft mit den vielen verschiedenen kulturspezifischen Kontextfaktoren innerhalb der jeweiligen Gesellschaft.

Die Ergebnisse aus evidenzbasierten Studien unterstreichen die Effektivität von Präventionsmaßnahmen auf der Verhältnis-Ebene. Als wirkungsvolle Maßnahmen der Suchtprävention erweisen sich demnach solche der Verhältnisprävention auf Gesellschaftsebene, welche die Verfügbarkeit sowie die Attraktivität der Substanzen und die öffentliche Haltung gegenüber dem Substanzkonsum angehen (vgl. Bühler/Schmidt 2007). Dazu gehört die gezielte Verteuerung von Alkoholika durch Steuern sowie die Einschränkung der Zugänglichkeit (z.B. der Verkauf nur in speziellen Läden mit beschränkten Öffnungszeiten oder die Einschränkung der Verkaufszeiten von Alkohol in Tankstellen) (vgl. Babor et al. 2005). Wie in internationalen Studien gezeigt werden konnte, zeitigen Maßnahmen, mit denen die Verfügbarkeit von Alkohol durch Preise bzw. Verkaufsstrategien gesenkt werden soll, weniger bei Erwachsenen als vielmehr bei Jugendlichen eine hohe Wirksamkeit im Hinblick auf eine Reduzierung des Konsums. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Expertise der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Suchtprävention (Bühler/Kröger 2006). Die Erhöhung des ‚vollen’ Alkoholpreises (finanzielle Kosten plus Aufwand der Beschaffung und erwartete Sanktionen) sowie das Heraufsetzen der Altersgrenze für legalen Alkoholkonsum haben sich in neun verschiedenen Studien als effektiv erwiesen, während Verkäuferschulungen zur Einhaltung der gesetzlichen Altersgrenzen bislang keine Wirkung zeigten (vgl.

Bühler/Schmidt 2007: 114).

Gleichwohl gilt es, die Reichweite der Schlussfolgerungen, nach denen die Effektivität von Präventionsmaßnahmen auf der Verhältnis-Ebene unterstrichen wird, kritisch zu hinterfragen. So muss grundsätzlich immer berücksichtigt werden, dass

das Trinkverhalten von Jugendlichen das der Erwachsenen in der jeweiligen Gesellschaft widerspiegelt und (verhältnis-)präventive Ansätze sich daher nicht nur auf Jugendliche konzentrieren können (vgl. Järvinen/Room 2007: 166).

Die Effektivität ist unter anderem stark davon abhängig, inwiefern relevante AkteurInnen die entsprechenden rechtlichen Vorgaben auch umsetzen und mittragen. Ein Beispiel hierfür ist das Jugendschutzgesetz, in dem das legale Alter für Alkoholkonsum rechtlich eindeutig geregelt ist, in der Realität jedoch durch vielfältige Vollzugsdefizite oftmals nicht durchgesetzt wird oder leicht zu umgehen ist. Solche Vollzugsdefizite sind nicht allein der Gastronomie oder dem Handel zuzuschreiben:

