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5 A USBILDUNG , WISSENSCHAFTLICHER UND BERUFLICHER

5.2 Die Ausbildung zum Tierarzt

Als im Jahr 1775 im Münsterland die Rinderpest zum wiederholten Mal ausbrach, wurde, wie schon im Kapitel zur Vorgeschichte der Tierarzneischule (Kapitel 4.1) ausführlich geschildert, neben dem Medizinalrat Retenbacher auch der fürstbischöfliche Stabschirurg Joseph Fehr als Sachkundiger zur Bekämpfung der Seuche herangezogen. Rassmann schreibt über die ersten Berührungen Fehrs mit der Tiermedizin, dass der Stabsfeldscher

„die Gelegenheit hatte, sowohl bei dem Regimente, welches mit äusserst schlechten Kur- und Fahnenschmieden versehen war, als auf dem Lande bei einigen Oekonomen, die er als Arzt und Chirurg bedienen musste, sich, als blosser Liebhaber, mit Hülfe mehrerer Veterinair Autoren, mit den Krankheiten der Thiere näher bekannt zu machen.“185

Schon hier wird deutlich, dass Joseph Fehr sich aus eigenem Antrieb und nicht erst auf höhere Anweisung hin mit der Tiermedizin beschäftigte. Diese eigen-ständige Motivation sollte sein ganzes berufliches Leben bestimmen und der

183 StAM Studienfonds 4964, Blatt 2-3.

184 Es konnte nur jemand Mitglied im Medizinalkollegium werden, der einen Doktorgrad (Dr.

med.) hatte (Druffel 1907, S. 73).

185 Rassmann 1814, S. 42.

es wohl kaum geschafft, über 30 Jahre lang allen Widrigkeiten zum Trotz ein tiermedizinisches Institut aufrechtzuerhalten.

Wie bereits im Kapitel zur Vorgeschichte erwähnt, konnte Fehr bei der Kavalle-rie schon Studien der Anatomie der Pferde betreiben und lernte dort vermutlich die Kastration der Hengste mit Kluppen nach der Robertsonschen Methode kennen.

Nach Tilgung der Rinderpest wurde dem Stabschirurgen Fehr im April 1777 eine fast zweijährige Reise durch Norddeutschland mit einem jährlichen Zuschuss von 100 Reichstalern finanziert. Aus dem Antrag der Landstände vom 13. April 1777 und aus Fehrs Schreiben nach seiner Heimkehr ist zu ersehen, dass er selbst diese Reise beabsichtigt und dazu finanzielle Hilfe erbeten hatte und nicht ursprünglich von der Regierung zu der Reise beauftragt worden war.

Im landständischen Antrag wird nämlich auf Fehrs Gesuch („ad Supplicam“186) reagiert, in seinem Schreiben vom 29. November 1778 spricht der Stabschirurg davon, dass seine Bitte „in betref der von mir untertänigst angesuchten Verschiedung nach Cassel“ usw. genehmigt wurde. Im Ernennungsdekret vom 3. Februar 1779 heißt es jedoch, dass der Kurfürst den „Compagnie Chyrurgus“

Joseph Fehr auf Antrag der Landstände „nach Cassel und Hannover zu schicken“ geruht habe. Diese Ausdrucksweise hatte zur Folge, dass sowohl Rassmann187 als auch Pieper188 und alle nachfolgenden Autoren schreiben, Fehr habe seine Reise im Auftrag der Regierung unternommen, was nachweislich nicht der Wahrheit entspricht.

Diese feine Unterscheidung mag haarspalterisch erscheinen, sie zeigt aber wiederholt die beträchtliche Eigeninitiative Fehrs bezüglich seiner Ausbildung zum Tierarzt und Tierarzneilehrer und macht deutlich, dass schon vor Beginn des tierärztlichen Unterrichts in Münster die Obrigkeit eine eher passive Haltung einnahm und, wenn überhaupt, nur auf Fehrs Anträge reagierte.

