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BESONDERHEITEN DER ALTERS- ALTERS-GRUPPE 0 BIS 3 JAHRE

Im Dokument 3 MATERIALIEN ZU FRÜHEN HILFEN (Seite 65-68)

DAS FRÜHINTERVENTIONSPROGRAMM STEEP™ – EIN ANSATZ AUCH BEI HÄUSLICHER GEWALT?

BESONDERHEITEN DER ALTERS- ALTERS-GRUPPE 0 BIS 3 JAHRE

Hinsichtlich der Arbeit im Bereich der Frühen Hilfen und insbesondere dem hier vorgestellten Frühinterventions-programms STEEP™ ist es wichtig, die Besonderheiten der frühen Zeit hervorzuheben. Im Wesentlichen sind es vier Punkte, die in diesem Zusammenhang zentral er-scheinen:

1. Die ersten Lebensjahre sind für die Persönlichkeits-entwicklung sehr bedeutsam, wobei die vorgeburt-liche Entwicklung unbedingt berücksichtigt werden muss.

2. Die individuelle Entwicklung des Säuglings/Klein-kindes ist nur im Kontext der wechselseitigen Bezie-hungen mit den primären Bezugspersonen zu verste-hen.

3. Die Entwicklungsprozesse der frühen Kindheit sind dynamisch ablaufende Reifungs-, Anpassungs- und Lernprozesse mit rascher Veränderung, großer Vari-abilität und alltäglichen Krisen.

4. Die Übergänge von normativen Krisen zu subjektiv belastenden Problemen bis hin zu auch klinisch rele-vanten Störungen sind fl ießend.

Ein weiteres großes Themenfeld betrifft die oftmals be-einträchtigte Mutter-Kind-Beziehung als Folge von

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66 BINDUNGSORIENTIERTE ARBEIT: DAS FRÜHINTERVENTIONSPROGRAMM STEEP™ – ...

walttätigen Auseinandersetzungen während der Schwan-gerschaft und Geburt, insbesondere die Auswirkungen einer gewalttätigen Zeugung eines Kindes (Vergewalti-gung) auf den Verlauf der Schwangerschaft, die Geburt und die sich entwickelnde Beziehung der Mutter zu ih-rem Kind (Heynen 2003, Gerwirtz, Edleson 2004). Diese bereits intrauterin beginnenden Erfahrungen Häuslicher Gewalt sind oftmals noch mit weiteren Belastungen in Form von Drogen-, Alkohol- und Nikotinsucht der Be-zugspersonen verbunden (Edleson 1999a,b). Kommt es während der Schwangerschaft zu gewalttätigen Aus-einandersetzungen – und dies ist laut der Studie von Schröttle, Müller (2004) neben der Geburt eines Kin-des, Eheschließung, Trennung/Scheidung ein häufi ger Auslöser für Häusliche Gewalt – oder zu Bedrohungen genereller Art, Trennungen und Beziehungsabbrüchen, dann erzeugt dies bei den Müttern Stress. Dieser Stress kann sich auf die embryonale Entwicklung auswirken, zu Fehlbildungen führen und/oder einer hohen Irritabilität, die sich nach der Geburt beim Säugling z.B. in Form von häufi gem Schreien, Ein- und Durchschlafstörungen und Fütterstörungen äußern. Häufi g sind die Föten aufgrund der Gewalterfahrungen in der Schwangerschaft zudem hinsichtlich ihres Geburtsgewichts beeinträchtigt, sodass es zu Komplikationen während der Schwangerschaft und Geburt – wie beispielsweise zu Früh- oder Fehlgeburten – kommen kann.

Frühe traumatische Beziehungserfahrungen werden zu-dem direkt in das kindliche Gehirn »eingebrannt«, da intrauterin und im ersten Lebensjahr die Myelinum-mantelung der Nervenfasern entsteht, eine Art Isolier-schicht, die für die Weitergabe elektrischer Impulse an andere Nervenzellen sorgt. Bei starkem Stress hemmen Stresshormone die Synaptogenese und beeinträchtigen die Entwicklung der rechten Hemisphäre, womit nach Schore (2004) eine Prädisposition für schwere psychische Störungen einhergeht. Hirnforscher prägten dafür den Satz: »die Amygdala vergisst nicht« (Roth 2009, Teicher 2000, 2002). Selbst die Gene werden vor- und nachge-burtlich von der Qualität der Bindungsbeziehung geprägt und zwar im Guten wie im Schlechten, d.h. die primären Bezugspersonen wirken mit ihrem Verhalten sogar ver-ändernd auf das Genom des Embryos bzw. Säuglings ein (Schore 2004).

