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MÖGLICHE UMGANGSWEISEN MIT FÄLLEN VON

Im Dokument 3 MATERIALIEN ZU FRÜHEN HILFEN (Seite 45-48)

CHANCEN UND GRENZEN VON PROGRAMMEN FRÜHER HILFEN (FORSCHUNGSÜBERBLICK)

MÖGLICHE UMGANGSWEISEN MIT FÄLLEN VON

PARTNERSCHAFTSGE-WALT IN FRÜHEN HILFEN

Aus der Befundlage lässt sich nicht direkt ableiten, welche Umgangsweise mit Fällen von Partnerschaftsgewalt von Anbietern Früher Hilfen gewählt werden sollte. Mehrere Möglichkeiten stehen zur Debatte:

Eine Möglichkeit ist es sicher, Partnerschaftsgewalt als Gegenanzeige zu begreifen, d.h. aufgrund eines nicht zu erwartenden Hilfeeffektes Familien mit bereits bekannter Partnerschaftsgewalt nicht in Angebote aufzunehmen.

Dieser Ansatz stößt dort an Grenzen, wo die Gewalt erst im Verlauf der Hilfe bekannt wird. Zudem stellt sich die Frage, ob mit einem solchen Vorgehen bei prinzipiell teil-nahmebereiten Familien nicht unnötig Hilfechancen ver-geben werden, deren Nutzung für betroffene Kinder wich-tig wäre, auch wenn die Entlastung nicht nachhalwich-tig ist.

Eine andere Möglichkeit bestünde darin, auftretende Partnerschaftsgewalt als Anlass zu betrachten, um den Bereich des rein primär präventiven Kinderschutzes zu verlassen. In der Praxis würde dies bedeuten, nach § 8a SGB VIII zusammen mit der Familie eine Gefährdungs-einschätzung vorzunehmen und gegebenenfalls an das Jugendamt mit der Bitte um Gewährung von Hilfen zur Erziehung nach § 27 SGB VIII oder mit der Bitte um eine Kinderschutzintervention heranzutreten. Neben dem damit verbundenen Aufwand hätte ein solches Vor-gehen den Nachteil, dass zumindest bei einigen Fami-lien Vertrauen und Kooperation zerstört werden würde.

Zudem sind Rückwirkungen auf die Wahrnehmung des Angebotes in der Gemeinde nicht auszuschließen. Auf der anderen Seite besteht eine inhaltlich gerechtfertigte rechtliche Verpfl ichtung bei gewichtigen Anhaltspunk-ten in einen Prozess der Gefährdungsabschätzung mit der Möglichkeit intensiverer Hilfe aber auch intensive-ren Schutzhandelns einzutreten. Klar ist allerdings, dass Partnerschaftsgewalt nicht automatisch mit einer

Kindes-46 FRÜHE HILFEN – HILFREICH AUCH BEI HÄUSLICHER GEWALT?

wohlgefährdung entsprechend § 1666 BGB gleichgesetzt werden kann, d.h. unter Umständen geraten Fachkräfte in die Situation, dass betroffene Familien die Frühe Hilfe beenden, ohne dass eine rechtliche Möglichkeit besteht, die Eltern hierauf oder auf eine andere Maßnahme zu verpfl ichten.

Eine dritte Umgangsweise würde darin bestehen, Part-nerschaftsgewalt als Anlass zur Kooperation zu begreifen und zwar auf der einen Seite mit Opferschutzeinrich-tungen und auf der anderen Seite mit Beratungsange-boten für Menschen, die in der Partnerschaft Gewalt ausüben. Ziel wäre es, die spezialisierten Kenntnisse ent-sprechender Einrichtungen für die Begleitung und Bera-tung der Familie nutzbar zu machen. Allerdings müssten dafür in einem ohnehin schon sehr vielfältigen Feld wei-tere Kooperationsbeziehungen aufgebaut werden. Zudem stehen entsprechende Angebote nicht fl ächendeckend zur Verfügung. Schließlich können entsprechende Angebote auch scheitern, sodass sichergestellt werden muss, dass Familien in einem solchen Fall nicht verloren gehen. Auf der anderen Seite hat sich auch bei ambulanten Hilfen zur Erziehung nach bereits eingetretenen Gefährdungs-ereignissen gezeigt, dass im Fall einer vorliegenden Partnerschaftsgewalt die Hinzuziehung auf die Gewalt

spezialisierter Dienste für einen ausreichenden Schutz betroffener Kinder sinnvoll und notwendig ist (Kindler

& Spangler 2005).

Eine vierte und letzte Umgangsweise könnte darin be-stehen, das Thema Partnerschaftsgewalt als Anlass für Qualifi zierung zu begreifen. Ziel wäre es, die Fachkräfte in den Frühen Hilfen zu befähigen, im Fall von Hinwei-sen auf Partnerschaftsgewalt die Eltern über erwartbare Folgen für ihre Kinder zu informieren und den Aufbau von Veränderungsmotivation zu unterstützen. Auch dies ist natürlich mit Aufwand verbunden. Auf der anderen Seite spricht die Befundlage eine relativ klare Sprache.

International sind eine Reihe von Angeboten Früher Hilfen diesen Weg gegangen (z.B. Chamberlain 2008), al-lerdings liegen meines Wissens nach keine Befunde dazu vor, ob eine solche Zusatzqualifi kation zu nachhaltigeren Effekten Früher Hilfen bei betroffenen Familien beitra-gen kann.

Es ist leicht zu erkennen, dass sich die vier vorgestellten Umgangsweisen gegenseitig nicht völlig ausschließen.

Wünschenswert ist eine konzeptuelle Auseinander-setzung der Träger Früher Hilfen mit der Frage, welches Vorgehen wann gewählt werden soll.

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