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Vergleich mit den mikrogefrästen Gesenken

6.3 Herstellung quadratischer Mikrogesenke

6.3.2 Vergleich mit den mikrogefrästen Gesenken

78 Experimentelle Ergebnisse

Experimentelle Ergebnisse 79

Entfernung der sich abgelagerten Metallphosphate und -oxide aus dem Gesenkboden (siehe Bild 6-22) eingestellt werden.

Obwohl durch das LCM-Schlichten die mittlere Flächenrauheit Sa von > 2 µm auf bis zu 0.7 µm und die Spitzenrauheit Sz von 45 µm auf 8 µm reduziert wurden, konnte die Oberflächengüte des Mikrofräsens, ermittelt am Gesenkboden, nicht erreicht werden. Die niedrigere Oberflächenqualität beim LCM-Verfahren ist auf eine Welligkeit (im Ortswellenlängenbereich

> 10 µm) zurückzuführen, die beim lateralen Versatz des gaußförmigen Laserstrahles induziert wird. Das Mikrofräsen hingegen zeigte, wie in Bild 6-24 (b) dargestellt, auf dem gesamten Ortswellenlängen-bereich eine geringe und

konstante mittlere Flächenrauheit Sa ≤ 1.2 µm.

Bild 6-24: Gegenüberstellung der Qualitätsmerkmale der mittels Mikrofräsen und LCM-Verfahren hergestellten Gesenke: (a) Ortwellenabhängige mittlere Flächenrauheit Saλ (links) und die dazugehörigen mikroskopischen Aufnahmen, (b) ermittelte mittlere Kantenradien re (links) sowie dazugehörige metallographische Querschliffe

Temperaturbereich des störungsfreien laserchemischen Abtrags 81

7 Temperaturbereich des störungsfreien laserchemischen Abtrags

In Kapitel 2 „Stand der Forschung“ wurde die Temperatur als die Schlüsselgröße zur Steuerung des laserchemischen Abtrags beschrieben. Jedoch fehlte bisher eine genaue Eingrenzung der thermischen Bedingungen zur Einstellung des störungsfreien Regimes, in dem der Abtrag durch ein gaußförmiges Querschnittsprofil charakterisiert ist.

Aufbauend auf den Ergebnissen aus den Kapiteln 5 und 6 wird in diesem Kapitel der Temperaturbereich für den störungsfreien laserchemischen Abtrag bestimmt und der Beweis dafür erbracht, dass unabhängig von der Werkstoff-Elektrolyt-Paarung die Abtragsregime anhand der laserinduzierten Temperaturen aufgeteilt werden können.

Hierfür werden die modellierten Temperaturverteilungen (senkrecht zur Vorschubrichtung), wie in Bild 4-10 dargestellt, mit den mikroskopisch ermittelten Querschnittsprofilen der Abtragskavitäten, ausgehend vom Zentrum des einfallenden Laserstrahls als Ursprungspunkt, räumlich korreliert.

Die Ergebnisse der laserchemischen Bearbeitung der selbstpassivierenden Werkstoffe Titan (Bild 6-3 und Bild 6-6) und Stellite 21 (Bild 6-15) zeigen übereinstimmend, dass die Abtragstiefe im störungsfreien Regime II mit der Laserleistung PW linear zunimmt.

Da die laserinduzierten Temperaturen proportional zur Laserleistung sind, folgt die Abtragstiefe auch der linearen Zunahme der Spitzentemperatur TP. Weiterhin wurde festgestellt, dass das Abtragsregime II sowohl in Titan als auch in Stellite 21 hinsichtlich des Verhältnisses PW/dspot in dem Bereich zwischen 20 mW/µm und 35 mW/µm stattfand.

Dies deutet darauf hin, dass beide Werkstoffe in einem ähnlichen Temperaturbereich störungsfrei bearbeitet werden können. Beim Übergang zum gestörten Regime III wird eine sprunghafte Reduzierung der Abtragstiefe beobachtet, bevor diese mit weiteransteigenden Laserleistung entweder stagniert (Bild 6-6) oder wieder zunimmt (Bild 6-3).

Bild 7-1 zeigt exemplarisch die nach der räumlichen Korrelation aus Bild 4-10 definierten Temperaturbereiche für die störungsfreie Bearbeitung von Titan in einer horizontal strömenden Phosphorsäure mit einer statischen (Abschnitt 6.1.1) und einer bewegten Laserstrahlung (Abschnitt 6.1.2). Aus den ermittelten Ausgleichsgeraden ergaben sich für die untere Grenztemperatur Werte zwischen 107 °C und 120 °C, wohingegen die obere Grenztemperatur zwischen 206 °C und 233 °C lag. Diese Ergebnisse bestätigten sich auch für die weiteren untersuchten Kombinationen zur LCM-Bearbeitung von Titan und Stellite 21, wie in Bild 7-2 zu sehen ist. Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen die Bestimmung der unteren Grenztemperatur durch Abtragsinhomogenitäten und geringe Abtragstiefen erschwert wurde, konnte anhand der in dieser Arbeit angewandten

82 Temperaturbereich des störungsfreien laserchemischen Abtrags

räumlichen Korrelation festgestellt werden, dass zum einen die untere Grenztemperatur TUG höher als die Elektrolytsiedetemperatur TS von 104 °C ist und zum anderen die obere Grenztemperatur TOG im Bereich zwischen 200 °C und 250 °C liegt.

Bei der Bearbeitung des Schnellarbeitsstahls

HS-10-4-3-10 ergab die lineare Regression der Abtragstiefe eine Schwell-temperatur TUG von -1.5 °C.

