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1. Einleitung

1.5 Das Proteasom als Zielprotein in der Tumortherapie

1.5.1 Entwicklung von Proteasom-Inhibitoren

Die vielfältigen Anstrengungen auf dem Feld der Proteasom-Inhibitoren haben bisher zur Zulassung von drei Inhibitoren zur Behandlung verschiedener, nicht-solider Neoplasien geführt. Alle Wirkstoffe verfügen dabei über eine elektrophile Gruppe, die das nukleophile, katalytische Thr1Oγ in der β5-Untereinheit angreift. Die Selektivität und Bindungsstärke wird dabei durch die Aminosäuren-Seitenkette in P1 bis P4 gesteuert, die die Spezifitätstaschen S1 bis S4 besetzen, und erlaubt die Variation der Selektivität zwischen verschiedenen Protease-Familien, aber auch gegenüber einzelnen Proteasom-Untereinheiten und Isoformen (Abbildung 27).

Abbildung 27. Nomenklatur von Protease-Spezifitäts-Taschen in der ungestrichenen (S1, S2, S3, …) und der gestrichenen Bindungstasche (S1‘, S2‘, …) und Position der Taschen in der β5-Untereinheit des Proteasoms. Der katalytisch aktive Threonin-Rest ist in Rot dargestellt.

Dabei werden typischerweise Bindetaschen in der N-seitigen, ungestrichenen Bindungstasche besetzt. Es sind erst wenige Inhibitoren bekannt, die eine Tasche in der gestrichenen Seite des Bindungskanals besetzen. Im Allgemeinen muss die Inhibition des Proteasoms nach der Art des Proteasoms (iCP, cCP, yCP, tCP), und damit der Zusammensetzung der Untereinheit klassifiziert (beispielsweise β5i, β5c) werden.

Weiterhin gilt es, die Wirkung des Inhibitors zu unterscheiden; also ihn als reversibel oder irreversibel und als kovalent oder nicht-kovalent zu charakterisieren. Eine weitere Klassifizierung wird anhand der Struktur des Inhibitors getroffen. Während die ersten Inhibitoren des CPs peptidische Inhibitoren waren, sind neuere Ansätze nicht-peptidisch oder peptidomimetisch. Zusätzlich sind im Verlauf der Erforschung des Proteasoms einige Naturstoffe identifiziert worden, die wiederum Besonderheiten aufweisen.

Neben den zugelassenen Wirkstoffen halten weitere elektrophile Kopfgruppen Einzug in die Erforschung und klinische Entwicklung im Kampf gegen maligne Neoplasien.

Im Jahr 2003 wurde von der amerikanischen FDA mit Bortezomib (Velcade®, Abbildung 28) der erste Inhibitor des Proteasoms zur Behandlung des Multiplen Myeloms, zugelassen. Bei Bortezomib handelt es sich um einen kovalent bindenden, aber langsam-reversiblen Inhibitor der β5-, aber auch der β2- und β1-Untereinheiten sowohl des Immuno- als auch des konstitutiven Proteasoms. Durch Bildung des tetraedrischen Boronat-Anions wird zum einen die katalytische Tasche ausgefüllt, wobei ein Sauerstoff des Boronats in das Oxyanionen-Loch bindet und somit ein stabiles Produkt erzeugt, das durch die Protease nicht hydrolysiert werden kann und somit die Dissoziation des Inhibitors aus der Tasche von der Stabilität der elektrophilen Kopfgruppe gesteuert wird.

Ein Problem in der klinischen Anwendung dieses Wirkstoffes ist seine recht geringe Selektivität gegenüber anderen Proteasen, zum Beispiel den Cathepsinen A und G und der Serin-Protease HtrA2/Omi, die im mikromolaren Bereich inhibiert werden. Dies führt in der klinischen Anwendung häufig zu Dosis-limitierenden Nebenwirkungen und zum Abbruch der Therapie. Eine häufige Nebenwirkung ist die Ausbildung einer peripheren Neuropathie in 30% bis 39% der Patienten. Dabei kommt es zur, in der Regel reversiblen, Schädigung von Nervenzellen, die sowohl Motorneuronen als auch sensorische Neuronen betrifft und beispielsweise zu Lähmungserscheinungen und Taubheit führen kann und entsprechend eine schwere Belastung für Patienten darstellt.

