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Umsetzung der theoretischen Definition und Grenzen der Messbarkeit

2.2 Operationalisierung atypisch-prekärer Arbeitsverhältnisse

2.2.1 Umsetzung der theoretischen Definition und Grenzen der Messbarkeit

Wie wir bereits im Kapitel 2.1 gezeigt haben, erachten wir ein atypisches Arbeitsverhältnis dann als problematisch, wenn zwei wichtige Grundbedingungen erfüllt sind:

• Es ist mindestens eine der drei Hauptunsicherheiten gegeben.

• Das Arbeitsverhältnis wird nicht freiwillig aufgrund von finanziellen oder individuellen Anreizen eingegangen.

Diese beiden zentralen und aus der Theorie abgeleiteten Grundbedingungen führen in der empirischen Umsetzung allerdings zu Problemen, da die Grundbedingungen nur bedingt messbar sind und in den üblichen Datenerhebungen auch nur teilweise berücksichtigt werden. Aufgrund der begrenzten Messbarkeit müssen bei der Operationalisierung einige Annahmen getroffen werden. Annahmen sind jedoch vielfach mit Werturteilen verbunden und werden häufig kontrovers diskutiert. Für die Interpretation der Ergebnisse und allfällige Vergleiche mit anderen Auswertungen ist es deshalb wichtig, die zugrundeliegende Operationalisierung und die damit verbundenen Annahmen aufzuzeigen und zu begründen.

Die Hauptunsicherheiten können mit Hilfe einzelner atypischer Arbeitsbedingungen operationalisiert werden. Dazu werden die einzelnen atypischen Arbeitsbedingungen – teilweise unter bestimmten Annahmen – den einzelnen Hauptunsicherheiten zugeordnet. Die nachfolgende Abbildung 2-4 zeigt die entsprechenden Zuordnungen.

Abbildung 2-4: Atypische Arbeitsverhältnisse und Hauptunsicherheiten

Arten der Unsicherheiten Operationalisierung (betr. atypisches Arbeits-verhältnis)

1. Hauptunsicherheit: Zeitliche Unsicherheit – Zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse

(Arbeitsplatzunsicherheit) Befristete Arbeitsverträge (maximal 12 Monate) Temporärarbeit (Lohnbezug über Temporärbüro) – Kurzfristige Arbeitspläne Mit Hilfe der Sake-Daten nicht messbar

(keine Operationalisierung) 2. Hauptunsicherheit: Ökonomische Unsicherheit

– Kurzfristig schwankendes Arbeitsvolumen (Einkommensunsicherheit 1)

Arbeit auf Abruf, Heimarbeit und Telearbeit ohne vertraglich festgelegte Stundenzahl

– Variabler (z.B. umsatzabhängiger) Lohn / tiefer Fixlohn

(Einkommensunsicherheit 2)

Mit Hilfe der Sake-Daten nicht messbar (keine Operationalisierung)

– Unterbeschäftigung (Existenz-Unsicherheit)

Teilzeitarbeit mit Wunsch nach höherem Arbeitsvo-lumen

3. Hauptunsicherheit: Schutzunsicherheit – Verletzung von Schutzbestimmungen

(Juristische Schutz-Unsicherheit)

Mit Hilfe der Sake-Daten nicht messbar (keine Operationalisierung)

– Unsicherheit betreffend Sozialleistungen

(Sozialstaatliche Schutz-Unsicherheit) Neue Selbstständigkeit

– Vertretungs-Unsicherheit Mit Hilfe der Sake-Daten nicht messbar (keine Operationalisierung)

– Fehlende Arbeitssicherheit Mit Hilfe der Sake-Daten nicht messbar (keine Operationalisierung)

Da zwischen den einzelnen Unsicherheiten eine gewisse Verbindung besteht, ist die Zuordnung der unterschiedlichen Arten von Atypik zu den einzelnen Hauptunsicherheiten nicht unproblematisch. Insbesondere zwischen zeitlicher und ökonomischer Hauptunsicherheit existiert eine Korrelation: So ist eine Arbeitsplatzunsicherheit auch stark mit einer Einkommensunsicherheit gekoppelt. Die Zuordnung zu den einzelnen Hauptunsicherheiten erfolgt deshalb auf Basis der am stärksten ausgeprägten Unsicherheit im atypischen Arbeitsverhältnis. Beispielsweise haben Personen in einem temporären Arbeitsverhältnis auch eine gewisse ökonomische Unsicherheit, da sie ihr Einkommen nicht über längere Zeit voraussagen können. In der Zeitspanne, in der sie temporär arbeiten, verfügen sie aber über ein gesichertes Einkommen. Dies ist beispielsweise bei Arbeit auf Abruf nicht der Fall. Hier herrscht auch mit einer Festanstellung Unklarheit über das

Einkommen am Ende des Monats, da das effektive Arbeitsvolumen im Voraus nicht bekannt ist.

Im nachfolgenden Kapitel 2.2.2 werden die einzelnen Operationalisierungen der Hauptunsicherheiten und die dabei getroffenen Annahmen genauer erläutert. Wie aus der Abbildung 2-4 hervorgeht, können allerdings nicht sämtliche Hauptunsicherheiten mit Hilfe der SAKE-Daten ausgewertet werden. In der vorliegenden Arbeit wird nicht weiter auf die nicht auswertbaren Unsicherheiten eingegangen. Informationen zur Verbreitung der nicht messbaren Unsicherheiten können aus der Studie von Ecoplan (2003) entnommen werden.