Dieser Schwellwert zeigt, dass das Hintergrundätzen in der verwendeten Phosphorsäure durch die fehlende Passivierungs-schicht auch bei geringen Temperaturen sofort einsetzt. Des Weiteren erschwerte die kontinuier-liche Zunahme der Abtragstiefe auch bei höheren Laserleistungen (siehe Bild 6-12) die

Bild 7-1: Ermittelte untere TUG und obere TOG Grenztemperaturen für die störungsfreien laserchemischen Bearbeitung von Titan in einer horizontal strömenden 5 molaren Phosphorsäure in Abhängigkeit von dem Laserstrahldurchmesser dspot und der Vorschubgeschwindigkeit vfeed.

Bild 7-2: Definierte Temperaturbereiche für die laserchemische Bearbeitung der untersuchten Werkstoffe bei unterschiedlichen Parameterkombinationen

Temperaturbereich des störungsfreien laserchemischen Abtrags 83

Bestimmung der oberen Grenztemperatur TOG. Aus diesem Grund wurde die Position der maximalen Tiefe x(drem,max) bestimmt und mit der Ursprungposition x0 verglichen. Daraus konnte ermittelt werden, dass eine Abweichung (x(drem,max) ≠ x0) bereits ab Spitzentemperaturen um 200 °C zu beobachten ist. Somit ist TOG ≈ 200 °C.

Die in dieser Arbeit angewandte Temperaturmodellierung zur Bestimmung der Grenztemperaturen für den hochqualitativen laserchemischen Metallabtrag lässt sich auch auf die Arbeiten übertragen, die in Kapitel 2 in Bild 2-4 zusammengefasst sind. In Bild 7-3 sind die Ergebnisse aus [Now95] zur laserchemischen Bearbeitung von Titan in Phosphorsäure durch die berechneten Spitzentemperaturen ergänzt. Dabei ergab sich für den störungsfreien Abtrag ein Temperaturbereich zwischen TUG = 120 °C und TOG = 260 °C, welcher sich mit dem in dieser Arbeit definierten Temperaturbereich deckt.

Weiterhin zeigte sich, in Übereinstimmung mit den Ergebnissen aus Bild 6-7, dass die Abtragsgeschwindigkeiten in Titan ab Spitzentemperaturen von 120 °C um mehrere Größenordnungen gesteigert werden. Bei TP < 104 °C lag hingegen die Abtragsgeschwindigkeit in Titan bei 1.3 nm/s. Dies entspricht den Ergebnissen aus Bild 6-4 und Bild 6-5, bei denen zwar bei 106 °C eine Oberflächenmodifikation zu erkennen war, die jedoch nicht als messbarer Abtrag (drem > 0.5 µm) aus den mikroskopischen Aufnahmen ausgewertet werden konnte.

In Bild 7-4 ist der synchrone Verlauf der Intensität der reflektierten Laserstrahlung und des EC-Potentials (gegenüber einer Ag/AgCl-Referenzelektrode) bei einer kontinuierlichen Erhöhung der Laserleistung (0.2 W/min) aufgezeigt, welche zur Bestimmung der elektrochemischen Vorgänge während der Bearbeitung des rostfreien Stahles (1.4301) in einer 1.9 molaren Schwefelsäure benutzt wurden [Rab07]. Die Ergebnisse wurden zusätzlich durch die modellierten Spitzentemperaturen TP ergänzt.

Dabei ist festzustellen, dass sich das störungsfreie Abtragsregime zwischen 135 °C und 266 °C erstreckt. In diesem Regime nimmt die negative Verschiebung des EC-Potentials

Bild 7-3: Abtragsgeschwindigkeiten bei der statischen LCM-Bearbeitung von Titan in einer 3 molaren H3PO4-Lösung in Abhängigkeit von der Laserleistung P0 bzw. von den errechneten Spitzentemperaturen TP; experimentelle Daten aus [Now95]

84 Temperaturbereich des störungsfreien laserchemischen Abtrags

linear mit der Temperatur zu. Der fehlende Abtrag bei TP < 135 °C kann dadurch erklärt werden, dass zwischen 20 °C und 70 °C aufgrund der Oberflächenpassivierung keine chemischen Reaktionen stattfinden. Dementsprechend bleibt das EC-Potential konstant auf E = 0.32 V (Gleichgewichtspotential). Im Temperaturbereich 70 °C ≤ TP ≤135 °C fällt hingegen das EC-Potential leicht auf 0.3 V ab. Diese Veränderung wird auf die lokale Auflösung der Passivschicht zurückgeführt, die durch sehr geringe Auflösungsgeschwindigkeiten gekennzeichnet ist. Für die LCM-Bearbeitung von selbstpassivierenden Metallen wie Titan, rostfreiem Stahl und Stellite 21 in Phosphorsäure kann somit festgehalten werden, dass der Materialabtrag entsprechend dem charakteristischen Verlauf der Stromdichte-Potential-Kurve (siehe Bild 2-1) im transpassiven Bereich stattfindet.

Zusammenfassend kann für die laserchemische Bearbeitung insbesondere von selbstpassivierenden Metallen festgehalten werden, dass ein ungestörter Abtrag, der sich durch ein gaußförmiges Querschnittsprofil auszeichnet, unabhängig von der

Werkstoff-Bild 7-4: Korrelation zwischen den induzierten Oberflächentemperaturen und den von Rabbow [Rab07] ermittelten Verläufen der Intensität der reflektierten Laserstrahlung und des EC-Potentials sowie die dazugehörigen Abtragsregime; LCM Bearbeitung des rostfreien Stahls 1.4301 in einer vertikal strömenden 1.9 molaren Schwefelsäure.

