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5 A USBILDUNG , WISSENSCHAFTLICHER UND BERUFLICHER

5.5 Tätigkeit als praktischer Tierarzt

Die eher mager dotierten Lehrstühle der alten Universität Münster (1780-1818) zwangen viele Dozenten dazu, neben ihrer Lehrtätigkeit durch andere Arbeiten ihr Professorengehalt aufzustocken, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Während andere Hochschullehrer zum Teil völlig fachfremde Tätigkeiten verrichten mussten272, hatte Joseph Fehr den Vorteil, seine erwor-benen Fähigkeiten als praktischer Tierarzt zu nutzen. Er konnte sogar seine Lehrtätigkeit mit dem Nebenverdienst verbinden, indem er seine Schüler zu den von ihm zu behandelnden Tieren mitnahm273 und ihnen auch teilweise die weitere Betreuung der Patienten übertrug274. In der Praxis verrichtete Fehr dieselben Tätigkeiten, die er auch seine Schüler lehrte (s. Lehrplan in Kapitel 6).

Besonderen Wert legte er auf die genaue Beobachtung der kranken Tiere275 und besuchte seine Patienten, wenn möglich, täglich.

Den Akten und seinen drei veterinärmedizinischen Büchern zufolge war Fehr während seiner gesamten Lehrzeit auch als praktischer Tierarzt tätig, indem er in Münster und Umgebung besonders Pferde, aber auch Hunde und Klauentiere behandelte. Ob er nach dem Ende des tierärztlichen Unterrichts noch weiter als praktischer Tierarzt arbeitete, wie Froehner276 behauptet, lässt sich anhand der Akten nicht eindeutig belegen. Joseph Fehr war bei der Auflösung der Universität (1818) 78 Jahre alt, und schon im Mai 1802 klagte er über gesund-heitliche Probleme, die ihm bei der Ausübung seines Berufes hinderlich waren:

„Dermalen aber, wo die Zeitumstände sich in dieser Rücksicht sehr geändert haben, und ich in einem Alter von 62 Jahren, zumal da ich vor 2 Jahren das Unglück hatte, meinen linken Arm zu zerbrechen und dabey die Schulter zu verrenken, anderer mir bey meiner Amtsverrichtung überkommner erheblicher Unglücksfälle nicht zu erwähnen, nicht mehr fähig bin, mühseelige Arbeiten und schwere Operationen vorzunehmen, somit die erste größte Quelle, woraus mir und meiner Familie bisher der Lebensunterhalt zufloß, versiegen sehe [...]“277

Bei der Neuplanung des Tierärztlichen Unterrichts 1804 bietet Fehr sogar von sich aus an, seinen Nebenverdienst als praktizierender Tierarzt zu Gunsten des

272 Ein kurioses Beispiel dafür ist der Fall des Professors für Natur- und Kriminalrecht (von 1795 bis 1807), Johann Heinrich Waldeck (1768-1840), der als Nebenerwerb einen Leinen-handel betrieb. Vor die Wahl gestellt, diesen aufzugeben oder seinen Lehrstuhl an der Universität Münster zu räumen, entschied er sich für den lukrativeren Leinenhandel (Schönemann 1993, S. 724-725).

verständlicherweise um ein ausreichendes Gehalt als erster Lehrer.

„Hingegen wäre ich auch erböthig, um die Praxis für die Schüler auszudehnen, und um allen Animositäten und Collisionen, die leider so oft zum Nachtheile des Publikums unter Menschen und Thierärzten vorkommen; in Zukunft vorzu-bringen, alle meine Praxis /: um mich nur für die Schule allein thätig bezeigen zu können:/ dem 2ten Lehrer zu überlassen; mit dem Bedinge aber, daß mir ein ange-messenes Gehalt, um in meinem Alter leben zu können, Allergnädigst zugesichert würde. Dieser Praxis hatte ich es bisher lediglich zu verdanken, daß ich nicht allein mein gehöriges Auskommen hatte, sondern auch alles auf der Schule vor-findliche, das ich seit 24 Jahren angeschafft, bis hiehin im Stande halten konnte.“278

Da es nicht zur Durchführung der Modernisierungspläne kam und auch die ohnehin geringe Gehaltserhöhung nur langsam durchgeführt wurde, musste Fehr auch weiterhin praktisch tätig sein. Es ist aber anzunehmen, dass der alte Mann spätestens nach dem Ende der Tierarzneischule (1824) nicht mehr praktizierte.

