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4 Spezifika einer multikulturellen Berufsorientierung für Migrant Innen

4.2.3 Tipps für die Umsetzung

Multikulturelle bzw. diverse Kompetenzentwicklung erfolgt auf organisationaler und personeller Ebene und schafft durch das Implementieren von systematischen Maßnahmen die nötigen Rahmenbedingungen für den Prozess der Kompetenzentwicklung bei den Teilnehmer Innen (TN) und den Trainer Innen (TR). Im Folgenden werden Vorschläge aufgelistet, die einen Eindruck darüber geben sollen, woran sich TR orientieren können, wenn sie den Anspruch haben, diversity-kompetent zu handeln:

Die Rahmenbedingungen, die innerhalb der Bildungsinstitution zur Verfügung stehen, beeinflussen die Mög-lichkeiten zur Verwirklichung von diversity-sensibler Didaktik. Zunächst ist zu beachten, dass die Struktur, im Rahmen dessen der BO-Kurs durchgeführt wird, eine flache Hierarchie aufweist, da dies eine partizipationso-rientierte Struktur im Arbeitsprozess ermöglicht, sodass die unterschiedlichen Fähigkeiten und Leistungspo-tenziale möglichst vieler Personen miteinbezogen werden können.

62 Vgl. Roswitha Tschenett 2008, Seite 107.

Praxishandbuch:

Methoden in der Berufs- und Arbeitsmarktorientierung im multikulturellen Kontext Spezifika einer multikulturellen Berufsorientierung für Migrant Innen

Darüber hinaus sollte in der zeitlichen und örtlichen Planung von Berufsorientierungsangeboten die Lebens-situation der TN sowie die damit verbundenen strukturellen Bedingungen (z. B. Sabbat, Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen, religiöse Feiertage, kulturspezifische Riten, Stellung der Frau in unterschied-lichen Kulturen, eingeschränkte Mobilität in ländunterschied-lichen Regionen etc.) berücksichtigt werden. Merkmal für ein diversity-sensibles Berufsorientierungstrainings ist die Existenz von Modellen, die ein breites Spektrum an Lebensmodellen ihrer TN berücksichtigen.

Martin Kilgus vom Stuttgarter International Education Information Exchange (IEIE) empfiehlt, im BO-Kurs Vorbilder von (beruflich) erfolgreichen Migrant Innen einzuladen.63 Eine solche Einladung könnte zum Beispiel im Rahmen einer Informationsveranstaltung erfolgen. Außerdem ist empfehlenswert, in den Trainingsmaßnah-men Migrant Innen als Ko-Referentinnen einzuladen etc.

„Von den gesellschaftlichen Idealen der neuen Kultur können sie [Anm.: Migrant Innen] oft nicht Gebrauch machen, ohne in Widerspruch zu den Werten der Eltern zu geraten, müssen also in einer Welt nach Orientierung suchen, die aus der traditionellen Sicht der Eltern eine fremde oder sogar

feindliche Welt darstellt.“64

Teamarbeit ist der Grundpfeiler für die Entwicklung von „diverser Handlungskompetenz“. Hier muss zunächst ein Konzept einer „diversen“ Zusammensetzung von Arbeitsgruppen definiert und festgelegt werden und darauf aufbauend breitflächig heterogene Teamarbeit als Innovationspotenzial eingeführt werden. „Diverse“ Teamar-beit gilt im Diversity-Management als Quelle von Innovation, Kreativität und „diverser Handlungskompetenz.“

Um dieses den Teams inhärente Potenzial ausschöpfen zu können, sollten die TR Kursteilnehmer Innen mit un-terschiedlicher „diverser“ Identität in Arbeitsgruppen zusammenbringen.65

Diversity-kompetente TR sollten darauf achten, dass die ausgewählten Inhalte und Materialien keine kulturste-reotypen Darstellungen und Botschaften beinhalten bzw. können eventuell vorhandene klischeehafte Darstel-lungen zur kritischen Reflexion mit den TN genutzt werden.66 Außerdem sollten Inhalte und Themen so aus-gewählt werden, dass alle TN für sich Bezugs- und Anknüpfungspunkte (Lebensweltbezug) sowie erweiterte Identifikationsmöglichkeiten finden können. Des Weiteren sollte in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Rollenbildern und Diskriminierungsstrukturen geboten werden.67

Eine besondere Funktionalität kommt schließlich der Entwicklung einer gemeinsamen multikulturellen Iden-tität zu, die stark auf der Wertschätzung der Vielfalt gründet.68 Die TN sollen sich der Fruchtbarkeit und der Kreativität eines multikulturellen Potenzials gewahr werden.

Diversity-kompetente Methoden können je nach methodischen und inhaltlichen Präferenzen in der Einzelbera-tung und in Gruppensettings angewandt werden. In der Praxis müssen die Methoden immer auf ihre Eignung und Machbarkeit im spezifischen Umfeld überprüft, der jeweiligen Zielgruppe angepasst und dürfen nicht unreflektiert übernommen werden. Die Interessen, Haltungen und kulturellen Hintergründe der Teilnehmen-den sowie der Trainer Innen spielen dabei ebenso eine Rolle wie örtliche, zeitliche und soziale Rahmenbedin-gungen.

