• Keine Ergebnisse gefunden

Technische Strukturen des Transplantationssystems

Organtransplantationssysteme sind eine junge Erscheinung der modernen Gesundheitsversorgung. Das bundesdeutsche System der Organtransplanta­

tion, das heißt der Umkreis der technischen und institutionellen Einrich­

tungen, die eine routinemäßige Durchführung von Organverpflanzungen er­

möglichen, wurde in den 70er Jahren aufgebaut. Das Geburtsjahr des euro­

päischen Transplantationssystems ist 1967, ein Jahr, in dem die Eurotrans- plant Foundation in der niederländischen Stadt Leiden gegründet wurde.

Ziel ihrer Mitglieder (Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Belgien, Nie­

derlande und Luxemburg) war und ist es, durch den Aufbau technisch-orga­

nisatorischer Strukturen die Organverteilung und Rezipientenselektion zu optimieren.2

Die Entwicklung und Ausdifferenzierung der bundesdeutschen Infra­

struktur des Transplantationswesens hängen darüber hinaus sehr eng mit den in den 70er Jahren einsetzenden finanziellen, technischen und organi­

satorisch-administrativen Leistungen des KFH zusammen (Kuratorium für Heimdialyse - später: Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation

2 Vgl. Grounewoud/Muderlak/Chen 1987.

4

-e.V.). Dazu gehören die Errichtung von Organisationszentralen für Trans­

plantationskrankenhäuser, sowie die Finanzierung von inzwischen mehr als 400 Stellen von Ärzten, Pflegekräften, medizinisch-technischen Assistenten, ärztlichen Transplantationskoordinatoren und Administratoren.3

Im Laufe des letzten Jahrzehnts wurde das Transplantationssystem quantitativ, gemessen an der Zahl der durchgeführten Transplantationen, aber auch qualitativ, gemessen am Spektrum transplantierbarer Organe, enorm ausgeweitet.4 In der Bundesrepublik wurden 1985 1.275 Nieren, 58 Lebern und 73 Herzen verplanzt. 1989 waren es 1.960 Nieren, 263 Lebern und 244 Herzen.5 Zu den in jüngster Zeit neu eroberten Organbereichen ge­

hören vor allem die Lunge, der Dünndarm, Nerven und Gehirnzellen. Dar- überhinaus konzentrierte sich das experimentelle Interesse der Transplan­

teure auch auf kombinierte Transplantationen von Herz-Lunge, Niere-Pan­

kreas, Leber-Pankreas oder gar auf multiple oder Cluster-Transplantationen von Herz-Leber-Pankreas und Leber-Pankreas-Zwölffingerdarm.6

Wie die bisherige Geschichte der Transplantationssysteme zeigt, sind ihr Aufbau und ihr Betrieb in besonderem Maße auf Innovationen in den in­

stitutionellen und legitimatorischen Zusammenhängen der professionellen Medizin, aber auch in der Körperpraxis und der Körpersymbolik ihrer Klien­

tel angewiesen. Auf institutioneller Ebene hat die Transplantationsmedizin neue innerprofessionelle Kooperationsformen angestoßen, auf legitimatori­

scher Ebene einen Wandel der Arzt-Patient-Beziehung, da Patienten nicht mehr nur Leistungsempfänger, sondern ihre Körper potentielle "Inputs" der Transplantationssysteme sein können.

Der Aufbau von Organtransplantationssystemen ist mit einer Reihe ähnlich expansiver und technikintensiver Entwicklungen im Feld der klini­

schen Medizin vergleichbar. Das Perturbationspotential, das sie im Hinblick

3 Vgl. KfH: 1988.

4 Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier angemerkt, daß die Rede vom Wachstum des Transplantationssystems nicht auf seine räumliche Erstreckung oder auf die Kosten, die es verursacht, sondern allgemeiner auf den Leistungsumfang des Systems zielt, also auf die sozialen Transaktionen, die über das technische System abgewickelt werden. Als ein grobes, auf andere große technische Systeme nicht übertragbares, allerdings für das Ver­

ständnis des weiteren völlig ausreichendes Größenmaß betrachte man daher schlicht die Zahl der durchgeführten Transplantationen.

