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UNCED 1992: AGENDA 21

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Wachstum und Verteilung der Weltbevölkerung

UNCED 1992: AGENDA 21

Während der Konferenz über Umwelt und Ent-wicklung in Rio de Janeiro 1992 sind das Aktions-programm AGENDA 21, das u.a. auf ein erträgliches Bevölkerungswachstum und die Förderung nachhal-tiger Siedlungsstrukturen ausgerichtet ist, und die sog. Rio-Deklaration verabschiedet worden.

In Anbetracht der komplexen Themenstellung und der globalen Tragweite der Rio-Deklaration ver-wundert es zunächst nicht, daß die in ihr enthaltenen Grundsätze gleichermaßen zurückhaltend wie un-verbindlich formuliert sind. So hat die Menschheit Anspruch auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur (Grundsatz 1), sollen Ent-wicklungsländer bevorzugt behandelt werden (Grundsatz 2), sollen die Staaten im Sinne einer glo-balen Partnerschaft kooperieren (Grundsatz 7) und sollte auf nationaler Ebene eine Internalisierung ex-terner Kosten angestrebt werden (Grundsatz 16). In dieser Form erweisen sich die Grundsätze eher als Wunschlosungen, die jeglichen Nachdruck vermissen lassen. Allein der dritte Grundsatz der Rio-Deklara-tion hebt sich von den anderen ab, indem gefordert wird, daß das Recht auf Entwicklung derart gewahrt werden muß, daß es den entwicklungs- und umwelt-bezogenen Anforderungen der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen gleichermaßen gerecht wird (Grundsatz 3).

4.2.1.1

Bevölkerungsentwicklung

Es überrascht zunächst, daß in der Rio-Deklarati-on die demographische Entwicklung als ein Kern-problem für eine nachhaltige Entwicklung (WBGU, 1993) nur in einem der 27 Grundsätze aufgegriffen wird (UNCED: Grundsatz 8). Dort wird die Förde-rung einer geeigneten BevölkeFörde-rungspolitik als Grundvoraussetzung für das Erreichen einer nach-haltigen Entwicklung und für einen hohen Lebens-standard angeführt. Darüber hinaus sind der Rio-Deklaration keine Stellungnahmen hinsichtlich der demographischen Entwicklung zu entnehmen.

Demgegenüber ist diesem Themenbereich im Rahmen der AGENDA 21 ein ganzes Kapitel gewid-met worden. Unter dem Titel

„Bevölkerungsdyna-mik und nachhaltige Entwicklung” besteht ein we-sentliches Ziel dieses Kapitels darin, Möglichkeiten der Erforschung und Verbreitung von Sachkenntnis-sen über die Zusammenhänge zwischen Bevölke-rungsentwicklung und sustainable development auf-zuzeigen. Darüber hinaus strebt die internationale Staatengemeinschaft eine Harmonisierung und Er-weiterung der Bevölkerungspolitik an, so daß auf dieser Basis das Bevölkerungswachstum einge-dämmt und ein rascher demographischer Übergang vollzogen werden kann.

Wesentliche Elemente einer erfolgreichen Bevöl-kerungspolitik sind laut AGENDA 21 die Bekämp-fung der Armut, eine ausreichende medizinische Ver-sorgung, die Sicherstellung eines Mindestlebensstan-dards, die Verbesserung der gesellschaftlichen Stel-lung der Frau sowie der Ausbau von Bildungssyste-men (AGENDA 21, 5). Aus der AGENDA 21 geht allerdings nicht hervor, wie diese – zweifellos berech-tigten – Forderungen umgesetzt werden sollen. Ähn-liche Schwächen offenbart insbesondere der dritte Schwerpunkt des Kapitels 5, in dem um eine Imple-mentierung bevölkerungspolitischer Maßnahmen im Rahmen anderer Politikbereiche, wie Gesundheit, Wissenschaft und Forschung sowie Wirtschaft gewor-ben wird.

