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3. Methodisches Vorgehen

3.1. Untersuchungsplanung

3.1.2. Untersuchungsmethode – Problemzentriertes Interview

Die Kompetenzen und der Umgang eines Sonderpädagogen mit Rechenstörungen lassen sich auf unterschiedliche Weise feststellen. Da es sich in unserer Untersuchung um Einzelfälle handelt, die in einem offenen Zugang auf ihre Handlungen und ihr Alltagsverständnis in Bezug auf Rechenstörungen analysiert werden sollen, bieten sich grundlegend qualitative Forschungsmethoden an. Da die qualitative Forschung die Konstruktionen von Welt zu rekonstruieren versucht, der Handlungen, Haltungen und Interaktionen zugrunde liegen (vgl.

Friebertshäuser 2010, 437), lässt sich das Verständnis von Rechenstörungen und Handlungen im Unterricht mit ihr analysieren.

Denkbar für die Untersuchung sind dabei zwei typische Forschungsmethoden: das qualitative Interview 33 und die teilnehmende Beobachtung. Das qualitative Interview bietet die Möglichkeit Situationsdeutungen oder Handlungsmotive in offener Form zu erfragen sowie Alltagstheorien und Selbstinterpretationen zu erfassen (vgl. Hopf 2010, 350). Darüber hinaus bietet es einige Vorteile gegenüber der weit verbreiteten teilnehmenden Beobachtung (vgl.

32 Die Überlegungen beruhen dabei auf unseren bisher gesammelten Erfahrungen bei der Arbeit mit Kindern mit Rechenstörungen, sowie den Praktika innerhalb unseres Studiums.

33 Eine übersichtliche Charakterisierung des qualitativen Interviews lässt sich in Lamnek (2010, 316) finden.

44 Lamnek 2010, 301) und wird deshalb innerhalb unserer Untersuchung genutzt. Zum einen ist das Finden von Teilnehmern für ein Interview leichter, da sich Lehrer bei einer Beobachtung im Unterricht unwohler fühlen könnten, als in einem Gespräch, in dem sie als Person ernst genommen werden und von ihren Erfahrungen erzählen. Auf der anderen Seite lässt ein qualitatives Interview eine sehr detaillierte und unverzerrte Dokumentation der Informationen zu. Das Transkribieren ermöglicht das Arbeiten mit einem Text, wobei der Auswertungsprozess intersubjektiv nachvollzogen werden kann. Diese Möglichkeit bietet die teilnehmende Beobachtung nicht. Darüber hinaus lassen sich in einem Interview auch übergeordnete Themen und mögliche Schwierigkeiten ansprechen, die unter Umständen im Theorieteil nicht berücksichtigt wurden, so dass mehr Dimensionen als bei einer Beobachtung erfasst werden können.

Methodisch betrachtet, finden qualitative Interviews im Umfeld des Befragten statt, um eine vertraute Situation zu schaffen (vgl. ebd. 325). Das beutet für die Erhebung, dass die Gespräche an den Schulen der Lehrkräfte geführt werden34.

Der Begriff des qualitativen Interviews umfasst viele unterschiedliche Erhebungsverfahren, die ihr Augenmerk auf verschiedene Herangehensweisen richten können (vgl. ebd. Kapitel 8.4). Da beide Interviewerinnen bereits theoretisch-wissenschaftliches Vorwissen zu dem Bereich Rechenstörungen sammeln konnten, wird das problemzentrierte Interview nach Witzel als Forschungstechnik verwendet. Bei diesem steht „die Konzeptgenerierung durch den Befragten zwar immer noch im Vordergrund, doch wird ein bereits bestehendes wissenschaftliches Konzept durch die Äußerungen des Erzählenden eventuell modifiziert“

(ebd. 333). Die Vorgehensweise ist also ein induktiv-deduktives Wechselspiel mit der Möglichkeit der Modifikation des theoretischen Wissens (aus Kapitel 2). Als Grundgedanke gelten nach Witzel (zit. nach Friebertshäuser 2010, 442) drei Kriterien:

• Problemzentrierung: bezogen auf den zuvor ermittelten Themenkomplex, als auch auf die Sicht des Befragten

• Gegenstandssondierung: Methoden müssen am Gegenstand ermittelt und gegebenenfalls modifiziert werden

• Prozessorientierung: auf den Forschungsprozess bezogen, in dem sich gewonnene Daten und Methoden schrittweise nachvollziehen lassen

34 Weitere methodisch-technische Aspekte qualitativer Interviews lassen sich in Lamnek (2010, 325) finden.

Diese sind jedoch übergeordneter Natur und werden deshalb nicht explizit ausgeführt.