Temperaturbereich des störungsfreien laserchemischen Abtrags 85

Elektrolyt-Paarung und von den Prozessparametern zum einen nach dem Überschreiten des Elektrolytsiedepunkts (TS = 104 °C) initiiert und zum anderen bis Temperaturen von 200 °C sichergestellt wird. Der Übergang zum gestörten Abtragsregime findet bei Temperaturen zwischen 200 °C und 270 °C statt. In Anlehnung an die Siedekurve von Nukiyama (siehe Bild 2-7) bleibt der Abtrag störungsfrei, wenn ein partielles Blasensieden vorherrscht, bzw. es treten Störungen auf, sobald sich ein ausgebildetes Blasensieden einstellt. Für noch höhere Spitzentemperaturen (TP > 270 °C), die mit dem Übergang zum Filmsieden korrelieren, treten stets Abtragstörungen auf. Somit kann als Erkenntnis festgehalten werden, dass die laserinduzierten Temperaturen und die sich daraus ableitenden Siedebereiche die Qualität der laserchemischen Bearbeitung bestimmen. Die entsprechende Aufteilung der Abtragsregime ist schematisch in Bild 7-5 dargestellt.

Wie in Bild 7-5 aufgezeigt, kommt dem Elektrolytsieden eine entscheidende Bedeutung bei der Bestimmung der Abtragsqualität beim LCM-Verfahren zu. Diese Bedeutung konnte anhand der Hochgeschwindigkeits-Schattenaufnahmen, die bei der LCM-Bearbeitung von Titan durchgeführt wurden (siehe Abschnitt 6.1.3), verdeutlicht werden.

Die Ergebnisse in Bild 6-9 und Bild 6-10 liefern einen experimentellen Nachweis dafür, dass die Gasblasenanhaftung die Ursache für das Auftreten von Abtragstörungen bei der laserchemischen Bearbeitung darstellt. Damit werden die Aussagen von Mehrafsun [Meh18] bestätigt, die auf den beobachteten Reflektionen des Laserstrahles während der Bearbeitung basieren. In Zusammenhang mit den errechneten Temperaturen stützen die Schattenaufnahmen darüber hinaus die formulierte Arbeitshypothese, dass die siedebedingten Gasblasen, insbesondere wenn der Filmsiedebereich (TP > 270 °C) erreicht wird, den limitierenden Faktor für den störungsfreien Abtrag darstellen. Die reaktionsbedingten Gasblasen, die im Regime I (kein Abtrag) und Regime II

Bild 7-5: Schematische Aufteilung der laserchemischen Bearbeitung in temperaturabhängigen Abtragsregimen unter Berücksichtigung der dazugehörigen Siedebereiche

86 Temperaturbereich des störungsfreien laserchemischen Abtrags

(störungsfreier Abtrag) beobachtet wurden, sind zum einen kleiner als der Laserstrahldurchmesser (siehe Bild 6-9) und zum anderen durch schnelle Oszillationen charakterisiert, so dass diese den Abtragsprozess nicht signifikant beeinflussen können.

Dies belegen die glockenförmigen Querschnittsprofile der Abtragskavitäten im störungsfreien Regime (Bild 6-8). In Bezug auf die Laserstrahlpropagation dominiert die Mie-Streuung aufgrund des Verhältnisses λLaser < dbubble < dspot, bei der das Licht bevorzugt in Richtung des einfallenden Laserstrahles gestreut wird. Somit wird die Laserintensität zwar leicht beeinflusst, das Strahlprofil bleibt aber erhalten [Hub98]. Wie in Kapitel 2 erläutert (siehe Abschnitt 2.1.2), sind die Reaktionsgasblasen im Regime I (kein Abtrag) als Wasserstofffreisetzung bei der Auflösung der Oxidschicht im passiven elektrochemischen Bereich zu verstehen [Unr16]. Die Gasblasen, deren Aktivität aufgrund von Auflösungsraten < 1 nm/s sehr gering ist, bilden sich hierbei bevorzugt an inhomogenen Nukleationskeimen (Rauheitskeime) [Neu05]. Im störungsfreien Abtragsregime wird hingegen hauptsächlich Wasserstoff als Produkt der anodischen Metallauflösung im Kathodenbereich freigesetzt (siehe Gleichung (2-2)). Dass die Reaktionsgasblasen sich an der Peripherie des einfallenden Laserstrahles bzw. an der Kavitätsgrenze bilden, wie das Thermobatterie-Modell besagt (siehe Bild 2-2), konnte in den Schattenaufnahmen aufgrund der unzureichenden räumlichen Auflösung nicht gezeigt werden.

Weiterhin decken sich die im gestörten Bereich beobachteten anhaftenden Gasblasen, wie die Korrelation zwischen der Temperaturmodellierung und den resultierenden Abtragsgeometrien gezeigt hat, mit dem Übergang zum Filmsiedebereich (TP > 270 °C).

In diesem Siedebereich kann sich eine stabile Gasblase bilden, die auf das Mehrfache des Laserstrahldurchmessers anwachsen kann, bevor sie mit dem Erreichen eines kritischen Durchmessers kollabiert. Bei der Erhöhung der Spitzentemperatur TP von 86 °C auf 288 °C wurde in Bild 6-9 (a) festgestellt, dass die Durchmesser anhaftender Gasblasen sowie deren Oszillationsdauer (in der Literatur auch als Kollapszeit bezeichnet) zunehmen. Dieses Blasenverhalten entspricht dem von lasererzeugten (Thermo-) Kavitationen in flüssigen Medien [Neu05]. Diese mittels cw-Laser erzeugten Gasblasen wachsen bis zum Erreichen einer kritischen Temperatur zwischen 200 °C [Yav93] und 300 °C [Pad14] an, bevor sie in mehreren Aufschwingphasen (Rebounds) kollabieren. Im Unterschied dazu konnten in dieser Arbeit weder Stoßwellen noch Blasenrebounds nach dem ersten Kollaps erfasst werden. Dies liegt zum einen an der genutzten Bildrate von nur 22000 fps, welche mit 45.5 µs keine ausreichende zeitliche Auflösung der angesprochenen Vorgänge ermöglicht. Zum anderen führt der mit der Grenzflächentemperatur steigende Gasblasendurchmesser zu einer Abnahme der maximalen Drücke der abgestrahlten Stoßwellen. Söhnholz beschreibt in seiner Arbeit, dass die zur Verfügung stehende Energie nach dem ersten Kollaps erhalten bleibt und für