5 Pichlmayr 1990a: B-2679.

3 Vgl. Altmann 1989: 10, sowie Bischoff 1990: 42.

auf den gesellschaftlichen Körperumgang besitzen, scheint jedoch selbst das von relativ spektakulärer Medizintechnik, wie der In-vitro-Befruchtung oder der pränatalen Gendiagnostik, zu übersteigen. Einen der dafür maßgeben- den Gründe sehen wir in einer technischen Besonderheit des Transplantati­

onssystems. Denn der Stellenwert, den Technik in der Transplantationsme­

dizin inne hat, geht weit über das Sammelsurium von Medizintechniken hin­

aus, das gemeinhin mit dem Schlagwort Apparatemedizin bezeichnet wird.

Typisch für das Transplantationssystem sind umfangreiche technische Ver­

netzungen von Geräten und klinischen Anlagen, von Organisationen und Ak­

teuren. Erst auf Basis dieser netztechnischen Strukturen ist es möglich, ein routinemäßiges Ineinandergreifen und eine effiziente Abwicklung der weit­

räumig verteilten Handlungsabläufe sicherzustellen, die die große Zeit­

knappheit und der chronische Organmangel erfordert. Die folgenden Aus­

führungen gelten daher zunächst den netztechnischen Aspekten des Trans­

plantationssystems .

Interorganisatorische Vernetzung

Technisierungsprozesse in der Gesundheitsversorgung wurden bislang vor­

wiegend betriebszentriert verfolgt und haben zum sukzessiven Aufbau um­

fangreicher Geräte- und Maschinenparks in den Kliniken und in kleinerem Maßstab auch in den Praxen niedergelassener Fachärzte geführt. Die inner­

betriebliche Vernetzung dieser Maschinenensembles - wenn man so will, der Schritt von der Apparatemedizin zur Anlagenmedizin - ist gegenwärtig im vollen Gange. Zwischen- oder überbetriebliche Ansätze technischer Vernet­

zung, wie sie Industriesoziologen im Verhältnis der jeweils von Hersteller-, Zulieferer- und Vertriebsfirmen unterhaltenen Maschinenparks beschreiben, beschränken sich im medizinischen Bereich jedoch weitgehend noch auf das Kosten- und Krankenkassenwesen und auf die meist regional ausgelegte Lo­

gistik des Rettungswesens.7 Mit Blick auf die klinische Medizin stellt daher

7 Die zwischenbetriebliche Vernetzung wird auch die Praxen der niedergelassenen Ärtze er­

fassen. Ein enormer Schub in diese Richtung zeichnet sich mit der für 1992 anvisierten Ablösung der Krankenscheine durch maschinenlesbare Patientenausweise ab. Vorerst steht dabei allerdings weniger die Koordination medizinischer Handlungsabläufe im Vor­

dergrund, als die Verbindung von Praxisverwaltung und Abrechnungswesen (vgl. Dörfler 1990).

6

-die Transplantationstechnik einen technischen Entwicklungsstrang dar, bei dem erstmals im größeren Umfang zwischenklinische und überregionale tech­

nische Vernetzungen eine Rolle spielen. Aus diesem Grund werden wir im weiteren, statt von "der" Transplantationstechnik und ihrer Verbreitung - was im Fall der Verbreitung etwa von Computertomographietechnik viel­

leicht noch vertretbar wäre - vom großen technischen System der Organ­

transplantation und seiner Ausbreitung sprechen.8

Das technische Netz des Transplantationswesens verbindet ein breites Spektrum unterschiedlicher Techniken - transplantationsspezifische, andere medizinische und nicht-medizinische Techniken, bewährte und noch nicht bewährte Techniken, apparative, chemische und biologische Techniken - Techniken, die wiederum in einem relativ heterogenen Spektrum teils medizinischer, teils nicht-medizinischer Einrichtungen zum Einsatz kom­

men: in Transplantationszentren und normalen Krankenhäusern, in Ge­

webe- und Organbanken, in Dialysezentren und Typisierungslaboratorien, in Trans-plantatvermittlungs- und Transplantationsinformationszentren, in Einrichtungen des Rettungs-, des Straßenverkehrs-, des Telefon-, des Funk- und des Flugwesens.