Die Jugendlichen selbst zeigen sich als höchst ‚kreativ’, wenn es darum geht, beim Einkauf von Alkohol das Gesetz zu umgehen, indem z.B. Ältere die Jüngeren in der Gruppe mit Alkohol versorgen. Dass Verbote oder strengere gesetzliche Richtlinien nicht immer erreichen, was sie intendieren, zeigt auch das Beispiel der ‚Alkopops’. Ihr Konsum ging zwar mit höherer Besteuerung zurück, gleichzeitig begannen die Mädchen und Jungen jedoch, Alkoholgetränke selber zu mischen. Diese Getränke weisen oftmals einen wesentlich höheren Alkoholgehalt als die ursprünglichen Alkopops auf und werden vor allem – da sie kostengünstiger sind – in größeren Mengen getrunken. Auch zeigen die Interviews der vorliegenden Studie deutlich, wie wenig Jugendliche von Verboten und strengeren gesetzlichen Maßnahmen halten und sie sich durchaus der Strategien bewusst sind, wie sie solche Restriktionen umgehen können. Zumindest als isolierte Maßnahmen greifen gesetzliche Initiativen oft nicht, wie sich auch in internationalen Studien zeigt. So wurde beispielsweise 2004 in Dänemark das legale Trinkalter von 15 auf 16 Jahre erhöht, was kurzfristig zu einer Konsumreduzierung bei 15-Jährigen führte. Dieser Effekt relativiert sich allerdings stark, indem nun Eltern ihren Kindern Alkoholika zur Verfügung stellten (vgl. Järvinen/Room 2007: 168). Auch in den Interviews der vorliegenden Studie bestätigt sich dies: Es sind nicht selten gerade die Eltern oder andere relevante Erwachsene im sozialen Umfeld, die Jugendlichen unter dem gesetzlichen Mindestalter im privaten Bereich oder auf öffentlichen Festivitäten Alkoholika besorgen oder zur Verfügung stellen.

Das bedeutet – so auch die Diskussion beim Expertensymposium „Einflussfaktoren, Motivation und Anreize zum Rauschtrinken bei Jugendlichen“ (vgl. Stumpp 2008) –, den Fokus von Prävention auf der Verhältnisebene weniger auf strengere gesetzliche

positive Image des Alkoholrausches in Frage zu stellen sowie darum, die (erwachsene) Öffentlichkeit für problematische und riskante Aspekte ihres Alltagshandelns bzw. ihrer Gewohnheiten im Zusammenhang mit Alkohol zu sensibilisieren. Zu einer solchen Öffentlichkeitsarbeit müssten beispielsweise Kampagnen gehören, die eine breite Öffentlichkeit von Eltern erreichen, um diese für den Umgang ihrer Kinder mit Alkohol und die damit verbundenen Risiken aufzuklären und zu sensibilisieren.

Dabei gilt es grundsätzlich, wie Stefan Sting auf dem Expertensymposium dieses Forschungsprojektes anmerkte, „die gesellschaftliche ‚Rauschpraxis’ aus der Ambivalenz ihrer gleichzeitigen Allgegenwärtigkeit und Tabuisierung herauszuholen“

(vgl. Sting 2008a).

7.2.2 Hoher Leistungsdruck und mangelnde Lebensperspektive als Kontext riskanter biographischer Übergänge ins Erwachsensein

Wie in manchen unserer Interviews deutlich wurde, und hier vor allem bei Jugendlichen mit bereits fortgeschrittener Toleranzentwicklung und einem hohem Level des Alkoholkonsums (gerade auch in der besonders riskant erscheinenden Form des Frust-Trinkens), gehört die Perspektivlosigkeit in biographischen Übergängen vieler Jugendlicher zur zentralen Thematik von Verhältnisprävention.

Auch wenn diese Interventionsbereiche jenseits von Suchtprävention liegen, auch wenn hierfür ein umfassendes sozial-, (aus-)bildungs- und arbeitsmarktpolitisches Maßnahmebündel nötig wäre, soll diese übergeordnete Ebene dennoch angesprochen werden. Suchtrisiken können nur dann begrenzt werden, wenn die Zeiten und Räume von Jugendlichen durch Erfahrungen des Gebraucht-Werdens und des Sich-sinnvoll-einbringen-Könnens strukturiert werden, wenn es sinnvolle Aufgaben gibt, für die sie oder er „voll da“ sein wollen, wenn es Situationen in ihren Bildungswegen gibt, die Erfolg und Anerkennung versprechen. Unsere Interviews haben sehr deutlich gezeigt: überall dort, wo solche Gelegenheiten auf Jugendliche warten, sind dies die stärksten Regulatoren für den Alkoholkonsum.