Temperaturbereich des störungsfreien laserchemischen Abtrags 87

die folgenden Aufschwingphasen genutzt wird. Damit lassen sich die größeren erreichbaren Radien der Gasblasen in den Rebounds erklären [Söh16]. Nach dem gleichen Prinzip lassen sich die längeren Oszillationen im gestörten LCM-Abtragsregime sowie das damit verbundene Aufrechterhalten der Gasblasenanhaftung über mehrere ms erklären.

Die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse können außerdem zur Klärung des Auftretens von periodischen Strukturen bei der laserchemischen Bearbeitung des rostfreien Stahls 1.4301 in [Rab07] beitragen. Zum einen korreliert die dort beschriebene Riffelbildung mit dem Übergang zum Filmsieden (bei TP = 266 °C). Zum anderen werden diese selbstorganisierten Abtragsinhomogenitäten bzw. -störungen durch lange Oszillationen der beiden Variablen „EC-Potential“ und „Reflexionsintensität der Laserstrahlung“ begleitet (siehe Bild 7-4). Diese Beobachtungen decken sich sehr gut mit den Schattenaufnahmen im gestörten Abtragsregime in Bild 6-9 (a) und Bild 6-10 (c), auf denen zu sehen ist, dass anhaftende Siedeblasen wiederholt über mehrere ms anwachsen und dann kollabieren. Somit kann die Periodizität der Strukturen auf die Dynamik der siedebedingten Gasblasen bzw. deren wiederholtes Wachsen und Kollabieren zurückgeführt werden.

In Bezug auf die Temperaturmodellierung kann festgehalten werden, dass durch das Anhaften und das Wachstum von Gasblasen die definierten Randbedingungen des Temperaturmodells (Abschnitt 5.1.1) nicht mehr gültig sind. Zum einen hemmt die Anhaftung die ablaufenden chemischen Reaktionen, indem sie den Abtransport der Reaktionsprodukte aus der Wechselwirkungszone verhindert. Dies führt dazu, dass sich Metallsalze und -oxide ablagern können (siehe Bild 6-2). Dadurch werden sowohl die chemische Zusammensetzung als auch die Absorptionsbedingungen der Laserstrahlung an der Werkstückoberfläche beeinflusst. Zum anderen beeinflusst die Siedeblase in Abhängigkeit von ihrer Größe und Geometrie die Propagation des Laserstrahls und verändert somit die Intensitätsverteilung auf dem Werkstück [Meh18]. Mit anwachsendem Durchmesser wirkt die Gasblase wie eine Zerstreuungslinse, die das Laserlicht defokussiert und somit den Laserstrahldurchmesser auf der Metalloberfläche vergrößert [Laz12]. Zudem kann sich das Verhältnis der Brechungsindizes des Elektrolyts nE und des Inneren der Gasblase nb aufgrund der Gasblasenkontraktionen mehrmals ändern [Osh09]. Dadurch wechselt das Verhalten der Gasblase zwischen einer positiven und einer negativen Linse. Die hohe Dynamik sowie der wechselnde Einfluss der Gasblasen auf die Laserstrahlung wurden in dem entwickelten Modell nicht abgebildet und stellen somit eine Limitierung dar.

Bild 7-6 fasst die aus den durchgeführten Schattenaufnahmen gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Diese sind:

88 Temperaturbereich des störungsfreien laserchemischen Abtrags

- Die Anhaftung einer siedebedingten Gasblase, die sich beim Übergang zum Filmsieden (TP > 270 °C) bildet und auf das Mehrfache des Laserstrahldurchmessers anwächst, stellt die Ursache für das Auftreten von Abtragsstörungen und somit den limitierenden Faktor für eine störungsfreie Bearbeitung dar.

- Die Reaktionsgasblasen, welche aus der Auflösung der Oxidschicht und/oder des Metalls resultieren, üben aufgrund ihrer Größe (dbubble < dspot) und der herrschenden Mie-Streuung weder einen signifikanten Einfluss auf die Laserstrahlpropagation noch auf die Materialauflösung aus.

Bild 7-6: Chemische Reaktionen, die dazugehörigen Gasblasendurchmesser dbubble und deren Einfluss auf die Laserstrahlpropagation sowie auf die hydrodynamischen Bedingungen in den unterschiedlichen LCM-Abtragsregimen

Verhalten des laserchemischen Abtrags im störungsfreien Regime 89

8 Verhalten des laserchemischen Abtrags im störungsfreien Regime

8.1 Einfluss relevanter Prozessparameter auf die Abtragsgeschwindigkeit

Nachdem im vorherigen Kapitel gezeigt wurde, dass der störungsfreie laserchemische Materialabtrag im Temperaturbereich zwischen dem Elektrolytsieden (104 °C) und dem Übergang zum Filmsieden (200 °C) sicher stattfinden kann, bleibt zu klären, wie sich der Abtrag bezüglich seiner Geschwindigkeit innerhalb dieses Regimes verhält. Wie in Bild 2-3 dargestellt, hängt der Materialabtrag von mehreren Einflussfaktoren ab. In diesem Kapitel wird daher die Abhängigkeit der Abtragsgeschwindigkeit von der Spitzentemperatur, den induzierten Temperaturgradienten, der Elektrolytströmung, der Wechselwirkungszeit (bzw. Vorschubgeschwindigkeit) sowie dem Passivierungszustand des Werkstoffs innerhalb des störungsfreien Regimes diskutiert.