Die Verwirklichung des demographischen Über-gangs bleibt somit die klarste Forderung der AGEN-DA 21 im Bereich der Bevölkerungsentwicklung.

Die Verknüpfung der Forderung mit ökologischen Ansprüchen wie: „Sie sollen Umweltbelange und Be-völkerungsfragen in einer ganzheitlichen entwick-lungspolitischen Sicht zusammenführen” (AGEN-DA 21, 5.16) und der Zielformulierung: „Die Umset-zung von Bevölkerungsprogrammen soll auf lokaler Ebene gemeinsam mit Ressourcenbewirtschaftungs-und Entwicklungsprogrammen erfolgen, durch die eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressour-cen gewährleistet und die Lebensqualität der Men-schen und die Qualität der Umwelt verbessert wer-den” (AGENDA 21, 5.43) weist nochmals auf die Synergien beider Themenkomplexe hin und unter-mauert die Notwendigkeit eines rascheren Gebur-tenrückgangs.

Es bleibt festzuhalten, daß eine Beurteilung des Erfolges der UNCED insbesondere aus bevölke-rungspolitischer Sicht nach Ablauf von drei Jahren keine gesicherten Erkenntnisse liefern kann. Die de-mographischen Trends und Trendkorrekturen ver-laufen in Teilbereichen zwar im Sinne der Rio-De-klaration bzw. der AGENDA 21; damit läßt sich ein direkter Zusammenhang zwischen UNCED und der tatsächlichen Entwicklung allerdings nicht belegen.

Zudem muß berücksichtigt werden, daß in Rio de Ja-neiro keine quantitativen Zielgrößen benannt wur-den. Es spricht viel dafür, daß

Entwicklungsprogram-93 Konferenzen und internationale Vereinbarungen B 4.2

me, die vor 1992 initiiert wurden, zum heutigen Zeit-punkt erste Erfolge aufweisen.

4.2.1.2 Urbanisierung

Städte sind hochkomplexe Organisationsstruktu-ren menschlichen Zusammenlebens. Sie sind Ergeb-nis und Ausgangspunkt kulturräumlicher Entwick-lungen mit vielfältigen Aufgaben und Sozialgebilde, die die Vielfalt der einzelnen Kulturräume wider-spiegeln. Darüber hinaus sind Städte die Standorte von Industrie, Gewerbe, Institutionen und Dienstlei-stungsbetrieben, die auch der Versorgung des Um-lands dienen. Ein gesundes städtisches Wachstum setzt jedoch voraus, daß alle kommunalen Maßnah-men z.B. in den Bereichen Kultur, Schule und Ver-kehr, im Wohnungswesen, bei der Energie- und Was-serversorgung sowie bei der Entsorgung (Abwasser, Abfall) aufeinander abgestimmt werden. Unter dem Gesichtspunkt der anhaltenden Verstädterung stellt sich die Frage nach der Funktionsfähigkeit der großen und größer werdenden Städte und danach, ob es ein Optimum oder doch ein Maximum städtischer Größenentwicklung gibt. Teilweise sind der Expansi-on Grenzen gesetzt, die im zur Verfügung stehenden Siedlungsraum, in der Verkehrserschließung und Wasserversorgung wie auch in anderen Versorgungs-problemen liegen (Voppel, 1970).

Unter dem Titel „Förderung einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung” bezieht die AGENDA 21 zum Themenbereich „Verstädterung“ Stellung (Kap. 7). Hinsichtlich globaler Umweltveränderun-gen, die durch Urbanisierungsprozesse hervorgeru-fen werden, wird zwischen Industrie- und Entwick-lungsländern unterschieden. Während die Metropo-len der industrialisierten Welt vorrangig durch ein hohes und daher umweltbelastendes Konsumniveau gekennzeichnet sind, werden für die Städte in den Entwicklungsländern mehr und mehr Rohstoffe, En-ergie und wirtschaftliches Wachstum benötigt, um die elementaren ökonomischen und sozialen Proble-me der urbanen Regionen zu bewältigen.