Sind kleine Kinder Zeugen von Häuslicher Gewalt, so beeinfl usst dieses den Aufbau ihrer inneren Welt. Iden-tifi ziert mit der Mutter erleben sie deren Ängste, ihre ohnmächtige Wut und Hilfl osigkeit, aber auch den Hass, Zorn und die Gewaltbereitschaft des Vaters und werden von diesen intensiven Gefühlen überwältigt; es handelt sich um traumatische Erfahrungen (Marans, Adelman 1997). Ein besonderes Augenmerk soll in diesem Zusam-menhang auch auf die riskanten Bindungserfahrungen des Kindes mit seinen Bezugspersonen gelegt werden.

Kinder, die Häuslicher Gewalt in der Familie ausgesetzt sind, können ihre Eltern nicht als sicheren Ort erleben;

sie sind stattdessen Quellen von Gefahr und Bedrohung.

Wenn Gewalt die mütterliche Fähigkeit unterbricht, sich angemessen um ihr Kind zu kümmern, so wird das Kind hinsichtlich seines Vertrauens und seiner Zuversicht in die Welt beeinfl usst und keine sichere Bindung aufbauen können. Üben Väter physische Gewalt an ihren Frauen aus, so entwickeln ihre Kinder nach einer Untersuchung von Sims, Hans, Cox (1999) vermehrt unsichere Bin-dungsmuster, die wiederum einen Risikofaktor darstel-len, emotionale und Verhaltenprobleme zu entwickeln (Henning et al. 1996, Graham-Bergman, Levendosky, 1988, Grossmann, Grossmann 2004, Egeland, Sroufe 1981).

Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass ein gro-ßer Teil der Kinder, deren Mütter Häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, selbst auch direkt Opfer elterlicher Gewalt werden und hinsichtlich ihrer Entwicklung und Gesundheit gefährdet sind (vgl. Forschungsüber-blick bei Kindler 2007, Wolfe et al. 2003). Kinder, die Häuslicher Gewalt ausgesetzt waren, haben geringere selbstregulative Fähigkeiten (McCabe et al. 2000), zei-gen gehäuft aggressives und antisoziales Verhalten, sind depressiver und ängstlicher, und oft sind auch ihre kog-nitiven Fähigkeiten beeinträchtigt (z.B. Kitzmann et al. 2003, Sternberg et al. 1993, Yates et al. 2003, Eigsti, Cicchetti 2004, Gerwitz, Edleson 2004). Erwachsene, die als Kind Zeuge Häuslicher Gewalt waren, haben mehr psychische und soziale Probleme (Henning et al. 1996).

Des Weiteren gibt es einen engen Zusammenhang zwi-schen Gewalt in der Kindheit und der Weitergabe von Gewalt wiederum an die eigenen Kinder; Gewalterfah-rungen werden demnach intergenerational weitergege-ben (van Ilzendoorn & Kronenberg 1988, Apel, Holden

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1998, Spaccaroli et al. 1995, Song et al. 1998, Daro et al.

2004). Dies bestätigen z.B. auch die Ergebnisse der für Deutschland erstmalig repräsentativen Studie zur »Le-benssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland«: Frauen, die in ihrer Kindheit und Jugend körperliche Gewalt zwischen den Eltern erlebt hatten, waren später doppelt so oft von Partnergewalt betrof-fen als Frauen, die keine solchen Erlebnisse schilderten.

Und Frauen, die in Kindheit und Jugend selbst mehr als vereinzelte Gewalt durch Erziehungspersonen erlitten hatten, berichteten dreimal so oft von Gewalt in ihren Paarbeziehungen (Schröttle, Müller 2004).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kinder, die von Häuslicher Gewalt betroffen sind, auch im späteren Verlauf ihrer emotionalen, sozialen, körperlichen und kog-nitiven Entwicklung beeinträchtigt sind (z.B. Kindler 2007, Levendosky et al. 2003, Wolfe et al. 2003, Kitzmann et al.