Einfluss der Spitzentemperatur:

Am Beispiel der laserchemischen Bearbeitung von Titan zeigte sich in Bild 6-7, dass die Abtragsgeschwindigkeit vrem im Bereich zwischen 120 °C (PW = 0.5 W) und 200 °C (PW = 0.9 W) um bis zu drei Größenordnungen von 10-2 mm/min auf einige mm/min zunimmt. Mit dem Auftreten von Abtragsstörungen (Regime III) stagniert jedoch die Abtragsgeschwindigkeit. Ähnliche Entwicklungen wurden auch in [Now95] festgestellt, wie Bild 7-3 zeigt. In Bild 6-4 und Bild 6-5 wurde zudem beobachtet, dass bis TP = 106 C (PW = 0.4 W) zwar Oberflächenmodifikationen zu erkennen waren, diese jedoch aufgrund der geringen Abtragstiefe (drem < 0.5 µm) nicht als messbarer Abtrag aus den mikroskopischen Aufnahmen ausgewertet werden konnten. Im Regime I (kein Abtrag), insbesondere für TP < 104 °C, ermittelten Nowak et al. in Titan eine maximale Abtragsgeschwindigkeit von 1.3 nm/s [Now95].

Einfluss des Temperaturgradienten:

Die Klärung des Einflusses der induzierten Temperaturgradienten ∆Tx/∆x auf die Abtragsgeschwindigkeit soll dazu dienen, die Plausibilität des Thermobatterie-Modells zu prüfen. Dieses besagt, dass die Stromdichten der induzierten Thermobatterie mit steigenden Temperaturgradienten zunehmen. Daraus resultiert für den Fall der anodischen Auflösung eine stärkere negative Verschiebung des elektrochemischen Potentials, die zur Folge hat, dass noch höhere Abtragsraten erreicht werden können [Pui81].

Die laserinduzierten Temperaturgradienten ∆Tx/∆x hängen von der Laserleistung PW und dem Laserstrahldurchmesser dspot ab. Bild 8-1 zeigt, dass bei einem bestimmten Strahldurchmesser die Temperaturgradienten sowie die induzierten Temperaturen linear

90 Verhalten des laserchemischen Abtrags im störungsfreien Regime

mit steigender Laserleistung zunehmen. Zudem wird der maximale Temperaturgradient unabhängig von der Laserleistung bei einem gleichen Abstand vom Zentrum x0 erreicht.

Aufgrund der Proportionalität zwischen TP und ∆Tx/∆x zeigt die Abtragsgeschwindigkeit im störungsfreien Regime, wie in Bild 8-1 (rechts) zu sehen, auch eine lineare Abhängigkeit vom maximalen Temperaturgradienten (∆Tx/∆x)max.

Des Weiteren nehmen die Temperaturgradienten, wie in Bild 8-2 dargestellt, bei gleicher induzierter Spitzentemperatur mit steigendem Laserstrahldurchmesser ab. Dabei verschiebt sich die Position des maximalen Gradienten (∆Tx/∆x)max immer mehr weiter vom Zentrum der Temperaturverteilung. Bild 8-2 (rechts) zeigt die im

Bild 8-2: Einfluss der induzierten Temperaturgradienten ΔT/Δx auf die Abtragsgeschwindigkeit vrem

bei einem konstanten Laserstrahldurchmesser dspot = 25 µm und zunehmender Spitzentemperatur TP und (b) bei einer konstanten Spitzentemperatur TP ≈ 140 °C und zwei Laserstrahldurchmesser von 30.5 µm und 109 µm

Bild 8-1: Einfluss der induzierten Temperaturgradienten ΔT/Δx auf die Abtragsgeschwindigkeit vrem bei einem konstanten Laserstrahldurchmesser dspot = 25 µm und zunehmender Spitzentemperatur TP.

Verhalten des laserchemischen Abtrags im störungsfreien Regime 91

Temperaturbereich zwischen 120 °C und 200 °C induzierten Temperaturgradienten (∆Tx/∆x)max sowie die erzielten Abtragsgeschwindigkeiten vrem in Abhängigkeit vom Laserstrahldurchmesser. Trotz des gleichen Temperaturbereichs ist festzustellen, dass mit der Vergrößerung des Laserstrahldurchmessers der Anstieg der Abtragsgeschwindigkeiten mit der Laserleistung geringer ausfällt. Dies ist auf die geringeren induzierten Temperaturgradienten zurückzuführen. In Anlehnung an das Thermobatterie-Modell [Pui81] führt die Vergrößerung des Laserstrahldurchmessers zum einen zu geringeren Temperaturgradienten und zum anderen zu räumlich größeren elektrischen Zellen. Folglich nehmen die Stromdichten ab. Die induzierte Thermobatterie wird schwächer und es werden geringere Abtragsgeschwindigkeiten erzielt.

In selbstpassivierenden Werkstoffen findet, wie in Bild 2-1 dargestellt, der Materialabtrag im transpassiven Bereich solange statt, wie das elektrochemische Potential größer als das sogenannten Durchbruchspotential (E > ED) ist [Unr16]. Zur Bestimmung der Wirkungsfläche einer induzierten Thermobatterie kann die Abtragsbreite wrem als ein geometrischer Indikator herangezogen werden, bis zu welchem der Abtrag stattfinden kann (E ≤ ED). Bild 6-3 und Bild 6-6 zeigen, dass die Abtragsbreite mit der Laserleistung zunimmt. Die Bestim-mung der Temperatur TB an der Kavitätsbreite in Bild 8-3 zeigt jedoch, dass bei einem bestimmten Strahl-durchmesser am Rand der Kavitäten eine quasi-konstante Temperatur über das gesamte Abtrags-regime II vorherrscht.