Die Vernetzung selbst wird dabei vorwiegend über vorhandene kom- rnunikations- und verkehrstechnische Infrastruktur Systeme hergestellt. Der solchermaßen räumlich und funktionell distribuierte Transplantationsbe­

trieb verlangt von und gegenüber dem normalen Klinikbetrieb höhere Nor­

mierungsleistungen: in bezug auf die Standardisierung und Kompatibilisie- rung der angewandten Apparate, Datenformate, Medikamente, Transportbe­

hälter, Konservierungsflüssigkeiten und Behandlungsmethoden, aber auch in bezug auf geregelte Kooperationbeziehungen zwischen den beteiligten Kli­

niken und zwischen den verschiedenen miteinander kooperierenden Pro­

fessionen. Dabei bildet insbesondere die erforderliche Kompatibilität der bürokratischen Formate die Legitimationsbasis für eine zentrale Steuerung und Überwachung der beteiligten Kliniken.

Die Kompatibilität der bürokratischen Formate wird wiederum in ho­

hem Maße technisch realisiert - sei es durch die Verwendung von Standard- Serumsets in der Gewebetypisierung und die damit verbundenen Auswer- tungs- und Aufschreibesysteme oder durch den software-technischen Zwang

8 Zur näheren Charakterisierung großer technischer Systeme siehe Joerges 1988 und 1991.

zur einheitlichen Konfektionierung der zu kommunizierenden Daten. Eine Schlüsselrolle spielt dabei das von Eurotransplant gegen Ende der 80er Jahre eingeführte PIONEER-System, das verschiedene Einrichtungen des Transplantationswesens miteinander verbindet.9

Durch PIONEER werden die regionalen Transplantationszentren - unter Nutzung modernster Kommunikationstechniken - "online" mit einem Zen­

tralcomputer von Eurotransplant verknüpft (siehe Abbildung I). Lokal anfal­

lende und erfaßte Daten, beispielsweise über die aktuelle Transplantabilität eines Patienten, werden zeitnah, das heißt in wenigen Minuten, zum Zentral­

computer weitergeleitet und dem Datenpool aller wartenden Rezipienten hin­

zugefügt. Das System ermöglicht so eine ständige Anpassung der Datenlage an den körperlichen Zustand der potentiellen Rezipienten. Darüberhinaus erhalten die beteiligten regionalen Transplantationszentren eine jeweils ak­

tuelle Version ihrer internen Warteliste. Wird ein Spenderorgan verfügbar, erlaubt PIONEER die computergesteuerte Selektion eines geeigneten Rezi­

pienten, vor allem aber auch ein Gegen-Checken der regionalen Wartelisten mit den umfassenden Wartelisten von Eurotransplant.

Für die deutschen Transplantationseinrichtungen hat sich darüber hinaus das TIS (Transplantations-Informations-System) mit zusätzlichen Kompatibilitätsanforderungen und Überwachungsfunktionen an der Schnitt­

stelle zu Eurotransplant etabliert.10 Es soll den deutschen Transplantations­

medizinern einen schnelleren und weniger bürokratischen Datenabgleich er­

möglichen, als die schwerfällige Eurobehörde in Leiden.

Autonomiebegrenzungen der Kliniken sind auch mit dem spezifischen, von starken Zeitzwängen geprägten Operationsmodus des technisch vernetz­

ten Organtransplantationssystems verbunden. Er weist das Muster eines Impulsbetriebes auf: lange Phasen ruhiger, mit dem klinischen Normalbe­

trieb verträglicher Aktivitäten wechseln sich mit kurzen Phasen hektischer, klinische Abläufe und ihre Hierarchien unterlaufender Aktivitäten ab. Abge­

sehen von der Erfolgskontrolle bereits durchgeführter Transplantationen und der Gewährleistung der postoperativen Nachbetreuung dient "das Netz"

in den Phasen ruhiger Aktivität im wesentlichen nur dazu, potentielle Spen­

derorgane zu identifizieren.

