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3. Stand der Forschung und Technik

3.5. Verfahren zur numerischen Modellierung geothermischer Systeme

Die in (Kapitel 0) beschriebenen analytischen Lösungen der Differentialgleichung des geothermischen Wärmetransports gelten nur für vereinfachte geothermische Fragestellungen. In Wirklichkeit sind die geothermischen Systeme jedoch meist komplexer, weshalb diese analytischen Lösungen nur selten anwendbar sind.

Beispielsweise ist die Temperatur innerhalb einer Erdwärmesonde in einem horizontalen Schnitt nicht radialsymmetrisch aufgrund der unterschiedlichen Temperaturen von Vor- und Rücklauf. Auch der Wärmetransport um eine durch Grundwasserströmung beeinflusste Erdwärmesonde verläuft nicht ra-dialsymmetrisch. Innerhalb einer Erdwärmesonde findet durch den Verlauf der Wärmeträgerflüssigkeit Wärmetransport vertikal statt. Weiterhin bilden die Materialien Wärmeträgermedium, Sondenwan-dung, Verfüllmaterial und Boden mit ihren unterschiedlichen thermischen Eigenschaften und dispro-portionalen Abmessungen ein komplexes System in Reihe geschalteter thermischer Widerstände. Ne-ben heterogenen geologischen Schichtungen ist auch die ungestörte Bodentemperatur des geothermi-schen Systems nicht homogen, sondern über die Tiefe zunehmend, sodass die geothermigeothermi-schen Frage-stellungen meist dreidimensionaler bzw. räumlicher Natur sind.

3.5.1. Numerische Modelle geothermischer Systeme

Um komplexe, dreidimensionale, instationäre geothermische Systeme zu modellieren, wurde eine Viel-zahl numerischer Modelle entwickelt, die sich unterschiedlicher Ansätze und Vereinfachungen bedie-nen. Nachfolgend wird ein Überblick über numerische Modelle des geothermischen Wärmetransports gegeben. Weiterführende Erläuterungen hierzu können [Chiasson 1999; Do & Haberl 2010; Hecht-Méndez et al. 2010; Bozzoli et al. 2011] entnommen werden.

[Eskilson 1987] stellte ein Modell vor, das eine einzelne Erdwärmesonde im homogenen Untergrund unter Vernachlässigung der Wärmekapazitäten abbildet. Um den Wärmetransport innerhalb des um-gebenden Untergrunds und die gegenseitige Beeinflussung mehrerer Erdwärmesonden zu berücksich-tigen, wurden sogenannte G-Funktionen eingeführt, mit denen die dimensionslose Temperaturantwort auf die thermische Last an der Bohrlochwandung beschrieben wird.

[Hellström 1989] entwickelte das DST Modell (duct ground heat storage model) zur Modellierung geothermischer Wärmespeichersysteme mit Hilfe eines eindimensionalen radialen Netzes. Mit DST kann auch der Wärmeübergang zwischen dem Wärmeträgerfluid, das innerhalb eines Rohrsystems zirkuliert und dem umgebenden Untergrund modelliert werden.

[Brehm 1989] entwickelte das dreidimensionale Finite-Differenzen-Modell TRADIKON-3D (Transport von Wärme durch Diffusion und Konvektion in drei Dimensionen) auf Basis von Fortran 77.

TRADIKON-3D löst die Strömungs- und Wärmetransportgleichung simultan durch Iterationsverfahren unter der Annahme einer konstanten Dichte und Wärmekapazität des Grundwassers, konstanter Wärmekapazität des Gesteins und Vernachlässigung der Dispersion.

[Shonder & Beck 1999] entwickelten auf Basis der Zylinderquellentheorie ein eindimensionales nume-risches Modell in Kombination mit einer modellbasierten Parameterabschätzung. Mit Hilfe dieses Mo-dells kann ein dünner Film als wärmekapazitätsloser Bohrlochwiderstand sowie das Verfüllmaterial mit eigenen Werten für Wärmekapazität und Wärmeleitfähigkeit abgebildet werden [Gehlin &

Hellström 2003].

[Yavuzturk & Spitler 1999] entwickelten auf Basis des G-Funktionen-Modells nach Eskilson ein tran-sientes zweidimensionales numerisches Finite-Volumen-Modell (short time step response factor mo-del), das auch die thermischen Eigenschaften des Verfüllmaterials berücksichtigt. Durch eine Anpas-sung der Wärmeleitfähigkeit der Sondenwandung kann auch der Wärmeübergang zwischen dem flie-ßenden Wärmeträgerfluid und der Sondenwandung abgebildet werden [Gehlin & Hellström 2003].