Somit wird deutlich, dass der mit der Laserleistung steigende Unterschied zwischen

Bild 8-3: Ermittelte Temperaturen TB am Rand der Abtragskavität bei der störungsfreien LCM-Bearbeitung von Titan mit unterschiedlichen Laserstrahldurchmesser in einer horizontal strömenden Phosphorsäure; die markierten Flächen schließen die Temperaturbereiche des Abtrags zwischen der Temperatur TB (am Kavitätsrand)und der Spitzentemperatur TP (im Zentrum der Kavität) im gesamten Störungsfreien Regime ein.

92 Verhalten des laserchemischen Abtrags im störungsfreien Regime

den Temperaturen TB und TP und die daraus induzierten höheren Temperaturgradienten die Zunahme der Abtragsgeschwindigkeit in Bild 8-1 (rechts) erklären. Mit größer werdendem Laserstrahldurchmesser verschiebt sich zudem die Temperatur TB hin zu höheren Werten, so dass der Temperaturbereich [TB, TP], in dem eine Materialauflösung stattfindet, kleiner wird. Diese Beobachtung deutet darauf hin, dass mit steigendem Laserstrahldurchmesser die thermische Wirkungsfläche einer möglichen induzierten Thermobatterie aufgrund der geringeren Stromdichten kleiner wird.

Basierend auf den dargestellten Ergebnissen scheint der Breite der laserinduzierten Temperaturverteilung – neben der Spitzentemperatur – eine bedeutende Rolle bei der Bestimmung der Abtragsgeschwindigkeit im störungsfreien laserchemischen Abtragsregime zuzukommen. Zu beachten sind jedoch zwei weitere Effekte, welche infolge einer Temperaturerhöhung zur zusätzlichen Steigerung der Abtragsgeschwindigkeit beitragen können. Einerseits sind die thermisch induzierten lokalen Konvektionen zu nennen. Wie in Bild 6-9 und Bild 6-10 gezeigt, nimmt die Gasblasenaktivität nach dem Siedebeginn mit steigender Spitzentemperatur stetig zu.

Dies führt zu einem sogenannten „Stirring“ (Rühren) des Elektrolyts auf der Wechselwirkungsfläche. Dadurch wird der Austausch der Reaktanten effektiver und der Abtrag kann aufrechterhalten werden. Andererseits nimmt die Reaktionskinetik mit der Temperatur zu, wie es die Beschreibung der Geschwindigkeit der Metallauflösung anhand der Arrhenius-Gleichung verdeutlicht [Vet61]:

∙ (8-1)

Dabei stellt A0 einen Frequenzfaktor, Ea die chemische Aktivierungsenergie, R die Gaskonstante und T die absolute Temperatur dar.

Einfluss der Wechselwirkungszeit:

Wie die Ergebnisse der Temperaturmodellierung in Bild 5-5 zeigen, können die induzierten Temperaturverteilungen bei der LCM-Bearbeitung mit Vorschubgeschwindigkeiten zwischen einigen µm/s und einigen mm/s als quasi-statisch und quasi-symmetrisch angenommen werden. Dieses Ergebnis deckt sich sehr gut mit anderen simulativen Arbeiten in [Bae11] und [San84] und wird zudem durch die durchgeführten experimentellen Abtragsuntersuchungen bestätigt. Bei allen untersuchten Werkstoffen (Bild 6-3 für Titan, Bild 6-15 für Stellite 21 und Bild 6-12 für HS10-4-3-10) wurde festgestellt, dass eine Erhöhung der Vorschubgeschwindigkeit stets mit einer Abnahme der Abtragstiefe einhergeht.

In Zusammenhang mit dem zeitlichen Verlauf der chemischen Auflösungsreaktion lässt sich aus der Vorschubgeschwindigkeit eine prozessübergreifende Größe, die Wechselwirkungszeit tinter, definieren. Diese ist umgekehrt proportional zur

Verhalten des laserchemischen Abtrags im störungsfreien Regime 93

Vorschubgeschwindigkeit und beschreibt die Verweilzeit der Laserstrahlung auf der Fläche des fokussierten Laserstrahls:

µ

µ / (8-2)

In Bild 8-4 zeigt sich bei der störungsfreien Bearbeitung von Titan, dass die Abtragstiefe mit steigender Wechselwirkungszeit exponentiell zunimmt. Bei der Betrachtung der Abtragsgeschwindigkeit vrem fällt jedoch auf, dass ein Maximum um tinter = 1 s (zwischen 0.6 s und 1.5 s) erreicht wird. Dieses Maximum ist charakteristisch für selbstpassivierende Werkstoffe und wird im nachfolgenden Abschnitt näher erläutert.

Bei gleicher Wechselwirkungszeit ist zudem die Bestrahlungsart (statisch oder bewegt) zu berücksichtigen. Ein Beispiel hierfür liefert der Vergleich der maximalen Abtragsgeschwindigkeiten bei der statischen (Bild 6-3) und bewegten (Bild 8-4) LCM-Bearbeitung von Titan mit einer Wechselwirkungszeit tinter von 1 s. Bei TP = 188 °C wurde infolge der statischen Bestrahlung eine Abtragsgeschwindigkeit vrem von 11.5 µm/s ermittelt, während diese bei einer Vorschubgeschwindigkeit vfeed = 30 µm/s 17.5 µm/s betrug (siehe Bild 8-4). Die höhere Titanauflösungsrate bei bewegter Laserstrahlung ist auf einen effizienteren und schnelleren Austausch der Reaktanten in der Wechselwirkungszone zurückzuführen. Wie bereits in Kapitel 2 beschrieben, wirkt die konvektive Elektrolytströmung der Massentransportlimitierung entgegen, indem sie für die kontinuierliche Versorgung der Wechselwirkungszone mit frischen Reaktanten, sowie für den Abtransport der Reaktionsprodukte sorgt.