In den meisten Entwicklungsländern nimmt der Lebensstandard in den Städten u.a. deswegen ab, weil notwendige Investitionen etwa im Infrastruktur-bereich ausbleiben, da an anderer Stelle Notstände abgewehrt werden müssen. So lagen die staatlichen Aufwendungen der Länder mit geringem Einkom-men für Wohnungsbau und soziale Absicherung im Jahresdurchschnitt bei nur etwa 5,6% des Gesamt-etats (UNCED, 1992; die entsprechenden Aufwen-dungen der OECD-Staaten lagen im Durchschnitt bei 39,3%; UNDP, 1991). Auch ist die finanzielle Un-terstützung der Städte der Entwicklungsländer durch

internationale Organisationen sehr gering: Nur etwa 1% der UN-Ausgaben des Jahres 1988 war für Sied-lungszwecke bestimmt.

Andererseits haben die bestehenden Kooperatio-nen im Bereich des Siedlungswesens beträchtliche öffentliche und private Folgeinvestitionen ausgelöst.

Jeder US-$, der 1988 aus dem UNDP für technische Kooperationszwecke verausgabt wurde, zog Folgein-vestitionen in einer Größenordnung von 120 US-$

nach sich: ein Ergebnis, das in keinem anderen Sek-tor der UNDP erreicht wurde (UNCED, 1992).

Aufbauend auf diesen positiven Anreizeffekten, ausgelöst durch die technische Kooperation mit dem UNDP, liegt die wesentliche Zielsetzung der AGEN-DA 21 in einer weitergehenden Förderung der public private partnerships (Kooperationen zwischen öf-fentlichen und privaten Akteuren), um somit Fort-schritte in den Bereichen Siedlungsmanagement, Landesplanung, Infrastrukturplanung und Industria-lisierung zu erzielen.

Hierauf aufbauend wird die Hoffnung geäußert, daß die urbanen Regionen, in denen 60% des Welt-Bruttosozialprodukts erwirtschaftet werden, bei an-gemessenem Management durchaus in der Lage sind, Kapazitätsausweitungen und Produktivitäts-steigerungen zur Verbesserung des Lebensstandards der Einwohner im Sinne einer nachhaltigen Ent-wicklung zu erzielen (AGENDA 21, 7.15).

Dieser Hoffnung über die Entwicklungsmöglich-keiten der städtischen Verdichtungsräume muß nach Auffassung des Beirates wegen des ungeregelten Charakters des Städtewachstums jedoch mit großer Skepsis begegnet werden. Die Problematik gegen-wärtiger Stadtentwicklungen hat der Beirat im Jah-resgutachten 1994 ausführlich thematisiert. Das

„São-Paulo-Syndrom“ setzte sich beispielsweise mit der Gefährdung der städtischen Strukturen ausein-ander und weist auf einen möglichen Kollaps vieler Megastädte hin.

Die Gefahren, die insbesondere von der rapiden Bevölkerungszunahme der Städte ausgehen, werden im Rahmen der AGENDA 21 vermutlich unter-schätzt. Dies mag in Ermangelung erforderlicher In-formationen geschehen sein, zumal ausdrücklich ge-fordert wurde: „Soziodemographische Informatio-nen sollen in geeigneter Form zur Verknüpfung mit physikalischen, biologischen und sozioökonomi-schen Daten erfaßt werden. Außerdem sollen kom-patible Raum- und Zeitskalen, länderübergreifende und Zeitreiheninformationen sowie globale Verhal-tensindikatoren unter Zuhilfenahme der Wahrneh-mungen und Einstellungen der örtlichen Gemein-schaften entwickelt werden.” (AGENDA 21, 5.10).

