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2 Literaturübersicht

2.1 Bewertung der Tiergerechtheit in der Milchviehhaltung

2.1.3 Tierbezogene Beurteilungskonzepte

Nach KNIERIM (2002) basiert eine valide Bewertung der Tiergerechtheit auf Indikatoren, die das Ergehen der Tiere in ihrer Haltungsumgebung erfassen. Im Folgenden werden einige tierbezogene Bewertungsmethoden vorgestellt.

Das Bedarfsdeckungs- und Schadensvermeidungskonzept (TSCHANZ 1981) liefert Ansatz-punkte zur Bewertung der Tiergerechtheit:

um Selbstaufbau und Selbsterhaltung, und damit die Ausbildung und Erhaltung art- und rassetypischer Merkmale, zu verwirklichen, besteht für die Tiere ein Bedarf an Stoffen und Reizen. Durch die Bedarfsdeckung werden dem Tier, bei Vorhandensein entsprechender Stoffe und Reize, Selbstaufbau und –erhaltung ermöglicht. Darüber hinaus funktionieren Selbstaufbau und –erhaltung nur bei gleichzeitiger Schadensvermeidung.

Bedarfsdeckung und Schadensvermeidung sind nach TSCHANZ (1981) die grundsätzlichen Funktionen des Verhaltens und ermöglichen dem Tier im Normalfall, sich erfolgreich mit der Umwelt und sich selbst auseinander zusetzen. Bei einer Abweichung vom Normalverhalten sind Bedarfsdeckung und Schadensvermeidung nur bedingt oder gar nicht möglich (TROXLER 1998).

Eine tiergerechte Haltung liegt nach TSCHANZ (1981) dann vor, wenn Bedarfsdeckung und Schadensvermeidung möglich sind, und das Tier sich seinem Typus gemäß entfalten und erhalten kann. Die Beurteilung ethologischer Parameter nach dem Konzept von Tschanz erfordert jedoch die Festlegung einer Verhaltensnorm (KNIERIM 1998) und setzt eine spezielle Schulung von Fachleuten sowie einen erheblichen Zeitaufwand voraus, so dass sich die Anwendung eher auf gutachterliche Tätigkeiten beschränkt (ANDERSSON u.

SUNDRUM 1998). Für eine vollständige Bewertung der Tiergerechtheit ist überdies die Einbeziehung weiterer Indikatoren nötig.

Den Konzepten von KOHLI und KÄMMER (1984) sowie von SCHLICHTING und SMIDT (1987) liegen ebenfalls ethologische Parameter zur Bewertung von Haltungssystemen beim Milchvieh zugrunde. Dabei soll überprüft werden, ob die Tiere ihr Verhalten in ihrer Umgebung innerhalb verschiedener Funktionskreise, wie z.B. dem Sozial-, Ernährungs- oder Ausruhverhalten, ausüben können (Bewertung von „uneingeschränkt möglich“ bis „nicht möglich“). Die Konzepte dienen in erster Linie dem Vergleich verschiedener Haltungs-systeme (z.B. Anbindehaltung im Vergleich zu Laufstallhaltung).

In den Konzepten von ZEEB (1985) und BOCK (1990) werden zusätzlich zu ethologischen Aspekten die Haltungstechnik und die Fähigkeiten des Tierhalters in die Bewertung mit einbezogen und nach einem 3-Punkte-Schema eingeteilt: „gut“, „problematisch“, „nicht zumutbar“. ANDERSSON und SUNDRUM (1998) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass zum einen die Überprüfung der Qualifikation des Tierhalters methodisch problematisch und zum anderen dieses Konzept verhältnismäßig zeitaufwändig ist.

Eine weitere Methode der tierbezogenen Bewertung von Tiergerechtheit stellt die „Methode Ekesbo“ dar (EKESBO 1984). Bei dieser Methode werden im Rahmen epidemiologischer Studien auf Praxisbetrieben bei der Beurteilung von Haltungssystemen klinische Befunde am Integument erhoben. Schäden am Integument gelten dabei als Indikatoren für Einflüsse aus der Umgebung der Tiere (TROXLER 1998). Die „Methode Ekesbo“ umfasst regelmäßige klinische Untersuchungen unter besonderer Berücksichtigung von Schäden u. ä. in verschiedenen Körperregionen, einschließlich der Befunde durch Tierarzt und Tierbetreuer.