[Al-Khoury & Bonnier 2006] präsentierten einen numerischen Ansatz auf Basis der Finite-Elemente-Methode zur Abbildung von Erdwärmesonden durch vertikale Linienelemente im dreidimensionalen Raum. Durch diesen Ansatz können die instationären Vorgänge innerhalb einer Erdwärmesonde abge-bildet werden, während auf die feine Netzdiskretisierung zur Abbildung der Sondengeometrie verzich-tet werden kann. Somit kann die Elementanzahl deutlich reduziert werden.

[Marcotte & Pasquier 2008] präsentierten ein dreidimensionales Modell zur Berechnung des Wär-metransports um ein geothermisches System. Vereinfachend wird das Wärmeträgerfluid dabei als Fest-körper angenommen und der Wärmeübergang mittels Fourierschem-Gesetz vereinfachend mit Hilfe eines anisotropen Wärmeleitfähigkeitstensors berechnet.

[Signorelli et al. 2007] entwickelten ein dreidimensionales Modell, das auch den Wärmetransport in-nerhalb der Wärmetauscherrohre mit Hilfe von eindimensionalen Rohrelementen inin-nerhalb der drei-dimensionalen Matrix abbildet. Weiterhin kann die Grundwasserströmung um das geothermische Sys-tem modelliert werden [Bozzoli et al. 2011].

In [Glück 2008] wurde ein Modell basierend auf der Finite-Volumen-Methode vorgestellt, das den Wärmetransport im Bohrloch in Abhängigkeit verschiedener Sondengeometrien abbildet. Die wärme-technischen Vorgänge im Bohrloch werden dabei quasistationär betrachtet. Der Bohrlochquerschnitt wird über eine entwickelte Formfaktorenmethode untersucht. Die Wärmeübergangskoeffizienten, Wärmedurchgangs- und Teildurchgangskoeffizienten für die Rohrströmung können über die Ähnlich-keitstheorie unter Verwendung der Nußelt-Gleichung ermittelt werden. Der Bohrlochradius wird über die Tiefe als konstant angenommen. Die Simulation erfolgt für den umgebenden Untergrund instatio-när, eine Grundwasserströmung wird vernachlässigt.

Neben den beschriebenen Modellen existiert eine Vielzahl an kommerzieller Software zur numerischen Modellierung volldiskretisierter geothermischer Systeme. Im deutschsprachigen Raum weit verbreitet sind die Programme FEFLOW [Diersch 2005], SHEMAT [Clauser 2003] und FRACTure [Kohl 1992], auf die hier nicht weiter eingegangen wird.

3.5.2. Numerische Modelle geothermischer Systeme bei Grundwasserströmung

Nachfolgend wird ein Überblick über Arbeiten gegeben, in denen geothermische Systeme unter Be-rücksichtigung der Grundwasserströmung modelliert und hinsichtlich verschiedener Fragstellungen untersucht wurden.

[Chiasson et al. 2000] untersuchten den Einfluss der Grundwasserfließgeschwindigkeit auf den Wär-metransport um eine Einfach-U Erdwärmesonde mit AQUA3D [Matthew 2010]. Hierfür wurden Ge-othermal Response Tests mit Hilfe eines zweidimensionalen Finite-Elemente-Modells abgebildet und die effektive Wärmeleitfähigkeit über die Temperatursteigung innerhalb der Erdwärmesonde mit Hilfe der Linienquellentheorie ermittelt. In verschiedenen Szenarien wurde die Grundwasserfließgeschwin-digkeit in mehreren Schritten zwischen 0 m d-1 und 1,6 m d-1 variiert. Es zeigte sich, dass für stark durchlässige Böden und Gesteine die Grundwasserfließgeschwindigkeit einen signifikanten Einfluss auf die Effizienz einer Erdwärmesonde hat. Weiterhin zeigte sich, dass bei hohen Grundwasserfließge-schwindigkeiten die ermittelte effektive Wärmeleitfähigkeit mit steigender Versuchsdauer zunimmt.

In [Wagner & Clauser 2001] wurde eine Erdwärmesonde mit dem Finite-Differenzen-Modell SHEMAT [Clauser 2003] dreidimensional modelliert und die Entzugsleistung in Abhängigkeit der Grundwasser-fließgeschwindigkeit und der Aquifermächtigkeit untersucht. Bei einer fiktiven 2.240 m tiefen Erd-wärmesonde zeigte sich bei einer Grundwasserfließgeschwindigkeit von 0,26 m d-1 und einer Aquifer-mächtigkeit von 280 m eine Steigerung der Entzugsleistung der Erdwärmesonde um etwa 10 % ge-genüber dem Szenario ohne Grundwasserströmung.