Darüber hinaus „sollen bessere Möglichkeiten für Modelluntersuchungen geschaffen werden, mit de-nen die gesamte Bandbreite möglicher Ergebnisse

gegenwärtigen menschlichen Tuns bestimmt werden kann, und zwar insbesondere die Wechselwirkung demographischer Trends und Faktoren, des Pro-Kopf-Ressourcenverbrauchs und der Vermögensver-teilung sowie die mit zunehmender Häufigkeit von Klimaereignissen zu erwartenden Hauptwande-rungsbewegungen und die kumulativen Umweltver-änderungen, die zur Zerstörung der örtlichen Exi-stenzgrundlagen der Menschen führen können.”

(AGENDA 21, 5.9).

Solange die Wechselbeziehungen im Sinne einer Systemanalyse globaler Mensch-Umwelt-Beziehun-gen höchst unzureichend erforscht sind, steigt das Ri-siko, eklatanten Fehleinschätzungen zu unterliegen bzw. Kernprobleme globaler Umweltveränderungen zu verharmlosen.

Die Verstädterung Afrikas ist vor allem eine Folge der zunehmenden Armut und weniger das Ergebnis von Entwicklung. Wenn in den Städten Afrikas die Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse heute schon nicht gewährleistet ist, kann nicht (wie in der AGENDA 21 geschehen) postuliert werden, daß die Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung erfüllt seien. Selbst die Förderung von Mittelstädten (AGENDA 21, 7.19) oder public private partnerships (AGENDA 21, 7.21), wie in dem Aktionsprogramm angestrebt, werden den realen Entwicklungstenden-zen und dem Ausmaß der dadurch bedingten globa-len Umweltveränderungen nicht gerecht. In dieser Hinsicht werden Informationsdefizite deutlich, die durch eine forcierte Erforschung der Sachzusam-menhänge des globalen Mensch-Umwelt-Systems abgebaut werden müssen.

4.2.1.3 Migration

In ihrem Bevölkerungsbericht 1993 haben die Vereinten Nationen die Verflechtungen zwischen Migration und globalen Umweltveränderungen dar-gelegt. Es wird festgestellt, daß „die sich allmählich vollziehende Umweltzerstörung die Hauptursache von Bevölkerungsbewegungen ist” (DGVN, 1993).

Erstaunlicherweise werden intra- bzw. internationale Wanderungen weder in der RIO-DEKLARATION, noch in der AGENDA 21 thematisiert. Über das Feh-len dieses Themenkomplexes in beiden Dokumenten lassen sich nur Vermutungen anstellen. Möglicher-weise ist es damit zu begründen, daß Migration häu-fig als Barometer für sich verändernde soziale, öko-nomische und politische Bedingungen bzw. als Er-gebnis individueller oder familiärer Entscheidungen begriffen wird, und somit kein unmittelbarer Gegen-stand der Konferenz über Umwelt und Entwicklung war. Denkbar ist auch, daß die internationale

Staa-tengemeinschaft ihren Kompetenzbereich in Rio de Janeiro bewußt auf einen Themenkatalog fixiert hat, der Überschneidungen mit wanderungsbezogenen Forschungsfeldern anderer Institutionen ausschließt.

Aus Sicht des Beirats offenbart sich hier in jedem Fall ein erheblicher Mangel, der einerseits die Defizite im Bereich des systemanalytischen Verständnisses der globalen Umwelt belegt, und andererseits auf einen erheblichen Forschungsbedarf hinweist.

4.2.2

Staat, NRO und Kirchen

Nach einer relativ langen Phase diskreter Be-handlung werden Ursachen und Folgen des rasanten Bevölkerungswachstums in jüngster Zeit in der Öf-fentlichkeit wieder intensiv und offen diskutiert. Die-se zunehmende Sensibilisierung für Fragen der Be-völkerungsentwicklung kann wesentlich zur Bewußt-seinsbildung beitragen und letztendlich auf eine Än-derung des generativen Verhaltens hinwirken. Auf die Grundhaltungen und Möglichkeiten, die sich Nichtregierungsorganisationen (NRO), Kirchen und Politik in diesem Zusammenhang bieten, soll im fol-genden eingegangen werden.

