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Erstellung und Betrieb von Gebäuden finden in einem vernetzten, offenen und dynamischen Umfeld statt, so dass das Thema „Unsicherheit“ bei der Betrachtung von Performance Gap nicht ausser Acht gelassen werden kann. Im Zusammenhang mit komplexen sozio-technischen Systemen unterscheidet man technische, ökonomische, soziale und politische Unsicherheiten [135].

Unsicherheiten können fundamental sein – man weiss nicht einmal, was man nicht weiss – oder sie sind bekannt und können im Prinzip durch weiteres Wissen reduziert werden. Zur letzteren Art von Unsicherheiten gehören Ungenauigkeit, mangelhafte Messungen, Nicht-Messbarkeit, Widersprüchlich-keit, Unbestimmtheit, sowie aufhebbares oder nicht-aufhebbares Unwissen. All diese Kategorien kön-nen mehr oder weniger gut mittels Wahrscheinlichkeitsrechnung adressiert werden.

3.4.1 Strategien für den Umgang mit Unsicherheiten

Es werden vier mögliche Strategien für den Umgang mit als objektiv deklarierten Unsicherheiten iden-tifiziert [135] (Abbildung 3). Grundsätzlich können solche an einen Akteur herangetragenen Unsicher-heiten von ihm entweder vernachlässigt (1, rotes Kästchen in Abbildung 3) oder anerkannt werden.

Wird eine Unsicherheit als solche anerkannt, so kann ihr mit passiven (orange) oder aktiven (grün) Strategien begegnet werden. Zu den passiven Strategien (2) gehören das Ertragen und Aushalten von Unsicherheit sowie das Delegieren an andere Akteure.

Der aktive Umgang mit Unsicherheit kann aus einer der zwei Strategien „anpassen“ oder „transformie-ren“ bestehen. Bei einer Anpassungsstrategie (3) passen sich die Akteure an, indem sie Schutz- oder Vorbereitungsmassnahmen treffen. Bei einer Transformationsstrategie (4) wird versucht, die Unsicher-heit zu reduzieren oder, sei es mittels Uminterpretation oder mittels materieller Umgestaltung der Situ-ation, zu beseitigen [135].

Abbildung 3: Mögliche Strategien für den Umgang mit Unsicherheiten (adaptiert und übersetzt nach Bornemann et al. [135])

Zusätzlich unterscheiden Bornemann et al. [135] drei Herangehensweisen, um Unsicherheit aktiv zu begegnen:

Planung: basierend auf einer möglichst umfangreichen Wissensbasis werden Ziele definiert und die entsprechenden Massnahmen geplant

Schrittweises Herantasten (Inkrementalismus): ausgehend von einem lückenhaften Wissen wer-den Entscheide in kurzen Zeitabstänwer-den überprüft und an aktuelle Erkenntnisse angepasst

Gerichtetes Herantasten (gerichteter Inkrementalismus): die kontinuierliche Überprüfung und An-passung der getroffenen Entscheide orientiert sich an übergeordneten Leitstrategien

Die Performance Gap-Diskussion findet in einem komplexen sozio-technischen Umfeld mit vielen Un-wägbarkeiten und Interessenskonflikten statt (vgl. Tabelle 2 und Tabelle 3). Die oben beschriebenen Strategien und Herangehensweisen können unseres Erachtens helfen, die Positionen zu klären und die Diskussion zu strukturieren.

Im Weiteren beschränken wir uns auf die technisch motivierten Aspekte von Unsicherheiten im Zu-sammenhang mit Performance Gaps.

3.4.2 Arten von Unsicherheiten empirischer Grössen

Als Grundlage für den Umgang mit Unsicherheiten empirischer Grössen und die Wahl geeigneter Me-thoden zu ihrer Verminderung werden von Morgan und Henrion [114] die folgenden Quellen und Ty-pen von Unsicherheiten vorgeschlagen:

‒ Systematische Fehler

‒ Zufallsfehler und statistische Variation

‒ Zufälligkeit und Unvorhersagbarkeit

‒ Variabilität

‒ Annäherungen

‒ Mangelnde sprachliche Präzision

‒ Subjektive Einschätzungen

‒ Uneinigkeit

Unter Zufallsfehler und statistischer Variation fallen die typischen Messunsicherheiten, wie sie durch zufällige Schwankungen der Messbedingungen und den Messmethoden verursacht werden. Die Be-trachtung dieses Unsicherheitstyps hat in den Natur- und Ingenieurwissenschaften weite Verbreitung und einen hohen Standardisierungsgrad erreicht. Ein wichtiges Grundlagendokument ist der ISO/IEC Guide 98-3/2008 „Uncertainty of measurement – Part 3: Guide to the expression of uncertainty in measurement“ (GUM) [97].

