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Therapieentscheidungen bei Schwerstkranken und Sterbenden

Neben den Kontextbedingungen, Handlungslogiken und Behandlungsperspektiven im Untersuchungsfeld, die ich in Kapitel 5.1. dargestellt habe, lassen sich spezifische Einflüsse auf die Therapieentscheidungen bei schwerstkranken und sterbenden Pa-tient*innen im Krankenhaus analysieren. Einfluss haben die Behandler*innen-Pra-xis47(vgl. Kap. 5.2.1.),Änderung der Prognose und des Therapieziels im Behandlungs-verlauf(vgl. Kap. 5.2.2.), dasärztliche Konsensideal(vgl. Kap. 5.2.3.) und die Ärzt*in-Patient*in-Kommunikation(vgl. Kap. 5.2.4.) sowie spezifischePatient*innen- und An-gehörigen-Merkmale(vgl. Kap. 5.2.5.) und die PV (vgl. Kap. 5.2.6.). Im Anschluss an

46In der Chroniker-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses findet sich folgende Definition:

Eine Krankheit istschwerwiegend chronisch, wenn sie wenigstens ein Jahr lang, mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde (Dauerbehandlung).[381, S. 3]. Nach dieser Definition sind m. E. onkologische Patient*innen, Transplantationspatient*innen und Dialysepatient*innen sowie viele der multimorbiden, vor allem älteren, Patient*innen im Krankenhaus chronisch krank. Entwe-der weil siekontinuierlich eine[r] medizinische[n] Versorgungbedürfen, eine hohe Pflegebedürftig-keit des Grades 3 und mehr oder einen Behinderungsgrad über 60 % haben. Damit erfüllen sie min-destens eines der drei Merkmale für eine schwerwiegende chronische Erkrankung.

47In der Datenanalyse zeigte sich, dass es sich bei Behandlungsentscheidungen nicht nur um ein individuelles ärztliches Verhalten handelt, sondern vielmehr um einen spezifischen ärztlichen Habi-tus im Kontext der Arbeits- und Handlungsbedingungen der Institution Krankenhaus. Daher verwen-de ich, anlehnend an Bourdieus Praxistheorie, verwen-den Begrider Praxis für das dialektische Verhältnis von individuellen Begründungen und strukturellen Bedingungen [165].

die Vorstellung der vielfältigen Einflüsse auf Therapieentscheidungen stelle ich ihr komplexes Zusammenwirken dar (vgl. Kap. 5.2.7.).

5.2.1 Die Behandler*innen-Praxis

Einfluss auf die Therapieentscheidung bei schwerstkranken und sterbenden Pa-tient*innen haben spezifische Aspekte der Behandler*innen-Praxis. Darunter habe ich folgende Kategorien gefasst: die ärztliche Verantwortungsübernahmebei Thera-pieentscheidungen,diskrepante Einschätzungen im Behandlungsteamsowie dieRolle der Pflegekräfte im Entscheidungsprozess. Die IP fassen Mitarbeiter*innen verschiede-ner Berufsgruppen unter die Behandler*innen. Im Zusammenhang von Therapieent-scheidungen werden allerdings nur die beiden größten Berufsgruppen im Kranken-haus als bedeutsam benannt: Ärzt*innen und Pflege.

5.2.1.1 Ärztliche Verantwortungsübernahme

Für Therapieentscheidungen bei allen Patient*innen sehen die IP die ärztliche Ver-antwortungsübernahme als zentral an. Bei aller Einflussnahme von Patient*innen und Angehörigen bleiben medizinische Therapieentscheidungen immer ärztliche Entscheidungen (AB29/1283ff). Für das ärztliche Entscheiden erweisen sich vor dem Hintergrund der Arbeitsbedingungen im Krankenhaus und der Behandlungslogiken die hierarchische Verantwortungsübernahme bzw. ihr Ausbleiben sowie eine Per-sonengebundenheitinnerhalb der hierarchischen Verantwortungsübernahme als Ein-fluss nehmend.

In der hoch arbeitsteilig organisierten Institution Krankenhaus beschreiben die IP vor allem hierarchische Therapieentscheidungen. Alle richtungsweisenden Ent-scheidungen über eine Therapie und vor allem über eine Therapiezieländerung wer-den „oberärztlich abgesteckt“ (AB29/73–78). In Fällen der chefärztlichen Betei-ligung an der Behandlung erfolgt die Entscheidung durch die Chefärzt*in. Diese hie-rarchische Verantwortungsübernahme wird von den Stationsärzt*innen auch erwar-tet und eingefordert, da die eigenen klinischen Erfahrungen als nicht ausreichend eingeschätzt werden:„Man tut sichals Assistenzarztauchschwer, weil man nicht die klinische Erfahrung hat zu sagen, wann ist jetzt jemand palliativ?“(AB29/1128).