Bild 8-4: Ermittelte Abtragsbreiten wrem, -tiefen drem,max und -geschwindigkeiten vrem bei der störungsfreien Bearbeitung von Titan in einer horizontal strömenden 5 molaren Phosphorsäure in Abhängigkeit von der Spitzentemperatur TP und der Wechselwirkungszeit tinter; experimentelle Daten aus [Meh18]

94 Verhalten des laserchemischen Abtrags im störungsfreien Regime

Einfluss der Werkstoffpassivität:

Die Selbstpassivierung des zu bearbeitenden Werkstoffes in der Elektrolytumgebung stellt eine Voraussetzung für eine selektive und lokale Materialauflösung bei der LCM-Bearbeitung dar. Die in dieser Arbeit untersuchten Werkstoffe Titan (Abschnitt 6.1.2) und Stellite 21 (Abschnitt 6.2.2), die eine Passivschicht in der verwendeten 5 molaren Phosphorsäure ausbilden, zeigen ein charakteristisches Abtragsverhalten. Die Abtragstiefe nimmt im störungsfreien Regime mit der Laserleistung bzw. der Temperatur zu. Mit dem Auftreten von Abtragsstörungen, die auf sich ablagernde Metallsalze und -oxide zurückzuführen sind (siehe Bild 6-2), findet eine kurzfristige Reduzierung der Abtragstiefe im Kavitätszentrum sowie einer Verschiebung der maximalen Tiefe statt. Im Unterschied dazu zeigte sich bei der Bearbeitung des nicht-selbstpassivierenden Schnellarbeitsstahls HS10-4-3-10 eine nahezu kontinuierliche Zunahme der Abtragstiefe mit steigender Laserleistung. Zwar erhöhten sich die Atomprozente von Sauerstoff (O) und Phosphor (P) durch die Laserbearbeitung, wie EDX-Messungen gezeigt haben, jedoch konnte das Wachstum dieser Salz- und Oxidschichten verhindert werden. Eine Erklärung hierfür ist das stattfindende Hintergrundätzen, das für eine permanente Metallauflösung sorgt, auch wenn der Laserstrahl die Wechselwirkungsfläche verlässt.

Die ermittelten Hintergrundätzraten lagen zwischen 2 nm/s bei einer Elektrolyttemperatur von 20 °C und 135 nm/s bei 60 °C. Dabei ist zu beachten, dass bei der LCM-Bearbeitung die Hintergrundätzrate auf der Oberfläche des Schnellarbeitsstahles außerhalb der Wechselwirkungszone die Schwelle von 2 nm/s nicht übersteigt. Grund hierfür ist die lokalisierte Wirkfläche des Laserstrahles (einige 100 µm2), die kaum einen Einfluss auf die Temperatur des kontinuierlich gepumpten Elektrolyts ausübt. Im Vergleich dazu wurden unter Laserstrahleinwirkung bei induzierten Spitzentemperaturen von 260 °C Abtragsgeschwindigkeiten von bis zu 50 µm/s ermittelt. Damit zeigt sich, dass der laserinduzierte Abtrag um einige Größenordnungen schneller als das Hintergrundätzen ist.

In Bild 8-5 sind die gemessenen Abtragsgeschwindigkeiten, resultierend aus der Bearbeitung von Titan, Stellite 21 und HS10-4-3-10 in vertikal strömender Phosphorsäure aufgetragen. Dabei ist deutlich zu erkennen, dass die chemische Reaktionsaktivität zwischen Metall und Elektrolyt ein entscheidender Faktor für den Verlauf und die Geschwindigkeit der Metallauflösungsreaktion ist. Hierbei werden die chemischen Abläufe (Metallauflösung, Massentransport, Oxidschichtbildung und -auflösung) durch die an der Grenzfläche Metall-Elektrolyt herrschenden Konzentrationen der Säureprotonen, der Metallionen sowie der Hydroxidionen bestimmt.

Die Abtragsgeschwindigkeiten in der 5 molaren H3PO4-Lösung erreichten bis zu 50 µm/s (3 mm/min) in Titan und in HS10-4-3-10 sowie bis zu 12 µm/s (0.72 mm/min) in Stellite 21.

Verhalten des laserchemischen Abtrags im störungsfreien Regime 95

Ähnlich den Ergebnissen in Bild 8-4 nimmt die Abtragsgeschwindigkeit bei den selbst-passivierenden Werkstoffen mit der Wechselwirkungszeit zu, bevor diese nach tinter = 1 s abnimmt. Im Gegensatz dazu nimmt die Abtragsgeschwindigkeit beim nicht-selbstpassivierenden HS10-4-3-10 kontinuierlich mit steigender Wechselwirkungszeit ab. Hieraus ist zu erkennen, dass bei fehlender oder vollständig entfernter Passivschicht der Abtrag durch Diffusions- und Massentransportvorgänge limitiert ist. Mit steigender Wechselwirkungszeit wird die Metallauflösung dadurch gehemmt, dass sich die Verfügbarkeit der Reaktionsedukte in der Wechselwirkungszone und/oder der Abtransport der Reaktionsprodukte verringert. Darüber hinaus deutet der Anstieg der Auflösungsgeschwindigkeit bei den selbstpassivierenden Werkstoffen auf eine unvollständige Entfernung der Oxidschicht hin. In dieser Phase vergrößert sich die für die Metallauflösung zur Verfügung stehende Oberfläche zunächst durch das Auflösen einzelner Bereiche der Oxidschicht, wodurch die Abtragsgeschwindigkeit zunimmt.

