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2 Nachwachsende Rohstoffe und deren besondere Charakteristika

2.4 Besondere Charakteristika von nachwachsenden Rohstoffen

2.4.2 Vergleich mit anderen Rohstoffen und speziell Nahrungsmitteln

Im vorherigen Abschnitt wurde stets von ‚besonderen‘ Unsicherheiten im Kontext nachwachsender Rohstoffe gesprochen. Ähnliche Unsicherheiten können jedoch auch bei anderen Rohstoffen bzw. in anderen Bereichen auftreten (vgl. Ahumada/Villalobos 2009; Goh et al. 2007; Guillén et al. 2006). Bei fossilen Rohstoffen zum Beispiel kommt es aufgrund der zunehmenden Knappheit und damit verbun-denen Verfügbarkeitsunsicherheit ebenfalls zu erhöhten Preisschwankungen (vgl. Peak-Oil.com 2009;

siehe auch Abschnitt 2.1). Auch ihre Qualität kann in Abhängigkeit von der Herkunft variieren. So hat Öl aus der Nordsee (Sorte: Brent) bspw. aufgrund des höheren Schwefelgehalts eine geringere Qualität als Rohöl aus den USA (Sorte: West Texas Intermediate, WTI) (vgl. Fritsch/Schwierzeck 2011). Dies verdeutlicht, dass es nicht nur bei nachwachsenden Rohstoffen zu Verfügbarkeits-, Qualitäts-, Preis- und Herkunftsunsicherheit kommt, sondern dass diese Faktoren vermutlich bei nahezu allen Rohstoffen zumindest teilweise bedeutsam sind. Die Besonderheit ist jedoch, dass die dargestellten Unsicherhei-ten bei nachwachsenden Rohstoffen verstärkt bzw. gebündelt auftreUnsicherhei-ten, d. h. gehäuft und zudem in Kombination (vgl. Friedemann 2014, S. 39; Friedemann et al. 2011, S. 1; Geldermann 2012, S. 198).

Bei ihnen kommt es bspw. nicht nur vereinzelt zur ‚Fehlproduktion‘, sondern aufgrund der natürlichen Wachstumsprozesse und der kaum kontrollierbaren Umwelteinflüsse unterliegen die Rohstoffe

perma-nenten natürlichen Qualitätsschwankungen. Die Produktionsprozesse bei nachwachsenden Rohstoffen unterscheiden sich somit deutlich von der typischen industriellen Güterproduktion und sind verstärkten Unsicherheiten ausgesetzt (vgl. Friedemann 2014, S. 39; Steger et al. 2008, S. 58). Im Gegensatz zu anderen Rohstoffen lassen sich die Unsicherheiten bei nachwachsenden Rohstoffen oftmals auf natür-liche Faktoren zurückführen, wie bspw. Verderb, Saisonalität, Wettereinflüsse oder Schädlingsbefall (siehe vorherigen Abschnitt sowie Abschnitt 3.3.3.2). Diese Einflussfaktoren sind bei anderen Rohstof-fen meist nicht relevant und stellen somit eine Besonderheit bei nachwachsenden RohstofRohstof-fen dar.

Die größten Gemeinsamkeiten haben nachwachsende Rohstoffe mit Nahrungsmitteln. Die Erzeugung tierischer und pflanzlicher Nahrungsmittel erfolgt ebenfalls im Rahmen natürlicher Wachstumsprozesse (vgl. Cook et al. 2008, S. 292; Lowe/Preckel 2004, S. 201). Diese Wachstumsprozesse unterliegen da-bei den gleichen Einflussfaktoren, die auch da-bei nachwachsenden Rohstoffen existieren (z. B. saisonale Einflüsse, Einfluss des Wetters und der Bodenqualität) (vgl. Makki et al. 2001, S. 134; Raynaud et al.

2005, S. 55;Schotzko/Hinsen 2000, S. 19; van der Vorst 2000, S. 4; van der Vorst et al. 1998). Sowohl Nahrungsmittel als auch nachwachsende Rohstoffe weisen zudem das charakteristische Merkmal der Verderblichkeit auf (vgl. Lowe/Preckel 2004, S. 201; Raynaud et al. 2005, S. 55). Ferner können beide Rohstoffarten von Kalamitäten wie Überschwemmungen, Stürmen und Schädlingsbefall betroffen sein (vgl. den Ouden et al. 1996, S. 283; Ziggers/Trienekens 1999, S. 273). All dies führt dazu, dass es auch bei Nahrungsmitteln verstärkt zu natürlichen Schwankungen hinsichtlich der Verfügbarkeit, Qualität und Preise kommen kann. Zudem ist die Herkunft bei Nahrungsmitteln aus Kundensicht bedeutsam (vgl.

Kelly et al. 2005, S. 555; Opara 2003, S. 101) und muss aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oftmals angegeben werden (vgl. Hobbs 2004, S. 412; Verbeke/Ward 2006, S. 454-455). Die im Rahmen dieser Arbeit betrachteten Unsicherheiten existieren somit prinzipiell auch bei Nahrungsmitteln.