Die Angaben in den Akten sowie bei verschiedenen Autoren über Fehrs Stationen auf seiner Studienreise stimmen nicht immer überein. Im erwähnten Schreiben nach seiner Rückkehr schildert der zukünftige Tierarzneikundelehrer, welche Orte er auf seiner Reise besucht hatte:

„Ich habe dem nach zu Caßel So wohl als in Hannover, um besagte Vieh-Arzney Kunst gründlich zu erlernen, mich höchstens angelegen sein laßen, mich auch zu benachbarten örthern begeben, wo selbst ich von der Arth kunst Erfahren und berühmte Männere, verschiedene Lehren eingehohlt, wie auch einige Stutereyen

186 Anhang Nr. 2, S. 170, Anhang Nr. 3, S. 172.

187 Rassmann 1814, S. 42 und 1866, S. 109 Pieper 1902, S. 96.

188 Pieper 1902, S. 96.

besichtiget, und alles; bis zum Beschlag der Pferden; in diesem Fache mir Dienliches dabey genau beobachtet, Also daß ich mich nun mehr diese Kunst so wohl selbst aus zu üben, als auch andere zum Landes besten in der Zergliederung als auch Pracktisch zu lehren hinlänglich fähig zu sein darbieten könne.“189

Weiter ist seinem Lebenslauf vom 8. Januar 1810 zu entnehmen:

„Ich Reisete demnach mit Medicinischen und Chirurgischen pracktischen Vorkenntnissen 1777 im May nach Cassel, von da nach Göttingen, und von da, nach Hannover. Woselbst ich auch das Land- und Privat- wie auch das Harzburger Gestüte benutzte; und kam dann, nach 2 ½ Jahre190 nach Münster zurück.“191

Rassmann192 schreibt 1814, Fehr sei zuerst nach Kassel gereist, um bei Kersting zu lernen, danach habe er Marburg und das Harzburger Gestüt in Braunschweig besucht. Von dort sei er nach Göttingen zu Johann Christian Polycarp Erxleben gereist. Da dieser am 18. August 1777 verstarb, muss Fehrs Aufenthalt in Göttingen folgerichtig vor diesem Datum gewesen sein. Fehr fuhr daraufhin nach Hannover und visitierte schließlich das Privat- und Landgestüt in Celle, bevor er wieder nach Münster zurückkehrte.193 Dass Fehr „zum Studium der Rinderpest“ in die Seuchengebiete Norddeutschlands gereist sei, lässt sich anhand der Akten nicht belegen.194 Gleiches gilt für die Aussage, er habe in Celle die Chirurgenschule besucht.195

Den vorausgehenden Angaben zufolge ist neben dem schon bald verschiedenen J. Ch. Erxleben besonders Johann Adam Kersting, der Gründer und erste Lehrer der Tierarzneischule Hannover, als Fehrs Lehrer in der Tierarzneikunde zu nennen. Kersting hatte bereits als Oberhofrossarzt am Kasseler Hofmarstall Schüler um sich geschart. 196 Namentlich werden unter anderem genannt: August Konrad Havemann (der später als zweiter Lehrer an der Tierarzneischule in Hannover angestellt wurde), Georg Wilhelm Schrader (später in Hamburg), Christoph Friedrich Weber (später in Dresden), Heinrich Magnus Harriers

189 Anhang Nr. 2, S. 170.

190 Diese Angabe kann nicht stimmen. Wenn Fehr im Mai 1777 seine Reise begonnen hat, kann er nicht länger als 1 ½ Jahre unterwegs gewesen sein, da er selbst im November 1778 (Anhang Nr. 2) seine Rückkehr nach Münster meldet.

191 StAM Studienfonds 4964, Blatt 2-3.

192 Rassmann 1814, S. 43.

193 Ebd.

194 Diesbezügliche Angaben machen Schrader und Hering 1863, S. 127, Semmer 1886, S. 84, Fraatz 1940, S. 342 und Froehner 1954, 195. W. Rieck vermischt die Tatsachen sogar soweit, dass er schreibt, Fehr habe im Auftrag der Regierung 1777 die Rinderpest in Norddeutschland bekämpft (Rieck1927, S. 359).

195 Fraatz 1940, S. 342, Froehner 1954, S. 295. Es drängt sich die Vermutung auf, dass der eine hier vom anderen unkritisch abgeschrieben hat.

