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3. Ergebnisse und Diskussion

3.1 Strukturbasierte Entwicklung und Charakterisierung von irreversibel bindenden FLT3-Inhibitoren bindenden FLT3-Inhibitoren

3.1.4 Synthese und biochemische Evaluierung von Indolinon-Derivaten

Diese Schutzgruppe vereint verschiedene Vorteile, die sich im Verlauf des Projekts als nützlich erwiesen. Zum einen ist die Gruppe stabil gegenüber stark sauren Bedingungen und damit orthogonal zu einer unter solchen Bedingungen abspaltbaren Schutzgruppe.

Zudem könnte eine reduktiv spaltbare Gruppe, wie etwa die Carboxybenzyl (Cbz)-Schutzgruppe, auch zur Reduktion der Indolinon-Doppelbindung führen. Die Abspaltung erfolgt im wässrigen, leicht basischen Milieu. Hierbei reicht bereits Kaliumcarbonat mit einem Kosolvens wie Methanol aus. Das Trifluoracetyl-geschützte 2-Oxindol 2 wurde dann mit einer Knoevenagel-Kondensation, die wiederum in der Mikrowelle durchgeführt wird, zum Indolinon 3 umgesetzt (37% Ausbeute). Die Entschützung des Amins erfolgte in Wasser/Methanol mit Kaliumcarbonat als Base (86% Ausbeute). Die so erhaltenen Amine wurden dann zu den Zielstrukturen umgesetzt. Die elektrophilen Gruppen werden entweder ausgehend von den korrespondierenden Säurechloriden durch Acylierung (BSc5232, BSc5237, BSc5233, BSc5316), den freien Säuren mit Peptidkupplungsmethoden (BSc5236, BSc5238) oder den Sulfonsäurechloriden (BSc5234, BSc5235) in guten bis moderaten Ausbeuten hergestellt (23% bis 58% Ausbeute). Einen Spezialfall stellte dabei die Synthese des α-Fluoracetamids BSc5315 dar. Dieses wurde mit einem Überschuss an Kaliumfluorid durch Austausch des Fluorid-Ions mit dem 2-Bromacetamid-Derivat BSc5316 in 35%

Ausbeute hergestellt. Alternative Synthesestrategien wären zum einen die direkte Knoevenagel-Kondensation mit dem 5-Nitro-2-oxindole, wonach die Nitro-Gruppe durch Reduktion zum Amin erhalten wird. Dieser Ansatz könnte für größere Reaktionsansätze unter Verwendung von unedlen Metallen wie Eisen oder Zinn zur Reduktion unter sauren Bedingungen besser geeignet sein. Alternativ können auch Schutzgruppen, die unter sauren Bedingungen abspaltbar sind, verwendet werden, wie die Butoxycarbonyl (Boc)-Schutzgruppe, wobei die Reste demgegenüber stabil sein müssen.

Die für die biochemischen Testungen hergestellten Inhibitoren stehen, nach in der Regel chromatografischer Reinigung, in einer Reinheit von mehr als 95% zur Verfügung, um einerseits eine höchst mögliche Aktivität zu erlauben, aber auch um Artefakte in der Testung durch beispielsweise Nebenprodukte oder Edukte zu verhindern.

Das Vinylsulfonamid BSc5234 ist der potenteste Inhibitor in dieser Serie und zeigt eine 5-fach höhere zytotoxische Aktivität gegenüber FLT3-abhängigen MV4-11-Zellen (IC50

= 67 ± 8 nM) im Vergleich zur reversiblen Grundstruktur (Tabelle 3). Zudem zeigt

diese Struktur die höchste inhibitorische Aktivität gegen die pathologischen FLT3(ITD) (93%) und FLT3(D835Y)-Mutationen (77%) in der Gegenwart von 100 nM Inhibitor.

Entscheidend ist der Vergleich mit dem analogen, unreaktiven Inhibitor BSc5235.

Dieser zeigt einen massiven Verlust an zytotoxischer Aktivität (IC50 > 1.000 nM) und Inhibition der Kinase (FLT3(D835Y): 13%, FLT3(ITD): 9%), wodurch ersichtlich wird, dass die Aktivität dieses Inhibitors auf der elektrophilen Wirkung und damit auf der irreversiblen Bindungsbildung beruht, da beide Strukturen den gleichen reversiblen Protein-Ligand-Komplex eingehen können. Die elektrophile Vinylsulfonamid-Gruppe gab zudem die höchste Anzahl der Treffer im virtuellen Screening, und liegt, nach Sortierung der aufsteigenden und damit geringeren virtuellen Liganden-Effizienz (LEV) auf Rang 6 der 102 Treffer (LEV = -0.55) und weiteren Treffern auf den Rängen 16, 22, 41 und 67 (Kapitel 5.2.1). Das Propargylamid BSc5238 (IC50 > 1.000 nM) und das Acrylamid BSc5233 (IC50 > 1.000 nM) zeigen einen massiven Verlust an zytotoxischer Aktivität gegenüber dem reversiblen Grundgerüst, vergleichbar mit dem strukturell analogen, aber unreaktiven Propansäure-Amid BSc5236 (IC50 > 1000 nM). Für alle drei Inhibitoren ergibt sich zudem nur eine geringe Aktivität gegenüber FLT3(ITD) und FLT3(D835Y). Die 2-Haloacetamid-Derivate zeigen in Kinase-Assays eine vergleichbare Aktivität wie das unsubstituierte Acetamid, während eine leichte Präferenz der Inhibition von FLT3(ITD) durch das 2-Chloracetamid BSc5237 beobachtet wird.