Alle IP beschreiben die Komplexität und Verantwortungslast dieser Aufgabe, die sie neben ihrer Unerfahrenheit auch aufgrund ihrer Position weder über- noch abneh-men könnten.

In ihren Aufgabenbereich als Stationsärzt*in falle im Anschluss an die hierar-chisch getroffene Therapieentscheidung die kleinteilige Umsetzung im routinierten Alltag, wie z. B. die Schaffung eines Einzelzimmers für eine sterbende Patient*in, Ge-spräche mit Angehörigen oder die Einleitung bzw. Beendigung spezifischer diagnos-tischer oder therapeudiagnos-tischer Maßnahmen. Ein hierarchisch vorab nicht festgelegtes

Therapieziel, ein nicht geändertes Therapieziel oder eine fehlende Entscheidung und Verantwortungsübernahme durch einen hierarchisch in der Position befindlichen Arzt/Ärztin für den Fall einer Zustandsverschlechterung einer Patient*in bedeuten für die IP somit immer die Fortführung der Behandlung in der Akut- und Intensivlo-gik.

Es ist meistens NICHT klar und dann wird nachts einer reanimationspflichtig und nächsten Mor-gen heißt es dann, ja der hätte nicht reanimiert werden sollen, ist abernirgendwo dokumen-tiert. Man hat keine Patientenverfügung, man hat nichts in der Hand, man ist ein unerfahrener Kollege, der auch einfachnicht den Mummhat solche Entscheidung nachts alleine zu treen.

Ich sag mir,solange da nichts festgelegt ist, werde ich den Patienten reanimieren,weil ich diese Entscheidung nicht TREFFEN kann, wenn ich den Patienten nicht KENNE und ich komme ins Zimmer und der ist reanimationspflichtig oder so schlecht, dass ich irgendwas machen muss. Dann mache ich das einfach in dem Moment,weil ich nicht diese Verantwortung TRA-GEN kann in dem Moment, wenn andere sich aus der Verantwortung ziehen.[] Dadurch, dass ichnicht in der Position bin, so was zu entscheiden, und irgendwie diejenigen, die in der Situation sind, das NICHT entscheiden, kann ich diese Entscheidung dann im Akutfall nicht abnehmen. (AB30/382435)

Mit Begriffen, wie„sich trauen“,„nicht den Mumm“haben, wird deutlich, dass einer Entscheidung über eine Therapiezieländerung bzw. Beendigung von therapeutischen und lebenserhaltenden Maßnahmen Mut zugeschrieben wird. Gründe für eine feh-lende Verantwortungsübernahme und damit fehfeh-lende Therapieentscheidung über den Schlusspunkt einer Behandlung lassen sich zudem immedizinischen Enthusias-musfinden, der mit den Motiven der medizinischen Eindeutigkeit, des ärztlichen Hei-lungsvermögens und der medizinisch-technischen Machbarkeit beschrieben wurde.

Die Fortführung von medizinischen Maßnahmen im Sinne der Akut- und Heilungs-logik auch bei sterbenden Patient*innen wird von den IP immer auch mit dem As-pekt derrechtlichen Absicherungbegründet:„ein Sicherheitsding“.

Natürlichkeiner will die Verantwortung tragen letztendlich, keiner will den Schlusspunkt gesetzt habenund das ist gar nicht SO leicht [], dass dann schwerste Peritonialkarzinose mit Ileus hat eine Patientenverfügung, will eigentlich keine Therapie, aber wir holen trotzdem den Chirurgen, weiles ein Sicherheitsding ist wahrscheinlichoder so. (AB26/662674)

In der Behandlung schwerstkranker Patient*innen im Krankenhaus sind Entschei-dungen über eine mögliche intensivmedizinische Behandlung oder eine Verlegung auf die Intensivstation wegen einer Zustandsverschlechterung zu treffen. Ohne diese Entscheidung erfolgt auch bei sterbenden Patient*innen im Sinne der Akut- und Not-falllogik eine Intensivbehandlung. Problematisch erleben die IP eine fehlende hierar-chische Verantwortungsübernahme, in deren Folge die eigene Handlungsunfähigkeit und zunehmende Unzufriedenheit im Behandlungsteam sowie eine Verunsicherung bei Patient*innen und Angehörigen erlebt wird. Die größte Zufriedenheit und Entlas-tung für die stationsärztliche Arbeit, für die kollegiale Zusammenarbeit und auch im Umgang mit hilflosen Angehörigen erleben die IP, wenn eine hierarchische/oberärzt-liche Entscheidung bereits vor dem Eintreten einer akuten Situation getroffen wurde.