Dabei sind jedoch einige deutliche Unterschiede zu beachten. Die dargestellten Unsicherheiten können bei Nahrungsmitteln bspw. eine viel höhere Bedeutung haben, als bei der industriellen Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe. So führt Qualitätsunsicherheit bei Nahrungsmitteln zu erheblichen Proble-men, wie vergangene Skandale (z. B. BSE-Krise, Dioxin in Eiern, Einsatz von Hormonen und Antibioti-ka) eindrucksvoll belegen (vgl. Buhr 2003, S. 13; Hobbs 1998, S. 528; Kelepouris et al. 2007, S. 183;

OECD 1999, S. 10; Shepherd et al. 2006, S. 314; Wiese/Toporowski 2013, S. 95-96). Die Unsicherheit hat hier für die Menschen bzw. Kunden eine andere Bedeutung, da unmittelbar negative gesundheitli-che Konsequenzen drohen. Speziell die Verfügbarkeitsunsigesundheitli-cherheit kann bei Nahrungsmitteln schwer-wiegende Folgen haben und wird in der Literatur oft im Zusammenhang mit Hungersnöten diskutiert (vgl. de Garine/Harrison 1988; Reilly/Willenbockel 2010). Zudem sind die hier betrachteten nach-wachsenden Rohstoffe wie bspw. Holz nicht so verderblich wie Nahrungsmittel, die oft nur wenige Wo-chen oder gar Tage haltbar sind und zudem teilweise gekühlt gelagert werden müssen (vgl. Jensen et al. 1962, S. 380; Staal et al. 1997, S. 782). Die mikrobiologischen Abbauprozesse erstrecken sich bei nachwachsenden Rohstoffen somit über einen längeren Zeitraum. Ferner kann die Wachstumsdauer bei einigen nachwachsenden Rohstoffen (z. B. Holz) deutlich länger sein als bei Nahrungsmitteln, wo die Produktion meist innerhalb eines Jahres erfolgt. Die größte Besonderheit bei nachwachsenden Rohstoffen ist jedoch die stofflich-energetische Nutzungskonkurrenz (siehe Abschnitt 2.1), die bei Nah-rungsmitteln in dieser Form nicht existiert. Nahrungsmittel dienen in erster Linie dem Verzehr (der

stoff-lichen Nutzung) und werden bis auf wenige Ausnahmen (Energiegetreide, Mais) nicht energetisch ge-nutzt. Nachwachsende Rohstoffe jedoch können in zahlreichen Anwendungsbereichen sowohl stofflich als auch energetisch Verwendung finden (siehe Abschnitt 2.3). Wie bereits dargestellt, werden zudem kontinuierlich neue Einsatzmöglichkeiten für nachwachsende Rohstoffe erforscht, wie bspw. Bioraffine-rien oder BtL-Kraftstoffe.

Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass gewisse Analogien zu anderen Rohstoffen und speziell zu Nahrungsmitteln möglich sind. Teilweise existieren hier ähnliche Unsicherheiten, die sich zudem auf vergleichbare Ursachen zurückführen lassen. Daher sollte stets geprüft werden, ob bestehende Kon-zepte und Methoden aus diesen Bereichen auf nachwachsende Rohstoffe übertragbar sind. Dies erfolgt bspw. im Ausblick dieser Arbeit, wo viele der dargestellten möglichen Ansätze zur Reduzierung der besonderen Unsicherheiten ihren Ursprung im Nahrungsmittelbereich haben, wie etwa Rückverfolgbar-keitssysteme (sog. Traceability Systeme) oder Gütesiegel (vgl. Buhr 2003; Hobbs 2004; Kelepouris et al. 2007; Opara 2003; Verbeke/Ward 2006). Es wurde jedoch deutlich, dass trotz aller Gemeinsamkei-ten auch weiterhin Unterschiede zwischen nachwachsenden Rohstoffen und Nahrungsmitteln existie-ren, die berücksichtigt werden müssen. Die einfache und direkte Übertragung bestehender Ansätze ist daher meist nicht möglich. Oftmals müssen geeignete Methoden für eine integrierte Betrachtung der Rohstoffströme und deren betriebswirtschaftliche Steuerung in Unternehmensnetzwerken unter Berück-sichtigung der dargestellten Unsicherheiten erst neu entwickelt werden (vgl. Geldermann 2012, S. 198;

siehe auch Kapitel 4). Nachwachsende Rohstoffe begründen somit einen eigenständigen Forschungs-bereich (vgl. Friedemann 2014, S. 41), in den sich auch die vorliegende Arbeit einordnen lässt.

2.4.3 Zwischenfazit

In diesem Abschnitt wurden die besonderen Charakteristika von nachwachsenden Rohstoffen unter-sucht. Es konnte gezeigt werden, dass diese einige für sie typische Produkteigenschaften aufweisen.