Einigkeit herrscht auf internationaler und natio-naler Ebene, bei Regierungsorganisationen, Nichtre-gierungsorganisationen und Kirchen mittlerweile weitestgehend darüber, daß Entwicklungs- und Be-völkerungspolitik einander nicht vor- oder nachgela-gert sind, sondern eng miteinander verzahnt werden müssen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat beispielsweise schon 1984 gefordert, daß Familienplanung in die wirtschaftliche und so-ziale Entwicklung integriert sein und den religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Prägungen des Menschen Rechnung tragen muß (Kammer der EKD, 1993). Auch die katholische Kirche Deutsch-lands thematisiert die Bevölkerungsproblematik und diskutiert die Konsequenzen eingehend (Kommissi-on Weltkirche, 1993).

Der Deutsche Frauenrat betont in diesem Zusam-menhang, daß Frauen- und Familienpolitik eine Auf-gabe sui generis sei und warnt vor einer Instrumen-talisierung dieser Politikbereiche unter demographi-schen Gesichtspunkten. Der Frauenrat kritisiert, daß der Beitrag der Bundesregierung zur Weltbevölke-rungskonferenz (siehe unten) keinen eigenen „Frau-enansatz” beinhalte. Vielmehr kämen Frauen darin nur indirekt als „Mütter und Schwangere”, als „Ar-beitsmarktreserve” und als „Empfängerinnen von Entwicklungshilfe” vor. Der Frauenrat verurteilt, daß Entwicklungshilfe ausdrücklich an bevölke-rungspolitische Programme geknüpft sei, Frauenför-derung also einseitig dahingehend betrieben werde,

95 Migration B 4.2.1.3

daß Frauen weniger oder keine Kinder bekommen;

Bevölkerungspolitik dürfe sich „nicht auf Frauen als Objekte der Reproduktionsfunktion beziehen und schon gar nicht beschränken, [...] sondern muß die gemeinsame und ganzheitliche Verantwortung von Männern und Frauen herausfordern” (Deutsche Stif-tung Weltbevölkerung, 1994). Deutsche Nichtregie-rungsorganisationen sind einhellig der Auffassung,

daß die Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frau von besonderer Bedeutung ist (Kasten 20).

Sieben (deutsche) NRO, darunter die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung, die Deutsche Welthunger-hilfe und die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, werden sich künftig in einem Dachverband organisieren, um ihren Forderungen gegenüber poli-tischen Instanzen größeren Nachdruck zu verleihen KASTEN 20

Frauenbildung und Geburtenrate

Eine soziokulturelle Benachteiligung von Frauen bis hin zur Diskriminierung ist bis heute in den meisten Gesellschaften zu beobachten. Die Verbesserung der Stellung der Frau in allen Lebensbereichen ist daher ein Wert an sich und ethisch geboten. Ein zentrales Element bei der Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung von Frauen ist ihre Ausbildung. Zwischen Bildungs-stand und dem reproduktiven Verhalten einer Gesellschaft besteht zudem ein enger Zusammen-hang, eine Tatsache, die in der Frage des weltwei-ten Bevölkerungswachstum von großer Bedeu-tung ist.

Der Erfolg von Frauenbildungsprogrammen hängt wesentlich von den kulturellen und sozialen Gegebenheiten einer Gesellschaft ab. Zahlreiche Studien haben empirisch nachgewiesen, daß gene-rell eine verbesserte Schulbildung von Frauen die Geburtenrate sinken läßt. Eine Untersuchung des UNFPA hat beispielsweise ergeben, daß in Brasi-lien Frauen ohne jegliche Schulbildung im Durch-schnitt 4 Kinder mehr haben als Frauen, die eine Schule besucht haben. In Indien ist es im Zei-traum von 1989 bis 1991 gelungen, den Anteil der Frauen mit absolvierter Grundschulausbildung geringfügig zu erhöhen, wonach in den Jahren darauf die Geburtenrate von 4,2% auf 4,0% sank.

