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Vergleich der Nebenwirkungsprofile

Im Dokument Perioperative Arzneibehandlung (Seite 54-63)

1 Einleitung

1.2 Spezieller Teil

1.2.1 Vergleich der Nebenwirkungsprofile

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einerseits eine Zusammenschau der zum Einleiten und Aufrechterhalten einer Allgemeinanästhesie benötigten Medikamentengruppen und Wirkstoffe zu geben und andererseits diese im Hinblick auf ihr Nebenwirkungsprofil zu vergleichen, um so zu erarbeiten, ob es bestimmte Wirkstoffe oder Kombinationen aus solchen gibt, die sich besonders sicher und möglichst unabhängig von der Situation und dem Patientengut einsetzen lassen. Auf Ersteres zielte das letzte Kapitel ab, während es nun darum gehen soll, die Nebenwirkungen der einzelnen Medikamentengruppen zusammenzufassen, um im Anschluss zu diskutieren, welche Einsatzmöglichkeiten sich daraus ergeben.

Nebenwirkungen werden dabei definiert als „schädliche und unbeabsichtigte Reaktionen auf das Arzneimittel“ (45).

1.2.1.1 Nebenwirkungen verschiedener Analgetika

Die Wirkungen der zuvor besprochenen Opioidanalgetika Morphin, Fentanyl, Alfentanil, Sufentanil und Remifentanil lassen sich kurz zusammenfassen als Analgesie und

Sedierung, die zu berücksichtigenden Nebenwirkungen dieser Wirkstoffe werden nachfolgend besprochen. (6)

Die wohl wichtigste Nebenwirkung aller Opioide ist eine zum Teil ausgeprägte

Atemdepression, die aus einer verringerten Sensitivität des Atemzentrums im verlängerten Mark resultiert. Dies äußert sich nicht nur in einer geringeren Reaktion auf einen Anstieg des CO2-Partialdrucks, sondern auch in einer Beeinträchtigung der Regelung des

Atemrhythmus. (4)

Dies kann verstärkt werden durch Faktoren wie zusätzliche Verabreichung von

Benzodiazepinen oder anderen Anästhetika, hohem Alter der Patientinnen und Patienten, Hypothermie, Alkohol, Niereninsuffizienz oder eine metabolische Alkalose. (9)

Aus dem sich daraus ergebenden CO2-Anstieg kann eine Erhöhung des intrakraniellen Drucks resultieren, gerade wenn dieser bereits vor der Applikation abnormal hoch war. Der Einfluss der Opioide auf das kardiovaskuläre System ist hingegen insgesamt als gering zu bezeichnen. Dies gilt nur mit Einschränkungen für Morphin, da es nach Verabreichung über eine Histaminliberation zu einem Abfall des Blutdrucks kommen kann. Außerdem verursachen alle genannten Wirkstoffe eine Hemmung des Sympathikus und aktivieren Zentren des Vagus. Dies kann zum Auftreten von Bradykardien führen. Als weitere Ursache für eine Verringerung der Herzfrequenz nach Verabreichung von Opioiden kann die Reduzierung einer schmerzbedingten Tachykardie eine Rolle spielen. (6)

Über eine Hemmung von Reflexen, ausgelöst von Barorezeptoren, kann eine orthostatische Dysregulation vermittelt werden. Dies kann zum Blutdruckabfall beim Lagewechsel von der liegenden in die sitzende oder stehende Position führen. (4,5)

Besonders nach schneller Verabreichung sehr potenter Opioide kann es zu einer Rigidität der Muskulatur im Bereich von Abdomen, Thorax und Larynx kommen, welche

vermutlich über verschiedene Rezeptoren im Locus coeruleus und im Striatum vermittelt wird. (9)

Dies kann zu erschwerten Bedingungen einer Maskenbeatmung während der

Narkoseeinleitung führen und eine vorzeitige Muskelrelaxierung notwendig machen. (6)

Eine ebenfalls über Rezeptoren im verlängerten Mark vermittelte Nebenwirkung ist der emetische Effekt von Opioiden, der von der Aktivierung von Rezeptoren in der

Chemorezeptor-Triggerzone herrührt. Die für eine Opioidverabreichung typische

Nebenwirkung einer Miosis, welche auch zur Diagnostik einer Intoxikation mit Opioiden herangezogen werden kann, hat ihren Ursprung ebenfalls in der Aktivierung von

Kerngebieten (Edlinger-Westphal-Kern) im ZNS. (4,5)

Eine durch Opioide verursachte Tonussteigerung im Magen, Dünn- und Dickdarm kann zu einer spastischen Obstipation führen, im Harntrakt führt diese Nebenwirkung gelegentlich zu Harnverhalt über eine Erhöhung des Tonus des Sphinkters der Blase. (6)

