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Sie kann sich nur dann ereignen, wenn sie die Entdeckung ihrer Intelligenz

den Menschen selbst überlässt.

Lina Tyroller: Wenn ich durch die Strassen gehe und plötz­

lich auf so etwas stosse wie Navids Magnetarbeit an der Wand der Müllverbrennungsanlage, spricht mich der Gedanke, der dort sicht­

bar wird, sofort an. Diese unmittelbare Wirkung, die Kunst haben kann, ist sehr wichtig und schön.

Rémi Jaccard: Die Fähigkeit, hinzuschauen, Dinge und Situa­

tionen minimal zu verschieben, um etwas anderes dahinter zu entdecken, schätze ich an Navid sehr. Man kann auf empfundene Missstände sehr aggressiv hinweisen, um beim Publikum gezielt Re­

aktionen auszulösen. In diesem Fall geht man meistens mit relativ einfachen Mitteln vor und erzeugt schnell Aufmerksamkeit. Im öf­

fentlichen Raum reagiert das Publikum anders als im Kunstraum, wo man auf Kunst bewusst zugeht. Für jemanden, der darauf ab­

zielt, Gleichgültigkeit schnell zu überwinden, ist es eine Heraus­

forderung, es subtil zu tun.

134 Navid Tschopp

Christoph Doswald: Um relevante Kunst zu entwickeln, müssen Künstler*innen ein Bewusstsein für gesellschaftliche Fra­

gestellungen und Prozesse besitzen. Bei Navid Tschopp zeigt sich dieser Ansatz expliziter als bei vielen anderen Künstler*innen. Ich spreche in erster Linie von seinen Projekten im öffentlichen Raum, mit denen ich in meiner Funktion als Vorsitzender der AG KiöR der Stadt Zürich in Berührung gekommen bin. Wenn politische Inhal­

te mittels Kunst verhandelt werden, muss man Konflikte aushalten können. Navid tut das dezidiert. Allerdings betrachte ich seine Arbeit als eine sehr produktive Form des Konflikts. Er versucht, Wi der sprüche zu provozieren, um aus ihnen heraus kreative Ener­

gien zu generieren. Es gibt allerdings auch immer wieder destruk­

tive Formen: Die konfrontative Schlussphase von Labitzke, in der der Konflikt körperlich, unter Beteiligung der Polizei, ausgetragen wurde, ist ein Beispiel dafür.

Rémi Jaccard: Navids Arbeiten erlauben sich zwar die Kritik, sind aber hinsichtlich der Interpretation sehr offen. Zudem weiss man nicht sofort, wer sie gemacht hat. Diese Ambivalenz besitzt etwas Verspieltes, Nichtaggressives, das den Betrachter*innen einen viel einfacheren Zugang zu den Werken erlaubt. So, als würde er ein Geschenk zurücklassen, das unerwartet entdeckt werden soll. Bei der Résistance­Arbeit greift er zwar in eine stark umkämpfte Materie ein, tut es aber friedvoll. Die Verantwortlichen des Renaissance­Ho­

tels hätten ganz anders reagiert, wenn sie Feuerlöscher hätten ein­

setzen müssen.

Christoph Doswald: Wenn man sich Tschopps ganzes Werk vor Augen führt, wird klar, wo er sich politisch verortet. Eine Arbeit wie Renaissance-Résistance ist ganz offensichtlich ein Aufruf zum Widerstand. Es gibt auch andere, subtilere Werke, so etwa die Mag­

netarbeit, die kaum sichtbar ist, obwohl sie auch gesellschafts­ und institutionskritische Aspekte aufweist.

Das Labitzke­Areal in Zürich Altstetten wurde im September 2011 besetzt. Das Gelände der ehemaligen Farbenfabrik, das die Be setzer*in­

nen in Autonomer Beauty Salon umtauften, war eine der letzten grossen Besetzungen Zürichs und einer der wenigen nicht­kommerziellen Kulturorte in der Stadt. Über längere Zeit wur­

den zwischen der Stadtverwaltung, der

Eigentümerin Mobimo AG und den Be setzer* in­

nen Verhandlungen geführt. Nach dem Ablauf der festgelegten Räumungsfrist im Juli 2014 kündigten die Besetzer*innen an, das Gelände nicht widerstandslos aufzuge ben. Bei der gewaltsamen Räumung des Areals durch die Polizei am 7. 8. 2014 kam es zu Aus schrei­

tungen und Verhaftungen.