Wenn die Oxidschicht vollständig entfernt wird, nimmt die Geschwindigkeit der Metallauflösung aufgrund der Diffusions- und Massentransportlimitierung ab [Sea18].

Einfluss der Elektrolytströmung

Zur Identifikation einer möglichen Elektrolytkühlung wurde der Einfluss der Elektrolytströmungsbedingungen analytisch berechnet (Abschnitt 5.2.5) und am Beispiel von Titan (Abschnitt 6.1.2) und Stellite 21 (Abschnitt 6.2.2) experimentell überprüft. Die Implementierung der temperaturabhängigen Wärmeübergangskoeffizienten in Gleichung (5-11) zeigte keine signifikanten Wärmeverluste für beide

Bild 8-5: Ermittelte Abtragsgeschwindigkeiten vrem bei der störungsfreien Bearbeitung von Titan, Stellite 21 und HS10-4-3-10 in einer vertikal strömenden 5 molaren Phosphorsäure in Abhängigkeit von der Spitzentemperatur TP und der Wechselwirkungszeit tinter

96 Verhalten des laserchemischen Abtrags im störungsfreien Regime

Elektrolytströmungsrichtungen. Insbesondere im störungsfreien Abtragsregime (TP < 200 °C) betrugen diese im Vergleich zum verlustfreien Wärmetransfer bei dspot = 25 µm bis zu 1 K in Titan und bis zu 1.4 K in Stellite 21. Somit kann festgehalten werden, dass die in dieser Arbeit verwendeten Düsensysteme, sowohl für vertikale als auch horizontale Elektrolytzufuhr, zu keinem signifikanten Kühlungseffekt während der LCM-Bearbeitung führten.

Um eine elektrolytbedingte Kühlung zu ermöglichen, kann die analytische Berechnung der Wärmeübergangskoeffizienten des Elektrolyts beim Design der einzusetzenden Düsen herangezogen werden. Bild 8-6 zeigt exemplarisch die zu erzielende Kühlung, wenn der Düsenaustrittsdurchmesser dnozzle auf 0.5 mm reduziert wird. Es ist zu erkennen, dass die Elektrolytkühlung sowie der Unterschied zwischen vertikaler und horizontaler Strömungsrichtung mit kleiner werdendem Düsendurchmesser zunehmen. Bei Temperaturen von 200 °C wird zudem eine Kühlung von bis zu 14 K in Stellite 21 und bis zu 10.5 K in Titan ermittelt.

Die experimentellen Untersuchungen an beiden Werkstoffen (siehe Bild 6-6 und Bild 6-15) mit einem Laserstrahldurchmesser dspot von 25 µm zeigten, dass mit der vertikalen Elektrolytströmung zum einen höhere Abtragstiefen bzw. Abtragsgeschwindigkeiten und zum anderen geringere Kavitätsbreiten erzielt wurden als mit der horizontalen Elektrolytzufuhr. Die koaxiale Anordnung von Laserstrahl und Elektrolytzufuhr durch eine Düse führten beim laserinduzierten Abscheiden von Gold und Kupfer [Gut87] sowie beim laserchemischen Mikrostrukturieren [Ste10] in flüssigen Elektrolyten ebenfalls zu deutlich höheren Abtragsraten. Wie bereits oben gezeigt, kann die gesteigerte Reaktionsrate nicht auf einen höheren Kühlungseffekt zurückgeführt werden, da diese

Bild 8-6: Errechnete elektrolytbedingte Kühlung in Stellite 21 und Titan bei der Reduzierung des Düsenaustrittdurchmesser dnozzle auf 0.5 mm im Vergleich zu den verwendeten Düsendurchmesser von 2 mm bei der vertikalen und 3.5 mm bei der horizontalen Elektrolytzufuhr

Verhalten des laserchemischen Abtrags im störungsfreien Regime 97

bereits in der Temperaturmodellierung herausgerechnet wird. Es ist vielmehr der effektivere Austausch von Reaktanten sowie die bessere Laserstrahlführung durch den Elektrolytjet, welche die höheren Abtragsgeschwindigkeiten erklären.

Im Allgemeinen ist festzustellen, dass eine unabhängige Betrachtung eines einzelnen Parameters oft nicht möglich ist. Grund dafür sind die komplexen und gegenseitigen Wechselwirkungen mit anderen Parametern. Dadurch wird die Definition eines für die Abtragsgeschwindigkeit bestimmenden Parameters erschwert. Dennoch können aus den durchgeführten Untersuchungen die Einflüsse einiger relevanter Prozessparameter auf die Abtragsgeschwindigkeit im störungsfreien Regime gezeigt werden. Diese sind schematisch in Bild 8-7 zusammengefasst.

Folgende Erkenntnisse sind dabei festzuhalten:

- Mit ansteigender Laserleistung nimmt die Abtragsgeschwindigkeit aufgrund steigender induzierter Temperaturen bzw. Temperaturgradienten stetig zu.

- Da mit kleineren Laserstrahldurchmessern bei gleicher Spitzentemperatur (TP = const.) höhere Temperaturgradienten induziert werden, werden dimensional kleinere und energetisch stärkere Thermobatterien generiert. Diese resultieren dann in höheren Abtragsgeschwindigkeiten.

Bild 8-7: Schematische Darstellung der Einflüsse der untersuchten Prozessparameter auf die Abtragsgeschwindigkeit im störungsfreien Abtragsregime