• Keine Ergebnisse gefunden

5 Theoretische Einordnung: gestufte Remotivierung

Aus den Ausführungen in den vorausgehenden Kapiteln geht hervor, dass den Tautologien wie weibliche Taucher-innen generisch geplante Konstruktionen wieweibliche Taucherzugrundeliegen.17 Da aber der Kopf dieser Konstruktion (Taucher) nach Maßgabe des gendergerechten Sprachgebrauchs nicht gene-risch maskulin sein darf, wird er moviert (Taucher-innen), obwohl er durch den Spezifikatorweiblichbereits für Geschlecht spezifiziert war.

Die so entstandene Tautologieweibliche Taucher-innenunterscheidet sich jedoch von normalen Tautologien in einem wesentlichen Punkt: Es handelt sich nicht einfach um die Kopierung eines semantischen Merkmals X aus einem Zeichen und seine redundante Aus- und Anlagerung in Form eines eigenen For-manten Y, wie dies etwa Oppenrieder & Thurmair (2005) für ihre titelgebenden Beispiele, Trost (2010) für Komparativpositive oder eben Lehmann (2005) für seine Fälle des Typs concord pleonasm beschrieben haben. Vielmehr kommt das redundante Merkmal Y von der gendergerechten Sprachregelung her, kein generisches Genus zuzulassen. Das Merkmal wird sozusagen nicht innerhalb der Zeichenkette projiziert (X→Y), sondern aus der Sphäre des politisch korrek-ten Sprachgebrauchs injiziert (↑Y). Die Remotivierung ist gebrauchs-, nicht zeichenbedingt18:

nicht redundante Form Tautologie zeichenbedingte Doppelung Schimmel ‚weißes Pferd‘ → weißer Schimmel gebrauchsbedingte Doppelung weibliche Taucher weibliche Taucher ↑-innen Abb. 13:Zeichen- vs. gebrauchsbedingte Tautologie.

17 Für die Zwecke der theoretischen Einordnung des Phänomens in diesem Kapitel genüge es, sich auf die movierendeOperation am Kopfzu beschränken. Was in Bezug auf diese ausge-führt wird, gilt jedoch entsprechend für die Operation an der Modifikator-Phrase bzw. an der Gesamtphrase aus Kopf und Modifikator.

18 Zum Unterschied zwischenzeichen-undgebrauchsbedingter Remotivierungvgl. Har-nisch (2010b: 2021). Der Beitrag von Trost (2010) wurde mit andern Fällen zeichengebunde-ner Remotivierung(Harnisch 2010b: 2021) in Harnisch (2010a: IX) unter der Überschrift

Semantische und formale Verstärkung, oder: Bedeutung sucht Formzu einem Themenblock versammelt. Es handelte sich dort überwiegend um Pleonasmen, doch konzeptionell gehören deren Verschärfungen zu Tautologien (etwaoptimal-st) typologisch ebenfalls dorthin.

Das tautologische Adjektivattributweißwird aus dem Sem‚weiß‘vonSchimmel gewonnen. Die tautologische Movierung Taucher-innen dagegen wird stufen-weise folgendermaßen gewonnen: Zuerst wird die grammatische Kategorie

‚maskulin‘vonTaucherin die referentielle Kategorie‚biologisch männlich‘ um-interpretiert. Dann wird hierzu das biologisch-weibliche PendantTaucher-innen geschaffen. Auf der nächsten und letzten Stufe wird diese Movierung dann rea-lisiert, auch wenn die Personenbezeichnung schon mit dem spezifizierenden Adjektivattribut weiblich versehen war. Dass daraus eine tautologische Kon-struktionweibliche Taucher-innenentsteht, wird in Kauf genommen oder, worauf der verbreitete Gebrauch hindeutet, zum Teil nicht einmal bemerkt.