9 Vgl. Broom 1988.

19 Vgl. Eurotransplant Newsletter 55/1988: 11 und KfH 1990: 17f.

8

-Hat "das Netz" einen potentiellen Spender aufgespürt, wird eine regel­

rechte Kaskade größtenteils zeitgleich ablaufender Netzaktivitäten ausgelöst:

das Einholen der Spendeneinwilligung, die Vorbereitung der Ex- und Im­

plantationen, der Austausch von Informationen über den Spender und seine Organe, der datenförmige Abgleich von Gewebeeigenschaften des Spenders mit denen potentieller Rezipienten im Pool, die computerisierte Selektion, die stofflichen Gewebekompatibilitätsprüfungen, die Explantationen, der Trans­

port von Gewebeproben, Organen, Patienten, Ärzteteams und schließlich die Implantationen. Aus der Perspektive der involvierten Einrichtungen haben diese Aktivitäten den Charakter eines abrupten, überfallartigen Einbruchs in den normalen Klinikbetrieb, wobei in und während kurzer Zeit erhebliche technische und personelle Ressourcen mobilisiert werden müssen. Die tech­

nischen Einrichtungen peripherer Kliniken werden dabei mitunter überfor­

dert.

Regelungsbedarf besteht für die Kooperationsbeziehungen zwischen den am Transplantationsgeschehen beteiligten Kliniken und Professionen daher nicht nur auf der Ebene der Organverteilung, sondern auch auf der Ebene konkreter Handlungsabläufe. Besonders wenn sie unter hohem Zeitdruck stehen, wie beispielsweise im Rahmen einer (Multi-) Organvermittlung und - entnähme, bei der sich mehrere Explantationsteams verschiedener regiona­

ler Transplantationszentren in den Betrieb eines lokalen Spender-Kranken­

hauses und dessen Infrastruktur einklinken, besteht die Gefahr von Mißver­

ständnissen, Egoismen und Organisationshavarien, die letztlich sogar zu Or­

ganverlusten führen können.

Ein hierbei relevantes Konfliktfeld ist beispielsweise der hohe Kommu­

nikationsbedarf. Teils blockieren die Vermittlungsorganisationen, Koordina­

toren und unterschiedlichen Explantationsteams, die alle Kontakt mit ihren Transplantationszentren halten wollen, die Telefonanlage der hilfsbereiten Krankenhäuser. Beispiele solcher und ähnlicher Probleme gibt es genug.

Auch sie bilden Anläße zur Formalisierung zwischenklinischer Koopera­

tion.11

11 Vgl. Eurotransplant Newsletter 66/1989: 5, Offermann 1987: 3, und Smit/Heigel/Lau- chart 1990.

Abbildung I Das PIONEER-System

TRANSPLANT CENTRE

PSN

ABO HLA WEIGHT HEIGHT ANTIBODY % CENTRE REGION CMV AGE DRW6 DIAGNOSIS HOMOZYGOUS TIME ON LIST E T C _

(Quelle: Broom 1988: 15)

10

-Interorganische Vernetzung

Weitere wichtige Vernetzungsaspekte resultieren unmittelbar aus der zentra­

len Funktionsbestimmung des Organtransplantationssystems. In realisti­

scher Sicht kann man nämlich das Transplantieren selbst als einen Akt der technischen Vernetzung von menschlichen Körpern und Organen begreifen.