[Witte 2001] modellierte eine Erdwärmesonde mit dem Programm HST3D [Kipp 1987] dreidimensio-nal. Das Modell wurde auf Basis experimentell gewonnener Daten von zwei Geothermal Response Tests mit und ohne Grundwasserströmung validiert. Anschließend wurde die Grundwasserfließge-schwindigkeit im Modell zwischen 0 m d-1 und 0,71 m d-1 variiert. Bereits bei einer Erhöhung der Grundwasserfließgeschwindigkeit von 0 m d-1 auf 0,18 m d-1 zeigte sich eine Zunahme der über die Linienquellentheorie ermittelten effektiven Wärmeleitfähigkeit um 13 %.

In [Pahud et al. 2002] wurde der Einfluss verschiedener hydrogeologischer Kennwerte auf die Entzugs-leistung eines geothermischen Systems untersucht. Hierfür wurden drei Erdwärmesonden einer ein-heitlichen Länge von 100 m mit dem Programm FRACTure [Kohl 1992] modelliert. Die Diskretisierung erfolgte auf der Basis der Finite-Elemente-Methode. In verschiedenen Szenarien wurde die Grundwas-serfließgeschwindigkeit zwischen 1 m d-1 und 5 m d-1, die Grundwasserfließrichtung zwischen 0° und 270° und die Aquifermächtigkeit zwischen 1 m und 20 m variiert. Es zeigte sich ein signifikanter Leis-tungszuwachs der untersuchten Erdwärmesonden von bis zu 70 %.

In [Kleiner 2003] wurde eine fiktive Koaxial Erdwärmesonde mit SHEMAT dreidimensional modelliert und deren Entzugsleistung in Abhängigkeit verschiedener Kennwerte untersucht. Die Grundwasser-fließgeschwindigkeit wurde im Bereich von 0 m d-1 bis 0,09 m d-1 variiert. Es zeigte sich, dass eine Er-höhung der Grundwasserfließgeschwindigkeit von 0 m d-1 auf 0,0009 m d-1 keine signifikante Auswir-kung auf die Entzugsleistung der Erdwärmesonde hat. Bei einer Erhöhung der Grundwasserfließge-schwindigkeit auf 0,09 m d-1 zeigte sich jedoch eine Zunahme der möglichen Entzugsleistung um 20 % gegenüber der Simulation ohne Grundwasserströmung.

[Kuhn et al. 2004] untersuchten im Zuge der Dimensionierung eines Erdwärmesondenspeichers den Einfluss der Anordnung und des Abstandes der Erdwärmesonden zueinander sowie der

Grundwasser-fließgeschwindigkeit. Der doppelsymmetrische Erdwärmesondenspeicher bestehend aus 36 Erdwärme-sonden mit jeweils 30 m Länge wurde durch ein dreidimensionales Finite-Elemente-Modell mit dem Programm ANSYS [ANSYS Europe Ltd 2009] abgebildet. Die Grundwasserfließgeschwindigkeit wurde im Bereich zwischen 0 m d-1 bis 0,09 m d-1 variiert. Es zeigte sich eine starke Beeinflussung des Spei-chernutzungsgrades in Abhängigkeit der Grundwasserfließgeschwindigkeit.

Durch [Pannike et al. 2006] wurde die Ausbreitung von Temperaturfahnen um eine fiktive Erdwärme-sonde in variierender Geologie und Hydrogeologie untersucht. Hierfür wurde mit SHEMAT die Tempe-raturänderung des umgebenden Untergrundes infolge eines dreißigjährigen Energieentzugs durch eine Erdwärmesonde modelliert. Die dreidimensionale Diskretisierung erfolgte mit der Finite-Differenzen-Methode. In mehreren Szenarien wurde der umgebende Untergrund zwischen verschiedenen homoge-nen Bodenarten (Ton, Schluff, Feinsand, Mittelsand, Grobsand) variiert und die thermischen und hyd-rogeologischen Eigenschaften auf Grundlage von Literaturwerten angenommen. Es zeigte sich, dass für stark durchlässige Bodenarten der konvektive Anteil am Gesamtwärmetransport gegenüber dem kon-duktiven Anteil überwiegt. Die geometrische Form der Isothermen um das geothermische System hängt vorrangig von der Fließgeschwindigkeit, aber auch von den geologischen Kennwerten und der Entzugsleistung ab.