Abbildung 28. Struktur von Bortezomib und Bindungskomplex in der β5-Bindetasche des humanen, konstitutiven Proteasoms (PDB: 5LF3).177

Im Jahr 2012 wurde mit Carfilzomib (Kyprolis®) ein zweiter, und im Gegensatz zu Bortezomib, irreversibel bindender Proteasom-Inhibitor zur Behandlung des Multiplen Myeloms zugelassen, der die β5-Untereinheit des Proteasoms selektiv bindet (Abbildung 29).178 Dabei ist die Behandlung auf Patienten beschränkt, die mit Bortezomib und Immunmodulatoren behandelt wurden. Carfilzomib wurde basierend auf dem analogen Naturstoff Epoxomycin entwickelt, der in den 1990er Jahren entdeckt wurde.179 Carfilzomib ist deutlich potenter und selektiver als Bortezomib und bindet ebenfalls kovalent an das katalytisch aktive Thr1. Jedoch erfolgt mit der freien, N-terminalen Amin-Gruppe eine Zyklisierung unter Bildung eines Morpholin-Rings.180

Abbildung 29. Struktur von Carfilzomib und Bindungskomplex in der β5-Bindetasche des humanen, konstitutiven Proteasoms (PDB: 4R67).180

Dazu geht der Epoxyketon-Warhead eine sukzessive, zweistufige Addition mit Thr1 ein.

Zuerst erfolgt eine 1,2-Addition des Thr1Oγ an den Carbonyl-Kohlenstoff des Epoxyketons, wodurch ein Halbketal-Addukt als Zwischenstufe entsteht (Abbildung 30). Das entstehende, tetraedrische Intermediat wird durch das

Oxyanionen-Loch stabilisiert, das im Wesentlichen durch das Hauptketten-Amid von Gly47 gebildet wird. Damit wird die Epoxid-Gruppe für einen nukleophilen Angriff durch das freie, N-terminale Amin von Thr1 an das C2-Atom platziert, wobei der finale Morpholin-Ring entsteht.

Abbildung 30. Zweistufiger Mechanismus der Zyklisierung des N-terminalen Thr1 mit dem Epoxyketon-Warhead in Carfilzomib unter Bildung eines Morpholin-Rings.

Mit Ixazomib (Ninlaro®, MLN2238) wurde 2015 der erste oral verfügbare Proteasom-Inhibitor in den USA zur Behandlung des multiplen Myeloms in Kombination mit Chemotherapie zugelassen.181-182 Bei diesem handelt es sich um eine eng mit Bortezomib verwandte Struktur. Die Formulierung der Boronsäure als Citrat-Ester stellt ein Prodrug-Konzept dar, das die orale Gabe erlaubt. Der Boronsäure-Ester wird im Blutplasma und Gastrointestinaltrakt hydrolysiert und die aktive Boronsäure freigesetzt, die vom nukleophilen Thr1 in der aktiven Tasche angegriffen wird.183 Dabei ist die Inhibition der β5- deutlich größer als die der β2- und β1-Untereinheiten.

Aufgrund der zu Bortezomib ähnlichen Struktur gibt es auch hier off target-Effekte. Die Dissoziation von der β5-Untereinheit ist gegenüber Bortezomib erhöht, wodurch prinzipiell eine höhere Penetrationstiefe in Gewebe ermöglicht wird.184

Abbildung 31. Struktur des Ixazomib-Citrat-Esters und des freigesetzten Wirkstoffs nach Hydrolyse.

Ein Problem von kovalent-irreversiblen Inhibitoren ist die mögliche Deaktivierung durch Glutathion oder auch ubiquitär vorkommendem Zielprotein, zum Beispiel Proteasom in den roten Blutzellen. Somit ist eine reversible Inhibierung des Proteasoms eine entscheidende Therapiealternative. Boronate scheiden hierfür aufgrund ihres ungünstigen Selektivitätsprofils und den damit zusammenhängenden Nebenwirkungen aus. Im Folgenden werden reversible Inhibitor-Klassen vorgestellt, welche alternative pharmakologische Eigenschaften aufweisen. Peptidaldehyde waren die erste große Gruppe von Proteasom-Inhibitoren und binden reversibel an die β5-, aber auch die β2- und β1-Untereinheit. Die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe sind MG101, MG132 und BSc2118 (Abbildung 32). MG101 (Calpain-Inhibitor I) wurde ursprünglich als Inhibitor der Cystein-Proteasen Calpain I und II entwickelt und in 1992 erstmals als Inhibitor der Chymotrypsin-ähnlichen Aktivität des Proteasoms beschrieben.185-186

Abbildung 32. Struktur der Peptidaldehyde MG101, MG132 und BSc2118 und Bindungsmodus von MG132 (PDB:

4NNN).187

In der Folge wurden MG132 und das analoge P1-Phenylalanin-Derivat als hoch potente und selektive Inhibitoren der β5-Untereinheit beschrieben. MG132 ist auch heute noch einer der populärsten Proteasom-Inhibitoren für mechanistische und biochemische Studien. Von Schmidt et al. konnte gezeigt werden, dass ein AspOtBu-Rest in P2 die Aktivität gegenüber der β5-Untereinheit und die zytotoxischen Wirkung erhöht. Der Bindungsmodus der Peptidaldehyde ist dabei konserviert. Im Jahr 1998 wurden erstmals α-Ketoaldehyde als hoch potente und reversibel bindende, zellpermeable Proteasom-Inhibitoren beschrieben, die strukturell eng verwandt mit den Peptidaldehyden sind und nanomolare Inhibition aufweisen (Z-LLY-COCHO, Abbildung 33). Die Bestimmung des Bindungsmechanismus im Jahr 2011 durch Groll et al. zeigte einen bivalenten Bindungsmechanismus, der ähnlich zu dem der Epoxyketone ist, jedoch vollständig reversibel. Das Peptidrückgrat nimmt dabei ähnlich zu den Aldehyden eine β-Faltblattstruktur ein und wird durch die antiparallelen β-Strukturen des Proteasoms stabilisiert. Die Reste P1 bis P3 sind dabei ebenfalls in S1 bis S3 platziert. Kristallografisch konnte ein klar definierter sechs-gliedriger Ring beobachtet werden. Für die Bildung dieser Struktur wird, ähnlich zur Bildung des Morpholin-Rings mit Epoxyketonen, ein zweistufiger Mechanismus angenommen. Im ersten Schritt greift das nukleophile Thr1Oγ das Keton an, wobei ein Halbketal entsteht, das durch die Lage der Hydroxylat-Gruppe im Oxyanionen-Loch über eine Wasserstoffbrückenbindung stabilisiert ist. Im zweiten Schritt addiert das Thr1N nukleophil an die Aldehyd-Einheit, wobei nach Protonentransfer ein intermediäres Halbaminal entsteht. Durch Abspaltung von Wasser entsteht ein 5,6-Dihydro-2H-1,4-oxazin-Ring, der ein Halbketal und ein Imin beinhaltet. Dieser Mechanismus ist nach Addition von Wasser wiederum reversibel. Dieser spezifische Bindungsmechanismus erklärt wiederum die hohe Selektivität für die β5-Untereinheit des Proteasoms gegenüber anderen Untereinheiten und Proteasen.

Ein Problem der α-Ketoaldehyde ist jedoch die erhöhte Nukleophilie, die zur Anlagerung von Wasser führt, wodurch das weniger aktive Hydrat entsteht und Folgereaktionen wie möglichweise Decarboxylierung erfolgen können. Außerdem können Aldehyde durch Aldehydoxidasen in Carbonsäuren überführt werden, wodurch die Bioverfügbarkeit dieser Inhibitoren verringert ist.

Abbildung 33. Struktur der α-Ketoaldehyde Z-LLYCOCHO und Z-LLL-COCHO und zweistufiger, reversibler Mechanismus der Zyklisierung mit dem N-terminalen Thr1 unter Bildung eines Oxazin-Rings (PDB: 3OKJ).188

Das Aldehyd-Motiv kann durch Variation zu α-Ketoamiden und α-Ketosäuren in die metabolisch stabileren Derivate überführt werden, die, im Gegensatz zu Ketoaldehyden und Epoxyketonen, jedoch keinen bivalenten Bindungsmechanismus eingehen. Phenyl-substituierte α-Ketoamide wurden 2005 von Schmidt et al. als selektive Inhibitoren der β5-Untereinheit eingeführt (BSc2189, Abbildung 34)189 und deren Aktivität gegen die β5-Untereinheit im Folgenden erweitert (BSc4999). Der Vorteil dieses Strukturmotivs ist, dass, im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Klassen, eine Verknüpfung des Inhibitors zur gestrichenen Seite des Substratbindekanals des Proteasoms möglich ist.

Somit sind neue Möglichkeiten zur Optimierung der Bindungsaffinität und Selektivität gegeben, wobei die geringere Elektrophilie des Warheads ausgeglichen werden kann und veränderte pharmakokinetische und pharmakodynamische Eigenschaften erlaubt.

Durch kristallografische Studien konnte gezeigt werden, dass diese ebenfalls Thr1 kovalent binden, die Hydroxyl-Gruppe des entstehenden Halbketals jedoch, im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Elektrophilen, entgegen des Oxyanionen-Lochs gerichtet ist (Abbildung 34). Dieses wird durch die Carbonyl-Einheit des Phenylamids besetzt und erlaubt somit eine Exposition der Phenylgruppe in die gestrichene Seite der Bindungstasche.

Ein systematischer Vergleich von elektrophilen Kopfgruppen konnte 2014 erstmals die Inhibitionsstärken verschiedener elektrophiler Warheads vergleichen, indem diese an ein konserviertes Z-LLL Peptidrückgrat verknüpft wurden.187 Dabei zeigte sich, dass die Aktivität des Boronat- und des Epoxyketon-substituierten Inhibitors gegenüber der β5-Untereinheit deutlich stärker ist als die der α-Ketoamide. In HeLa-Zellen ist die zytotoxische Aktivität der Epoxyketone jedoch deutlich geringer. Aldehyde und α-Ketoaldehyde sind sowohl gegenüber dem isolierten Proteasom als auch hinsichtlich der zytotoxischen Aktivität deutlich schwächer als das α-Ketoamid-Motiv.

Abbildung 34. Entwicklung von Ketoamid-basierten Proteasom-Inhibitoren und Bindungsmodus in der β5-Untereinheit des Proteasoms (PDB: 4R02).190