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Gefährliche Verführerinnen: Irritationen von

V. Z WISCHENPOSITIONEN

3. Gefährliche Verführerinnen: Irritationen von

Irritationen von Ehe und Geschlecht

»As a widow you have to wear trousers and a skirt!«

Felicitas Nkonde, 44 Jahre

»Widows tend to be bitches«, war der erste Kommentar von Peter Mulenga, einem etwa 30-jährigen Mitarbeiter der lokalen AIDS-Selbst- hilfegruppe, als ich ihm zu Beginn meines Aufenthalts in Kasama mein Forschungsthema nannte. Wie in dieser Aussage wurde auch im späte-ren Verlauf meiner Untersuchung immer wieder deutlich, dass Witwen vorgeworfen wird, von dem abzuweichen, was für Frauen als ›schicklich‹

gilt. Die Anschuldigungen reichen von Aussagen über die ›aufreizende‹

Kleidung von Witwen bis hin zu offenen Vorwürfen, sie würden ver-heiratete Männer verführen, um diese finanziell auszunehmen. Viele der Frauen, mit denen ich gesprochen habe, litten sehr unter der Ausgren-zung, die mit diesen Anschuldigungen einhergeht und die sie von Män-nern, insbesondere aber auch von verheirateten Frauen erfahren. Im Folgenden gehe ich einigen Aspekten der Entstehung dieser Anschuldi-gungen nach und zeige, inwiefern sich verwitwete Frauen, verglichen mit anderen Frauen und mit Witwern, spezifischen Vorwürfen ausge-setzt sehen, weil sie als oft noch junge, alleinstehende Frauen gängige Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen irritieren. In ihrer limina-len Position stellimina-len insbesondere junge Witwen das für die soziale Stel-lung von Frauen wesentliche Kriterium ›verheiratet‹ beziehungsweise

›unverheiratet‹ in Frage und weichen von dem Idealbild einer erwachse-nen, verheirateten Frau ab. Durch das Stereotyp der geldgierigen Ver-führerin wird, so argumentiere ich, die Devianz von Witwen in Bezug auf Geschlechterzuschreibungen markiert. Dabei verstärkt die AIDS-Epidemie die von Witwen hervorgerufenen Irritationen: Zum einen verweilen Witwen infolge der AIDS-Epidemie länger in der liminalen Phase, in der sie weder als verheiratet noch als unverheiratet gelten und sich oft unabhängig von der finanziellen Unterstützung eines Mannes versorgen müssen. Zum anderen wächst im Kontext von AIDS die Notwendigkeit, legitime von illegitimer Sexualität zu unterscheiden, sodass die Grenze zwischen den sozialen Positionen verheirateter und unverheirateter Personen eine besondere Brisanz erhält.

3.1 »Widows tend to be bitches!«

Im oben erwähnten Gespräch über Witwen führte Peter Mulenga von der AIDS-Selbsthilfegruppe seine Aussage über Witwen weiter aus, indem er eine Geschichte erzählte, die mir in verschiedenen Variatio-nen in Kasama immer wieder begegnete und über die wir uns im An-schluss zusammen mit seiner Kollegin Annie Mpundu unterhielten:

P.M.: »Widows tend to be bitches. They capture men. […] Many widows are looking for boyfriends after their husband is dead. The cause of this is poverty. That is why they are bitching around. […]

Many widows don’t do it on the streets; they do it at home in order to hide it. I know about one who has a house with three sitting rooms.

[…] When I go there and my wife would be looking for me, the widow would take her to the other sitting-room and say: ›Look, there is nobody here. How can you blame me for being a bitch! I don’t want your husband, he doesn’t even have money!‹ All the while the husband is listening next door. […] When men are drunk they will tell others: ›She is a snake‹. But they will go to her with all the money they have for their wife and children. These women they know what men like, they treat the men like little children, they will treat you very well, you can even lie on their legs or in their arms, you get real VIP treatment. She will bathe you, carry you, wash you and you will become a king of nothing. So the next day the men go straight to that house after they have been paid. And she has money, sends her chil-dren to school and is a respected lady. […] Also, here in Africa they use these herbs. Getting these herbs makes you think the opposite.

