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5.1 Methodische Untersuchungen

5.1.1 Schema zur Lahmheits-/Gangbeurteilung

Lahmheit verursacht Schmerzen und Unbehagen für die Kühe und wird deshalb als ernstes Problem für das Wohlbefinden beim Milchvieh angesehen. Als tierbezogener Parameter wurde Lahmheit wiederholt als essenzieller Bestandteil von Konzepten zur Beurteilung der Tiergerechtheit in der Praxis aufgeführt (RUSHEN 2003, WHAY et al. 2003 a). Ein Schwerpunkt dieser Arbeit lag daher auf der Evaluierung eines einfachen, im Rahmen der Bewertung von Tiergerechtheit auf Praxisbetrieben einsetzbaren Gangbeurteilungssystems im Hinblick auf Reliabilität und Wiederholbarkeit zwischen Beobachtern.

Dazu wurden zunächst die Gangnoten der untersuchten Tiere mit den Befunden an den Klauen, die während der Klauenpflege detailliert registriert wurden, in Beziehung gesetzt. Die Untersuchung von Klauen liefert zwar detaillierte pathologische Befunde, ist aber für die Einschätzung der Lahmheitssituation auf Betriebsebene zu aufwändig (WINCKLER et al.

2003).

Die Berechnung der Gesamtindizes für die Klauenläsionen basierte auf einer geometrischen Anpassung, relativ zur eingeschätzten Schwere der beobachteten Läsionen. Dieser Ansatz versucht, den vermutlich nicht linearen Beziehungen zwischen Art der Veränderung und der damit verbundenen Beeinträchtigung Rechnung zu tragen, und wurde bereits in anderen Studien verwendet (LEONARD et al. 1996, OFFER et al. 1997). Nichtsdestotrotz bleibt die

„wahre“ relative Bedeutung von verschiedenen Läsionstypen nur schwer zu bestimmen.

In der vorliegenden Untersuchung bestanden signifikante Korrelationen zwischen den Gangnoten und dem Klauenläsionsindex, der auf Sohlen- und Ballenläsionen basierte. Die Einbeziehung der Vordergliedmaßen gegenüber der alleinigen Berücksichtigung der Hinter-gliedmaßen, verstärkte die Korrelationen nur unwesentlich (rs = 0,40 vs. rs =0,39). Dieses Ergebnis stimmt mit klinischen Beobachtungen überein, dass die meisten Klauenläsionen an den Hinterfüßen lokalisiert sind (PHILIPOT et al. 1994).

Die Korrelationen stiegen jedoch an, wenn die Befunde für Digitale Dermatitis sowohl für die Hintergliedmaßen alleine als auch für die Vorder- und Hintergliedmaßen einbezogen wurden (rs = 0,50 bzw. rs = 0,47). Dies unterstreicht die Tatsache, dass die Digitale Dermatitis sowohl an den Vorder- als auch an den Hinterfüßen eine Rolle im Lahmheitsgeschehen spielt und deshalb von Bedeutung für das Wohlbefinden von Milchkühen ist.

Die in dieser Untersuchung ermittelten Korrelationen zwischen Gangnote und Klauenläsionen decken sich in der Größenordnung mit anderen Untersuchungen, wie beispielsweise von WHAY et al. (1997) (rs = 0,48) und O´CALLAGHAN et al. (2002) (rs = 0,52; jeweils Hintergliedmaßen). Auch bei LOGUE et al. (1994) erwies sich in einem varianzanalytischen Modell die Gangnote als hoch signifikante Kovariable auf einen Klauenläsionsindex.

Eine große Bandbreite verschiedener Klauenläsionen und Gliedmaßenerkrankungen ist ursächlich am Entstehen von Lahmheiten beteiligt (MURRAY et al. 1996). Diese Variation liefert eine Erklärung für die eher schwachen Korrelationen. Weiterhin muss die Sichtbarkeit von Läsionen am Boniturtermin nicht immer mit Lahmheit einhergehen. So gelten z.B.

gelbliche Verfärbungen und leichte Hämorrhagien im Sohlenhorn als Zeichen einer subklinischen Klauenrehe ohne klinische Symptome (GREENOUGH u. VERMUNT 1991).