Auf die einzelnen Wirkstoffe umgelegt bedeutet dies:

Die ausgeprägteste Nebenwirkung von Morphin ist ein über eine Freisetzung von Histamin verursachter Blutdruckabfall. Die Gefahr dieser Nebenwirkung ist bei Fentanyl praktisch nicht gegeben, sogar nach Verabreichung höherer Dosen sind die Auswirkungen auf die Hämodynamik sehr gering. Dafür kommt es zu einer ausgeprägteren Steigerung des Tonus der Gallenwege, als dies bei Morphin der Fall ist. Auch Alfentanil hat ähnlich geringe Auswirkungen auf die hämodynamische Situation, wenn auch von einigen Autorinnen und Autoren ein Blutdruck- und Herzfrequenzabfall vor allem nach schneller Verabreichung berichtet wird. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Muskelrigidität ist dafür im Vergleich zu Fentanyl deutlich erhöht. Dies gilt in dieser Form auch für Sufentanil. Dafür ist die hämodynamische Stabilität noch ausgeprägter, als dies bei Fentanyl schon der Fall ist. Im Gegensatz dazu steht das Remifentanil: Hier muss nach initialer Gabe eines Bolus wegen direkter Wirkung auf den Gefäßtonus mit nachfolgender Relaxation mit einem Blutdruckabfall gerechnet werden. Eine zentral gesteigerte Aktivität des Vagus kann darüber hinaus zu einer Verringerung der Herzfrequenz führen. Eine Muskelrigidität tritt mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit wie nach Alfentanilgabe auf. (6)

1.2.1.2 Nebenwirkungen verschiedener Narkotika

Die Nebenwirkungen der am häufigsten eingesetzten Narkotika Thiopental, Midazolam, Propofol, Etomidat und S-Ketamin sind zur besseren Vergleichbarkeit in Tabelle 3 zusammengefasst und werden nachfolgend für die einzelnen Wirkstoffe dargestellt.

Die Verabreichung von Thiopental kann eine vorübergehende Atemdepression verursachen, die allerdings weniger lang dauert als nach Propofolgabe. Mit einer ausgeprägten Histaminfreisetzung muss gerechnet werden. Besonders gefürchtet ist die unabsichtliche intraarterielle oder paravenöse Injektion, die einen Extremitätenverlust nach sich ziehen kann. (17)

Eine Dilatation von venösen Gefäßen führt zum Blutdruckabfall über ein venöses Pooling.

Verstärkt wird diese Nebenwirkung durch einen bereits existenten Volumenmangel. Das HMV ist nach Thiopentalgabe häufig reduziert, besonders bei Patientinnen und Patienten mit bekannter Herzinsuffizienz. Thiopental senkt über eine Reduktion des zerebralen Sauerstoffbedarfs mit konsekutiv erniedrigter zerebraler Durchblutung einen eventuell erhöhten intrakraniellen Druck und führt weiters zu einer Erhöhung der Krampfschwelle.

Methohexital ähnelt Thiopental in seinem Nebenwirkungsprofil, verursacht ebenfalls Nekrosen nach versehentlicher paravasaler oder intraarterieller Gabe, bewirkt jedoch keine Verringerung des zerebralen Metabolismus und senkt im Gegensatz zu Thiopental die Krampfschwelle. (6)

Die Benzodiazepine Diazepam und Midazolam haben nur geringe Auswirkungen auf die Hämodynamik. Blutdruck und Herzfrequenz bleiben nach Verabreichung meist stabil. Die zeitgleiche Verabreichung eines Opioids kann jedoch zu Blutdruckabfällen führen. Der zerebrale Sauerstoffbedarf ist vermindert, jedoch nicht so stark wie nach Verabreichung von Barbituraten. (6)

Der vom CO2-Partialdruck gesteuerte Atemantrieb wird von Midazolam verringert. (18) Etomidat zeichnet sich vor allem durch seine besondere hämodynamische Stabilität aus, denn es kommt zu keinerlei Beeinträchtigung des kardiovaskulären Systems. Nach der Injektion verursacht es einen Atemstillstand, der aber nur von kurzer Dauer ist. (6) Die wichtigste Nebenwirkung ist wohl die Unterdrückung der Funktion der

Nebennierenrinde, was zu einem deutlichen Rückgang in der Anwendungshäufigkeit von Etomidat geführt hat. Diese wird durch eine Hemmung des Enzyms 11β-Hydroxylase

Inhibierung der Kortisol- und Aldosteronsynthese. Etomidat sollte daher keinesfalls kontinuierlich verabreicht werden und auch die nur einmalige Gabe muss vor allem bei kritisch Kranken und besonders bei septischen Patientinnen und Patienten hinterfragt werden. (25)