Aufgrund natürlicher Wachstumsprozesse und kaum kontrollierbarer Umwelteinflüsse unterliegen ihre Produkteigenschaften gewissen Schwankungen, in deren Folge es zu verstärkten Unsicherheiten kommt. Mit der Verfügbarkeits-, Qualitäts-, Preis- und Herkunftsunsicherheit wurden vier besonders relevante Unsicherheitsarten im Kontext nachwachsender Rohstoffe identifiziert, die im Mittelpunkt der weiteren Arbeit stehen sollen. Im Rahmen der Literaturrecherche zeigte sich, dass bisher nur wenig Literatur zu diesem Thema existiert und die Besonderheiten bei nachwachsenden Rohstoffen bislang lediglich vereinzelt und unstrukturiert angesprochen werden.

Daher wurden die verschiedenen Unsicherheiten sowie deren Quellen näher untersucht und erstmals argumentativ-deduktiv ein Systematisierungsansatz in Form eines morphologischen Kastens entwickelt (siehe Abbildung 15). Dieser Systematisierungsansatz geht differenziert auf die verschiedenen Unsi-cherheitsarten bei nachwachsenden Rohstoffen ein und stellt die Quellen dieser Unsicherheiten struktu-riert dar. Aus wissenschaftlicher Sicht ermöglicht der Ansatz somit die Einordnung der bisher in der Literatur relativ unsystematisch und scheinbar beliebig angesprochenen Besonderheiten bei nach-wachsenden Rohstoffen in ein übersichtliches und strukturiertes Kategoriensystem. Die entwickelte Systematisierung hilft so bestehende Forschungslücken zu identifizieren und zukünftige Studien besser zu strukturieren. Aus Sicht der Praxis kann der Systematisierungsansatz dazu beitragen, das

Risiko-management in Unternehmen zu verbessern (speziell hinsichtlich Rohstoff- und Lieferantenrisiken). Er identifiziert relevante Unsicherheiten und deren Quellen im Kontext nachwachsender Rohstoffe und ermöglicht so die Ableitung von Gegenmaßnahmen zur Reduzierung dieser Risiken. Generell führt das Kategoriensystem zu einer Sensibilisierung gegenüber Unsicherheiten, da es die besonderen Charak-teristika nachwachsender Rohstoffe überblicksartig veranschaulicht. Der entwickelte Systematisie-rungsansatz stellt somit eine Teilantwort bezüglich der ersten Forschungsfrage dar. Bisher basiert der Ansatz jedoch lediglich auf der in nur begrenztem Umfang vorhandenen Literatur zu besonderen Unsi-cherheiten bei nachwachsenden Rohstoffen. In dem folgenden Kapitel wird er daher bei der Analyse konkreter Leitprodukte wieder aufgegriffen und entsprechend erweitert bzw. vervollständigt. Empirisch untersucht werden soll zudem, wie bedeutsam die in der Literatur identifizierten Unsicherheitsarten und -quellen in der Praxis tatsächlich sind. Zusätzlich zu den bisher betrachteten besonderen Eigenschaften der Produkte können auch die beteiligten Industrien Besonderheiten aufweisen, die bei der Wahl effizi-enter Koordinationsformen zwischen Unternehmen zu berücksichtigen sind. Beides soll im folgenden Kapitel näher untersucht werden, um so die erste Forschungsfrage abschließend zu beantworten.

Neben den Ursachen wurde im Rahmen dieses Abschnittes zudem auf die Folgen der Unsicherheiten eingegangen sowie mögliche generelle Probleme, die durch sie verursacht werden können. Die darge-stellten Unsicherheiten können zu Informationsasymmetrien zwischen den beteiligten Akteuren führen und so den Güteraustausch erschweren. Aufgrund der Vielfalt nachwachsender Rohstoffe und der Tat-sache, dass die Unsicherheiten je Rohstoff unterschiedlich bedeutsam sind, ist es jedoch schwierig konkrete Aussagen zu treffen. Daher sind ausgewählte Leitprodukte nötig, anhand derer die tatsächli-che Bedeutung der Unsitatsächli-cherheiten empirisch untersucht werden kann. Im folgenden Kapitel werden deshalb konkrete Industrien und Produkte betrachtet, um so die Ursachen und Konsequenzen der dar-gestellten Unsicherheiten aus Sicht der beteiligten Unternehmen und Industrieverbände zu analysieren.

Abschließend wurde in diesem Abschnitt die Frage geklärt, ob es sich wirklich um ‚besondere‘ Unsi-cherheiten im Kontext nachwachsender Rohstoffe handelt. Dabei konnte gezeigt werden, dass ähnliche Unsicherheiten auch bei anderen Rohstoffen existieren und speziell bei Nahrungsmitteln gewisse Ana-logien möglich sind. Dennoch existieren teilweise deutliche Unterschiede, die berücksichtigt werden müssen. Die einfache Übertragung bereits bestehender Konzepte und Methoden auf nachwachsende Rohstoffe ist somit in der Regel nicht möglich. Vielmehr müssen diese erst neu entwickelt bzw. in Be-zug auf nachwachsende Rohstoffe erweitert werden (siehe Kapitel 4).

3 Empirische Untersuchung der besonderen Charakteristika von Produkten aus