That is another reason why you have to be very careful with these women. Because after she gave you these herbs, you will always go back there without even knowing what you are doing. We men don’t use these herbs.«

A.M.: »You don’t need them, you have enough [women] waiting for you.«

J.O.: »Why do the women do it?«

P.M.: »They do it because of poverty. What they want is money.«

J.O.: »Why do the men go to them?«

P.M. (lacht, schweigt, lacht wieder): »I don’t know. You know, we men are like dogs. They want something different every time. […]

they don’t want one girlfriend only.«

A.M.: »They do it for maintenance. They want entertainment and fun« (Peter Mulenga, ca. 32 Jahre, und Annie Mpundu, ca. 40 Jahre, 28.2.2003).

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Das Gespräch bringt die verbreitete Vorstellung zum Ausdruck, dass Witwen unmoralisch und gefährlich seien, weil sie verheiratete Männer verführen. Ich werde auf verschiedene Aspekte dieses Topos im Laufe des Kapitels noch genauer eingehen. Deutlich erkennbar wird jedoch bereits auf den ersten Blick die Annahme, dass Witwen sexuelle Bezie-hungen initiieren, um an Geld zu gelangen. Während das Fehlverhalten der Frau in der Erzählung einerseits mit ihrer Armut begründet wird, wird sie andererseits als durchaus wohlhabend beschrieben. Ihr Interesse an Geld scheint daher nicht nur der existentiellen Not, sondern einer Gier zu entspringen, die auch dann nicht befriedigt ist, wenn sie bereits Reichtümer angehäuft hat. Der Mann hingegen folgt seiner sexuellen Lust, die ihn gegen seine Vernunft und gegen seinen Willen zu der geld-gierigen Witwe treibt. Peter Mulenga und Annie Mpundu gehen in dem Gespräch davon aus, dass Männer ihre sexuelle Lust nicht kontrol-lieren könnten, während Frauen diese Lust strategisch auszunutzen wüssten, um an Geld zu kommen. Sexualität und Geld scheinen in die-sem Zusammenhang derart eng aneinander gekoppelt, dass die Witwe in der Erzählung ihre ›Unschuld‹ gegenüber der aufgebrachten Ehefrau, die sie der Verführung ihres Mannes beschuldigt, mit dem Hinweis zu beweisen versucht, dass dieser ja gar kein Geld habe.

Während die Witwe in der Erzählung durchgehend als berechnend dargestellt wird und sowohl den Mann als auch dessen Ehefrau täuscht, erscheint der Mann wahlweise als »Kind« oder als instinktgetriebener

»Hund«, der seinen Begierden nachgibt und dadurch das Geld, das er eigentlich für seine Ehefrau und seine Kinder ausgeben sollte, an die betrügerische »Schlange«140 verschwendet. Die Witwe agiert in der Erzählung aus einem klar bestimmbaren finanziellen Interesse heraus, der Freier handelt hingegen unüberlegt und folgt nur seiner irrationalen Lust. Wenn Peter Mulenga über den Mann in der Geschichte spricht, wechselt er zwischen dem »I« der ersten Person Singular, dem Plural

»we«, dem Indefinitpronomen »you« und der dritten Person »he« und

»they«. Dies weist – wie auch die Vergleiche mit Kindern und Tieren – den Männern einen unklaren Akteursstatus zu. Lustvoll und gleichzeitig

140 In Kasama gelten Schlangen als Zeichen von Hexerei. Hexen können sich dem-nach, um anderen Schaden zuzufügen, in eine Schlange verwandeln. Darüber hin- aus ist die Schlange aufgrund der biblischen Geschichte der Verführung Evas im Paradies als trügerisches und gefährliches Tier negativ konnotiert.

gefährlich erscheint die Regression des Mannes, der wie ein Kind getra-gen und gebadet wird. Der Witwe hingegetra-gen werden in dieser Erzählung große Handlungsspielräume und eigenständige Entscheidungen zuge-sprochen. Besonders gefährlich, mächtig und hintertrieben erscheinen Witwen in der Erzählung durch den Einsatz von speziellen Kräutern, die Männer willfährig und schwach machen.