Diese Vorab-Entscheidungen als Steigerung der Überhaupt-Entscheidung sind als besonders bedeutsam einzuordnen, da sie die Akut- und Notfalllogik außer Kraft set-zen. Entspricht die hierarchisch getroffene Behandlungsentscheidung allerdings nicht der je eigenen Haltung, können Unzufriedenheiten und Konflikte im Behand-lungsteam die Folge sein (vgl. Kap. 5.2.1.2.).

Problematische Situationen entstehen auch dann, wenn sich eine starke Per-sonengebundenheit in der Behandlungsentscheidungund Verantwortungsübernahme zeigt. Insbesondere in Situationen einer Zustandsverschlechterung bei einer Pa-tient*in, die nicht vorab geklärt und entschieden wurde, sei die Persönlichkeit des Oberarztes/der Oberärztin, die gerade im Dienst ist, entscheidend:„Das liegt dann auch ein bisschen anprimär der Persönlichkeit des Oberarztes, der dann gerade DIENST hat.“(AB11/1035). Neben der fehlenden Eindeutigkeit medizinischer Situatio-nen zeigt sich hier eine Heterogenität von Behandlungsverläufen durch differente Be-handlungsentscheidungen abhängig von der entscheidungsbefugten Person. Ein In-terviewpartner formuliert die Vielfalt möglicher Entscheidungen so: „Wenn zwei Ärztein einen Raum gehen, gibt es möglicherweise verschiedene Meinungen.“ (AB18/203–208). Deutlich wird, dass es sich trotz der Existenz standardisierter Ent-scheidungsstrukturen, wie sie vor allem für den intensivmedizinischen Bereich vor-gestellt werden, um individuelle Entscheidungen und Behandlungsstile handelt. Bei der oberärztlichen Entscheidung darüber,„wie weit man geht“(AB14/522), erleben die IP einEntscheidungsspektrum mit zwei Polen: einerseits Oberärzt*innen, die„es bis zum Äußersten treiben“, also im Sinne einer Lebensrettung bzw. Lebensverlänge-rung„immer alles machen“. Und andererseits„die Variante, dass eben früher gesagt wird einfach: > Ok, nee, machen wir nichts mehr. <“ (AB14/527–528); damit sind oberärztliche Therapieentscheidungen angesprochen, die frühzeitig eine Therapie-beendigung bzw. Therapielimitierung festlegen.

Auch wenn dasimmer sehr individuelle Entscheidungensind, aber es gibt ja eben immer solche, die es sozusagen bis zum Äußersten treiben, und welche, die eben so das Gegenteil be-treiben. (AB14/989993)

Die vorgestelltenpersonengebundenen Entscheidungender je diensthabenden Ober-ärzt*in oder ChefOber-ärzt*in verweisen auf eine heterogene Behandlungsqualität schwerstkranker und sterbender Patient*innen sowie auf sehr unterschiedliche, zum Teil konkurrierende Abteilungs- und Disziplinkulturen. Je nach Abteilungskultur wird eine Beteiligung und Transparenz dieses Entscheidungsprozesses erlebt.

5.2.1.2 Diskrepante Einschätzungen im Behandlungsteam

In Zusammenhang mit der ärztlichen Verantwortungsübernahme bei Therapieent-scheidungen für schwerstkranke und sterbende Patient*innen zeigen sich diskrepan-te Einschätzungen im Team über eine Behandlungs- und Erkrankungssituation als Einfluss nehmend auf ebendiese Entscheidungen sowie auf die ärztliche Zufrieden-heit mit der Behandlung. Unterschiedliche und sich zum Teil konträr

gegenüberste-hende Einschätzungen im Behandlungsteam lassen sich für drei Konstellationen dar-stellen: a)interdisziplinär, b)intradisziplinärund c)interprofessionell.