Während das reversible Acetamid-Derivat keine Inhibition der MV4-11 Zellviabilität aufweist (IC50 > 1.000 nM), ergibt sich für das 2-Brom- (BSc5316, IC50 = 653 ± 200 nM) und das 2-Fluor-Derivat (BSc5315, IC50 = 845 ± 20 nM) eine etwas höhere Aktivität, die jedoch hinter der des reversiblen Grundgerüsts zurückbleibt. Das 2-Chloracetamid-Derivat BSc5237 zeigt hingegen eine starke, mit BSc5234 vergleichbare zytotoxische Wirkung (IC50 = 72 ± 8 nM).

Tabelle 3. Inhibition der Zellviabilität von MV4-11-Zellen und der FLT3(ITD) und FLT3(D835Y) Kinaseaktivität durch das Indolinon-Fragment BSc5229 und der daraus abgeleiteten 5-substitutierten Indolinone mit elektrophilen- und den anlogen, unreaktiven Gruppen.

Nachdem die Struktur-Aktivitäts-Beziehungen der elektrophilen Inhibitoren, ihrer reversiblen Analoga und der zugrunde liegenden Grundgerüste evaluiert wurden, kann die entwickelte Screening-Strategie in Bezug auf ihre Vorhersagekraft der als aktiv und inaktiv vorhergesagten Treffer untersucht werden und mögliche Verbesserungen in das Screening-Protokoll eingearbeitet werden.

Das Propargylamid BSc5238 wurde im Screening nicht als Treffer gefunden und kann somit seine fehlende Aktivität durch eine nicht-vorteilhafte, kovalente Platzierung des Addukts erklären. Das Vinylsulfonamid ergab hingegen 5 Treffer und ist die aktivste

Verbindung

IC50

(MV4-11) / nM

Relative Inhibition / %

FLT3(D835Y) FLT3(ITD) c = 0.1 µM c = 0.1 µM c = 1 µM

- H BSc5229 380 ± 21 40 86 61

BSc5232 > 1.000 47 90 33

BSc5315 845 ± 20 57 92 51

BSc5237 72 ± 8 53 87 61

BSc5316 653 ± 200 48 92 21

BSc5236 > 1.000 15 81 44

BSc5233 > 1.000 29 79 25

BSc5238 709 ± 50 5 58 55

BSc5236 > 1.000 13 72 9

BSc5234 67 ± 8 77 96 93

Verbindung der Serie, wobei alle Docking-Positionen einen ähnlichen Bindungsmechanismus aufweisen. Dagegen stellt sich die Situation für das 2-Chloracetamid-Derivat BSc5237 und das Acrylamid BSc5233 komplizierter dar.

Während das Acrylamid als Treffer aus dem Screening resultiert und weder in zellulären noch biochemischen Assays eine höhere Aktivität als die reversiblen Grundgerüste zeigte, ist das als negativ hervorgesagte 2-Chloracetamid hoch potent.

Für das Acrylamid BSc5233 wurde nur eine Docking-Konformation nach der Filter-Strategie erhalten (Rang 1, LEV = -0.61). Aus der Überlagerung der höchst-bewerteten Strukturen für BSc5233 und dem hoch aktiven Vinylsulfonamid BSc5234 wird jedoch deutlich, dass diese den gleichen Bindungsmodus eingehen und im Docking bioisoster zueinander sind. Somit resultiert die höhere Liganden-Effizienz in BSc5233 nur durch die zusätzlich Sauerstoffgruppe in der Sulfon-Gruppe von BSc5234. Da sich aus den Protein-Liganden-Interaktionen keine Hinweise für eine geringere Aktivität ableiten lassen, wurde die Konformation der isolierten Liganden untersucht. Dazu wird der Rezeptor aus dem Modell entfernt, die Energie des Liganden basierend auf dem Amber10:EHT-Kraftfeld minimiert und das Energieprofile des dihedralen Winkels zwischen der C-C-N-Ebene des aromatischen Amin und der C-N-S-Ebene der elektrophilen Gruppe untersucht (Abbildung 45). Dabei wurde jeweils die am höchsten bewertete Docking Position (London dG Scoring) analysiert.