Die über eine enthemmende Wirkung einiger vom Neokortex wegziehender Bahnen verursachten und für Etomidat typischen Myoklonien sind selbstlimitierend und können in ihrer Häufigkeit durch eine vorab erfolgte Gabe von Opioiden oder Benzodiazepinen reduziert werden. (6)

Propofol verursacht als wichtigste Nebenwirkung nach Narkoseeinleitung sehr häufig Blutdruck- und Herzfrequenzabfälle. Ursächlich dafür sind eine Verringerung der

sympathischen Aktivität und eine Dilatation von zunächst venösen und anschließend, bei höherer Dosierung, arteriellen Gefäßen. Eine Unterdrückung des Barorezeptorreflexes resultiert im Ausbleiben einer reflektorischen Tachykardie. (23)

Eine Atemdepression nach Propofolverabreichung kann ausgeprägt sein, hält aber wie bei Etomidat nur kurz an. Der zerebrale Sauerstoffbedarf wird verringert. Aufgrund seiner antikonvulsiven Eigenschaften wird Propofol zur Behandlung von Krampfanfällen eingesetzt. (6)

Erwähnt werden muss weiters das Auftreten des sogenannten Propofolinfusionssyndroms, das initial vor allem im Zusammenhang mit der Verabreichung von hohen Dosen an

Kindern beschrieben wurde und eine hohe Letalität aufweist. Vor allem hohe Laufraten bei kontinuierlicher Infusion, lange Zeiträume der Applikation und Fieber werden als

Risikofaktoren erwähnt. Auftretende Symptome sind Herzversagen und eine metabolische Azidose, sowie später im Verlauf unter anderem Arrhythmien, Rhabdomyolysen,

kardiogener Schock, und Hyperkaliämien. Als Ursachen werden eine Entkoppelung der Atmungskette bzw. eine Inhibierung der Oxidation von Fettsäuren vermutet. (23) Ketamin bzw. S-Ketamin ist das einzige Narkotikum, das zu einer Aktivierung des Sympathikus und damit zu einer Erhöhung der Herzfrequenz und des systolischen und diastolischen Blutdrucks führt. (6)

Damit einher geht eine Erhöhung des myokardialen O2-Verbrauchs, wobei es bei bereits verbrauchten endogenen Katecholamin-Reserven zu einem kardiodepressiven und negativ inotropen Effekt von Ketamin und S-Ketamin kommen kann. (18)

Rücksicht genommen werden muss auch auf die durch Ketamin verursachte Steigerung des Speichelflusses. (6,28)

Die häufig diskutierten psychotropen Nebenwirkungen von Ketamin sind dosisabhängig und werden bei Verwendung von S-Ketamin seltener beobachtet. Für die

Narkoseeinleitung von Patientinnen und Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma ist Ketamin trotz zahlreicher Diskussionen bezüglich eines intrakraniellen Druckanstiegs geeignet, da diese Nebenwirkung von einem Anstieg des Partialdrucks von CO2 aufgrund der von Ketamin potenziell verursachten Atemdepression herrührt und durch kontrollierte Beatmung hintangehalten werden kann. (18)

Pharmakodynamik Thiopental Midazolam Propofol Etomidat S-Ketamin

Histaminliberation Ja Nein Nein Nein Nein

Anaphylaxie Sehr selten Sehr selten Sehr selten Sehr selten Sehr selten

Venenreizung Ja Keine Ja Gering Keine

Nekrosen bei Fehlinjektion

Ja Keine Keine Keine Keine

NNR-Suppression (+) (+) (+) + Keine

↓=Verringerung, ↓↓=starke Verringerung, →=kein Effekt, ↑=Steigerung, ↑↑=starke

Steigerung, O=keine Wirkung, +=Wirkung vorhanden, ++=ausgeprägte Wirkung vorhanden RR=Blutdruck, MAP=Mittlerer arterieller Blutdruck, HZV=Herzzeitvolumen,

HI=Herzindex, CMRO2=zerebrale Sauerstoffextraktionsrate, CBF=zerebraler Blutfluss, CVR=zerebraler Gefäßwiderstand, CPP=zerebraler Perfusionsdruck,

1.2.1.3 Nebenwirkungen verschiedener Muskelrelaxantien

Nebenwirkungen der nichtdepolarisierenden Muskelrelaxantien lassen sich einteilen in solche, die durch Wirkung auf das Vegetativum entstehen und jene, die aus einer