45 Mit offenen Fragen soll dem Befragten die eigene Bedeutungsstrukturierung nicht genommen werden. Es werden lediglich die interessierenden Bereiche eingegrenzt und ein Stimulus zur Generierung der Erzählung angeboten.

Auf Grundlage des theoretischen Konzeptes von Rechenstörungen (siehe Kapitel 2.2) wird ein Leitfaden genutzt, um alle relevanten Kategorien abzudecken (siehe Anhang). Dieser dient der Orientierung und lässt Spielräume für Formulierungen und der Abfolge der Fragen, damit ergibt sich eine flexible teilstandardisierte Interviewform (vgl. Hopf 2010, 351). Durch die Literaturrecherche ergeben sich im Einzelnen die Bereiche: Definition bzw. das persönliche Verständnis von Rechenstörungen, die Diagnostik von Rechenstörungen, die damit verbundene Förderung, sowie weitere Fragen bezüglich Kooperation und Unterschieden zur Regelschule. Die Fragen sind trichterförmig angelegt, so dass zunächst ein offener Zugang ermöglicht wird. Um die persönliche Definition von Rechenstörungen im Vergleich zur Definition in der Theorie (siehe Kapitel 2.2.1) genauer betrachten zu können, sollen die Sonderpädagogen von einem konkreten Fall in ihrer Praxis sprechen. Damit soll der Redefluss angeregt und das nähere Verständnis deutlich werden. Die förderdiagnostische Sichtweise (siehe Kapitel 2.3.1) kommt nach unserer Erfahrung häufig zu kurz und wird durch standardisierte Testverfahren ersetzt. Mithilfe der Fragen zur klassischen diagnostischen Arbeit in Mathematik haben die Sonderpädagogen die Möglichkeit sowohl von standardisierten als auch von informellen Vorgehensweisen im Unterricht und im AO-SF-Verfahren zu berichten, je nachdem, wie Diagnostik subjektiv verstanden wird. Die damit verbundene Förderung soll erneut an einem konkreten Fall dargestellt werden. Anhand der Fragen soll das Förderkonzept, sowie der Einsatz von Material in der Praxis herausgestellt werden (siehe Kapitel 2.3.2). Um das konkrete Wissen und die Handlungen im Bereich Rechenstörungen zu erfassen, werden den Befragten während des Interviews drei typische Fehlerbilder von Kindern mit Rechenstörung vorgelegt. Diese sind während Erstüberprüfungen an der Beratungsstelle für Kinder mit Rechenstörungen in Bielefeld entstanden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um:

• 35+47=712, als mögliches Ziffernrechnen

• 8+7=14, als möglicher Minus-Eins-Fehler

• 65+13=87, als möglicher Zahlendreher

Der erste Fehler lässt sich als mögliches ziffernweises Rechnen erkennen (siehe Kapitel 2.2.2). Bei der Entstehung des Fehlers während eines diagnostischen Gesprächs wurde

46 deutlich, dass das Kind zunächst die Zehner zählend miteinander verrechnet und anschließend die Einer, ebenfalls zählend. Die Teilergebnisse sieben und zwölf wurden dann hintereinander notiert. Der Ansatz der Strategie Stellenwerte extra wurde genutzt, um im Zahlenraum bis zehn zählend zu rechnen. Bei dem zweiten Fehler handelt es sich um einen Zählfehler, bei dem unterschiedliche Gründe angeführt werden können. Neben einem ‘einfachen’ Verzählen, bei dem der Zählprozess nicht richtig kontrolliert wird und der Fehler somit eher spontan auftritt, kann es sich jedoch auch um einen systematischen Fehler handeln. Bei diesem können Schwierigkeiten mit der kardinalen und ordinalen Zahlauffassung zu Grunde liegen (siehe Glossar). Der dritte Fehler konnte während einer Erstüberprüfung genauer betrachtet werden.