Zufallsprozesse können mit dem Instrumentarium der Häufigkeitsstatistik beschrieben werden. Der Zufallsfehler einer Messung kann gemäss dem wahrscheinlichkeitstheoretischen „Gesetz der grossen Zahlen“ durch Wiederholung reduziert werden. Limitierend können dabei die Kosten für die Wiederho-lungen, die Gewährleistung der Konstanz der Messbedingungen und die ausreichende Verfügbarkeit des Untersuchungsgegenstandes für die Messungen sein.

3.4.3 Unsicherheit und Risiko in Bauprojekten

Die Auswirkungen von Unsicherheiten auf Ziele können mittels Risikoabschätzungen bewertet wer-den. Dabei wird für verschiedene Szenarien das Produkt der Eintrittswahrscheinlichkeit eines jeden Szenarios mit der zugehörigen Gewinn- oder Schadenshöhe betrachtet. Stempkowski und Waldauer [90] unterscheiden die positiven und negativen Auswirkungen von Unsicherheiten auf ein Bauprojekt als „Chancen“ und „Risiken“.

Der vorausschauende Umgang mit Unsicherheiten ist Teil eines Risikomanagements. Die allgemeinen Grundlagen des Risikomanagements sind in der ISO-Richtlinie 31000 [110] definiert. Umsetzen lässt sich das Risikomanagement im Bauprozess und Gebäudelebenszyklus beispielhaft nach der ONR 49001 (Risikomanagement) [111] und der ONR 49002-2 (Methoden der Risikobeurteilung) [113].

Risiken für Performance Gaps ergeben sich oft aus unvorhergesehenen oder unvorhersehbaren Er-eignissen oder Entwicklungen in der Planungs-, Bau- und Betriebsphase von Gebäuden. Darüber hin-aus gelten die im vorherigen Abschnitt erwähnten Arten von Unsicherheiten.

3.4.4 Unsicherheitsanalysen

Für die Unsicherheitsanalyse von technischen Messungen und Berechnungen bieten sich zwei be-währte Methoden an, die auch für die Evaluation von Performance Gaps nützlich sind:

3.4.4.1 GUM-Methode

Der „Guide to the Expression of Uncertainty in Measurement (GUM)“ [97] ist ein international aner-kanntes und einheitlich praktiziertes Verfahren zur Angabe von Messunsicherheiten, das auch von ak-kreditierten Prüf- und Kalibrierstellen verwendet wird.

Bei der GUM-Methode wird für jede Eingangsgrösse angegeben, wie stark sie die gesamte Messunsi-cherheit beeinflusst. Es werden die folgenden zwei Berechnungsmethoden unterschieden:

‒ Typ A: Berechnung der Messunsicherheit mittels statistischer Analyse gemessener Werte

‒ Typ B: Berechnung der Messunsicherheit basierend auf sonst verfügbaren Informationen, insbe-sondere Annahmen über die erwartete Wahrscheinlichkeitsdichteverteilung (Rechteck, Dreieck, Gauss, Student, Weibull etc.)

Die GUM-Methode lässt sich auch zur Angabe von Berechnungsunsicherheiten verwenden. Dabei wird jede Eingangsgrösse einer statistischen Analyse unterzogen und die erwartete Verteilung festge-legt.

Ein Softwareprogramm, das die GUM-Methode unterstützt, stellen wir in Abschnitt 4.6.1 vor. Ein Bei-spiel ist in Anhang E zu finden.

3.4.4.2 Monte-Carlo-Simulation

Monte-Carlo-Simulationen sind ein weiteres Hilfsmittel zur Quantifizierung des Effekts von Messunsi-cherheiten und unsicherheitsbehafteten Eingangsgrössen auf Berechnungsresultate. Dabei wird eine grosse Anzahl gleichartiger Zufallsexperimente definiert, die auf einem Computer simuliert und gezielt ausgewertet werden.

Der Einsatz von Monte-Carlo-Simulationen wird in Abschnitt 4.6.1 besprochen. Ein Beispiel findet sich in Anhang E.

Im Dokument ParkGap – Performance Gap Gebäude (Seite 20-23)