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Theoretische Überlegungen

2.4 Untersuchungsgruppe, Fallkonstruktion und empirische Basis

Die Untersuchung erfolgt mittels Sekundäranalyse. Sie fokussiert langfristige Pro-zesse eines sozioökonomischen Wandels, für den Entwicklungstrends aufgezeigt werden: Veränderungen der betrieblichen Organisation von Arbeit (funktionale und hierarchische Differenzierungsprozesse; betriebliche Gewährleistung oder Verwährung (im-)materieller Privilegien), Veränderungen des Arbeitskräfteange-bots beziehungsweise der Nachfrage sowie arbeits-, sozial- und tarifrechtliche Bestimmungen im Sinne normativer Ansprüche an und Deutungsangebote für (bestimmte) Arbeitsverhältnisse. Die Analyse konzentriert sich auf industrielle Angestellte. Sie bilden einen konstanten Bezugspunkt in der Entwicklung des traditionellen impliziten Kontrakts. Leitende Angestellte werden aus der Untersu-chung ausgeschlossen. Sie besitzen rechtlich Arbeitnehmerstatus, erfüllen aber

Arbeitgeberfunktionen und sind mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet56. Sie befinden sich in einem Zwitterstatus, der sich über ihre arbeitsrechtliche Son-derstellung hinaus in einem spezifischen Verhältnis zum Unternehmen äußert57.

Die historische Analyse rekonstruiert die Konstitutions- und Konsolidierungsbe-dingungen des impliziten Kontrakts. Sie setzt mit der frühen Industrialisierung ein und endet mit dem Jahre 1914. An sie schließt die Entwicklung des Kontrakts unter Krisenbedingungen – der ökonomischen Krise und Rationalisierungskrise der Zwischenkriegszeit – an.

Für die Phase der frühen Industrialisierung (bis zu den 1870er Jahren) existie-ren weder empirische Studien noch statistische Datensätze. Die Analyse stützt sich auf Unternehmensmonographien. Diese enthalten Angaben über die Arbeits-organisation der untersuchten Unternehmen, die Entwicklung ihrer Belegschafts-strukturen sowie zur Arbeits- und Beschäftigungssituation der Angestellten. Diese Angaben werden beispielhaft für die Entwicklung hin zu und in den Großbetrie-ben herangezogen. Ab Ende des 19. Jahrhunderts stehen erste statistische Daten über die Entwicklung der Angestellten zur Verfügung:

 Die Berufszählung gibt ab 1885 Aufschluss über die industrielle Beschäftig-tenstruktur als das Verhältnis zwischen Arbeitern und Angestellten sowie die Anteile kaufmännischer und technischer Angestellter (wissenschaftlich gebildetes und Aufsichtspersonal).

 Die Arbeitsmarktstatistik des Deutschen Reiches (Reichsarbeitsmarktanzei-ger) stellt für die Jahre 1927 bis 1932 Material zur Arbeitslosigkeit der An-gestellten zur Verfügung.

 Einzelne Verbandserhebungen geben Auskunft über die soziale Herkunft, Qualifikation und Anstellungsbedingungen der Angestellten (Verträge, Entgelt, Arbeitszeiten und ähnliches). Zu nennen sind eine vom Bund technisch industrieller Beamter unterstütze Untersuchung im Großraum Berlin von 1906 sowie die Erhebungen des Deutschen Technikerverbandes von 1910 und des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbands (für ei-ne kritische Würdigung der Verbandserhebungen vgl. Schulz 2000:83f.).

56 „Nach der Rechtsprechung ist leitender Angestellter, wenn eine Gesamtwürdigung ergibt, dass ein Angestellter ausreichend bedeutsame unternehmerische Aufgaben wahrnimmt, dabei einen er-heblichen Entscheidungsspielraum zu verantworten hat und dies auch seiner Dienststellung und seinem Dienstvertrag entspricht“ (Stichwort Leitender Angestellter in: Gabler Wirtschaftslexi-kon 2010).

57 Marr und Fliaster (Marr und Fliaster 2003:179ff.) plädieren für eine gesonderte Behandlung ihrer impliziten Verträge, weil sie erstens anders als andere Arbeitnehmer besondere Verantwortung für die Wettbewerbslage und Entwicklung des Unternehmens tragen. Zweitens gehe von ihren Verträgen eine Signalwirkung für Beschäftigte wie für die Öffentlichkeit aus. Drittens sei die

„Transaktionalisierung“ des impliziten Vertrages – der Bedeutungsgewinn finanzieller oder geldwerter Leistungen und eine Verkürzung der Verweildauer im Unternehmen – bei ihnen sehr viel weiter fortgeschritten als bei unteren und mittleren Führungskräften.

