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3.3.3 Das methylsubstituierte Phosphanylboran P(H)MeBH 2 ∙NMe 3 (62) P(H)MeBH2∙NMe3 (62)

3.3.3.1 Synthese von P(H)MeBH 2 ∙NMe 3 (62)

Zur Abspaltung eines H+-Ions von 53 muss ein Reagenz verwendet werden, das deutlich basischer ist als das entstehende Phosphanylboran 62 und zugleich ein

schlechtes Nukleophil darstellt, damit der Trimethylamin-Substituenten nicht von der Boranylgruppe verdrängt wird (vgl. Kapitel 3.2.5). Die Base 1,8-Diazabicyclo[5.4.0]undec-7-en (DBU) erfüllt beide Bedingungen, so dass nach der in Gleichung (64) gezeigten Reaktion 62 aus der ionischen Verbindung 53 gebildet wird.

(64)

Nach der tropfenweisen Zugabe einer Maßlösung von DBU in Diethylether (1.0 mol/L) zu einer Lösung von 53 in Acetonitril kann eine zunehmende Trübung beobachtet werden, die durch die Bildung des Salzes DBU∙HI bedingt ist. Nach Entfernen der flüchtigen Bestandteile am Vakuum kann Verbindung 62 mit Toluol vom erhaltenen Rückstand extrahiert werden. Durch vorsichtiges Trocknen bei reduziertem Druck wird eine klare, farblose Flüssigkeit erhalten, deren Hauptbestandteil das Phosphanylboran 62 ist. Durch NMR-spektroskopische Untersuchungen können darin die NMe3-stabilisierte Stammverbindung 1, die zweifach methylsubstituierte Verbindung PMe2BH2∙NMe3 und aus P(H)MeBH2 -Einheiten aufgebaute Aggregate nachgewiesen werden. Im Gegensatz zu den beiden Phosphanylboranen, die lediglich in Mengen von etwa 1 bis maximal 5%

enthalten sind, nimmt der Anteil der oligomeren Spezies bei Raumtemperatur stetig zu. Die Reaktion kann alternativ in einer Suspension mit THF als Lösungsmittel oder mit der Base LiNiPr2 (LDA), die bei –70 °C zugegeben wird, durchgeführt werden. Die Bildung oder die Anteile der gebildeten Verbindungen werden davon jedoch nicht beeinflusst. Die Abtrennung der Nebenprodukte ist durch Waschen der Flüssigkeit mit n-Hexan möglich, in dem jedoch auch 62 eine gewisse Löslichkeit aufweist.

P(H)MeBH2∙NMe3 liegt selbst bei –80 °C nicht als Feststoff, sondern als viskose Flüssigkeit vor und ist wie das Phosphanylboran 1 gut in polaren Lösungsmitteln wie Toluol oder Dichlormethan löslich. Die Reaktionslösung von 62 enthält nach der 16-stündigen Umsetzung bereits einen Anteil von mindestens 10% an oligomeren

53 62

Aggregaten, die durch die Dissoziation der NMe3-Gruppe gebildeten werden. Um bei Raumtemperatur eine vergleichbare Menge an Polyphosphinoboran 3 aus 1 zu erzeugen, bedarf es mit geringstenfalls 8 Tagen mehr als der 10-fachen Zeitspanne (Kapitel 3.1.2.1). Das unterschiedliche thermische Verhalten der Phosphanylborane 1 und 62 bei Raumtemperatur ist augenscheinlich ein Resultat der veränderten elektronischen Struktur. Der verglichen mit Wasserstoff erhöhte sterische Anspruch des Methylsubstituenten sollte zu einer Aufweitung der Winkel am Phosphoratom führen. Für das freie Elektronenpaar resultiert daraus eine Zunahme des p-Charakters und damit der Lewis-Basizität. Infolge der besseren Überlappung mit dem Akzeptororbital am Boratom wird die B–N-Bindungsordnung verringert, was schließlich eine Verdrängung des Trimethylamins begünstigt.

Im 1H-NMR-Spektrum von Verbindung 62 werden die CH3-Gruppen des Amin-Substituenten als Singulett und der Phosphan-Funktion als Dublett bei 1.93 bzw.