2003). Abhängig ist dies auch von der Häufi gkeit, Schwe-re und den kumulativen FaktoSchwe-ren wie Suchtmittelmiss-brauch, psychische Erkrankungen der Eltern, Armut und instabilen Lebensverhältnissen (Gerwitz, Edleson 2004, Edleson et al. 2006). Aber es gibt durchaus auch protektive Faktoren, wobei insbesondere eine sichere Bindung zu ei-ner Bezugsperson von zentraler Bedeutung ist, die durch Programme Früher Hilfen gefördert und gestützt werden und das Ausmaß der Auswirkungen Häuslicher Gewalt be-einfl ussen können (Egeland, Erickson 1993).

FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE

Seit nunmehr zwölf Jahren beschäftigen wir uns an der Fachhochschule Potsdam schwerpunktmäßig mit dem Arbeitsbereich der frühen Prävention und Intervention im Kontext der Eltern-Säuglings-/Kleinkind-Beziehung und mit Fragen des Kinderschutzes. So fi nden die zentra-len Ergebnisse unserer zahlreichen Forschungs-, Praxis- und Qualifi zierungsprojekte Eingang in die alltägliche Praxis unserer Beratungsstelle »Vom Säugling zum Klein-kind« und dem später aufgebauten Familienzentrum1 als auch in (über-)regionalen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und des Gesundheitswesens.

Sehr oft kommen zu uns auch Familien, die wir heute unter dem Begriff Hochrisikofamilien zusammenfassen.

Rasch bemerkten wir, dass Beratung und Therapie nicht allein ausreichen, um gerade diese Familien effektiv zu unterstützen. Die Hilfen müssen früher und auf anderen Ebenen ansetzen. So suchten wir gezielt nach Möglichkei-ten, wie diesen Familien frühzeitig geholfen werden kann und wurden auf das STEEP™-Programm (Steps toward effectiv and enjoyable parenting) aufmerksam. Es wurde auf der Grundlage von über 25-jährigen Forschungsar-beiten zur Verhinderung von Misshandlung und Ver-nachlässigung entwickelt und es ist ein bereits seit Jahren in den USA erfolgreich erprobtes Programm. Schritt-weise wurde es seit 2001 – in enger Kooperation mit der Forscherin Martha Erickson und dem Forscher Byron Egeland sowie mit dem »St. David’s Child Development

& Family Services« in Minneapolis – auch in Deutschland eingeführt und adaptiert.

In den Jahren 2004 bis 2007 beschäftigten wir uns in Kooperation mit der University of Minnesota und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Ham-burg in einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Langzeitstudie mit der Effek-tivität und Indikation Früher Hilfen in Risikofamilien im Rahmen der Sozialen Arbeit. Hierbei wurde das evi-denzbasierte Frühinterventionsprogramm STEEP™ in Praxis einrichtungen eingeführt, erprobt, wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

Daran anknüpfend ist das derzeitige Projekt »WiEge – Wie Elternschaft gelingt« darauf ausgerichtet, Strategien zur Früherkennung, Frühprävention und Frühintervention innerhalb vernetzter Strukturen im Schnittstellenbereich von Jugendhilfe und Gesundheitswesen zu optimieren.

Hierbei geht es vor allem um die bessere Erreichbar-keit belasteter Eltern, die frühzeitige Identifi zierung von Problemlagen in Familien und eine darauf abgestimm-te Entwicklung passgenauer Hilfen. Des Weiabgestimm-teren sollen nachgehende Strategien der Kontaktanbahnung und -aufrechterhaltung mit Hochrisikofamilien sowie eine kontinuierliche aufsuchende und bindungstheoretisch fundierte Frühintervention (STEEP™) durch geschul-te Fachkräfgeschul-te etabliert werden. Ziel ist es, diese als ei-genständige Hilfeform der Jugendhilfe im Rahmen der

1 Träger: IFFE e.V. – Institut für Fortbildung, Forschung und Entwicklung an der Fachhochschule Potsdam.

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Regelfi nanzierung in den Leistungskatalog der Hilfen zur Erziehung zu implementieren. Weitere Schwerpunkte des Projektes sind die Evaluation der STEEP™-Beratung anhand eines Kontrollgruppendesigns und der Aufbau von vernetzenden Strukturen in ausgewählten Regionen des Landes Brandenburg als auch die Einrichtung von Clearing-Systemen zur Identifi kation und Vermittlung von Eltern-Kind-Paaren mit intensivem Hilfebedarf. Da-bei bindet es Akteure aus den Bereichen Jugendhilfe und Gesundheitswesen in einen Qualitätsentwicklungspro-zess ein. Gefördert wird dieses Projekt vom Bundesmi-nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Aktionsprogramms »Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und Soziale Frühwarnsysteme«.

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