Hämorraghien als Folge einer möglicherweise schmerzhaften und von klinischer Lahmheit begleiteten Entzündung der Lederhaut werden zudem erst etwa zwei Monate nach Beginn der Entzündung in der Klauensohle sichtbar (BERGSTEN u. FRANK 1996). Dies könnte auch erklären, dass lahme Kühe nicht immer auch schwerwiegende Klauenläsionen aufwiesen.

Zusätzlich ist, wie bereits erwähnt, zu beachten, dass Lahmheiten auch durch Krankheiten verursacht werden können, die ihren Sitz nicht in den Klauen sondern beispielsweise in den Knochen oder Gelenken haben.

Auf der anderen Seite wurden jedoch alle Kühe mit einem hohen Klauenläsionsindex als klinisch lahm eingestuft.

Der Gebrauchswert von Gangnoten liegt daher zunächst vor allem in der Funktion als Indikator von Schmerzreaktionen. Die Gangbeurteilung kann nicht als diagnostisches Mittel eingesetzt werden, um die Art der vorliegenden Läsion oder Krankheit zu identifizieren. Da Läsionen, die klinische Lahmheit hervorrufen, zu zusätzlicher Hyperalgesie führen (WHAY et al. 1998), liegt aber ein weiterer Zusammenhang mit der Bewertung des Wohlbefindens vor.

Über die Unterscheidung zwischen klinisch weitgehend unauffälligen und lahmen Tieren hinaus, sind für eine Beurteilung der Tiergerechtheit auch noch weitere Aspekte wichtig.

Gangveränderungen, die durch ein mehrstufiges System erfasst werden, gehen vermutlich mit Veränderungen im Verhalten einher, die per se mit einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens verbunden sein können. Im Gang beeinträchtigte Tiere sind vermutlich den Heraus-forderungen ihrer Haltungsumgebung weniger gewachsen als gesunde Herdengenossinnen; so kann eingeschränkte Beweglichkeit z.B. die Zugänglichkeit zu Ressourcen erschweren (GALINDO u. BROOM 2002).

Eine deutliche Variation an Korrelationskoeffizienten ergab die Auswertung der Daten auf der Basis der einzelnen Betriebe (rs = -0,24 bis 0,77). Demnach standen in einigen Betrieben die aktuellen Klauenläsionen in engem Zusammenhang zum Lahmheitsbild, in anderen Betrieben waren dagegen offensichtlich andere Ursachen für den veränderten Gang verantwortlich.

Lagen der Korrelationsanalyse auf der anderen Seite die durchschnittlichen Betriebswerte für die Prävalenz der Lahmheit und die Läsionen zugrunde, zeigten sich deutlichere Korrelationen (rs = 0,75 bis rs = 0,78) als bei der Auswertung auf der Basis individueller Kühe. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Berechnung von Mittelwerten aus Ordinaldaten statistisch gesehen fragwürdig ist.

Die Wiederholbarkeit zwischen verschiedenen Beobachtern wurde mit dem Ziel untersucht, subjektive Einflüsse bei der Bewertung von Lahmheit festzustellen. Die Bewertungen individueller Kühe, die von drei Untersuchenden durchgeführt wurden, unterschieden sich zwar bei fast einem Drittel der Kühe leicht, der Großteil der Abweichungen trat jedoch bei den Gangnoten 1 und 2 auf. Daher bedeuteten diese Abweichungen kein großes Risiko, klinisch lahme Fälle falsch zu beurteilen.

