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praxen, aber auch der linken Politik im Allgemeinen ist, desto grösser ist auch die

Chance, eine starke gegenhegemoniale

Bewegung entstehen zu lassen.

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In Situ(ation)

Navid Tschopp: Vorerst brauche ich Zeit, um mich mit einem Ort vertraut zu machen. Am besten gelingt es mir, in Kontexte ein­

zugreifen, die mir heimisch sind. Diese Vertrautheit ist mir wichtig:

Wie sieht ein Ort aus, wie leben die Menschen da, welche Menta­

lität, Gewohnheiten, Gepflogenheiten dominieren da, wie sind der Alltag und das Verhalten im öffentlichen Raum strukturiert? Im öffentlichen Raum spüre ich einen viel stärkeren Bezug zu diesen Fragen als bei Arbeiten, die im Atelier entstehen.

Rémi Jaccard: Es ist sicher ein anderes Vorgehen, wenn Navid im Atelier arbeitet. Wobei er seine Projekte situativ konzipiert und sich immer in die Bedingungen seiner Umgebung einfügt, unabhängig da­

von, ob sie im Aussenraum oder in einer Galerie stattfinden. Ich habe Claudia Spinelli: Kunst ist zum einen der Ort, an dem scharfe Kritik geübt werden kann. Zugleich verpufft diese in den Geldbeu­

teln derjenigen, die den Kunstbetrieb nicht nur finanzieren, son­

dern auch an ihm verdienen. Das ethische Problem stellt sich bei Navids Résistance­Arbeit nicht nur deshalb anders, weil es sich um eine Setzung im öffentlichen Raum handelt, sondern auch, weil diese in einem parallelen, vom Kapital des Kunstmarktes noch unberührten Kontext entwickelt wurde. Glaubwürdige Kunst mit einer politischen Motivation kämpft mit ungewohnten, ungeeig­

neten Waffen. Auf diese Weise entfalten künstlerische Setzungen, die man zunächst als folgenlos qualifizieren würde, ihre ganz eige­

ne, subkutane Wirkung. Der Schriftzug »Résistance« konnte zwar den Abriss des »Nagelhauses« nicht verhindern. Aber er brachte Leute dazu, darüber nachzudenken, was in ihrem unmittelbaren Lebensraum geschieht.

Kunstraum letztlich immer an ein Publikum richtet, das potenziell kaufen soll. Die existenziellen Zwänge der Künstler*innen würde ich aber auch nicht unterschätzen. Man kann nicht nur Kunst im öffentlichen Raum machen, wenn man davon leben will. Man muss Sachen in verschiedene Formate packen, um sie ausstellen zu können, um Fördergelder zu bekommen. Das erfordert gewisse Kompromisse.

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Alexandra Blättler: Ich denke an die Schenkungsurkunde, die Navid im Rahmen der Stipendienausstellung im Helmhaus zeig­

te. Wir haben lange diskutiert, ob man weitere Elemente, die auf seine Intervention hinweisen, neben der Urkunde ausstellen sollte.

Aber es war wichtig, radikal zu bleiben und nur das zu zeigen, was unmittelbar zur Arbeit gehört. Ich habe kein Problem damit, Künst­

ler*innen einen geschützten Raum zu gewähren, und möchte ihnen die Möglichkeit der Vermarktung ihrer Werke nicht absprechen.

Wobei die damit oft einhergehende Gratwanderung für sie sicher schwieriger ist als für mich als Kuratorin. Problematisch finde ich vielmehr eine kategorische Untersagung dieser Möglichkeit für diejenigen von ihnen, deren Arbeit vorwiegend im öffentlichen Raum angesiedelt ist.

Navid Tschopp: Ich überlasse das Abbilden meiner Interven­

tionen im öffentlichen Raum den Medien oder den vorbeigehenden Passant*innen. Ihre ins Netz gestellten Bilder erreichen eine grösse­

re Öffentlichkeit. Die Konsequenz davon ist, dass meine Arbeiten oft aus ihrem Kontext herausgerissen und nicht in meinem Sinn neu eingeordnet werden. Würde ich versuchen, meine Interventi­

onen im öffentlichen Raum in den Kontext einer Ausstellung in

Werk­ und Atelierstipendienausstellung (2012), Helmhaus Zürich.

Alexandra Blättler verweist hier auf die Arbeit Topologische Agenda – der Weg zum Master (2008 –2010).

bereits einige Ausstellungen mit ihm realisiert, in denen seine Pro­

jekte vorwiegend im Aussenraum stattfanden. Immer wieder sorgte dabei die Frage nach ihrer Übertragung in den Ausstellungsraum für Konflikte zwischen ihm als Künstler, der Dinge macht, die sich dem Werkcharakter entziehen, und mir als Kurator, der etwas haben möchte, was sich gut zeigen lässt.

Claudia Spinelli: Im Aussenraum sind die Themen viel ver­

bindlicher als im Innenraum, und man hat auf Anhieb einen zwin­

genden Bezug, während man sich im Ausstellungsraum ganz anders überlegen muss, warum man etwas machen will. Für eine Ausstel­

lung in der Binz39 hat Navid eine Arbeit mit den nachgezeichneten Rissen konzipiert. Das war zwar eine innerhalb eines Kunstraums durchgeführte Intervention, die aber sehr bewusst auf die Geschich­

te dieses Ortes und seine gesellschaftliche Funktion referierte.

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Form von selbst erstellten Abbildungen zu integrieren, würde das die Frage aufwerfen, was für einen Status diese Bilder haben. Sind sie eigenständige Fotoarbeiten, Bestandteile der jeweiligen Interven­

tion oder ihre Dokumentation? Es ist schwer, eine adäquate Form für das Ausstellen ortsbezogener Werke zu finden. Meistens laufen solche Versuche auf eine sehr unbefriedigende Übersetzung hinaus.

Deswegen habe ich entschieden, die Magnetarbeit nur anhand der Schenkungsurkunde in der Helmhaus­Ausstellung zu präsentieren.

Sie stellt eine Spur der Aktion dar und verweist darüber hinaus auf ihren rechtlichen Kontext.

Lina Tyroller: Eine Fotografie ist meistens plakativ genug, um die Idee der jeweiligen Aktion zu erfassen, aber zugleich ist sie ein selbstständiges Bild und somit eine Fortführung des Werks. Das Bild der Résistance­Arbeit beispielsweise stammte nicht von Navid selbst, sondern entstand in den Medien und wurde auch dort verbreitet.

Diese Arbeit ist ein spannendes Beispiel dafür, wie Kunst in einem Kontext wirkt, der nichts mit Kunst zu tun hat.

Claudia Spinelli: Ich glaube nicht, dass Navid ein Künstler ist, der zwingend und ausschliesslich im öffentlichen Raum arbei­

ten kann. Es könnte sein, dass diese Frage von Innen und Aussen, die ihn so sehr beschäftigt, im Grunde eine Frage nach der Relevanz ist. Während er in der Stadt, im öffentlichen Raum auf einen Miss­

stand hinweist, ist es immer schon relevant, weil er sich dort im­

mer schon in einem grösseren gesellschaftlichen Zusammenhang bewegt. Im Ausstellungsraum hingegen muss er sich andauernd die Frage stellen, worin die Relevanz seiner Arbeit besteht.

Renaissance – Résistance