[Lee & Lam 2007] untersuchten den Einfluss der Grundwasserfließrichtung auf Erdwärmesondenfel-der. Hierfür wurde ein fiktives Erdwärmesondenfeld durch ein dreidimensionales Finite-Differenzen-Modell abgebildet. Die Anordnung der Erdwärmesonden zueinander und die Grundwasserströmung wurden in verschiedenen Szenarien variiert. Es konnte festgestellt werden, dass die Grundwasserfließ-richtung gerade für Grundwasserfließgeschwindigkeiten kleiner 0,09 m d-1 auf die Temperatur inner-halb von Erdwärmesonden in quadratisch angeordneten Erdwärmesondenfeldern keinen signifikanten Einfluss hat.

[Signorelli et al. 2007] untersuchten numerisch den Einfluss der Grundwasserfließgeschwindigkeit und der Aquifermächtigkeit auf Geothermal Response Tests. Mit FRACTure wurde hierfür eine fiktive 160 m tiefe Erdwärmesonde dreidimensional modelliert und thermisch belastet. Die sich ergebenden Temperatursteigungen innerhalb der Erdwärmesonde wurden mit Hilfe der Linienquellentheorie aus-gewertet. Innerhalb eines 10 m mächtigen Aquifers wurde die Grundwasserfließgeschwindigkeit zwi-schen 0,1 m d-1 und 2 m d-1 variiert. Schon bei einer Grundwasserfließgeschwindigkeit von 0,5 m d-1 zeigte sich eine Erhöhung der ermittelten effektiven Wärmeleitfähigkeit um 7 %. In einem zweiten Szenario wurde bei einer konstanten Grundwassserfließgeschwindigkeit von 1 m d-1 die Aquifermäch-tigkeit zwischen 1 m und 20 m variiert. Bei einer AquifermächAquifermäch-tigkeit von 20 m zeigte sich eine Erhö-hung der ermittelten effektiven Wärmeleitfähigkeit um 24 %.

In [Wagner et al. 2012] wurde der Einfluss der thermischen Dispersion auf ein geothermisches System untersucht. Hierfür wurden Temperaturkurven eines Geothermal Response Tests mit dem Finite-Elemente-Modell FEFLOW [Diersch 2005] numerisch erzeugt. Eine fiktive Erdwärmesonde wurde mit einer Länge von 100 m dreidimensional modelliert und über ihre gesamte Länge durch eine Grund-wasserfließgeschwindigkeit von 0,2 m d-1 beeinflusst. Die Variation des Dispersionskoeffizienten L zwischen 0 m und 1 m führte zu einer Zunahme der ermittelten effektiven Wärmeleitfähigkeit des ge-othermischen Systems um 218 %.

Nachfolgend wird ein zusammenfassender Überblick über die Ergebnisse der vorgestellten numeri-schen Untersuchungen zum Einfluss der Grundwasserfließgeschwindigkeit auf geothermische Systeme gegeben (Abbildung 12). Der Vergleichbarkeit halber wurde der Zuwachs der jeweils untersuchten Größe (Effektive Wärmeleitfähigkeit , Entzugsleistung ̇, Temperatur T, Speichernutzungsgrad ) mit dem Verhältnis der untersuchten Aquifermächtigkeit M zur Länge der Erdwärmesonde H normiert und in Abhängigkeit der Filtergeschwindigkeit dargestellt.

Abbildung 12: Numerische Untersuchungen zum Einfluss der Filtergeschwindigkeit auf geothermische Systeme

Aus den vorgestellten numerischen Untersuchungen lässt sich zusammenfassen, dass schon Grundwas-serfließgeschwindigkeiten von 0,01 m d-1 einen erheblichen Einfluss auf geothermische Systeme ha-ben. Grundwasserfließgeschwindigkeiten größer 0,1 m d-1 haben einen signifikanten Einfluss auf ge-othermische Systeme.

0 250 500

1,0E-04 1,0E-03 1,0E-02 1,0E-01 1,0E+00 1,0E+01

Zuwachs der untersuchten GßeH M-1[%]

Filtergeschwindigkeit v [m d-1]

[Chiasson et al. 2 000] (Δλ, M/H=1) [Kleiner 2 003] (ΔQ, M/H=1) [Witte 2 001] (Δλ, M/H=0,8) [Pahud et al. 2 002 ] (ΔQ, M/H=0,2 ) [Signorelli et al. 2 007] (Δλ, M/H=0,06) [Wagner & Clauser 2 001] (ΔQ, M/H=0,13) [Kuhn et al. 2 004] (Δη, M/H=1) [Lee & Lam 2 007] (ΔT, M/H=1)

0,0001 0,001 0,01 0,1 1, 0 10,0

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