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Diskussion möglicher Probleme auf diesem Erklärungsweg

4 Versuch der Erklärung

4.3 Diskussion möglicher Probleme auf diesem Erklärungsweg

Da in vorliegendem Beitrag, Lehmann (2005) folgend, die Beispieledie weibli-che Professorinundkleine Kügelchenlange als gleichartige Fälle (nämlich einer Synonymie der betreffenden semantischen Merkmale von Modifikator und Deri-vat mit der Folge ihrer tautologischen Doppelung) dargestellt wurden (s. o.

Abb. 7), stellt sich natürlich die Frage, ob die Herstellung von Konstruktionen wie kleine Kügelchen nicht auch so läuft wie die von Konstruktionen der Art weibliche Professorin. Dafür, dass dies nicht der Fall ist, sind zwei Gründe ins Feld zu führen:

Erstens ist, die Art der semantischen Relation betreffend, der Synonymitäts-und dadurch Tautologie-Grad von (a)die weibliche Professorinhöher als bei (b) kleine Kügelchen. Bei (a) sind die Ausprägungen des semantischen Parameters

‚Geschlecht‘binär und oppositiv einander exkludierend, bei (b) sind die Aus-prägungen des semantischen Parameters ‚Größe‘jedoch skalar und graduell.

Kügel-chenkönnen also‚winzig klein‘,‚klein‘,‚mittelgroß‘oder‚schon ziemlich groß‘sein, was sie aber im Gegensatz zu‚normalen‘Kugelnimmer noch‚klein‘ sein lässt. Die Konstruktionkleine Kügelchenist also nicht im engen Sinne tau-tologisch. EineProfessorindagegen ist nur und immer‚weiblich‘, so‚weiblich‘ sogar, dass sich eine entsprechende Modifikation erübrigt. Wenn sie trotzdem vorgenommen wird, stimmt also semantisch wirklich etwas nicht: Eine echte Tautologie entsteht.

Zweitens ist, dasmonitoringbetreffend,Kugelauf eine andere Weise gene-risch und umfasst den DiminutivKügelchenauf eine andere Weise mit, als das beiProfessorund der MovierungProfessorinder Fall ist. Der erste Typus unter-liegt keinen äußeren sprachpolitischen Regularien, der zweite schon. Für die redundante Kennzeichnung der ‚Kleinheit‘in der NPkleine Kügelchen ist aus den genannten Gründen also der Erklärungsweg, wie er für Fälle wiedie weibli-che Professorinoben eingeschlagen wurde, nicht gangbar.

Bisher war das processingso dargestellt worden, dass die durch Gebrauchs-monitoringbedingte Operation der tautologischen Sexus-Vergabe erst an der Posi-tion des substantivischen Kopfs der GesamtkonstrukPosi-tion erfolge. Für Fälle wie das in Abbildung 2 angeführte die weiblichen Taucher-innensieht das tatsächlich so aus, denn bis zur Anfügung des Movierungssuffixes könnte die Konstruktion auch generisch gelesen werden:die weiblichen Taucher. Bei Fällen wie Lehmanns Mus-terbeispieldie weibliche Professorin(vollständig:die erste weibliche Professorin) je-doch werden Sexus-Kennzeichnungen schon vor der Kopf-Position vergeben: die

(!)erste weibliche Professorin.13Die Fälle, bei denen die Sexus-Markierung erst am substantivischen Kopf der Konstruktion aufscheint, sind bezeichnender-weise Pluralformen, da das Genus der bestimmten Artikel und attributiven Adjektive (Modifikatoren) im Plural neutralisiert ist oder, wenn die NP inde-finit ist, im Plural gar kein Artikel vorkommt. Der Singular verlangt jedoch Genuskennzeichnung, so dass die infolge dessen genusspezifizierten Artikel und attributiven Adjektive (Modifikatoren) die damit verbundene Sexuswahl schon vor Erreichen der Kopf-Position verraten. Die im vorliegenden Beitrag exemplarisch aufgeführten Belege verteilen sich nach dem Kriterium der Sexus-kennzeichnung entwedererstam substantivischen Kopf oderschonan den ihm vorausgehenden Artikel oder Adjektiv (Modifikator), also nach einem Kriterium, das aus den vorgetragenen Gründen stark mit dem Kriterium Plural- vs. Singular-NP korreliert.14

Sexuskennzeichnung erst am Kopf Sexuskennzeichnung schon vor dem Kopf die weiblichen Sportler |…| -innen

Testergebnisse weiblicher Kandidaten |…| -innen bei fast 20 % weiblichen Professoren |…| -innen die weiblichen Taucher |…| -innen

Zimmer für weibl[lich-e] Mitbewohnerin ein-e weiblich-e Kandidatin

die einzige weibliche Chefin die erste weibliche Professorin

Abb. 8:Positionen der Sexuskennzeichnung in attributiven Konstruktionen.

Bei prädikativen Konstruktionen verhält es sich nicht grundsätzlich anders als bei den attributiven in Abbildung 8, nur dass Sexus schon gekennzeichnet wird, bevor die Modifikation folgt. Doch auch hier gilt, dass diese Kennzeichnung ent-weder zuerst am Kopf oder schon an seinem Vorfeld erfolgen kann:

Sexuskennzeichnung zuerst am Kopf Sexuskennzeichnung schon vor dem Kopf die Hälfte der Wissenschaftler |…| -innen [ist]

weiblich

unser-e Zielkundin ist weiblich

Abb. 9:Positionen der Sexuskennzeichnung in prädikativen Konstruktionen.