Das Transplantieren ist demnach ein Prozeß, bei dem verschiedene Körper untereinander, in der Regel der Körper eines Tötens mit mehreren verschie­

denen Körpern von Rezipienten, technisch vernetzt werden - ein technischer Verknüpfungsakt, der, wie wir noch ausführen werden, den sinnkritischen Punkt für alltagsweltliche Lebens- und Todesvorstellungen darstellt. Welche Körper miteinander vernetzt werden, wird durch das sogenannte Gewebe- Matching und damit im Rahmen von zunächst nur probeweise durch­

geführten Körperkopplungen ermittelt. Zentrales technisches Objekt der Körpervernetzung bildet dabei das Transplantat. In der öffentlichen Debatte über die Transplantationsmedizin wird der technische Charakter des Trans­

plantats, was sich beispielsweise in der beliebten Gegenübersetzung von na­

türlichen und künstlichen Ersatzorganen ausdrückt, weitgehend übersehen und durch moralisch konnotierte Kategorien wie der des Naturaltausches überdeckt.

Aber auch die Spenderorgane sind nur Prothesen.12 In ein technisches Produkt werden sie im Grunde schon im Körper des toten Spenders verwan­

delt, der künstlich dank einer umfassenden intensivmedizinischen Maschi­

nerie in Funktion gehalten wird. Die Intensivbehandlung potentieller Organ­

spender besteht aus häufigen und differenzierten Laborwertkontrollen des Stoffwechsels und der Kreislauffunktionen. Entsprechend wird der hirntote Organismus apparativ und medikamentös gesteuert, wobei die verabreichten Substanzen auf den Funktionserhalt der später zu explantierenden Organe zugeschnitten sind.13

Deutlicher wird ihr technischer Charakter dann durch das Herauslösen des Transplantats aus den noch vorhandenen biologischen Zusammenhän­

gen des Spenderkörpers, durch die transplantationsgerechte Präparation seiner Eigenschaften und zukünftig vielleicht durch seine Ankopplung an ein

12 Zur Sozialgeschichte der Prothesentechnik siehe Berr 1991.

13 Vgl. Klöss/Fretschner/Baumann 1990.

Transplantatüberlebenssystem (TOPS), das dem Transplantat einen mensch­

lichen Körper solange simuliert, bis es in einen geeigneten Zielkörper einge­

pflanzt wird.14 So wird kein natürliches Organ, sondern ein organisches Prä­

parat in den Körper des Rezipienten implantiert. Sein technisch-apparativer Charakter zeigt sich weiter daran, daß Transplantate vielfach nicht dort, wo es die Natur vorsieht, wo sich also das geschädigte Organ befindet, sondern an einem technisch-funktionell günstigeren Ort eingepflanzt werden. Im Fall der Niere werden hierdurch bis zu sieben Retransplantationen möglich, sollte dies wiederholtes Nierenversagen oder Abstoßungsreaktionen erfor­

dern.15 Schließlich zeigt er sich aber auch daran, daß das Transplantat während seiner gesamten Laufzeit, wie bei jeder anderen komplexeren Pro­

thesentechnik auch, kontinuierlich der technischen Wartung und Pflege in Form von Kontrolluntersuchungen, medikamentöser Immunsuppression und Immunmodulation bedarf.16

Die Vernetzung der Körper wird darüber hinaus noch auf einer anderen Ebene vollzogen: in der voneinander unabhängigen technischen Verknüp­

fung der einzelnen Spender- und Rezipientenkörper mit den technischen Sy­

stemen der professionellen Medizin, also mit den Techniken in den verschie­

denen transplantationsbeteiligten Einrichtungen und ihren überbetriebli­

chen Vernetzungen. Wie eng hierdurch der professionelle und der alltägliche Körperumgang verbunden werden und wie weit das technische Netz des Transplantationswesens in den Alltag seiner Klientel hineinragt, verdeutlicht in besonders plastischer Weise das ihm eigene "Pieperwesen".

Potentielle Rezipienten, in der Regel Dialytiker, erhalten einen Europie­

per, wenn sie auf der Warteliste einen aussichtsreichen Platz erreicht haben.