Neben dem Ansatz der Strategie Stellenwerte extra löste das Kind die Aufgabe mit 78. Durch das gesprochene Wort notierte das Kind die Zahl wie sie gehört wurde und somit als 87. Die Fehlerbilder sollen im Interview der Spezifizierung dienen. Daher wurden sie zum Ende des Gesprächs vorgelegt, um den Sonderpädagogen vorab genug Freiräume für eigene Erfahrungsberichte zu lassen.

Die Fehler gründen sich in den beschriebenen Symptomen für Rechenstörungen (siehe Kapitel 2.2.2) und bündeln die Thematik in Bezug auf die Förderung. Zum Abschluss des Interviews werden weitere Fragen formuliert, die für die pädagogische Praxis von Bedeutung sind. Zum einen handelt es sich dabei um die Frage nach dem Austausch im Kollegium, um kooperative Strukturen zu erfragen. Zum anderen sollen die Lehrkräfte aufgrund ihrer Erfahrungen ihre subjektiven Meinungen über bedeutende Kompetenzen von Sonderpädagogen im Umgang mit Rechenstörungen darlegen. Diese Frage ergibt sich aus dem Kapitel 2.1.2, in dem Sonderpädagogen in der Theorie als Experten für Diagnostik und Förderung dargestellt werden. Auch die Frage nach Unterschieden zur Regelschule ist hierin verankert, da es auch an Regelschulen Kinder mit Rechenstörungen gibt und die Frage aufkommt, inwieweit die Förderschule diesen Schülern besser helfen kann.

Im Verlauf des Gesprächs werden die Fragen in den einzelnen Themenbereichen fokussiert, um auf den Kern der Kategorie zu gelangen. In der Einleitung des Gesprächs wird allgemein auf Schwierigkeiten beim Rechnen eingegangen, damit das persönliche Verständnis von Rechenstörungen geklärt wird. Im zweiten Schritt der allgemeinen Sondierung werden Alltagselemente des Befragten und sein Verständnis von Rechenstörungen aufgenommen, um die Erzählung anzuregen. Bei dem dritten Schritt der spezifischen Sondierung steht die Verständnisgenerierung im Vordergrund. Hierbei können drei verschiedene Möglichkeiten genutzt werden (vgl. Lamnek 2010, 334):

47 1. Zurückspiegelung: Interviewer macht ein Interpretationsangebot der Äußerungen des

Befragten, dieser kann die Ansicht modifizieren oder korrigieren.

2. Verständnisfrage: dient der Thematisierung von Widersprüchen und unverständlichen Aussagen

3. Konfrontation35: mit Wiedersprüchen oder Unklarheiten, sollte jedoch sehr vorsichtig verwendet werden, da das Interviewklima sich verschlechtern kann.

In der letzten Phase können dann direkte Fragen gestellt werden, die bisher nicht angesprochen wurden.

Vor Beginn des Gesprächs wird den Befragten ein Kurzfragebogen vorgelegt, in dem es jedoch nicht um inhaltliche Aspekte der Rechenstörung geht, sondern um allgemeine Daten über die Person, wie Alter, Geschlecht, Jahre im Schuldienst etc. (siehe Anhang). Dieser kann auch als Einstieg genutzt werden (vgl. ebd. 335). Neben dem Kurzfragebogen und dem Leitfaden wird ein Tonband verwendet, um die Daten zu erfassen. Während des Interviews werden einige wichtige Stichpunkte, sowie Gestik oder Mimik des Befragten vom Nebeninterviewer festgehalten, so wie nach dem Interview ein Postskript (siehe Anhang) zur Vervollständigung angefertigt.

Da es sich bei der Gesprächsführung um eine hauptverantwortliche Interviewerin und eine Nebeninterviewerin handelt, kann aufgrund der personellen Konstellation von einem Tandem- Interview gesprochen werden.