Noch kann man bei den mündlich geäußerten Tautologien dieses Typs bisweilen ein kurzes Stutzen derjenigen, die sie gerade hervorgebracht haben, bemerken. Doch spätestens die schriftsprachlichen Belege zeigen, dass diese Bildungen sich auf dem Weg der Normalisierung–und vielleicht sogar Norm-werdung–befinden. Sie scheinen, vergleichbar etwa doppelten Verneinungen, feste Konstruktionen zu werden, deren Redundanz man nicht (mehr) bemerkt, jedenfalls so lange nicht, bis man auf die semantisch widersprüchliche Mög-lichkeit der antonymischen spezifizierenden Modifikation stößt: *männliche Taucher-innen vor der Folie von weiblichen Taucher-innen.19 Die Konstrukti-onshaftigkeit der hier entstehenden hypercharakterisierenden Syntagmen des Typsweibliche Professorinnen und die zu beobachtende Lexikalisierung von ungewollt wieder generisch verwendeten Bildungen wieder Studierendesind vergleichbar: einerseits in ihrer lexikalischen bzw. phrastischen Verfestigung, anderseits als Produkte einer pragmatisch motivierten Steuerung mit unerkann-ten Folgen. Auf der einen Seite schleicht sich das generische Maskulinum zu-rück, auf der andern Seite entstehen tautologische Konstruktionen. Das eine widerspricht der sprachpolitisch gewollten Pragmatik, das andere einer nicht-redundanten Semantik.

19Vgl. nochmals den besonders instruktiven Beleg in Anm. 3. Siehe auch die Fälle unter (5) oben.

Literatur

Bloomer, Robert K. (1996): Die pleonastischen Zusammensetzungen der deutschen

Gegenwartssprache.American Journal of Germanic Linguistics and Literatures8, 6990.

Harnisch, Rüdiger (2009): Genericity as a principle of paradigmatic and pragmatic economy.

The case of Germanwerwho. In Patrick O. Steinkrüger & Manfred Krifka (Hrsg.),On inflection, 6988. Berlin, New York: De Gruyter.

Harnisch, Rüdiger (Hrsg.) (2010a):Prozesse sprachlicher Verstärkung. Typen formaler Resegmentierung und semantischer Remotivierung. Berlin, New York: De Gruyter.

Harnisch, Rüdiger (2010b): Zu einer Typologie sprachlicher Verstärkungsprozesse. In Rüdiger Harnisch (Hrsg.),Prozesse sprachlicher Verstärkung. Typen formaler Resegmentierung und semantischer Remotivierung, 323. Berlin, New York: De Gruyter.

Harnisch, Rüdiger (2016): Das generische Maskulinum schleicht zurück. Zur pragmatischen Remotivierung eines grammatischen Markers. In Andreas Bittner & Constanze Spieß (Hrsg.),Formen und Funktionen. Morphosemantik und grammatische Konstruktion, 159174. Berlin, Boston: De Gruyter.

Harnisch, Rüdiger & Manuela Krieger (2017): Die Suche nach mehr Sinn. Lexikalischer Wandel durch Remotivierung.Jahrbuch für Germanistische Sprachgeschichte8, 7189.

Hübner, Julia (i. d. B.): Das Mädchen und ihr Liebhaber. Pragmatik als motivierender Faktor von Sexuskongruenz.

Lehmann, Christian (2005): Pleonasm and hypercharacterisation.Yearbook of Morphology, 119154.

Macha, Hildegard (2012): Konstruktionen der GeschlechtsidentitätWidersprüche aktueller Sozialisationsprozesse. In Susanne Günthner, Dagmar Hüpper & Constanze Spieß (Hrsg.),Genderlinguistik. Sprachliche Konstruktionen von Geschlechtsidentität, 3151.

Berlin, Boston: De Gruyter.

Oppenrieder, Wilhelm & Maria Thurmair (2005): Von bestgehütetsten Geheimnissen und meistgebrauchtesten Formen. Doppelte Superlativbildungen im Gegenwartsdeutschen.

Sprachwissenschaft30, 431449.

Trost, Igor (2010): Die semantische und die grammatische Sekretion am Beispiel der Komparativpositive. In Rüdiger Harnisch (Hrsg.),Prozesse sprachlicher Verstärkung.

Typen formaler Resegmentierung und semantischer Remotivierung, 317340. Berlin, New York: De Gruyter.

Wegener, Heide (2017): Grenzen gegenderter Sprachewarum das generische Maskulinum fortbestehen wird, allgemein und insbesondere im Deutschen. In Antje Baumann & André Meinunger (Hrsg.),Die Teufelin steckt im Detail. Zur Debatte um Gender und Sprache, 279293. Berlin: Kulturverlag Kadmos.

Das Mädchen und ihr Liebhaber. Pragmatik