Damit ein/e TR für jedes Berufsorientierungstraining individuell festlegen kann, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, ist es empfehlenswert in einem ersten Schritt, eine „Diversity-Ist-Analyse“ durchzuführen. Es soll vorab geklärt werden, welche unterschiedlichen „Kulturen“ im Kurs vorzufinden sind.

63 Vgl. Der Standard (4.7.2008): Qualifizierte Jobs für junge Migranten. Online im Internet: derstandard.at/?url=/?id=2913108 [Stand: 17.12.2008].

64 Mahrokh Charlier 2008. Online im Internet: www.psychoanalyse-aktuell.de/politik/integration.html [Stand: 17.12.2008].

65 Vgl. Hans-Jürgen Aretz / Katrin Hansen 2002, Seite 47.

66 Vgl. Roswitha Tschenett 2008, Seite 108.

67 Vgl. Roswitha Tschenett 2008, Seite 108.

68 Vgl. Hans-Jürgen Aretz / Katrin Hansen 2002, Seite 52.

Die wesentlichen Punkte dieser Analyse sind:

• Welche verschiedenen „Kulturen“ und „Nationalitäten“ sind im Kurs präsent?

• Welche Ungleichheiten und Gemeinsamkeiten bestehen zwischen den „Kulturen“?

• Beeinflussen diese Ungleichheiten und Gemeinsamkeiten das Training?

• Was muss getan werden, um ein „gutes Miteinander“ zu fördern?

• Welche Konflikte könnten auftreten und wie soll damit umgegangen werden?

• Welche rechtlichen und gesellschaftlichen Probleme sind im Raum präsent?

• Existiert ein unterschiedlicher Zugang bzw. eine unterschiedliche Einstellung zu den Themen Arbeit, Fami-lie und Bildung?

• Haben alle „Kulturen“ gleichermaßen das Gefühl, dass ihr Potenzial voll gefordert und gefördert wird?

• Sind Teams mit einer höheren Heterogenität produktiver als kulturell-homogene Teams / Arbeitsgruppen oder umgekehrt?

• Haben bestimmte Migrant Innengruppen bessere Chancen auf Integration in den österreichischen Arbeits-markt?

• Etc.

Nach der Bestandsaufnahme im Rahmen der „Diversity-Ist-Analyse“ wird von den TR ein BO-Konzept bzw.

eine Zielformulierung für den Kurs gestaltet. Vereinbarungen bzw. Konzepte dieser Art bezeugen das Interesse der TR an ihren „diversen“ TN und das Engagement, TN ein passendes Trainingsklima zur Verfügung zu stel-len. Das kommt bei den TN gut an.

Sprache

Wichtig ist der diversity-kompetente Sprachgebrauch, denn „Sprache bestimmt und strukturiert unser Denken mit, sie prägt und vermittelt kulturelle Weltbilder“.69 Folgender Sprachgebrauch ist für eine diversity-kompe-tente Didaktik in der Berufsorientierung vorzuschlagen:

• Eine Besonderheit in der Arbeit mit Migrant Innen ergibt sich durch die im Kurs wirksamen Sprachbarrie-ren, die eine exakte Formulierung von Zielen und Lernplänen oft nur begrenzt ermöglichen. Verwenden Sie daher eine dem Sprachniveau adäquate Beschreibung und Erläuterung der Ziele.

• Achten Sie im BO-Kurs mit Migrant Innen darauf, dass eine „berufsadäquate“ Sprache gebraucht wird, um den TN zu ermöglichen, die beruflichen Fachtermini einzuüben, die im weiteren Bewerbungsprozedere an-gewendet werden können.

• Versuchen Sie während des gesamten Kurses, möglichst klar und deutlich zu sprechen, damit Sie von allen TN gut verstanden werden.

• Schaffen Sie ein „fehlerfreundliches Ambiente“. Die TN sollten ungehindert partizipieren können, ohne von Ihnen oder anderen TN sprachlich ausgebessert zu werden.

• Schließen Sie bei der Verwendung von Berufsbezeichnungen nicht automatisch eine Kultur / Nationalität aus.

• Vermeiden Sie Stereotypen.

• Eine diversity-sensible Sprache muss alle präsenten Kulturen sichtbar und hörbar machen.

• Behandeln Sie und respektieren Sie alle Kulturen gleich.

• Eine geschlechtergerechte Berufsorientierung muss Begriffe und Stereotypen, die sich in der Sprache nie-derschlagen, kritisch hinterfragen. Fordern Sie daher Teilnehmende auf, hinter die Fassaden von Begriffen, Klischees und Stereotypen zu sehen.

69 Anna Stiftinger 2005, Seite 43; Gesine Spieß 2006.

Praxishandbuch:

Methoden in der Berufs- und Arbeitsmarktorientierung im multikulturellen Kontext