So lange sie das Gerät bei sich tragen, sind sie für den Fall erreichbar, daß irgendwo im Transplantationssystem ein für sie geeignetes Organ verfügbar wird. Das Gerät erlaubt ihnen, sich frei zu bewegen und, soweit dies die Dia­

lyse zuläßt, ihrem Alltag nachzugehen. Werden sie angepiept, haben sie sich umgehend mit dem für sie zuständigen Transplantationszentrum telefonisch in Verbindung zu setzen, gegebenenfalls daraufhin in ein Taxi zu springen

14 Die Washingtoner Medizingeräte-Firma TOPS Systems begann ihre klinischen Versuche mit Organ-Konservierungssystemen im Jahr 1988 und zielt dabei auf die Einrichtung von Transplantat-Banken (Firmen-Information).

l 5 Vgl. Land 1985: 133f.

15 Vgl. Pichlmayr 1986.

12

-und sich zur Transplantationsklinik oder zum nächstgelegenen Flugplatz zu begeben. In ähnlicher Weise wird auch das Transplantationsteam mit Hilfe der im klinischen Betrieb üblichen Notfallpieper zur Vorbereitung und Durchführung der Transplantation zusammengezogen.

Das Pieperwesen der Transplantationsmedizin erstreckt sich mittlerwei­

le sogar auf das Leben mit dem Transplantat. So erhalten Herztransplantier­

te zusammen mit dem neuen Organ ein kleines Gerät eingepflanzt, das zum einen die Funktion eines handelsüblichen Herzschrittmachers erfüllt, zum anderen aber als Warnsystem für immunologische Abstoßungsreaktionen fungiert. Durch das implantierte Gerät werden die EKG-Potentiale im Herz­

muskel automatisch gemessen und ausgewertet. Gesteuert wird der mes­

sende und datenproduzierende Schrittmacher über eine Empfangsspule, die auf die Hautoberfläche des Transplantierten aufgeklebt werden kann. Auf diesem Weg gelangen die im Körper erhobenen Daten wieder nach außen - an ein bettseitiges Gerät und schließlich über das normale Telefonnetz zum Zentralcomputer der Herzklinik.17

Die Vernetzung der Körper bezieht sich schließlich auch auf die Körper der potentiellen Spender. Zu den zentralen Funktionsbestimmungen des Transplantationssystems gehören nämlich nicht nur die Abwicklung des Transplantationsaktes und die dauerhafte Einbettung von Spenderorganen in den Rezipientenkörper, sondern auch die Versorgung mit den hierfür not­

wendigen Spenderorgane. Ein großer Ausschnitt der technischen Netzstruk­

turen des Transplantationswesens dient daher der Organbeschaffung, ge­

nauer gesagt, der virtuellen Verknüpfung des Transplantationsbetriebs mit im Prinzip jedem beliebigen menschlichen Körper, der in irgendeinem Winkel der Gesellschaft die Grenze zum Tod überschreitet. Solange die Transplanta­

tionsmedizin auf menschliche Organe angewiesen ist, gehören daher nicht nur kranke Menschen zur ihrer Klientel, also diejenigen, die auf ein Trans­

plantat warten oder bereits mit einem Transplantat leben, sondern im Grunde jeder gesunde Mensch im Einzugsbereich des Transplantations­

systems. Im Gegensatz zu anderen Bereichen der medizinischen Gesund­

heitsversorgung ist die Klientel der Transplantationsmedizin Leistungsem­

pfänger und Leistungserbringer. Entsprechend ist das Transplantations

-17 Vgl. den Artikel "Magnetfelder ...", sowie Wamecke et al. 1989 und Müll er/Wamecke/- Hetzer 1990.

system auch auf der Seite seines technischen "Inputs" von seiner Klientel abhängig.

Daß es sich bei der technischen Verknüpfung der Spenderkörper größ­

tenteils um virtuelle Netzleistungen, also um die Produktion größerer Organ­

bergungschancen handelt, tut ihrer Realitätsmächtigkeit keinen Abbruch.