Hinzu kommen die Auswertung ethologischer und physiologischer Parameter sowie die Erfassung von Schäden am Schlachtkörper bzw. am obduzierten Tier.

Auch in einem Ansatz von SMIDT (1990) erfolgt die Bewertung der Tiergerechtheit anhand pathologischer Parameter. Zu den pathologischen Parametern zählen dabei die Tierverluste im Bestand, der allgemeine körperliche Zustand der untersuchten Tiere, Technopathien, Erkrankungen der Organsysteme, starker Parasitenbefall sowie pathologisch-klinische Laborbefunde. Die erhobenen Befunde werden mit Punkten bewertet; zusätzlich erfolgt eine Gewichtung durch Multiplikation einzelner Bereiche mit dem Faktor 2, 3 oder 5. Daraus werden die Gesamtbewertungen „ohne Bedeutung bezüglich Tierschutzrelevanz“,

„Tierschutzrelevanz gegeben“, „bedenklich“ und „Tierquälerei“ abgeleitet.

ANDERSSON und SUNDRUM (1998) weisen darauf hin, dass die haltungsbedingten pathologischen Parameter zwar in enger Beziehung zur Tiergerechtheit stehen, eine Differenzierung von Schäden anderer Ursache aber problematisch ist. Aufgrund der alleinigen Einbeziehung der pathologischen Indikatoren in die Untersuchung ist auch dieses Konzept für eine integrierte Beurteilung der Tiergerechtheit wenig geeignet.

Ein jüngerer Ansatz zur Bewertung der Tiergerechtheit auf Betriebsebene von CAPDEVILLE und VEISSIER (2001) beruht überwiegend auf tierbezogenen Indikatoren. Dieses Konzept beinhaltet, auf Grundlage der „five freedoms“ (FARM ANIMAL WELFARE COUNCIL 1992), 44 tierbezogene Parameter (z.B. Bewegung, Verletzungen, Sozialverhalten) sowie fünf haltungsbezogene Parameter, denen wiederum jeweils zwei bis fünf Erscheinungsformen zugeordnet wurden. Die Bewertung der Erscheinungsformen dieser insgesamt 49 Parameter erfolgt auf einer Skala von A bis D (A: ausgezeichnet, B: korrekt, C: unzureichend, D:

inakzeptabel), entsprechend einem sehr hohen, hohen, niedrigen bzw. sehr niedrigen Status bezüglich Tiergerechtheit. Die einzelnen Bewertungsstufen werden nach ihrer Zugehörigkeit zu den 49 Parametern und dann weiter nach Zugehörigkeit zu den „five freedoms“ zu Gesamtscores zusammengefasst. Diese Methode soll beispielweise im Rahmen einer Feldstudie zur Aufdeckung von Beziehungen zwischen Faktoren der Umgebung und dem Wohlbefinden oder auch bei der Zertifizierung von Milchviehbetrieben angewendet werden.

Die oben aufgeführten Methoden befassen sich mit der Bewertung der Tiergerechtheit von Haltungssystemen bzw. Praxisbetrieben; auf freiwilliger Basis erfolgt auch eine Beurteilung von Stalleinrichtungen bezüglich Wohlbefinden und Tiergerechtheit durch die Deutsche Landwirtschaftgesellschaft (DLG) anhand tierbezogener Indikatoren. Ein von der DLG gegründeter Fachausschuss „Tiergerechtheit“ liefert dabei die wissenschaftliche Basis für die Bewertung von Wohlbefinden und Tiergerechtheit.

Während in einigen Ländern (z.B. in der Schweiz) die Bewertung neuer Stalleinrichtungen bzw. kompletter Haltungssysteme (z.B. für Legehennen) obligatorisch erfolgt, gibt der §13a des deutschen Tierschutzgesetzes die Möglichkeit vor, Anforderungen an einen freiwilligen Test wie die DLG-Zertifizierung festzulegen. KNIERIM et al. (2003) sehen in einem standardisierten, folglich reproduzierbaren und auf Fachwissen gestützten Testverfahren wie der DLG-Prüfung die Möglichkeit, die Einrichtung von Haltungssystemen im Hinblick auf die Tiergerechtheit zu verbessern.