Histaminliberation resultieren. Die Wirkungen auf das vegetative Nervensystem haben ihre Ursache in einer potentiellen Blockade der N1-Rezeptoren, die sowohl im Sympathikus als auch im Parasympathikus für die Übertragung vom präganglionären auf das

postganglionäre Neuron via ACh verantwortlich sind. Außerdem können die muscarinartigen Rezeptoren, die im Parasympathikus für die Übertragung vom

postganglionären Neuron auf das Zielorgan verantwortlich sind (auch über ACh), ebenfalls blockiert werden. Die Blockierung dieser Rezeptoren erfordert geringere Dosen als

notwendig wären, um eine Wirkung auf die N1-Rezeptoren zu erzielen. Um diese Auswirkungen vergleichbar zu machen, wurde der Begriff des Sicherheitsfaktors

eingeführt, welcher beschreibt, das Wievielfache der ED95-Dosis notwendig wäre, um eine 50%ige-Parasympathikusblockade zu erreichen. Für Pancuronium und Rocuronium etwa gilt, dass das Dreifache der ED95-Dosis verabreicht werden müsste, damit daraus eine 50%ige Parasympathikusblockade mit Blutdruckanstieg und Tachykardie resultiert. Die beiden Medikamente haben also einen Sicherheitsfaktor von 3. Ein Sicherheitsfaktor von

>5 führt zu einer klinisch nicht relevanten Blockade, bei Werten von 3-4 wird diese als gering bezeichnet, bei 2-3 als mittel und bei Sicherheitsfaktoren ≤1 als stark. Zu einer Freisetzung von Histamin führen nur die Benzylisocholinabkömmlinge. Dies erfolgt über Effekte auf die Membranen von Mastzellen. Daraus resultiert gelegentlich ein

Blutdruckabfall, der aber auch durch die Muskelrelaxierung mit nachfolgend vermindertem venösen Rückstrom verursacht werden kann. Pancuronium führt aufgrund des

Sicherheitsfaktors von 3 in höheren Dosierungen zu Tachykardie und Blutdruckanstieg, Vecuronium erzielt hier keine Nebenwirkungen. Beide führen zu keiner

Histaminliberation. Auch bei Rocuronium, das hämodynamisch sehr stabil ist und nur in hoher Dosierung zu einer Herzfrequenzerhöhung führt, kommt es nur sehr selten zur Histaminfreisetzung. Atracurium kann über einen vermehrten Anfall des Metaboliten Laudanosin zu zerebralen Krampfanfällen führen, aber nur bei einer über ein normales Dosisregime hinausgehenden Verabreichung. Eine Histaminfreisetzung mit Rötung der Haut kann vorkommen, schwerere Reaktionen wie eine hämodynamische

für Mivacurium, vor allem bei schneller Injektion. Cisatracurium, die Nachfolgesubstanz von Atracurium, führt dagegen zu keiner relevanten Freisetzung von Histamin. (6) Die Nebenwirkungen des depolarisierenden Muskelrelaxans Succinylcholin sind ausgeprägter. Typisch sind postoperative Myalgien, deren Ursachen nicht gänzlich klar sind. Bestimmte Krankheitsbilder wie etwa neuromuskuläre Erkrankungen,

Verbrennungen, schwere Muskeltraumata und Infektionen im Bauchraum können in Kombination mit einer Verabreichung von Succinylcholin zu schweren Hyperkaliämien führen, was gefährliche Rhythmusstörungen und Asystolie zur Folge haben kann.

Ursächlich dafür sind je nach Krankheitsbild eine Hochregulation von Acetylcholinrezeptoren mit massivem Kaliumausstrom aus der Zelle oder

Rhabdomyolysen. Weiters zählt Succinylcholin zu den Triggersubstanzen einer malignen Hyperthermie, ein autosomal-dominant vererbtes Krankheitsbild, das vor allem durch Verabreichung von Inhalationsanästhetika gemeinsam mit Succinylcholin, selten auch nur durch Injektion von Succinylcholin ausgelöst wird, zu einem Hypermetabolismus mit Tachykardie, Anstieg des endtidalen CO2 und Fieber als Symptomkomplex führt und eine hohe Mortalität hat. (40)

Succinylcholin wirkt wie die nichtdepolarisierenden Muskelrelaxantien auch auf das vegetative Nervensystem ein und bewirkt über eine initiale Stimulierung der Rezeptoren eine Bradykardie, die bis hin zur Asystolie gehen kann. (6)

Weiters kann die Verabreichung nach Aktivierung sympathischer Rezeptoren zu Tachykardie und Blutdruckanstieg führen. (40)

Succinylcholin führt häufig zu einer Liberation von Histamin, erhöht den

Augeninnendruck und den intraabdominellen Druck, diesen vor allem durch die initialen Muskelkontraktionen. Außerdem kann es vor allem bei Kindern mit vorbestehenden Myopathien zu schwersten Rhabdomyolysen führen, welche im schlimmsten Fall ebenfalls zu ausgeprägten Hyperkaliämien und zum Herzstillstand führen. (6)

Im Dokument Perioperative Arzneibehandlung (Seite 54-63)