Denn die Betroffenheit und Angst, die das Transplantationswesen in der Be­

völkerung auslöst, machen sich weniger an der Möglichkeit fest, selber ein Transplantat zu erhalten, oder daran, daß in irgendeinem Winkel der moder­

nen Medizin Transplantationen durchgeführt werden. Entscheidend ist viel­

mehr die durch die virtuelle Vernetzung geschaffene Tatsache, daß letztlich eben jeder potentieller Spender ist. Und man wird abwarten müssen, ob die virtuelle Spenderexistenz, die wir alle führen, durch den Aufbau von zentra­

len Spenderdatenbanken, über die das gegenwärtige Spenderpaßwesen ein netztechnisches Korsett erhalten soll, eher verunsichert oder aber abgesi­

chert wird.18

Neben den Zeitzwängen sind es nun in der Tat die Probleme der Organ­

beschaffung, die die bisherige Entwicklung des Transplantationssystems entscheidend geprägt haben, genauer gesagt, die chronische Lücke zwischen Transplantatangebot und -nachfrage. Von Beginn an hatten es die Trans­

plantationsmediziner mit diesem Knappheitsproblem zu tun - einem Pro­

blem, das sich mit zunehmender Entfaltung des Transplantationssystems keineswegs verringert, sondern vergrößert hat. Im Jahr 1974 standen 1.583 potentielle Rezipienten auf der Warteliste; 606 Patienten wurden im gleichen Jahr transplantiert. Im Jahr 1988 sind bereits 2.736 Patienten auf der War­

teliste registriert gegenüber 1.086 durchgeführten Transplantationen.19 Die Transplantationsfrequenz hat sich damit zwar erhöht, aber zugleich haben sich die Chancen, ein Transplantat zu bekommen, für die zur Transplanta­

tion vorgesehenen Patienten verringert.

Das Transplantatangebot ist vorwiegend von der medizinischen Todes- definition, der Zahl der dieser Definition entsprechenden Todesfälle, dem En­

gagement der Ärzte und der Spendenbereitschaft der Bevölkerung abhängig.

Die Länge der von den Transplantationseinrichtungen geführten Wartelisten

18 In Frankreich und Belgien wurden bereits zentrale und computerisierte Spenderregister aufgebaut (Wolfslast 1989: 45).

19 Die von der Eurotransplant Foundation (1989: 23) genannten Daten enthalten keine Transplantationen, die mit lebend-gespendeten Organen durchgeführt wurden.

14

-potentieller Rezipienten ist wesentlich von der Machbarkeit, den Erfolgsaus­

sichten und den medizinischen Indikationsregeln für Transplantationsthera­

pien abhängig - aber auch von der Qualität möglicher Ersatztherapien, also den Überlebenschancen ohne Transplantat. Insofern befindet sich die Trans­

plantationsmedizin (und ihre Techniken) in einer zugleich ergänzenden und konkurrierenden Beziehung mit benachbarten Medizinbereichen (und deren Techniken). Die Qualität der Dialysemethoden, aber auch die Perspektiven ihrer Verbesserung, beeinflussen zum Beispiel nachhaltig die Nachfrage nach Nierentransplantaten. Je länger die Dialyse den Nierenerkrankten trotz relativ hoher Belastungen ein Überleben ermöglicht, desto länger verbleiben Dialyse-Patienten auf der Warteliste; je weniger jedoch verbesserte Dialyse­

methoden den Patienten gesundheitlich belasten, desto geringer die Notwen­

digkeit einer Transplantation.

Vor diesem Hintergrund wollen wir uns im folgenden Abschnitt zunächst den wissenschaftlichen Kontexten des Transplantationsbetriebs zuwenden. Dabei wird es vor allem um die Beschreibung eines Rückkopplungsmechanismus zwischen Technik und Wissenschaft gehen,

Vor diesem Hintergrund wollen wir uns im folgenden Abschnitt zunächst den wissenschaftlichen Kontexten des Transplantationsbetriebs zuwenden. Dabei wird es vor allem um die Beschreibung eines Rückkopplungsmechanismus zwischen Technik und Wissenschaft gehen,