Für die Zwischenkriegszeit existiert wenig Material, dass eine Bewertung der Ar-beits- und Beschäftigungssituation der Angestellten zulässt. Einzelne Studien widmen sich Rationalisierungsmaßnahmen im Maschinenbau und der Elektroin-dustrie (regelmäßig unter Bezugnahme auf die Entwicklung in den Siemens-Werken) (Freyberg 1989; Homburg 1991; Siegel 1991; Kleinschmidt 1993), letzte-re als „Paradefall der Veränderung industrieller Arbeitsprozesse in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre“ (Schmidt 1993:17). Weil ihr Fokus auf der Rationali-sierung der unmittelbaren Produktionstätigkeiten liegt, bleibt die Entwicklung der technischen Angestellten unterbelichtet und werden Veränderungen im kaufmän-nischen Bereich lediglich am Rande berührt. Nienhaus beschreibt das Feld der Bürorationalisierung als „wissenschaftlich unterbeleuchtetes“ Forschungsdesiderat (Nienhaus 1996:67). Weitere Anhaltspunkte bietet die Schriftenreihe Musterbe-triebe der deutschen Wirtschaft.

Der letzte Teil der Analyse bezieht sich auf die Entwicklung seit Ende des Zwei-ten Weltkriegs. Die Analyse erfolgt in einem engerem Zugriff: Anhand der Entwick-lung in einzelnen Branchen – der chemischen und Metallindustrie (genauer Auto-mobil- und Elektroindustrie sowie Maschinenbau) – wird untersucht, wie sich die Bedingungen des Zustandekommens des impliziten Vertrages für unterschiedliche Gruppen der industriellen Angestelltenschaft verändern. Leitend für die Auswahl war die Annahme, dass der traditionelle Kontrakt eine typische Institution der westdeutschen Industrie- oder auch fordistischen Gesellschaftsformation dar-stellt.58

Ab den 1960er Jahren existieren vereinzelt Untersuchungen zur rechnerge-stützten Rationalisierung, aus den 1970er Jahren liegen primär Untersuchungen über die Entwicklung der Ingenieure vor. In den 1980er Jahren galt das Interesse insbesondere neueren Rationalisierungsansätzen, nicht nur, nun aber insbesondere im kaufmännischen Bereich. Material zur Beschäftigtenstruktur liegt ab den 1960er Jahren mit der Volkszählung und dem Mikrozensus zur Verfügung. Sie geben Auskunft über das Verhältnis zwischen kaufmännischen und technischen Angestellten, über die Bedeutung angestelltentypischer Berufsgruppen und über die Entwicklung der Qualifikationsgruppen. Angaben zu der berufs- und qualifika-tionsspezifischen Arbeitsmarktentwicklung liefern ab Beginn der 1970er Jahre die Analysen der Bundesagentur für Arbeit. Als besonders ertragreich erweist sich die Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes. Über sie kann erstens die

58 Die Annahme spiegelt sich im Diskurs über Arbeitsverhältnisse in den sogenannten ‚neuen’ Bran-chen wider. Das Normalarbeitsverhältnis spiele dort eine wesentlich geringere Rolle, Arbeitge-ber wie Arbeitnehmer hätten ein starkes Interesse an einer flexiblen Gestaltung von Arbeitsver-hältnissen. Im Kontext „neuer“, „postfordistischer“ oder „postbürokratischer“ Formen der Ar-beits- und Unternehmensorganisation (Mayer-Ahuja und Wolf 2004:79), aber auch aufgrund veränderter Orientierungen vorherrschend junger, hochqualifizierter Belegschaften, bilde sich dort ein impliziter Vertrag neuartiger Gestalt heraus. Die neuen Branchen zeigten als Vorreiter einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft Arbeitsrealitäten auf, von denen angenom-men wird, dass diese auch in den alten Branchen und Unternehangenom-men an Bedeutung gewinnen.

wicklung der Tätigkeitsniveaus der kaufmännischen und technischen Angestellten nachvollzogen werden. Dabei werden vier Leistungsgruppen (LG) unterschie-den59: gehobenes Tätigkeitsniveau (LG II), mittleres Tätigkeitsniveau (LG III), einfaches Tätigkeitsniveau (LG IV) und Angelerntentätigkeiten (LG V). Die Ver-diensterhebung gibt zweitens Auskunft über die Dauer der Unternehmenszugehö-rigkeit der kaufmännischen und technischen Angestellten verschiedener Leis-tungsgruppen.

59 LG I bezieht sich auf leitende Angestellte.