1.32 ppm (2JPH = 7 Hz) detektiert (Abbildung 64). Die Resonanz des phosphorgebundenen Protons zeigt bei 2.44 ppm die Aufspaltung in Dublett von Multipletts, während für die diastereotopen Wasserstoffatome am Boratom zwei breite Quartetts bei 2.43 bzw. 2.84 ppm beobachtet werden. Die Kopplungskonstanten betragen für die 1JPH-Kopplung 206 Hz und die 1JBH -Kopplungen 105 Hz und liegen damit in der selben Größenordnung wie die für 1 bestimmten Werte von 189 bzw. 106 Hz.[58] In den 1H{11B}- und 1H{31 P}-NMR-Spektren von 62 kann zwar eine effektive Entkopplung der Resonanzen festgestellt werden, durch die immer noch vorhandene Verbreiterung und Überlagerung der Signale können jedoch keine zusätzlichen Informationen gewonnen werden (Abbildung 64).

Abbildung 64: Ausschnitte aus dem 1H-NMR-Spektrum von 62 (T = 300 K; C6D6).

Zur Verdeutlichung der sichtbaren Resonanzen der B- bzw. P-gebundenen Wasserstoffatome sind die entsprechenden Regionen des 1H{11B}- und 1H{31 P}-NMR-Spektrums eingefügt.

Die im 11B{1H}-NMR-Spektrum detektierte Resonanz der Boranylgruppe von Verbindung 62 bei –3.3 ppm zeigt infolge der Kopplung zum 31P-Kern die Aufspaltung in ein Dublett mit einer 1JPB-Kopplungskonstante von 48 Hz (Abbildung 65, links unten). Damit ist die Wechselwirkung zwischen den Elementen der 13. und 15. Gruppe deutlich größer als in der analogen H-substituierten Verbindung 1 (1JPB = 31 Hz) und unterstützt damit die Argumentation bezüglich dem Einfluss der Methylgruppe auf die elektronische Struktur bzw. die thermische Stabilität des Phosphanylborans 62. Im protonengekoppelten 11B-NMR-Spektrum wird ein Dublett von Tripletts beobachtet, wobei die 1JBH-Kopplungskonstante mit 105 Hz dem 1H-NMR-spektroskopisch bestimmten Wert entspricht (Abbildung 65, links oben.)

Abbildung 65: Ausschnitte aus den 11B- (links) und 31P-NMR-Spektren von 62 (T = 300 K; C6D6).

Das 31P{1H}-NMR-Spektrum zeigt für Verbindung 62 ein Signal bei –150.7 ppm, das durch die Wechselwirkung mit dem 11B-Kern als Quartett (1JPB = 48 Hz) detektiert wird (Abbildung 65, rechts unten). Damit ist die Resonanz verglichen mit der der Verbindung 1 ( = –215.5 ppm) erwartungsgemäß zu tieferem Feld verschoben. Im

31P-NMR-Spektrum wird für die Resonanz zusätzlich die Aufspaltung in ein Dublett mit einer 1JPH-Kopplungskonstante von 206 Hz beobachtet (Abbildung 65, rechts oben).

Die Synthese des methylsubstitutierten Phosphanylborans 62 in einer Säure-Base-Reaktion zwischen der Phosphoniumverbindung 53 und einer nicht nukleophilen Base wie DBU oder LDA bestätigt, dass eine Funktionalisierung der NMe3 -stabilisierten Stammverbindung 1 möglich ist. Beide dazu benötigten Umsetzungen, die Alkylierung mit Iodalkan und Deprotonierung des ionischen Zwischenprodukts, erfordern keine außergewöhnlichen Bedingungen oder Verfahren und führen in guten bis fast quantitativen Ausbeuten zu den gewünschten Produkten. In Kombination mit der guten Darstellbarkeit von Phosphoniumderivaten des Typs [RPH2BH2∙LB][I] (vgl.

Kapitel 3.3.1 und 3.3.2) sollten auf diese Weise eine ganze Reihe neuer Phosphanylboran-Spezies zugänglich sein, deren Eigenschaften sich durch die Art

11B: 31P:

11B{1H}: 31P{1H}:

des eingeführten Substituenten variieren lassen. Dabei sollte es möglich sein, die Verfügbarkeit des Elektronenpaars am P-Atom durch sterische Effekte zu beeinflussen und auch die elektronische Struktur des Phosphanylboran-Grundgerüsts zu verändern.