Während der fürstbischöflichen Regierungszeit (bis 1802) hatte Fehr neben seiner Funktion als Lehrer der Tierarzneischule die Aufgabe, als Tierarzt die Pferde des fürstbischöflichen Marstalls, zu denen die Pferde der kurfürstlichen Leibgarde gehörten279, zu betreuen. Er schreibt zu seinen Aufträgen, die er als praktizierender Tierarzt erfüllte, dass er

„ehemals die Hochfürstlichen Guarde-Pferde – den fürstlichen Marstall unter der direction Herrn Oberstallmeisters Grafen von Westerholt zu behandeln; und die meisten Ställe der hiesigen adlichen Familien, welche keine geringe Anzahl Pferde ausmachten, nebstdem das Gestüt [des Herrn] Erbkammerherrn von Galen zu Göttendorff280; und die Amtsbeschäler im ganzen ehemaligen Münsterlande, wie auch den Poststall zu besorgen hatte, ohne die Pferde, die mir aus der Ferne zugeschickt, und in Betreff ihrer Krankheiten sowohl, als englisiren, Ohren aufsetzen pp in dem Krankenstalle bey der Thierarzney-Schule dahier, wo 3 Pferde stehen können, behandelt wurden.“281

Dieses umfangreiche Aufgabengebiet zeigt, dass Fehrs Leistungen als Tierarzt, vor allem auf dem Gebiet der Pferdeheilkunde, bei den Adeligen und bei Hofe anerkannt waren. Fehr bezog zusätzlich zu seinem Lehrergehalt von der

278 Anhang Nr. 33, S. 212.

279 Anhang Nr. 33, S. 208.

280 Haus Göttendorf befand sich südöstlich von Rinkerode, das ca. 20 km vom damaligen Stadtkern von Münster entfernt ist (Jakobi 1993, S. 506). Fehr hatte also ziemlich weite Wege zu seinen Patienten zurückzulegen, so dass seine praktische Tätigkeit viel Zeit in Anspruch nahm.

281 Anhang Nr. 33, S. 208-209.

Leibgarde282 ein festes, wahrscheinlich vierteljährliches Einkommen von 40 Reichtalern. Wofür er dieses Geld genau erhielt, lässt sich nicht nachweisen. Es ist aber anzunehmen, dass er es als Bezahlung seiner Dienste als betreuender Tierarzt der Gardepferde bekam und nicht selber Mitglied der Leibgarde war. Im Hof- und Adreßkalender des Hochstifts Münster aus den Jahren 1777 bis 1802 wird Joseph Fehr unter der Rubrik „Leibguarde“ zumindest nicht aufgeführt.

Dass Fehr außerdem unter der fürstbischöflichen Regierung noch weiteres, z. T.

festes Gehalt aus seiner Tätigkeit als praktischer Tierarzt bezog, lässt sich aus seinem vom 23. Juni 1804 datierten Brief an den preußischen König entnehmen:

„ich bemerke indessen, daß ich außer den jährl 100 Rthlr. Gehalt aus der Land [Pfennig-] K[ammer] unter der vor. Reg. von dem Garden Hotel283, vom Maarstall u von den Land gestütten theils festes Gehalt, theils Verdienst gehabt, daß ich

Die Einquartierung österreichischer, hessischer und hannoverscher Truppen nach Ausbruch des 1. Koalitionskriegs (1792) in Münster brachten dem Tierarzt Fehr zwar private Unannehmlichkeiten285, er konnte die Anwesenheit der Militärs aber beruflich nutzen, indem er ihre Pferde behandelte286. Nach der Besetzung des Hochstifts Münster durch Preußen (1802) ging sein Patienten-stamm aber deutlich zurück, da die fürstliche Garde, der Marstall, das Gestüt zu Göttendorf und die Amtsbeschäler abgeschafft wurden287.

„Hierzu kommt noch der Umstand, daß sich bey der hiesigen Noblesse nicht allein die Anzahl der Pferde seit einigen Jahren vermindert; sondern auch, daß dieselbe nunmehr ihren hiesigen Aufenthalt mit dem auf ihren Landgütern größtentheils vertauschet hat.“

282 Diese fürstbischöfliche Leibwache rekrutierte sich aus der von Fürstenberg Mitte der 1760er Jahre gegründeten Militärakademie, in der adelige Offiziersanwärter und bürgerliche Kadetten in den für die Offizierslaufbahn nötigen Kenntnissen und Fertigkeiten unterwiesen wurden (Lahrkamp 1976, S 560).

283 Die Militärakademie, deren Eleven als Leibgardisten Dienst taten, war im Mallinckroctschen Hof am Krummen Timpen untergebracht, der deshalb im Volksmund nur

„das Gardehotel“ hieß (Lahrkamp 1976, S. 560).