13 Die Formen der schwachen Adjektive auf -e(erst-e weiblich-e) sind keine nur femininen und zur Sexuskennzeichnung taugenden Formen, da sie auch bei Maskulina vorkommen (*der (!)erst-e weiblich-e X).

14 Die Pluralform des geplanten generischen Maskulinums, die nach demmonitoringnicht realisiert wird, weil in eine movierte Form umgeplant wird, wird in den folgenden Abbildun-gen 810 mit Durchstreichung gekennzeichnet. Der hesitative Moment dieser Umplanung wird mit| . . . |angezeigt.

Immer erst am spät positionierten Kopf wird die Sexus-Kennzeichnungen in den andern, oben in Abbildung 4 aufgezählten, Konstruktionen, die weder attributiv noch prädikativ sind, gekennzeichnet:

Sexuskennzeichnung am spät positionierten Kopf Anteil der Frauen an den Stellen für Professoren |…| -innen die erste Frau als Ministerpräsident |…| -in

Frauenquote für Piloten |…| -innen Auftritt der Frauenskispringer |…| -innen

Abb. 10:Kennzeichnung von Sexus in nicht-attributiven/

nicht-prädikativen Konstruktionen.

Die„Sexuskennzeichnungen schon vor dem Kopf“in den jeweils rechten Spal-ten der Abbildungen 8–9 scheinen also dem Postulat zu widersprechen, dass die redundante Sexierung erst erfolgt, wenn man im Vorgang desprocessingan den Punkt kommt, wo ein generisches Maskulinum steht, das man durch moni-toring vermeiden möchte. Bei den betreffenden Konstruktionen geht dieser Kopf-Position aber immer eine Position voraus, die feminin ist und weiblichen Sexus auch schon kennzeichnet. Nicht demmonitoringausgesetzte generische Äußerungsplanung (Ebene❶) und durchmonitoringermöglichte Kontrolle der Äußerung (Ebene ❷) scheinen also im Verlauf von deren Produktion zusam-menzuwirken. Am Beispieleine weibliche Kandidatin soll das einmal durchge-spielt werden:

Dass die movierte FormKandidatinnicht schon von Anfang an geplant ist, wird durch den Modifikatorweiblichangezeigt. Dieser ist, wie oben schon gesagt, nur motiviert, wenn etwas Unspezifisches, hier Generisches (Kandidat), eine modifikatorische Spezifizierung, hier in Bezug auf den weiblichen Part des unspe-zifischen Gesamts, erfahren soll (durch -in). Aus den genannten Gründen der Selbstbeobachtung unter Maßgaben der sog. Gender-„Gerechtigkeit“wird der ge-nerisch-maskuline Kopf Kandidat dann per monitoring zu Kandidat-in moviert.

Doch dabei bleibt es nicht, denn auch die Bestandteile der Artikel-Adjektiv-Kette kommen zu‚weiblichen‘(grammatisch‚femininen‘) Formen. Eine Antwort auf die Frage, wie das zu erklären ist, kann auf zweierlei Weise versucht werden: Entwe-der wird von dem einmal movierten Kopf Kandidat-in ausgehend ein Genus/

Sexus-agreementmit der Modifikatoren-Phrase hergestellt:ein-e weiblich-e(siehe Abb. 11):

ein weiblich-er Kandidat -in

-e -e

Planung einer Konstruktion aus generisch maskulinem Kopf und Modifikator weiblich

❷① pragmatisch gesteuerte Vermeidung des generischen Maskulinums und Spezifizierung des Kopfs als ,feminin‘ bzw.

,weiblich‘

❷② agreement-gesteuerte Übertragung der Merkmale ,feminin‘ bzw. ,weiblich‘ vom Kopf auf die Modifikator-Phrase

Abb. 11:Wechsel zwischen generischer Planung und Kennzeichnung alsfemininbzw.weiblich.

Oder die permonitoringvermiedene Verwendung jeglicher generischer Mas-kulinität erfasst nicht nur den Kopf der Konstruktion (Kandidat→Kandidat-in), sondern die Bestandteile der Modifikatoren-Phrase (ein weiblich-er → ein-e weiblich-e) gleich mit, so dass nicht erst durch Kongruenz-Operationen Merkmale von einem Teil der Konstruktion auf einen andern Teil übertragen werden. Dieser Ansatz ist in Abbildung 12 dargestellt:

-e -e -in

ein weiblich-er Kandidat

Planung einer Konstruktion aus generisch maskulinem Kopf und Modifikator weiblich

pragmatisch gesteuerte Vermeidung des generischen Maskulinums und Spezifizierung der Konstruktion als feminin bzw. ‚weiblich‘

Abb. 12:Generische Planung und Kennzeichnung alsfemininbzw.weiblich.

Da nicht angenommen wird, dass durch reguläre, hier Kongruenz herstellende, syntaktische Prozesse15 semantisch irreguläre Konstruktionen, hier Tautolo-gien, entstehen, sondern vielmehr politisch propagierte und sozial kontrollierte Sprachregelungen16 dafür verantwortlich sind, wird der zweite Ansatz favori-siert, wie er in Abbildung 12 dargestellt ist.

15 Ob nun in Form vonconcordoderagreement, sei hier dahingestellt.

16Zur Rolle der Sozialen Kontrollefür das Gendern in der Sprache vgl. Harnisch (2016:

169170).

5 Theoretische Einordnung: gestufte