Eingeschränkte Übereinstimmung zwischen verschiedenen Beobachtern besonders im subklinischen Bereich (z.B. „unebener Gang“) wurden auch von BAADSGAARD und ENEVOLDSEN (1997) sowie von ENGEL et al. (2003) berichtet.

Auf Betriebsebene lagen nur marginale Unterschiede in den Ergebnissen der verschiedenen Untersuchenden vor. Hinzu kommt, dass klinisch lahme Tiere fast immer von allen Untersuchenden identifiziert wurden. Die Probleme bei der Differenzierung normaler und subklinisch lahmer Kühe demonstrieren jedoch die Grenzen der subjektiven Bewertung (WHAY et al. 1998). Bei der Anwendung eines Gangbeurteilungssystems mit mehr als fünf Klassen, wie z.B. dem Gangbeurteilungssystem von MANSON und LEAVER (1988 a), wäre die Wiederholbarkeit wahrscheinlich gesunken, da die Einführung einer größeren Anzahl von Klassen die Wahrscheinlichkeit von Uneinigkeit zwischen den Untersuchenden erhöht hätte.

Um ein möglichst unverfälschtes Bild von der Lokomotion der Kühe während der Anwendung auf Betrieben zu erhalten, wird empfohlen, die Gangbeurteilung direkt nach dem Aufstehen der Kühe zu vermeiden. Eine repräsentative Studie einer großen Gruppe sollte jedoch sicherlich Kühe einschließen, die den Großteil der Beobachtungszeit liegend verbringen, da lahme Kühe ausgedehnte Liegezeiten zeigen (SINGH et al. 1993 a).

Darüber hinaus ist es von Bedeutung, die Gangbeurteilung auf Haltungssysteme mit einer harten Bodenoberfläche in den Gängen oder Ausläufen zu beschränken. Auf weichen Böden (z.B. tief eingestreute Flächen, Weiden) ist die Evaluation der Lokomotion schwieriger, und Schmerzreaktionen werden nicht immer zum Ausdruck gebracht. Bei der Anwendung des Gangbeurteilungssystems in Tiefstreuställen können die Tiere daher nur während der Bewegung auf den befestigten Laufgängen sinnvoll beurteilt werden.

Alles in allem handelt es sich, unter Berücksichtigung der oben erwähnten Einschränkungen, bei dem hier verwendeten Gangbeurteilungssystem um eine praxisanwendbare Methode zur Bewertung von Lahmheit, die in ein Protokoll zur Beurteilung des Wohlbefindens von Milchkühen während eines Betriebsbesuches eingefügt werden könnte. Das Gang-beurteilungssystem verfügt insgesamt über eine gute Wiederholbarkeit zwischen ver-schiedenen Untersuchenden.

Gespräche im Rahmen der Betriebsbesuche zeigten, dass zwischen der Beurteilung der Tiere durch den Landwirt selbst und der tatsächlichen Gangnote Unterschiede lagen. Diese Beobachtung machten auch WHAY et al. (2003 b); demnach identifizierten die Landwirte weniger als 25 % der lahmen Tiere in einer Herde.

Eine Einführung der Landwirte in die Beurteilung der Lokomotion ihrer Tiere anhand eines Gangbeurteilungssystems wie es hier vorgestellt wurde, wäre somit sinnvoll, damit klinisch lahme Tiere in der Herde rechtzeitig erkannt werden. Das frühe Erkennen von Lahmheit ist nach VERMUNT (2004) essenziell, um die Schwere von Lahmheit zu minimieren. Nach seinen Angaben verlieren lahme Kühe, die sofort behandelt werden, weniger als 1 % ihres Laktationspotentials im Gegensatz zu den Kühen, deren Lahmheitszustand zwei bis drei Tage vernachlässigt wird (bis zu 20 % Verlust des Laktationspotentials).