284 Anhang Nr. 51, S. 235.

285 Fehr war als Eigentümer des Hauses Bergstraße Nr. 74 (Fraatz 1940, S. 343) verpflichtet, Soldaten darin aufzunehmen.

286 Anhang Nr. 12, S. 182.

287 Anhang Nr. 33, S. 212.

diese erkrankten aber „bey einer ordentlichen Pflege und Fütterung seltener als andere zur Arbeit und Strapazen bestimmte Pferde“288. So ging die praktische Tätigkeit Fehrs erst einmal zurück.

Während der französischen Herrschaft (1806-1813) wurde in Münster ein Lager für kranke Armeepferde, das sogenannte „Pferdedepot“ eingerichtet, dessen Leitung Fehr nach dem Abrücken der französischen Besatzer 1814 übernahm.

„Ohne Gehalt übernahm ich anfangs unentgeldlich die alleinige Führung des Depots, durch die bloße Verwendung des Generals von Bülow an des Königs Majestät wegen sofortiger Organisation der hiesigen Thierarzneischule zu neuen Hoffnungen belebt (ich kann dies nachweisen). Hunderte von kranken Pferden, preußische und fremde, Pferde der Generalstaabe wie der Regimenter habe ich hierauf im November, Dezember und Januar alle Tage unter freiem Himmel, mit Hülfe von ein Paar Schülern und einigen mir zugetheilten Stallknechten behandelt, die Verschreibung, Aufbewahrung und Vertheilung der Fourage und Medicamente, von welchen letztere die hiesigen Apotheken den Vortheil zogen, die ganze Correspondenz und das Rechnungswesen besorgt.“289

Für den damals 74jährigen war dies eine fast nicht zu bewältigende Aufgabe, und Fehr schreibt selbst, dass nur „die bloße Hoffnung zur Wiederaufrichtung der Schule“ ihn damals zu diesen „schonungslosen Anstrengungen“ angetrieben habe. Es ist zu vermuten, dass während dieser Zeit der Unterricht der Tierarznei-schule mehr oder minder zum Erliegen kam und die wenigen noch vorhandenen Schüler ganz in den Dienst beim Pferdedepot eingespannt wurden.

Diese vielen, die praktische Tätigkeit betreffenden Beispiele aus den Akten und seinen Schriften verdeutlichen, dass die Praxis für Joseph Fehr einen großen Teil seines Lebens ausgemacht hat. Die Konkurrenz an ausgebildeten Tierärzten war in Münster nicht groß. Lahrkamp290 gibt an, dass im Jahr 1802 nur drei Personen mit dieser Berufsbezeichnung gemeldet waren. Jedoch machten die bei Stallleuten und auch bei den adligen Gutsbesitzern durchaus noch geschätzten

„Quacksalber“, die selbsternannten, rein empirisch handelnden Tierheiler, dem fachlich qualifizierteren Fehr zu schaffen. In seinem 1806 erschienenen Buch über die Brustseuche der Pferde beklagt er sich über deren Verhalten und das Problem der mangelnden Anerkennung sachkundiger, studierter Tierärzte:

„Der medizinische Arzt ist nicht vermögend, jede Krankheit beym Anfang gleich zu bestimmen, obschon der Kranke sein Leiden klagen kann. Desto weniger ist

288 Ebd.

289 StAM Regierung Münster 215, Band 2, Blatt 46.

290 Lahrkamp 1976, S. 468.

der geschickteste Thierarzt im Stande, eine jede Krankheit im Anfange anzugeben.

Der Quacksalber aber, der bey den Eigenthümern und besonders bey den Stall-leuten ein besseres Zutrauen erhält, als der geschickteste Thierarzt, unterfängt sich, wenn er gefragt wird, aus seinem Krankenregister gleich der Krankheit einen Nahmen zu geben; nemlich: das Pferd ist verfangen, es hat die Wind-, Futter-, Wasser- oder Stall-Reh; es hat den Kropf; es will oder es hat die Druse, u.s.w.

Mit diesen leeren Worten, ohne alle Begriffe, weis der Quacksalber sich beym Publicum verdient und geltend zu machen, und befriedigt damit den fragenden Eigenthümer.

Dann geht es mit der Kur auf die kranken Thiere los, und der e r f a h r n e M a n n wühlt alsdann gegen die Krankheit und natürlichen Verrichtungen des thierischen Körpers so herum, wie der Maulwurf gegen die Arbeit des fleißigen Gärtners, wie ich schon bey einer andern Gelegenheit weiter ausgeführt habe.

Einen solchen Vorzug hat leider noch der Quacksalber vor dem gründlichen Thierarzt bey dem größten Theil des Publicums.“291

Diese mangelnde Anerkennung der von ihm mit Begeisterung praktizierten wissenschaftlich fundierten Tierheilkunde beschäftigte und bedrückte Fehr bis zu seinem Tod.

291 Fehr 1790, S. 58-60.