Dass Witwen Ehen zerstören, indem sie des Geldes wegen verheira-tete Männern zu Affären verführen, ist in Kasama eine weit verbreiverheira-tete Annahme, die nicht nur in privaten Gesprächen wie dem zitierten, sondern auch in den Medien verbreitet wird. Sowohl in Fernsehsen-dungen als auch in Zeitungsberichten werden Witwen oft als Personen gekennzeichnet, die aufgrund ihrer Geldgier und ihrer Verführungskraft eine Gefahr für ›ordentliche‹ Ehen darstellen. In den lokalen Gerichten wird, wie der folgende Zeitungsartikel der Sunday Times zeigt, in den meisten Fällen deswegen nicht den Ehemännern, sondern den Witwen die Schuld am Ehebruch zugewiesen.

»Widow fined K1.2m for mar r iage interference«

(Sunday Times, 1. Juni 2003)

A 28-year-old woman told the Matero local court how her husband fell in love with a widow whom he claimed to be teaching driving when she bought a car. This was in a matter in which Brendah Ngulube, 28, of Chikumbi Village sued Chully Kabisa, 33, of Newled Farm for marriage interference. […] In defence, Kabisa said when she bought a car she knew how to drive but had no licence. Kabisa said she told Mwanza [dem Ehemann von Ngulube] to tell his wife if he wanted to marry her as well and that he talked to her (Kabisa’s) family and Ngulube’s family. Kabisa whose husband died in 1999, admitted that the two travelled to Kitwe after they talked about mar-riage. Mwanza said as far as he is concerned both Ngulube and Kabisa were his wives […]. Passing Judgement, senior court justice Elipher Mwewa sitting with senior court justice Joseph Mumba found Kabisa guilty of marriage interference and ordered her to compensate Ngulube K1.2m [ca. 240 ] with initial instalment of K100,000 followed by K50,000 monthly.

Die betrogene Ehefrau klagte in dem dargestellten Fall vor Gericht gegen die Witwe, nicht gegen ihren Mann, und forderte nicht die Scheidung, sondern eine monetäre Kompensation von der Konkurrentin. Die Affä-re des Mannes mit der Witwe Kabisa wurde vor Gericht vor allem als finanzieller Schaden für die Ehefrau gewertet. Der Streit wurde nicht zwischen den Eheleuten ausgetragen, sondern – als Konflikt um den an eine sexuelle Beziehung geknüpften Zugang zu den ökonomischen

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sourcen des Mannes – zwischen der Ehefrau und ihrer verwitweten Nebenbuhlerin.141

Die Anschuldigungen, sie verführten aus Geldgier verheiratete Män-ner und zerstörten damit deren Ehen, stellen für viele Witwen in Kasa-ma eine große Belastung dar. Viele meiner Interviewpartnerinnen litten darunter, dass Männer und verheiratete Frauen ihnen vorwarfen, ›unmo-ralische‹ sexuelle Beziehungen mit Männern einzugehen. Freundschaf-ten und Nachbarschaftsbeziehungen seien durch die Beschuldigungen belastet. Während sie früher respektierte und angesehene Frauen gewe-sen seien,142 würden sie jetzt ständig verdächtigt, aus finanziellem Inter- esse anderen Frauen die Ehemänner ausspannen zu wollen. Sie müssten sich besonders zurückhaltend benehmen und ›anständiger‹ sein als ver-heiratete Frauen, um nicht in Verdacht zu geraten, illegitime Beziehun-gen einzugehen.

Auch untereinander erhoben Witwen den Vorwurf, aus Interesse an Geld unmoralische Beziehungen einzugehen und verheiratete Männer zu verführen. In einem Gruppengespräch beklagten die beteiligten Witwen zwar die generelle Verdächtigung, der sie alle ausgesetzt seien, bestätigten jedoch gleichzeitig, dass einige Witwen den Vorwürfen entsprechende Beziehungen mit Männern eingingen und damit das Bild aller Witwen prägten.