Abbildung 45. Vergleich der modellierten (grün) und Energie-minimierten Konformation (blau) des aktiven Vinylsulfonamid-Derivats BSc5234 und des inaktiven Acrylamid-Derivats BSc5233.

Dabei ist zu erkennen, dass im Vinylsulfonamid BSc5234 die Energie der reaktiven Gruppe nahe an einem lokalen Minimum liegt und somit ein stabiler, reversibler Komplex eingegangen wird, der eine räumliche Nähe zu Cys828 erlaubt. Zusätzlich wird der dihedrale Winkel durch die Energieminimierung des ungebundenen Liganden nur um 3° (56° zu 59°) geändert und liegt weiterhin im lokalen Energieminimum. Die Position des entfernten, elektrophilen C-Atoms wird dabei um 0.72 Å verschoben, während sich das gesamte Molekül mit einem RMSD-Wert von 0.49 Å ändert. Im Gegensatz dazu wird die Position des distalen Cγ in der Acrylamid-Gruppe des inaktiven Derivats BSc5233 um 2.24 Å und der dihedrale Winkel um 39° verschoben (Gesamt-RMSD: 0.89 Å). Zudem liegt der dihedrale Winkel, der aus der Position nach dem kovalenten Docking resultiert, in einem Energiemaximum und erst nach der Energieminimierung in einem Minimum. Diese Konformation würde jedoch mit der Kinase einen sterischen Konflikt erzeugen und erlaubt somit keine vorteilhafte Ausbildung eines reversiblen Komplexes und somit auch keine kovalente Modifikation.

Dies erklärt weshalb, trotz der vorteilhaften Docking-Position, keine inhibitorische Aktivität festgestellt wurde.

Zusätzlich wurde eine stochastische Konformations-Suche der ungebundenen Inhibitoren durchgeführt, um mögliche Konformationen der Elektrophile und somit eine mögliche Bindungstrajektorien einschätzen zu können (Abbildung 46). Hierbei zeigte sich, das zum einen das Vinylsulfonamid-Elektrophil deutlich mehr stabile Konformationen einnehmen kann als das Acrylamid-Elektrophil (16 statt 8), die zudem deutlich mehr aus der Ebene des Indolinon-Rings heraus zeigen und somit einen induced fit an die ATP-Bindetasche von FLT3 erlauben und dadurch auch eine Anpassung an eine größere Anzahl mögliche Trajektorien zur Bindung an Cys828.

Abbildung 46. Vergleich möglicher, stabiler Konformationen des (a) aktiven Vinylsulfonamid-Derivates BSc5234 und (b) des inaktiven Acrylamid-Derivats BSc5233.

Um die überraschende Aktivität des 2-Chloracetamids zu erklären, wurde ein erneutes Docking von BSc5237 durchgeführt. Da die Acetamid-Gruppe mit 3.8 Å deutlich kürzer ist als die anderen verwendeten Elektrophile (~5 Å) wurde vermutet, dass das ursprüngliche Pharmakophor von 1.5 Å zu stringent ist, um einen induced fit aller Inhibitoren an die FLT3 zu ermöglichen. Dazu wurden die Radien der Pharmakophor-Eigenschaften des Indolinon-Grundgerüstes auf 2.0 Å erhöht (Donor, Akzeptor, Aromat), jedoch nicht die von Cys828, und erneut ein kovalentes Docking durchgeführt (Abbildung 47). Diese Änderung führte zu mehreren plausiblen Docking-Positionen und einer mit BSc5234 vergleichbaren best-bewerteten Position und zeigt, dass die verwendete Screening-Strategie auch eine zuverlässige Modellierung von Inhibitoren mit dem α-Haloacetamid-Elektrophil erlaubt. Die geringere Aktivität der Fluor- und Brom-Derivate BSc5315 und BSc5316 resultiert nicht aus sterischen Effekten, sondern ist vermutlich Folge der veränderten elektronischen Eigenschaften des Elektrophils und der Qualität der Abgangsgruppen. Diese kann im Fall von Fluor zu einer hohen Aktivierungsbarriere führen und erlaubt somit keine kovalente Modifikation. Im Fall von Brom kann die zu hohe Reaktivität zur schnellen Inaktivierung durch ubiquitäre Nukleophile, wie zum Beispiel Glutathion führen und die Inhibition durch Adduktbildung damit verhindern. Es existiert zurzeit keine Möglichkeit für eine adäquate Simulierung der kovalenten Inaktivierung von Rezeptor-Nukleophilen durch elektrophile Gruppen; somit wird auch im kovalenten Docking nicht nach Art des Halogens unterschieden. Die genauere Analyse der elektronischen Effekte erfolgt im späteren Verlauf dieser Arbeit.

Abbildung 47. Kovalentes Docking von BSc5237 mit dem erweiterten Pharmakophormodell. (a) Position von BSc5237 in der ATP-Bindungstasche und (b) in der Oberfläche des Rezeptors. (c) Liganden-Interaktionen von