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2 Schrifttum

2.2 Tätigkeit im Bereich „Praxis“

2.2.3 Tätigkeitsschwerpunkte im Bereich „Praxis“

2.2.3.3 Tierärztliche Tätigkeit in der Nutztierpraxis

Laut STATISTISCHEM BUNDESAMT (2006b, 271) nahm die Rinderhaltung in Deutschland von 1999 bis Mai 2005 von etwa 14,9 Mio. Rindern auf 13,0 Mio. Rinder ab, wobei der Trend dabei vom Kleinbetrieb (bis 100 Tiere) zu größeren Tierhal-tungen geht. Im Gegensatz dazu ist die Schweinehaltung in den letzten Jahren recht konstant geblieben (1999: 26,1 Mio.; 2001: 25,8 Mio.; 2003: 26,3 Mio., 2005:

26,9 Mio.), aber auch hier nehmen große Betriebe mit mehr als 1000 gehaltenen Schweinen kontinuierlich zu (ebd., 272). Die Geflügelhaltung ist in den letzten Jahren geringgradig zurückgegangen [Mai 2005: 107,3 Mio. Hühner (- 2,3 % zu 2003) sowie

13,3 Mio. anderes Geflügel (- 2,4 % zu 2003)] (STATISTISCHES BUNDESAMT 2006a).

Die Zahl niedergelassener Großtierärzte und -ärztinnen ist in den letzten Jahren relativ konstant (Abb. 3), im Gegensatz zur steigenden Anzahl an Praktiker/innen, die nur oder auch Kleintiere behandeln. Schon HAGENLOCHER (1987, 3) und GER-WECK (1991, 88) prognostizierten einen Negativtrend für die Großtierpraxis, bedingt durch den Strukturwandel und Rückgang der Landwirtschaft.

Doch trotz dieser stagnierenden Zahlen wird in den veterinärmedizinischen Fachmedien ein Nachwuchsmangel in der Nutztierpraxis beklagt (PSCHORN u.

RÖSENER 1994, 914; VON VEH und KOTHE 1998, 18; LOHMANN-MÜLLER 2002, 14; NEUBRAND 2002, 6; WOLF 2002, 90-91; MROZEK 2005a, 1122). Dieser Nachwuchsmangel ist jedoch kein neues Phänomen, schon 1979 bemerkten HAGENLOCHER (1979, 1041) und WEHNER (1979, 859) einen Mangel in der Landpraxis zugunsten eines Trends zur Kleintier- und Pferdepraxis. Laut HOFMANN und GREIF (2005, 2) ist die Nachwuchssituation heutzutage jedoch ungleich positiver als häufig angenommen. Viele engagierte und motivierte Studierende und Kolleg(inn)en würden wieder verstärkt Interesse für die Nutztierpraxis zeigen.

Der Imageverlust, dem die Nutztierpraxis derzeit unterliegt, hat verschiedene Gründe. Zum einen sind es uneinheitliche Reaktionen auf gesellschaftliche Kritik, zu-nehmende Bürokratie, uneinheitliche Auffassung des Begriffes „integrierte Bestands-betreuung“ (Autobahntierarzt oder höchste Form der präventiven Tiermedizin im Nutztierbestand?), zum anderen sind es die immer noch häufig vorhandenen, vorwiegend auf Krankheitsheilung ausgerichtete Tierarztpraxen (BLAHA u. WEN-DERDEL 2004, 19).

Weitere wichtige Argumente für den Nachwuchsmangel in der Nutztierpraxis sind nachfolgend aus der Literatur zusammengetragen:

• Studienmotivation der Studienanfänger/innen durch Heim- und Begleittiere (UNSHELM 1991, 940; SCHEUNEMANN 1996, 4; WAGNER 2006, 1) oder durch idealisierte Berufsinformationen in den Medien (BLAHA u. WENDER-DEL 2004, 20)

• keine engere Bindung mehr zur Landwirtschaft (KÖRNER 1994, 571)

• schlechte Arbeitsbedingungen (körperlich schwere Arbeit, unregelmäßige Freizeit, wenig Lohn, schlechte „Lebensqualität“) (GÜNZEL-APEL et al. 1994, 1140; STROTHMANN-LÜERSSEN 1995, 507; ANDRES 1995b, 2; ANONYM 2004, 771; ANONYM 2005, 3; TÖLLE 2005, 1)

• schlechte Zukunftsaussichten (WAGNER 2007, 1)

• schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie (STROTHMANN-LÜERSSEN u. GÜNZEL-APEL 1993, 570; TÖLLE 2005, 2)

• fehlender männlicher Nachwuchs (PSCHORN u. RÖSENER 1994, 914;

BECKMANN 1994, 7)

• andere geschlechtsspezifische Vorlieben des steigenden Frauenanteils (SCHAPER 2002, 847)

• schlechte Zahlungsmoral der Klientel (ANONYM 2004, 771)

• hoher Verwaltungsaufwand in der Nutztierpraxis (ANDRES 1995b, 2;

WAGNER 2006, 2; BÜTTELMANN 2006, 161)

• Nachwuchsmangel durch falsche Auswahlverfahren der Studienanfänger (WÄSLE 2005, 3)

• schwindende Bedeutung des Einzeltieres, Sich-richten-müssen nach den Interessen der Landwirte, lange Fahrtwege, wenig Spielraum für die Therapie (TÖLLE 2005, 1)

• Imageproblem der „Massentierhaltung“ (STEIN 1996,4)

• Leben weitab der Großstadt (STEIN 1996, 4)

• mangelnde gesellschaftliche Anerkennung (BÜTTELMANN 2006, 161)