Auf Basis von Experten-Interviews haben die Autoren die Verbreitung und Bedeutung nach Branchen, die Auswirkungen sowie die zu erwartende Entwicklung der einzelnen Unsicherheiten abgeschätzt. Arbeitsverhältnisse, die zumindest eine Hauptunsicherheit aufweisen, werden als potenziell atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse bezeichnet.

Wie bereits in der Herleitung der Definition aufgezeigt wird, ist ein Arbeitsverhältnis nur dann auch wirklich atypisch-prekär, wenn sich die betroffene Person aufgrund ihrer Situation gezwungen sieht, in einem entsprechenden Arbeitsverhältnis tätig zu sein. Verfügt die Person über eine hohe Vermittelbarkeit (d.h. ihre Eigenschaften sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt) und kann sie deshalb jederzeit in ein Normalarbeitsverhältnis wechseln, so kann davon ausgegangen werden, dass sich die Person aus finanziellen Anreizen oder aus individuellem Nutzen freiwillig in diesem Arbeitsverhältnis befindet. In diesem Fall kann nicht von einem atypisch-prekären Arbeitsverhältnis ausgegangen werden.

Im SAKE-Datensatz bestehen keine Informationen darüber, ob ein Arbeitsverhältnis aufgrund mangelnder Alternativen, persönlichen Präferenzen oder einer höheren Lohnzahlung eingegangen wird. Die Freiwilligkeit wird deshalb mit Hilfe der Lohnvariablen gemessen.

Dabei wird angenommen, dass ein Arbeitnehmer ab einer bestimmten Lohngrenze freiwillig ein nichttraditionelles Arbeitsverhältnis mit entsprechenden Unsicherheiten eingeht. Ist das Arbeitsverhältnis von mehreren Hauptunsicherheiten geprägt, muss eine höhere Entlöhnung erzielt werden, damit von Freiwilligkeit die Rede sein kann. Der Lohn ist zudem ein guter Indikator für die Vermittelbarkeit eines Arbeitnehmers, da davon ausgegangen wird, dass dieser die Nachfrage der Fähigkeiten des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt wiedergibt.

Mit der Definition der Freiwilligkeit über eine Einkommensgrenze kann jedoch nicht das gesamte Spektrum der Freiwilligkeit abgebildet werden. Die als atypisch-prekär definierten Arbeitsstellen werden teilweise weiterhin «freiwillig» eingegangen, sei dies, weil aufgrund anderweitiger finanzieller Absicherungen der Faktor Unsicherheit nicht als Risiko betrachtet wird oder weil aufgrund persönlicher Präferenzen die Vorteile der gewonnen Flexibilität die Nachteile der Unsicherheit überwiegen. Wie in Abschnitt 2.1.4 ausführlich dargelegt, können entsprechende Arbeitsverhältnisse trotzdem als atypisch-prekär bezeichnet werden. Des Weiteren spielen hier die bereits in der theoretischen Herleitung in Abschnitt 2.1 aufgeführten Überlegungen der subjektiven Zwangsempfindung eine wesentliche Rolle. Dies muss mindestens argumentativ in der Interpretation der Auswertungen berücksichtigt werden. Die Resultate der deskriptiven Auswertung (vgl. Abschnitt 3.7.2) legen nahe, dass beispielsweise Jugendliche häufiger «freiwillig» in atypisch-prekären Arbeitsverhältnissen tätig sind. Das

subjektive Zwangsempfinden und die Risikoaversion können sich zwischen den einzelnen Personengruppen deutlich unterscheiden.

Aus der Kombination von Hauptunsicherheit und Freiwilligkeit können nun die atypisch-prekären Arbeitsverhältnisse ermittelt werden. Zu diesem Zweck müssen noch eine untere (bei einer Hauptunsicherheit) und eine obere (bei mehreren Hauptunsicherheiten) Lohngrenze definiert werden. Während sämtliche Arbeitsverhältnisse mit mindestens einer Hauptunsicherheit als potenziell atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse gelten, gilt für atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse folgende operationale Definition:

Ein Arbeitsverhältnis wird dann als atypisch-prekär bezeichnet, wenn eine Hauptunsicherheit (zeitlich, ökonomisch, fehlender Schutz) gegeben ist und das auf eine Vollzeitstelle hochgerechnete Jahreseinkommen unter der unteren Lohngrenze liegt oder wenn mehr als eine Hauptunsicherheit gegeben ist und das Einkommen unter der oberen Lohngrenze liegt.

Wie hoch diese Lohngrenzen letztlich effektiv sind, muss aus theoretischen Überlegungen hergeleitet werden. Dazu mehr im Abschnitt 2.2.3. Die Abbildung 2-5 bietet nochmals einen grafischen und tabellarischen Überblick, welche Arbeitsverhältnisse gemäss dieser Definition als atypisch-prekär gelten.

Abbildung 2-5: Operationalisierung atypisch-prekärer Arbeitsverhältnisse

Anzahl Hauptunsicherheiten

1 2 3

Medianlohn 60% Medianlohn

0 Lohn

Atypisch-prekär

Potenziell atypisch-prekär Nicht atypisch prekär

80%

20%