Zu a) Interdisziplinäre Differenzen stehen für unterschiedliche Einschätzungen der Behandlung schwerstkranker und sterbender Patient*innen durch die beteiligten medizinischen Fachdisziplinen. In allen Interviews wird die Interdisziplinarität, also die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen medizinischen Fachdisziplinen, thematisiert, zum Beispiel in Tumorkonferenzen, die als eine Entscheidungsstruktur mit interdisziplinär geteilter Verantwortungsübernahme positiv wahrgenommen wden. Durch das gemeinschaftlich besprochene und entschiedene Therapiekonzept er-leben die IP eine Sicherheit in der nachfolgenden Behandlung mit einer klaren Per-spektive. Neben dem positiven Erleben einer zunehmenden interdisziplinären Zu-sammenarbeit wird die ZuZu-sammenarbeit von mehreren medizinischen Fachdiszipli-nen im Behandlungsverlauf auch als hinderlich in EntscheidungssituatioFachdiszipli-nen erlebt, und zwar dann, wenn zwischen den beteiligten medizinischen Fachdisziplinen bzw.

Kliniken nicht geklärt sei, wer die Behandlungsverantwortung habe. Dieser Konflikt sei auf hierarchischer Ebene angesiedelt und führe zu einer ausbleibenden Entschei-dung und damit auch Behandlung:„Ein Patient liegt über Tage rum, weil sich die Führungsebene nicht einigwird.“(AB11/1060). Diese„bizarren Situationen“ führ-ten in der Folge auch zu Konflikführ-ten innerhalb eines Behandlungsteams und zwi-schen den Professionen. Die Verantwortungsdiffusion erleben die IP zum einen als hierarchische Auseinandersetzung (Welche ist die vorrangig behandelnde Fachdis-ziplin und damit in der Entscheidungsverantwortung?), zum anderen als Folge einer juristischen Absicherung der Beteiligten. Auch der Einfluss desmedizinischen Enthu-siasmussowie die vorgestellte starkePersonengebundenheit bei Entscheidungensind als Einflussfaktoren für interdisziplinäre Differenzen einzubeziehen.

Sie haben ja auch noch mal aufgegrien, dass wir so interdisziplinär sind. Das ist alles TOLL, aber das hört dann AUF, denn für jede End-of-life-Decision muss jemand die Verantwortung übernehmen. Das heißt, alle Kliniken müssen das mittragen. Das heißt, es kommt manchmal vor, dass das nämlich genau das Problem ist. Dass die Neurochirurgen sagen, gut, das macht keinen Sinn mehr, wir ziehen uns komplett zurück, und dann geht es wieder um Zuständigkei-ten, es ist ein neurochirurgischer Patient. Die Anästhesie will die Entscheidung aber auch trans-parent haben und will, muss das auch MITTRAGEN. Und dann gibt es manchmal wirklichauf Führungsebene, also Klinikführungsebene, die Konflikte und dann liegt ein Patient über Tage da rum, WEIL sich die Führungsebene nicht einig wird.Plus die Pflege kommt zu uns und sagt, was soll das? Was machen wir HIER? Und wir sagen, das sind dann so höhere Ebenen, unsere Oberärzte sagen dann auch nur noch sohm. Das ist häufig ein PROBLEM und manchmal kommen auchganz bizarre Situationen, dass die Anästhesie dann sagt, dass die neurologische Klinikleitung den Patienten noch mal einschätzen muss und noch mal sagen muss, dass es dort eine infauste Prognose gibt, und bis das nicht passiert ist, dürfen wir nichts Anderes machen.Also es geht viel um Hierarchien, es geht viel um Verantwortlichkeiten, es geht darum viel Sorge vornaja juristische Sorge.(AB11/10411079)

Zu b)Intradisziplinär unterschiedliche Einschätzungen in der Behandlung schwerst-kranker und sterbender Patient*innen durch Stations- und Oberärzt*innen führen zu

Differenzen und Konflikten zwischen den ärztlichen Hierarchien:„Also was zwischen uns Stationsärzten und Oberärzten häufig ist, sind so Meinungsverschiedenhei-ten“. (AB15/371–373). Die hierarchische Verantwortungsübernahme bei grundsätzli-chen Behandlungsentscheidungen und Festlegung des Therapieziels sowie die Rolle der Stationsärzt*innen als Ausführende wurde in Kapitel 5.1.1. bereits vorgestellt. In der Folge dieser eindeutigen Rollenverteilung werden Meinungsunterschiede von den IP als konflikthaft beschrieben:„wo ich einfachanderer Meinungwar, das ist ja nicht immer ganz so einfach.“(AB14/491–492).

DieseMeinungsverschiedenheitenwerden je nachAbteilungskulturausdiskutiert.