Die Ausbildung von Frauen wirkt auf die Geburtenrate durch mehrere Faktoren. Vor allem ist sie eine Grundvoraussetzung dafür, daß sich die wirtschaftliche Situation der Frauen verbes-sern kann. Studien der Weltbank haben gezeigt, daß Kinder in Familien, wo die Frau Zugang zu eigenem Einkommen hat, gesünder aufwachsen als in Familien, wo der Vater allein für das Haus-haltseinkommen sorgt. Frauen, die über ein eige-nes Einkommen verfügen, geben einen größeren Teil dafür zum Kauf von existenznotwendigen Gütern für ihre Familie aus. Zwei Beispiele hier-zu: Um eine Verbesserung der Ernährung der Kinder zu erzielen, sind in Guatemala im

Durch-schnitt fünfzehnmal höhere Ausgaben erforder-lich, wenn das Einkommen vom Vater und nicht von der Mutter erzielt wird; in der Elfenbeinküste reduzierte eine Verdopplung des von Frauen ver-walteten Einkommens den Anteil von Alkohol am Haushaltsbudget um 26% und denjenigen von Zigaretten um 14% (Weltbank, 1993). Neben dem positiven Effekt der Verbesserung der Gesund-heit der Kinder hat das Einkommen der Frau bevölkerungspolitische Bedeutung. Zum einen bedeutet die verbesserte Gesundheitssituation der Kinder eine geringere Kindersterblichkeit.

Mit dem Rückgang der Kindersterblichkeit geht tendenziell auch die Geburtenrate zurück. Darü-ber hinaus verringert ein eigenes Einkommen die Abhängigkeit der Frau von dem Ehemann und damit die Notwendigkeit, Kinder als Sicherheit für das eigene Alter zu gebären.

Ein weiterer wichtiger Zusammenhang besteht zwischen Frauenbildung und der Anwendung von Verhütungsmethoden. Zwar spielen hier auch andere Faktoren eine Rolle, so insbesondere die Existenz von Beratungsstellen zur Familienpla-nung und der Bildungsstand der Männer. In einer Studie der Weltbank in 15 afrikanischen Ländern wurde aber in den meisten Fällen (12 Länder) eine signifikante positive Korrelation zwischen der Anzahl der Schuljahre von Frauen und der Verwendung von Kontrazeptiva festgestellt. Mit steigender Anzahl der Schuljahre erhöht sich zu-dem dieser Effekt überproportional (Ainsworth, 1994).

Die Schulbildung von Frauen hat weiterhin Einfluß darauf, welche Schulbildung sie ihren Kindern zukommen lassen. Da Kinder, die zur Schule gehen, in der Regel Kosten oder zumindest Opportunitätskosten verursachen, entscheiden sich Eltern oft für eine geringere Kinderzahl.

Über diesen Zusammenhang kann daher eine verbesserte Ausbildung der Frau auch die Gebur-tenrate reduzieren. Bei zwei Studien in Ghana und der Elfenbeinküste wurde dieser positive Zusammenhang nachgewiesen (Montgomery und Kouamé, 1994; Oliver, 1994).

und im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit einen höheren Wirkungsgrad zu erzielen (Deutsche Stif-tung Weltbevölkerung, 1994). Unter anderem for-dern die Organisationen verbindliche Transferlei-stungen des Nordens, verbesserte weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Länder des Südens, den freien Zugang aller Menschen zu den Möglichkeiten der Familienplanung, sowie Maßnahmen in den Be-reichen Bildung, Gesundheitswesen und Alterssiche-rung. Dabei ist insbesondere der Rolle der Frau im Entwicklungsprozeß Rechnung zu tragen und der gleichberechtigte Zugang zu Bildung und Beruf zu forcieren (DGVN, 1994). Damit schließen sich die deutschen NRO den Auffassungen von vergleichba-ren Institutionen auf europäischer Ebene wie etwa Eurostep (1994) an.