Helen: »We are very unfortunate, eh?«

Alle: »Eeeh [Ja]!«

Bridget: »We’ve been talked about here and there.«

Precious: »While others are getting married, why can’t you get mar-ried! Maybe they fear you can grab their husband.«

(Lautes Lachen)

Helen: »It depends anyway. Because ... it is happening! In our society

…«

141 In der wöchentlich erscheinenden Rubrik »From the local courts« der Times of Zambia, in der auch der besprochene Artikel erschienen ist, werden Entscheidun-gen der lokalen Rechtsprechung vorgestellt, die oftmals dem nationalen Recht wi-dersprechen. Interessant an diesem Fall sind nicht nur die Anschuldigungen ge-gen die Witwe, sondern auch der Umstand, dass in ihm die Rechtmäßigkeit poly-gamer Ehen verhandelt wurde. So sah der Mann es laut Bericht als sein Recht an, eine weitere Frau zu heiraten, während das Gericht und seine Ehefrau die mono-game Ehe verteidigten.

142 Respekt (kucindika) wird in Kasama sehr hoch bewertet. Es gilt als außerordent-lich wichtig, Nachbar/innen, Verwandten und Freund/innen gegenüber das Bild einer anständigen Person abzugeben.

Bridget: »It has happened.«

Helen: »And if something happens people think …«

Bridget: »We have two in New Town they refer to, these have no

›no‹-answer to men.«143 Alle: »Ohoh!«

Beatrice: »There is no ›no‹ in them.«

Helen: »They are widows?«

Bridget: »Yes, they are widows. After the death of their husbands they made a team and they go together, buy things from Nakonde [Grenzstadt zu Tansania] and then come to sell to men.144 So people are complaining. In fact, last week there was a fight at one widow’s home. The wife discovered that the husband had an affair with her.

That’s why we are fearing to visit our friends« (Gruppeninterview, 7.2.2004).

Besonders litten meine Interviewpartnerinnen unter der daraus resultie-renden Ausgrenzung von Seiten verheirateter Frauen. Da Frauennetz-werke in Kasama sozial und ökonomisch eine bedeutende Rolle spielen und ihren Mitgliedern den Zugang zu wichtigen Ressourcen ermögli-chen, ist es für viele Witwen sehr belastend, dass sie nach dem Tod ihres Ehemannes Freundschaften zu verheirateten Frauen verlieren. Insbeson-dere Witwen, die zum Zeitpunkt ihrer Verwitwung noch jung sind, werden von ihren Geschlechtsgenossinnen mit Argwohn beobachtet, weil diese befürchten, dass die Witwen auf der Suche nach einem neu-en Mann sein könntneu-en. Meine Interviewpartnerin Olivia Makungu, die zusammen mit ihren Kindern und ihrem Bruder in einem Dorf in der Nähe von Kasama lebte und deren Mann bereits starb, als sie zwanzig war, schilderte mir, dass sie, obwohl sie zu Lebzeiten ihres Ehemannes oft auch männliche Freunde und Nachbarn besucht habe, nun meist zuhause bliebe, weil verheiratete Frauen in der Nachbarschaft sonst misstrauisch würden.

»I don’t go anywhere. I just stay at home with my children and my relatives so that I can’t be suspected« (Olivia Makungu, 40 Jahre, 2.12.2003).

143 Die Formulierung »there is no ›no‹ in them« wird in Kasama häufig auf Frauen angewandt, die ›unmoralische‹ sexuelle Beziehungen mit Männern führen. Dabei wird davon ausgegangen, dass Männer ohnehin Interesse an sexuellen Beziehun-gen haben und es die Aufgabe der Frauen ist, die entsprechenden Angebote abzu-lehnen.

144 In dem Zitat zeigt sich eine enge Verknüpfung von Handelsaktivitäten von Witwen und ihrer »unmoralischen« Sexualität, auf die ich später noch zurückkomme.