196 Froehner 1953, S. 43.

Der Unterricht Kerstings in Kassel war rein praktisch und „besonders für Hippologen geeignet“, wie Havemann berichtete. Kersting verwies für die Theorie auf Bücher, von denen er einige zum Studium empfahl.198

Die alten Bestände des Stadtarchivs Kassel sind im Zweiten Weltkrieg vollständig verbrannt199, so dass sich dort keine Informationen über Kersting und den Hofmarstall finden lassen. Im Hessischen Staatsarchiv Marburg, in dem sich das Schriftgut der landgräflichen Behörden zu Angelegenheiten der Haupt- und Residenzstadt Kassel befindet, ist Kersting ebenfalls in keinem Verzeichnis zu finden.200 So muss bezüglich Kerstings Tätigkeit in Kassel auf die Sekundär-literatur zurückgegriffen werden.

In Göttingen, dem nächsten Ziel seiner Reise, hörte Fehr den bereits berühmten

„Begründer der wissenschaftlichen Tiermedizin in Europa“201, Johann Christian Polycarp Erxleben (1744-1777). Erxleben vermittelte seinen Schülern im Gegensatz zu Kersting nicht nur rein praktische Kenntnisse, sondern versuchte, die aus der Stallmeisterzeit überlieferte empirische Tierarzneikunde wissen-schaftlich zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Es ist durchaus denkbar, dass Fehr durch Erxleben die Anregungen zum wissenschaftlichen Denken bekam, wie er es selber seinen Schülern zu vermitteln versuchte. Fehr hielt sich an der Göttinger Universität vermutlich als Gasthörer oder anlässlich einer Hospitanz auf.202 Er war nicht als Student in Göttingen eingeschrieben, wie der Matrikel der Georg-August-Universität zu entnehmen ist.203

Nach Erxlebens Tod im August 1777 reiste Fehr nach Hannover, wobei es gut möglich ist, dass er zuerst noch einmal nach Kassel zurückkehrte und erst mit Kersting nach Hannover ging. Ebhardt204 schreibt in seiner Dissertation über die ersten Jahre der Tierarzneischule Hannover, dass Kersting nach seiner Flucht aus Kassel „in Celle den Unterricht der ihm anvertrauten Schüler“ wieder aufgenommen habe. Im Februar 1778 sei er dann mit ihnen nach Hannover übergesiedelt. Aus einer Notiz in den Akten vom 27. Juli 1778 (Personalakte Kersting) geht laut Ebhardt hervor, dass Kersting „22 einheimische und 4 ausländische Eleven, als 1 aus Caßel, 1 aus Münster, 1 aus Hettfeld für den Roßkamm Kuhlmann, 1 aus (Ortsname unleserlich) [...]“ zu unterrichten gehabt

197 Ebd., S. 44.

198 Froehner 1953, S. 44.

199 Klaube 2002, schriftliche Mitteilung.

200 Hollenberg 2002, schriftliche Mitteilung.

201 Zitat aus der Homepage des Stadtarchivs Göttingen, www.stadtarchiv.goettingen.de/perso-nen/erxleben.

202 Hunger 2002, schriftliche Mitteilung.

203 Von Selle 1937.

204 Ebhardt 1940, S. 45.

habe.205 Ziemlich sicher handelt es sich bei dem Schüler aus Münster um Joseph Fehr, der somit zu den ersten Schülern der Pferdearzneischule Hannover zählte.

Eine Matrikel aus den ersten Jahren der Schule existiert nicht, Schülerlisten wurden erst ab 1820 vom Schulleiter geführt, um die Schulgelder abzurechnen.206

Kerstings Unterricht in Hannover war wiederum rein praktisch ausgerichtet, es fehlten ihm die wissenschaftlichen Grundlagen, um über das empirische Wissen in der Tierarzneikunde herauszugehen.207 Der von Kersting aufgestellte Lehrplan umfasste im Wintersemester Schmieden, innere und äußere Krankheiten des Pferdes, Vorzeigen der kranken Tiere und viel Anatomie. Im Sommersemester kam noch die Knochenlehre, äußere Pferdekenntnis und Alterslehre, Physiologie, Gesundheitslehre, Geburtshilfe und Materia medica (incl. Ziehen der Pflanzen im Kräutergarten) hinzu.208 Vergleicht man diese Unterrichtsinhalte mit Fehrs Lehrplan209, so sind viele Parallelen zu finden, die der Schüler von seinem Lehrer übernommen hat.