Deutschland als weltweit drittgrößtes Geberland für Bevölkerungsprogramme hat die Bereitstellung von Mitteln für die Familienplanung im Zeitraum von 1990 (ca. 74 Mio. DM) bis 1993 (ca. 160 Mio. DM) mehr als verdoppelt (DGVN, 1994). Die Bundesre-gierung unterstützt die Ziele des Weltbevölkerungs-aktionsplanes (siehe Kap. B 4.2.3), über die allgemein Konsens besteht.

Kritik wird seitens der Bundesregierung dahinge-hend geäußert, daß die mangelnde Koordination der Geber zu Ineffizienzen in der internationalen Zu-sammenarbeit führt. In dem Bemühen, eigene Kon-zeptionen zu verwirklichen, verlieren die Geber oft die Notwendigkeit für ein abgestimmtes Vorgehen aus den Augen. In Umsetzung der Mexiko-Empfeh-lungen von 1984 fördert die Bundesregierung ver-stärkt den Bevölkerungsfonds der Vereinten Natio-nen und hat die Bevölkerungspolitik zu einem Schwerpunkt ihrer Entwicklungszusammenarbeit für die 90er Jahre erklärt. (BMI, 1994). Der Bundes-minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung betont die Doppelstrategie von Verbesse-rung der wirtschaftlichen Lage der BevölkeVerbesse-rung ei-nerseits und Leistungen zur Familienplanung ande-rerseits. Die Aufklärung, vor allem bisher vernachläs-sigter Gruppen, und die Frauenförderung bilden Schwerpunkte in der bevölkerungspolitischen Zu-sammenarbeit (BMI, 1994).

Auch die Europäische Union sieht in der Eindäm-mung des Bevölkerungswachstums und der Bekämp-fung der Massenarmut ein wichtiges Instrumentari-um zur Minderung von Wanderungsdruck. Bevölke-rungswachstum wird unter anderem als hemmend für die Entwicklung von Wirtschaft, Einkommen und Beschäftigung gesehen. Augenmerk legt die Kom-mission der EU auch auf militärische Konflikte und die Nichtbeachtung der Menschenrechte, welche die Zunahme von Flüchtlingszahlen bewirken (Kommis-sion der Europäischen Gemeinschaften, 1994).

Auch wenn letztlich nicht quantifizierbar ist, wie groß der Beitrag der zunehmenden Diskussion be-völkerungspolitischer Fragestellungen in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens – sowohl auf na-tionaler als auch auf internana-tionaler Ebene – ist, so liegt doch die Vermutung nahe, daß durch den hohen Stellenwert, den die Bevölkerungsdynamik bei NRO, Kirchen und politischen Gremien inzwischen einnimmt, mittelbar die Durchführung bevölke-rungsregulierender Maßnahmen erleichtert wird.

4.2.3

Die Weltbevölkerungskonferenz 1994

Ein zentrales Thema der Internationalen Konfe-renz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD, Ka-sten 21) 1994 in Kairo lautete empowerment of wo-men (Stärkung der gesellschaftlichen Stellung der Frau). In dem Aktionsprogramm der Weltbevölke-rungskonferenz wird diesem Themenkomplex in Verbindung mit reproductive rights (Menschenrecht

Ein zentrales Thema der Internationalen Konfe-renz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD, Ka-sten 21) 1994 in Kairo lautete empowerment of wo-men (Stärkung der gesellschaftlichen Stellung der Frau). In dem Aktionsprogramm der Weltbevölke-rungskonferenz wird diesem Themenkomplex in Verbindung mit reproductive rights (Menschenrecht

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