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tutionell verankerter gesellschaftlicher Prinzipien

Mike (anonym): Es geht hier um das Machen. Ich stelle auch keine Fragen. Ich überlege nicht. Ich mache einfach mit.

Eduard (anonym): Ich habe jemanden einmal gefragt, was das hier ist. Er hat mir gesagt: Das ist ein Ort für alle. Man kann hier etwas trinken. Man kann schreiben. Jede Woche gibt es Kleider und Schuhe gratis, wenn man etwas braucht. Ich bin hier einfach.

Ich sitze. Ich trinke Kaffee.

Sarah Schilliger: Der soziale Aspekt des Projektes wird im po litischen Diskurs oft unbefriedigend dargestellt. Als 2011 wäh­

rend der Weihnachtszeit Geflüchtete nicht in das Camp reinge­

lassen wurden und gezwungen waren, draussen zu übernachten, war Almut die Erste, die das aufgegriffen, sich darum gekümmert und an die Presse weitergeleitet hat. Aber wie das mit den Medien ist: Am Ende stand das Humanitäre und nicht das Politische im Vordergrund, und Almut wurde dabei zur Mutter Teresa stilisiert.

Ihr war es in dieser Rolle unwohl.

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Sandra Staudacher: In meinen Gesprächen mit Asylsuchen­

den bei der Rechtsberatung habe ich viel von ihrem Alltag im Camp mitbekommen. Was sie am Tag tun, mit wem sie sich umgeben, wo sie hingehen und so weiter. Vielen ist nicht bewusst, dass bbxx ein Kunstprojekt ist. Wenn es etwas gibt, was Ablenkung bietet, wo man gratis zu trinken oder zu essen bekommt und einfach sein kann, wird es gerne angenommen. Die Leute können nirgends hingehen, dürfen nicht arbeiten und leben sehr abgeschieden. Aber die meisten ver­

stehen das Konzept nicht. Es ist schon sprachlich ein Problem: Für fast jedes Gespräch, das ich mit den Leuten in der Rechtsberatung ge­

führt habe, musste ich einen Dolmetscher organisieren. Sie sprechen kein Deutsch und können meistens kaum Englisch, vielleicht etwas Französisch, wenn sie aus Nordafrika kommen. Es gibt auch Diffe­

renzen. Die Geflüchteten sind keine einheitliche Masse. Sie kommen aus verschiedenen sozialen Kontexten und haben unterschiedliche Bildungsniveaus. Sicher schätzen sie es, dass da jemand ist, der sorg­

sam mit ihnen umgeht, mit ihnen spricht und ihnen zuhört. Aber Menschen in dieser Situation sind physisch und psychisch kaputt.

Da ist nicht viel Platz für etwas anderes als das Überleben.

Christopf Wüthrich: Viele Geflüchtete, die zu uns kommen, sind anfangs misstrauisch. Sie denken, dass wir zum Camp gehö­

ren. Oder zu einer christlichen Organisation. Besonders bei den

Als Almut Rembges am Sonntagnachmittag zufällig die Asylempfangsstelle des Bundes in Basel passierte, sah sie in 200 Meter Entfernung eine Familie am Boden sitzen.

Erst gerade hatte der Winter in der Schweiz Einzug ge-halten. Die Wetterverhältnisse luden bestimmt nicht zum Verweilen im Freien ein. «Andere Asylsuchende baten mich zu helfen», erzählt die Künstlerin und Aktivistin. Die Familie sei weggewiesen worden, weil es keinen Platz im Empfangszentrum mehr habe. Rembges diskutierte mit den Sicherheitsleuten beim Eingangstor, worauf der Familie Einlass gewährt wurde. Für die Baslerin war aber sofort klar, dass ein Notstand drohte. Dass Menschen im Winter in der Schweiz im Freien übernachten müssen, geht nicht. Fortan wollte sie regelmässig in der Umge-bung der Empfangsstelle patrouillieren, respektive mit Freunden und Bekannten einen entsprechenden Dienst organisieren. «Ich habe einen Doodle (Terminvereinba-rungswebsite, Anm. der Redaktion) eingerichtet und es meldeten sich spontan 20 Leute.» Seither wechseln sie sich beim Gang zum Empfangszentrum ab. (Matthias Chapman: »Die Frau, die Obdachlosen ein Asyl bot«, in:

Tages-Anzeiger, 26. 7. 2012)

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Geflüchteten aus arabischen Ländern gibt es diese Irritation. Viel­

leicht, weil kulturelle Eirichtungen in ihren Heimatländern meis­

tens von religiösen Organisationen getragen werden. Sie fragen:

Müssen wir etwas dafür zahlen? Es dauert eine Zeit, bis sie begrei­

fen, wie es in der bbxx läuft.

Sarah Schilliger: Das ist ein Thema, das ich mit Almut immer wieder problematisiere. Die Geflüchteten wissen oft nicht, wer sie ist, mit welcher Funktion und wo sie hingehört. Zu einer Kirche, einer Wohltätigkeitsorganisation oder dem Camp? Es ist nicht allen klar, dass sie eine Künstlerin und Aktivistin ist. Dass Almut den Anspruch hat, Geflüchtete auf der einen und einheimische Spazier­

gänger*innen auf der anderen Seite anzusprechen, finde ich poli­

tisch. Auch die Arbeit, die sie dort mit den Kindern macht, finde ich wichtig und gut. Wobei bbxx vor allem das kritische linke Milieu anspricht. Es muss nicht immer alles explizit politisch sein. Aber es ist enorm schwierig, ein produktives Verhältnis und Zusammen­

wirken zwischen Kunst, sozialer Arbeit und dem Politischen hin­

zukriegen. Da liegt die Gefahr nahe, sich zu sehr in der Deckung alltäglicher Bedürfnisse zu verzetteln.

Almut Rembges: Als die Situation mit den fehlenden Plätzen in den Unterkünften publik wurde, haben Leute Kleider gespen­

det. Plötzlich mussten wir Kleider verteilen. Es war unglaublich, was das mit uns gemacht hat! Es ist wichtig, dass Kleider verteilt werden. Aber ich mag nicht die Charity­Jukebox sein! Eine Zeit lang hat eine Gruppe von Tunesiern die Betreuung der Kleiderkisten übernommen. Sie haben es La Boutique getauft und die stigmati­

sierende Wohltätigkeitsgeste komplett verdreht. Neulich haben Leute im Camp mitbekommen, dass eine Hilfsorganisation bei uns Säcke mit Kleidern deponiert. Seitdem kommen sie immer wieder und wollen, dass ich ihnen etwas herausgebe. Würde man heute die Leute vor Ort nach der bbxx befragen, bekäme man zur Antwort, wir seien ein christliches Hilfswerk. Höchste Zeit, den Laden zu schliessen!

Christoph Wüthrich: Man sieht, wie sich die Künstler*innen hier mit den Leuten beschäftigen. Sie machen das ganz anders als Sozialarbeiter*innen. Es geht nicht um das direkte Helfen, sondern um das Mitmachen. Sie haben nicht die Einstellung: Wir müssen dafür sorgen, dass es euch gut geht. Sondern: Man macht Dinge zusammen. Den Leuten geht es dabei gut oder nicht. Es darf alles

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entstehen und sich verändern. Und es ist nicht gebunden an irgend­

welche professionellen Standards. In der sozialen Arbeit gibt’s dafür Regeln. Ich denke allerdings, dass alles, was hier umgesetzt wird, politisch ist, also immer ein politisches Statement enthält.

Racques Jancière: In meinem theore tischen