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3.1 Rauschtrinken als Peer-Gruppen-Phänomen

3.1.8 Gruppenstruktur und Gruppendruck

Die einzelnen Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich dessen, wie wichtig die Funktion des Alkohols für die Herstellung der Gruppenkohärenz ist, also inwieweit die interne soziale Struktur durch den Konsum und das Trinkverhalten bestimmt wird.

Wie die Interviews zeigen, lassen sich bei den Trinkmustern eher moderat trinkende Gruppen von solchen unterscheiden, die insgesamt einen eher hohen und hochfrequenten Alkoholkonsum aufweisen.

Zwar praktizieren die ‚moderaten’ Gruppen auch mitunter exzessives Trinken, aber dies geschieht dann eher ausnahmsweise oder zu besonderen Anlässen wie beispielsweise in der Gruppe des 14-jährigen Alesio. Die Gruppe besteht aus acht etwa gleichaltrigen Jungen, die normalerweise am Samstag ein paar Bier trinken. An Fasching sah dies dann allerdings anders aus:

„Also das war letztens am Samstag. Da sind wir an der Fasnet gewesen nach dem Umzug in E. Da waren wir an der Bar in der Halle und haben halt alles genommen, was wir gekriegt haben.“ (Alesio, 14: 83-85)

In den eher moderat trinkenden Gruppen steht dabei stark im Vordergrund, kein hohes Risiko einzugehen und Ärger zu vermeiden. Deshalb wird auch darauf geachtet, dass einzelne Gruppenmitglieder es mit dem Trinken nicht übertreiben:

„Ja die wollen bestimmt auch nicht, dass ich nachher ins Krankenhaus komme oder so. Ich sage es den anderen Leuten auch, wenn sie dann am Umkippen sind. Das ist nicht so lustig dann. Das kriegt man ja oft mit, also ich habe es jetzt schon nicht nur einmal mitgekriegt. Wenn dann jemand auf dem Boden liegt, dann denkst du jetzt: Scheiße, was machst du jetzt? Und das ist dann halt schon arg ... Ja, das ist dann auch nicht mehr lustig, ich meine, das ist nur schön, wenn man es noch blickt.“. (Alina, 16: 514-524)

Jene Gruppen hingegen, in denen insgesamt sehr viel und mit hoher Frequenz konsumiert wird, sind eher geneigt, Trinkexzesse zu tolerieren bzw. stark für die Gruppenkohärenz zu funktionalisieren. Dies wird deutlich am Beispiel der rechtsextrem orientierten Gruppe des 17-jährigen Trash. In der Gruppe ist exzessives Trinken am Wochenende an der Tagesordnung und Alkohol dient auch als Mittel zur ‚Immunisierung’ in Situationen wie der hier beschriebenen:

„Wir haben uns mal geschworen, wir kiffen nicht und so und dann hat der das ja dann quasi gebrochen, also ist das `ne Kameradensau und Kameradenschweine kann man nicht gebrauchen. Nur, wir stehen alle zusammen, bei jeder Situation, auch bei Schlägereien. Wenn einer was aufs Maul bekommt und am Boden liegt und kriegt eine reingetreten, dann kommen halt wir und machen den dann platt.“ (1026-1031)

Grundsätzlich fungiert Alkohol in allen Gruppen als ‚kulturelle Chemie’ und wirkt auf die Gruppenkohärenz, wobei die Funktion des Alkohols – wie die Beispiele zeigen – in unterschiedlichen Gruppen durchaus unterschiedliche Nuancen bekommen kann.

So kann Alkohol zum einen dazu dienen, lockerer miteinander umgehen zu können, lustiger zu sein, zum anderen aber auch selbstbewusster und aggressiver zu werden.

Damit stellt sich dann auch die Frage nach der Hierarchie in Gruppen und nach dem Druck des gemeinsamen Alkoholkonsums. Hier betonen viele Jugendliche auf konkrete Nachfragen hin zunächst einmal, dass die Gruppe nicht hierarchisch strukturiert ist und kein Gruppendruck in Richtung Alkoholkonsum herrscht:

„Nee, bei uns in der Clique gibt es das nicht, so auf andere zu gucken, erstens gibt es das nicht und zweitens sind alle gleich…. Bei uns ist nicht einer, …der ist ok, der ist cool oder den mag ich mehr oder so, bei uns ist alles gleich.“

(Dimiter, 17: 897-903)

Das sehen nicht alle Jugendlichen so. Manche spüren da durchaus einen Druck in Richtung von (mehr) Konsum, der dann auch zum Verlust der eigenen Grenzen beim Trinken führen kann:

„Also ich denke halt, manchmal ist das auch so ein Gruppenzwang, also von der Clique abhängig, dass einer immer so gehetzt wird oder so und ich denke, wenn man halt mal mehr hat, dann weiß man halt irgendwann nicht mehr wo die Grenze ist.“ (Marlen, 15: 817-819)

Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass es in den Gruppen durchaus eben doch hierarchische Strukturen gibt. Sie machen sich besonders in altersgemischten Gruppen an Alter und Trinktoleranz fest:

„Ja, die sind nicht grade vernünftig, die Kleineren, aber das ist einfach so, das hat man am Anfang schon aufgeklärt, wo die erste Party in die Hose ging, dass einfach die Älteren, weil die halt grad grundlegend mäßig erfahren sind, und so … grad was Alkohol anbelangt, oder geschweige denn kleinere Leute und so. Dass die ein bisschen auf die Kleinen Acht geben, und dass die dann halt den Abend noch voll restlich noch ein bisschen was trinken können und so.“ (Peter, 16: 869-874)

Inwiefern die jeweilige Gruppenzusammensetzung Auswirkungen auf das Trinkverhalten hat, zeigt nachfolgendes Beispiel:

„Ja gut, also wie gesagt, wenn nur wir Jungs unterwegs sind, wird eigentlich generell mehr getrunken. Das ist auch schon personenbezogen, da gibt´s natürlich immer welche, die ordentlich was wegkippen ... Und wenn die dabei sind, dann wir generell viel getrunken, würd´ ich sagen ... Und wenn welche jetzt mit Leuten weggehen, die eigentlich wenig, oder kaum Alkohol trinken, dann ist das natürlich auch so, dass ich da weniger trink´, würd´ ich schon so sagen, ja.“ (Bastian, 17: 1511-1513)

Interessant ist, wie hier der Geschlechteraspekt zunächst in seiner bekannten Form eingeführt wird (mit der Zuschreibung, dass Jungen mehr trinken, sobald sie unter sich sind, die Anwesenheit der Mädchen daher einen moderierenden Effekt hätte), im selben Atemzug aber – mit dem Hinweis auf den Personenbezug – wieder relativiert wird. Dieser Aspekt bleibt in dem Material, das unserer Auswertung zur Verfügung steht, mehrdeutig.

Ein bestimmter Zugzwang zum Trinken herrscht in den Gruppen also wohl durchaus, ebenso wie gleichzeitige Regeln dazu, innerhalb welcher Limits getrunken werden soll. Die Jungen und Mädchen müssen demnach individuell austarieren, wie sie sich innerhalb des Zugzwangs und bestimmter Regeln so verorten, dass es für ihr

eigenes Risikomanagement wie auch im Gruppenbezug, sprich: innerhalb des jeweiligen Gruppenarrangements akzeptabel bleibt:

„Nein, da bin ich frei halt, also, wenn ich will, übertreib´ ich es, aber das mögen die halt nicht so, wenn man´s übertreibt, sagen die immer, übertreib´s nicht, denn sonst landet einer von uns im Krankenhaus oder irgendwo sonst wie. Aber auch sonst, ich kann auch mal gar nichts trinken, wenn ich nicht will.

Dann heißt´s halt nur was mit mir los sei und so, plötzlich nichts trinken und so, so kennen die mich gar nicht.“ (Fatih 15: 936-941)

„Die akzeptieren das schon(wenn ich mal nichts trinke). Die fragen mich dann:

Überleg es dir noch mal, willst du, oder willst du nicht? Die fragen mich dann öfters, nicht dass ich am Ende will und alles ist weg. Also die fragen mich dann schon davor. Und wenn ich dann wirklich nein sage, dann akzeptieren die das. Die zwingen mich nicht.“ (Jana, 12: 410-413)

In der Gruppenhierarchie sind es oft ältere und erfahrene Jugendliche mit einem hohen Status, die auf Jüngere Einfluss nehmen und mitunter wohl auch unter Druck setzen:

„Also, ich hab´ immer Bock, aber mein kleiner Bruder hat ... der hat manchmal nicht so Bock ... Der ist ja auch mit den anderen befreundet, aber er findet´s halt nicht so okay, dass immer alle ihn anfeuern, oder sagen, er soll trinken, oder so … (1130) Die, die am meisten rauchen und saufen, die feuern am meisten an.“ (Ribery, 16: 1125)

Besonders trinkfeste Mitglieder in einer Gruppe können damit auch einen Vorbildcharakter für die anderen Jugendlichen erhalten:

„Sind schon irgendwie die Kings, weil sie halt am meisten trinken und am meisten vertragen (1316-1317)… Also eigentlich haben sie nicht mehr Rechte, wenn man bestimmt, was man macht. Nur guckt man sie halt ein bisschen mehr, man hat halt ein bisschen mehr Respekt vor denen.“ (Ribery, 16: 1341-1342)

Allerdings zeigen auch Beispiele, wie abstinente Jugendliche in der Gruppe akzeptiert sind und durchaus respektiert werden:

„Ja, da gibt´s einen, aber das ist, weil er Moslem ist … und der ist ... schon sehr streng gläubig und der findet das auch Scheiße, wenn man dann dicht ist und so … und deswegen trinkt der dann auch immer nur den RedBull und so, also das normale RedBull und ja, der trinkt nie ... Ja, das ist bei uns auch ganz normal, weil der ist auch so voll der Happy Typ.“ (Paradise Club, 16: 416-428)