Diese Kulturen reichen von rein hierarchischen Entscheidungen bis hin zur Einbezie-hung in den Diskussionsprozess„auf Augenhöhe“, allerdings ohne Befugnis als Sta-tionsärzt*in, „allein entscheiden“ zu dürfen. Die abschließende Behandlungsent-scheidung nach einer solchen offenen Diskussion bleibe weiterhin eine ober- bzw.

chefärztliche.

Wir haben in der Abteilung ein sehr kollegiales System. Das heißt auch, mit unseren Oberärzten bis hin zum Chef können wir sehrauf Augenhöhe Dinge besprechen, eigene Vorschläge ein-bringen und auch,also NICHT alles alleine entscheiden, das ist nicht gewünscht, aber selbst-verständlich mitdiskutieren. (AB22/2227)

Eine eindeutige Zuordnung medizinischer Fachdisziplinen zu einer spezifischen Dis-kussionskultur ist aus den Daten der vorliegenden Untersuchung nicht möglich.

Häufiger als offene und hierarchiefreie Diskussionen werden von den IP Situationen geschildert, in denen sie verdeckt,„hinter seinem Rücken“, entgegen der oberärzt-lichen Maßgabe eine Behandlung nach ihrer Vorstellung durchsetzen. Sie legitimie-ren ihr Vorgehen mit der oberärztlichen Abwesenheit in einer wichtigen Entschei-dungssituation, einer zugeschriebenen mangelndenEinschätzungsfähigkeit des Ober-arztes/der Oberärztin aufgrund der fehlenden klinischen Kenntnis der Patient*in.

Hier zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der hierarchischen Verantwortungsüber-nahme und der zugeschriebenen Fachkompetenz. Nur wenn beides zusammen-kommt, erleben die IP eine Entlastung und Zufriedenheit.

In dieser Woche, wo es wirklich um Entscheidungen ging, da war er einfach nicht da, er war auf Urlaub. Ich war Stationsärztin und schlussendlich hab ich jahinter seinem Rückenmal so ein bisschen gesagt, eher keine Chemo, weil von der erwartet man sich halt sehr wenig, und eher nach Hause gehen und in Würde zu Hause sterben bei ihrer Familie sozusagen.Dann hatte ich persönlich dann ein Problem mit dem Oberarzt, das hat ihm ja gar nicht gepasst. [] Also die Oberärzte, die haben nie mit Patienten eigentlich auf Station zu tun,sondern nur Di-agnosestellung und Operation. Also eher die, hört sich blöd an, aber die schönen Sachen für einen Arzt und keine Stationswochen machen undnie so nah am Patienten sind wie wir Sta-tionsärzte oder ganz besonders die Pflegernatürlich auch. (AB15/312320 & 346351)

Auch strukturelle Bedingungen, wie wechselnde oder unbekannte Kolleg*innen, z. B. in Folge von Schichtdiensten oder Rotationen, ein hoher Durchsatz an Pa-tient*innen, die dann nicht bekannt sind, sowie die fehlende Präsenz aufgrund vieler anderer Verpflichtungen von Oberärzt*innen, werden als potentielle

Reibungsflä-chen bei unterschiedliReibungsflä-chen Meinungen innerhalb eines ärztliReibungsflä-chen Behandlungs-teams genannt.

Die Oberärzte haben noch weitere Verpflichtungen und es ist ein neuer Durchsatz da und mit den Kollegen dann gibt es da Wechsel.Wenn man sich da nicht ganz vertraut ist oder unter-schiedliche Ansätze hat und so weiter, wird das sehr sehr schwierig. (AB23/508512)

Zu c)Interprofessionelle Differenzen im Zusammenhang mit der pflegerischen und ärztlichen Einschätzung in der Behandlung schwerstkranker und sterbender Pa-tient*innen als„Dauerklassiker“: In einerdiskrepanten Einschätzungüber die Sinn-haftigkeit von therapeutischen Maßnahmen bzw. ihre Fortführung bei schwerstkran-ken und sterbenden Patient*innen erleben die IP den häufigsten Konfliktbereich zwi-schen der pflegerizwi-schen und ärztlichen Einschätzung. Dieser Konflikt liege einerseits in fehlendem oder mangelhaftem interprofessionellen Austausch (vgl. Kap. 5.1.2.3.), andererseits in der Emotionalität von Pflegenden aufgrund ihrer Nähe zu den Pa-tient*innen. Pflegerische Einschätzungen werden dementsprechend oftmals als Bauchentscheidungen gewertet (vgl. Kap. 5.2.1.3.).