135 Navid Tschopp

Tschopps Interventionen im öffentlichen Raum operie-ren bewusst in Gegensätzen und reagieoperie-ren damit auf die Tendenz der Regulierung im öffentlichen Leben. »Wir sind keine trivialen Maschinen, wir brauchen Freiheit«, meint er, und diese beginnt im Kopf. Mit seinen Inter-ventionen möchte er gegen die Selbstzensur in unseren Köpfen reagieren und Handlungs- und Denkmöglichkei-ten aufzeigen, deren wir uns schon nicht mehr bewusst sind. Mittels witzigen Eingriffen im öffentlichen Raum hinterfragt Tschopp Konventionen und Normen und führt diese in den gesellschaftlichen Diskurs. (Valerie Thurner: »Der letzte Mohikaner. Wie Zürich doch noch zu einem »Nagelhaus« gekommen ist«, in: westnetz.ch, 27. 9. 2012)

Navid Tschopp: Bei all meinen Interventionen im öffentli­

chen Raum hat mich die Frage der Legalität beschäftigt. Zwangsläu­

fig. Bei der Magnetarbeit stand sie im Zentrum. Diese Intervention an der Metallwand der Kehrichtverbrennungsanlage entstand u. a.

durch meine Auseinandersetzung mit Graffiti. In der Graffiti szene ist man immer versucht, die Schriftzüge für andere unerreichbar zu platzieren. So kam ich auf die Idee, Magnete durch das Werfen möglichst hoch an der Metallwand anzubringen. Damit beging ich zwar keine Sachbeschädigung. Aber so hoch angebracht konnten sie auch nicht so leicht entfernt werden. Mit dieser Arbeit bewegte ich mich in einer rechtlichen Grauzone. Später habe ich sie durch eine offizielle Schenkung an die Stadt legalisiert.

Navid Tschopp: Gewisse Überlegungen innerhalb meiner künstlerischen Arbeit haben mich darauf gebracht, mein Arbeitsfeld in den öffentlichen Raum auszuweiten. Die politische Dimen sion hat sich von allein ergeben. Es ist mir aber zunehmend wichtig, eine klarere politische Haltung zu entwickeln, damit auch meine Kritik präziser werden kann. Die Résistance­Arbeit beispielsweise hat nicht direkt mit meiner eigenen Haltung zu tun. Sie zeigt viel­

mehr ein reales städtepolitisches Problem und greift bestimmte Meinungen auf.

Rémi Jaccard: Selbstermächtigungsprozesse im öffentlichen Raum gehen immer mit einer Kritik einher: Man nimmt Dinge nicht einfach so hin, wie sie sind, man zeigt auf, wie sie anders sein könnten, und versucht damit, gesellschaftliche Transformati­

onen anzustossen. Das ist Navids Ansatz.

136 Navid Tschopp

Christoph Doswald: Wenn ich jemandem Kunst in Zü­

rich­West zeigte, ging ich auch bei Tschopps Arbeit vorbei. Die Leute interessierte es nicht, ob das Werk von der Stadt beauftragt oder privat initiiert wurde oder gar eine illegale Aktion war. Entweder fanden sie die Arbeit spannend oder nicht. In der AG KiöR haben wir die Intervention natürlich diskutiert – aber nicht aus juristi­

scher Perspektive. Obwohl im urbanen öffentlichen Raum gewisse Regeln eingehalten werden müssen, bestehen auch Lücken. Juris­

tisch gesehen wäre die Résistance­Intervention von Navid Tschopp durchaus mit Graffiti und ähnlichen Sachbeschädigungen ver­

gleichbar: Über Nacht und ohne Bewilligung wird an einem Gebäu­

de der Stadt ein Kunstwerk installiert. Da aber keine Straf anzeige einging, gab es auch keinen Grund, das Werk zu kriminalisieren.

Und wir von der AG KiöR fanden die Arbeit – aus künstlerischer Sicht – sehr gut.

Alexandra Blättler: Die Magnetarbeit überliess Navid be­

wusst der Öffentlichkeit zur Weiterführung, und sie veränderte sich laufend. Die Schenkungsurkunde an die Stadtverwaltung hat der Arbeit quasi aus der Illegalität verholfen. Das ist ein sehr span­

nender Aspekt an Navids künstlerischem Tun: dass er Dinge laufend und mit viel Humor in die Legalität überführt.

Mantal Chouffe: Die Grenze zwischen Lega-lität und KriminaLega-lität ist ja nicht fix. Sie resultiert aus dem Versuch, eine bestimmte Ordnung in der Gesellschaft zu etablieren, und ist in diesem Sinne ein Produkt hetero­

gener und widersprüchlicher diskursiver