5.1.2 Validierung der automatischen Erfassung des Liegeverhaltens

Das Liegeverhalten wird als ein wichtiger ethologischer Indikator für das Wohlbefinden von Milchkühen erachtet (KROHN u. MUNKSGAARD 1993, HÖRNING 2003). Die hier vor-gestellte Methode ermöglicht es, unter Verwendung von Lagesensoren Daten zum Liege-verhalten auf Praxisbetrieben zu gewinnen und die zeitaufwändige Beobachtung des Verhaltens der Kühe per Automatisierung praktikabel zu gestalten.

Die Validierung dieser Lagesensoren erfolgte durch den Abgleich mit Videoaufzeichnungen.

Bei Anwendung im Boxenlaufstall wiesen die an den Hintergliedmaßen befestigten Datenlogger unabhängig von den gewählten Messintervallen (11, 30 und 120 s) kaum Abweichungen (Dauer der Liegezeit: 0,08 % - 0,4 %; Anzahl der Liegeperioden: 0,25 - 1,25) von den Videoaufzeichnungen auf. Die Anwendung eines Makros zur Korrektur fehlerhafter Daten erhöhte dabei die Übereinstimmungen bezüglich Dauer der Liegezeit auf 99,9 %. Im Hinblick auf die Erfassung der Anzahl an Liegeperioden wurde durch die Datenkorrektur bei einem 11-Sekunden-Intervall eine exakte Übereinstimmung mit den Videodaten erzielt.

Auch HAUSER et al. (1999) gaben für einen in einem Brustgurt untergebrachten druck-ventilgesteuerten Liegesensor geringe Abweichungen gegenüber Videobeobachtungen von etwa 20 s pro Wechsel von „Liegen“ zu „Stehen“ und umgekehrt an. HOPSTER et al. (2000) erreichten dagegen mit einem lichtschrankengesteuerten Erfassungssystem nur eine Übereinstimmung von 93,7 % mit Videoaufzeichnungen.

Der Vergleich der Anbringung an Hinter- bzw. Vordergliedmaße sowie zwischen rechter und linker Hintergliedmaße erbrachte in beiden Fällen im Hinblick auf die Gesamtliegezeit nur geringe Abweichungen (< 1 %).

Insbesondere bei Anbringung an den Vordergliedmaßen zeigten allerdings einzelne Tiere recht große Abweichungen bezüglich Anzahl der Liegeperioden. Die Anbringung der Lage-sensoren an den Hintergliedmaßen ist also aufgrund der größeren Verlässlichkeit der erhaltenen Daten zu empfehlen.

Bei Verwendung der Neigungsschalter im Tretmiststall ergab sich analog zu den Ergebnissen aus dem Boxenlaufstall hinsichtlich der Gesamtliegedauer ebenfalls eine sehr hohe Über-einstimmung von 99,9 % zwischen Loggerdaten und Videoauswertung. Das Gefälle der Liegefläche schien demnach keine Auswirkung auf die Funktionsweise des Loggers zu haben.

In nur einem Fall verzeichnete der Datenlogger eine von den Videoaufzeichnungen abweichende Anzahl an Liegeperioden.

Der hier verwendete Lagesensor erwies sich bei Anbringung an der rechten Hintergliedmaße als zuverlässiges Instrument zur Erhebung von Liegedaten. Die Anwendung eines Makros bei der Datenauswertung verringert die Fehlerquote der erhobenen Daten. Der Einsatz dieser Methode ist auf Praxisbetrieben, und zwar sowohl in Boxenlaufställen als auch in Tiefstreusystemen wie Tretmistställen möglich, und wird durch die Kooperation der Landwirte, z.B. durch das frühzeitige Fixieren der Tiere im Fressgitter, wesentlich erleichtert.

Mithilfe von selbsthaftenden elastischen Binden konnten die Sensoren sicher und für das Tier schonend an den Gliedmaßen angebracht werden. Bei hohen Außentemperaturen ist allerdings zu beachten, dass die Tasche mit dem Sensor aufgrund einer vermehrten Schweißbildung auf der Haut der Tiere scheuern kann.