Auch die Angst, als Nutztierarzt/-ärztin in Gesetzeskonflikte zu geraten, was die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Landwirte betrifft (HUCKLEN-BROICH 2007, 63-64), könnte ein weiterer Grund dafür sein, dass sich nur wenige Assistent(inn)en für eine Karriere in der Nutztierpraxis entscheiden. Der Nachwuchs-mangel hat darüber hinaus aber auch ethische Gründe, die bisher nur selten angesprochen wurden. Nachfolgend werden sie von einer Kollegin formuliert:

„Ich bin aber überzeugt davon, dass ein Grunddilemma vieler Kollegen der eklatante Widerspruch ist zwischen dem Anspruch, Tieren helfen zu wollen und der Realität, Handlanger für Tierquälerei zu sein. (…) Und wie will ein empfind-samer Tierarzt später Erfüllung und Freude in seinem Beruf erleben, wenn Bauern mit tiergerechter Haltung in den Ruin getrieben werden; wenn er stattdessen für Schweineställe zuständig ist, in denen hunderte oder tausende von lebensfrohen Jungtieren degradiert werden zu stumpfsinnig in Enge und Dunkelheit auf reizlosem Spaltenboden dahin vegetierenden Häuflein Elend voll Schmerzen? (...) Auch das könnte ein Grund für den Nachwuchsmangel in der Nutztierpraxis sein“

(ULICH 2006, 298-299).

Das Missverhältnis zwischen vielen Stellenangeboten und wenigen -gesuchen im Nutztierbereich wird immer größer (ANONYM 1999b, 4). So zeigte auch die Unter-suchung von SCHELLENBERGER 1996, 81) eine deutlich höhere Resonanz auf Stellengesuche im Nutztierbereich gegenüber anderen Tätigkeitsbereichen.

In der Studie „VET 2020“ wurde in allen beteiligten Ländern ein stark zunehmender Bedarf an tierärztlichen Arbeitskräften im Bereich „Lebensmittelqualität und -sicher-heit“ vorausgesagt (ANONYM 2002, 65-72). Es muss daher eine Wandlung der Nutztierpraxis von der reinen Krankheitsbehandlung zum Serviceangebot für Tier-gesundheit und Lebensmittelsicherheit vollzogen werden (BLAHA u. WENDERDEL 2004, 19). Ende 2004 führten jedoch immer noch 74 % der niedergelassenen Tierärztinnen und -ärzte eine Einzelpraxis (SCHÖNE und JÖHRENS 2005, 643).

Diese Einzelkämpfer im Nutztierbereich sind aber, sofern sie keine weiteren tierärztlichen Mitarbeiter/innen haben, auf Dauer nicht in der Lage, die Erwartungen von der Gesellschaft und Wirtschaft zu erfüllen (BLAHA u. WENDERDEL 2004, 20).

Die Zukunft liegt in qualifizierten, zertifizierten (GVP, ISO 9000:2000) Mehrpersonen-praxen, die sich auch innerhalb einer Spezies auf bestimmte Wissensgebiete spezia-lisieren (loc. cit.). Den Trend zu größeren, spezialisierten Praxen bestätigt auch LOHMANN-MÜLLER (2002, 14-15). WAGNER (2006, 2) konstatiert jedoch, dass es immer noch eine große Anzahl konventionell arbeitender Rinder- und Gemischtpraxen mit „Feuerwehrtätigkeit“ gibt, die eine Spezialisierung aufgrund der Größe der tierhaltenden Betriebe in landwirtschaftlich extensiv genutzten Gebieten und der großen Entfernungen gar nicht erlauben. Auch 2007 bemerkte WAGNER (2007, 1-2), dass Bestandsbetreuung ohne Einzeltierbehandlung keine adäquate Lösung sei, die allen Tierschutzaspekten und Rechtsfragen genügt. Einzeltierbe-handlungen, auch aufwendige intensivmedizinische Therapien, seien neben der Bestandsbetreuung nicht wegzudenken, wenn ein rinderhaltender Betrieb wirtschaft-lich arbeiten soll (Dr. Doris Jahn-Falk in ANONYM 2007d, 2).

In den letzten Jahren gab es von verschiedenen Seiten Kampagnen, um die Nutztierpraxis für den Nachwuchs wieder interessanter zu machen. So gab die BUNDESTIERÄRZTEKAMMER (2005) einen Flyer mit dem Titel „Kuh sucht Arzt – Chancen in der Nutztierpraxis“ heraus und stellte eine Liste mit Praktikumsplätzen in Nutztierpraxen zusammen (MROZEK 2005a, 1122; 2005b, 1349; 2006a, 138; 2006b, 442; 2006c, 810). Die Tierklinik für Fortpflanzung der FU Berlin und die Klinik für Wiederkäuer der LMU München starteten mit Unterstützung vieler Sponsoren Anfang 2006 eine Aktion „Nachwuchs für die Nutztierpraxis“ mit dem prämierten Slogan

„Schwein gehabt… Nutztierarzt geworden!“. Dabei wurden Schnupperpakete für die Nutztierpraxis verlost sowie ein Online-Tagebuch „live aus der Praxis“ auf der Home-page (www.vets4vieh.de) veröffentlicht (ANONYM 2006a, 161; STÄHR 2006, 410).

Assistent(inn)en in der Nutztierpraxis erhalten meist höhere Gehälter als im Kleintier-bereich (WAGNER 2006, 2) bzw. faire, leistungsgerechte Bezahlung (BUNDESTIER-ÄRZTEKAMMER 2005) und auch ansonsten attraktive Konditionen wie anspruchs-volle tierärztliche Tätigkeit in kollegialer Teamarbeit mit Möglichkeiten zur