Manchmal wäre es wünschenswert, dass man das mal mit dem ganzen Team bespricht. Weil ansonsten ist es so, mit dem Ersten besprichst du es undder Nächste fragt wieder,warum darf der nicht sterben?Dann ist es ein bisschen so immer wieder dasselbe. Und es ist auch so, der Umgang mit dem Thema ist auch meines Erachtens einerder häufigsten Konflikte innerli-cher Art mit den Kollegen aus der Pflege. Das ist eigentlich derDauerklassiker. (AB12/597 604)

Differenzen zwischen den beiden großen Professionen, Ärzt*innen und Pflege, sind auch eine Folge hierarchischer Konflikte zwischen unterschiedlichen medizinischen Fachdisziplinen und fehlender Entscheidungen bzw. Differenzen zwischen unter-schiedlichen medizinischen Fachdisziplinen und fehlender hierarchischer Verant-wortungsübernahme.

5.2.1.3 Die Rolle der Pflegekräfte bei Therapieentscheidungen

Übereinstimmend wird von allen IP festgestellt, dass erste Hinweise auf eine ver-änderte Erkrankungssituation oftmals von Pflegekräften kommen. Dieser Hinweis führe dann zur Einleitung von ärztlichen Entscheidungsprozessen.„Der gefällt mir nicht“, sei so ein typischer von der Pflege geäußerter Satz, der darauf hinweise, dass sich der Gesundheitszustand einer Patient*in verschlechtert oder eine Patient*in als sterbend eingeschätzt wird:„Kommt die Schwester an den Visitenwagen, sagt, > Du der ist nicht gut, geh mal da rein. < .“(AB02/605). Dass die Pflege eine solche Ein-schätzung geben könne, liege an ihrer Nähe zu den Patient*innen. Übereinstimmend sehen alle IP die Pflege als näher dran, mehr vor Ort, viel am Bett. Auch der Beginn von Sterbeprozessen bzw. die Einschätzung, dass eine Patient*in sterbend sei und damit einer anderen Behandlung bedürfe, werde von der Pflege aus der Beobachtung eines veränderten Zustandes einer Patient*in abgeleitet und indirekt thematisiert im Vorschlag:„Sollen wir die Patientin nicht alleine legen?“Ihr Erfahrungswissen

ins-besondere in der Einschätzung beginnender Sterbeprozesse wird geschätzt, aner-kannt und oftmals als höher eingeschätzt als die eigene, ärztliche Erfahrung.

Die Schwestern sind ja oft einfachnäher dran an den Patientenund sind schon auch oft die, die dann sagen: > Sollen wir die Patientin nichtalleine legen? < . Also das kommt schon oft von den Schwestern, viel öfter eigentlich von den Schwestern als von uns. (AB25/682687)

Die Rückmeldung auf einen sich verschlechternden Zustand einer Patient*in wird als zentrale Aufgabe der Pflege angesehen. Wie in der Vorstellung der Behandlung von Patient*innen mit symptomatischen Beschwerden deutlich wurde, kommt hier der Pflege eine wichtige Rolle in der Evaluation medizinischer Anordnungen und in der Patient*innenbeobachtung zu. Mit der beschriebenen zunehmenden Arbeitsbelas-tung der Pflege aufgrund von Personalmangel gehe ihre Aufmerksamkeit und die Nä-he zu Patient*innen verloren, was Einfluss auf die Behandlungsqualität habe, be-richten alle IP. Obwohl die entscheidenden beobachteten Hinweise über einen ver-änderten Erkrankungszustand fast immer von Pflegekräften kommen, sind sie in

Die Rückmeldung auf einen sich verschlechternden Zustand einer Patient*in wird als zentrale Aufgabe der Pflege angesehen. Wie in der Vorstellung der Behandlung von Patient*innen mit symptomatischen Beschwerden deutlich wurde, kommt hier der Pflege eine wichtige Rolle in der Evaluation medizinischer Anordnungen und in der Patient*innenbeobachtung zu. Mit der beschriebenen zunehmenden Arbeitsbelas-tung der Pflege aufgrund von Personalmangel gehe ihre Aufmerksamkeit und die Nä-he zu Patient*innen verloren, was Einfluss auf die Behandlungsqualität habe, be-richten alle IP. Obwohl die entscheidenden beobachteten Hinweise über einen ver-änderten Erkrankungszustand fast immer von Pflegekräften kommen, sind sie in