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Suche nach dem Vater

Im Dokument Erziehung & Unterricht (Seite 41-44)

Eine Frage, die Kinder alliierter Soldaten ihr ganzes Leben hindurch begleitet, ist die nach der Identität des leiblichen Vaters und damit zusammenhängend auch die Suche nach ihm.

Viele Kinder alliierter Soldaten berichten, dass sie es als sehr belastend empfanden, nichts oder nur wenig über ihren Vater zu wissen. Es wirkt fast so, als ob ihnen aufgrund dieser Leerstelle ein Aspekt der eigenen Identität fehlt. Schließlich sind die Fragen, was für ein Mensch ihr Vater ist/war, über welche Eigenschaften er verfügte, warum er sie und ihre Mütter verlassen hat/hatte, aber auch, ob es in der Familie väterlicherseits irgendwelche Erbkrankheiten gibt, für ein besseres Eigenverständnis von immenser Bedeutung.

Die Suche gestaltete sich oft schwierig. Entweder wollten die Mütter nicht über den Va-ter sprechen, da dieses Thema aufgrund der Enttäuschungen oder seelischen Verletzun-gen, die ihnen in der Vergangenheit zugefügt wurden, tabuisiert war. Oder es fehlten zen-trale Informationen, die für die Suche wichtig waren, weil die „Besatzungskinder“ nur ei-nen Kosenamen oder nur den Vornamen des Vaters kannten. Auch Linda, die im Alter von achtzehn Jahren zum ersten Mal ihre leibliche Mutter traf, versuchte von ihr Informationen zum Vater zu erhalten. Dazu erzählt Linda in ihrem Interview: „Und ich habe [der Mutter]

gesagt: ,Sag mir einfach ... Du wirst doch irgendetwas wissen. Sag mir einfach, wer ist mein Vater? Wie heißt er, wo wohnt er?’ Und dieses [und jenes]. ,Ich habe nichts mehr, ich weiß nichts’, und ,Ich habe alles weggeschmissen.’ Da habe ich gesagt: ,Weiß er wenigs-tens von meiner Existenz?’ ,Ja, das weiß er.’ Und er hat mich auch gesehen. Aber er ist ja im Juli auch wieder zurückbeordert worden. Also knapp nach meiner Geburt ist er ja wieder – ist er ja zurück. Naja, das war ja [19]55, da wurden sie [die alliierten Soldaten] ja eh wieder alle zurückgeschickt, nicht? Und sie haben noch Kontakt gehabt, aber dann irgendwann ist der Kontakt abgebrochen. Und sie [die Mutter] hat dann alles weggeschmissen und sie will mit dem nichts zu tun haben.“

Viele, die bei Pflege- bzw. Adoptiveltern aufwuchsen trauten sich nicht zu deren Lebzten nach ihrem leiblichen Vater zu suchen, da sie fürchteLebzten ihre Eltern zu verletzen. In ei-nigen Fällen war es sogar so, dass die Kinder erst nach dem Tod ihrer Eltern herausfanden, dass der vermeintliche Vater nicht der leibliche Vater, sondern der Stiefvater, und sie in Wirklichkeit der Sohn/die Tochter von Besatzungssoldaten waren.

216 Rohrbach, „Besatzungskinder“ – Die Kinder alliierter Soldaten und österreichischer Frauen

Zusammenfassung

Obwohl zwischen 1945 und 1956 mindestens 20.000 Personen als Kinder alliierter Soldaten geboren worden sind, wurde ihre Lebensgeschichte lange Zeit tabuisiert und aus dem kol-lektiven Gedächtnis der Zweiten Republik ausgeblendet. Das hängt damit zusammen, dass sich große Teile der österreichischen Nachkriegsgesellschaft ihnen und ihren Müttern ge-genüber ausgrenzend und feindselig verhielten. Die Mütter und ihre Kinder wurden – ganz in der Logik einer postnationalsozialistischen Gesellschaft verfangen – als Beziehungs-partnerinnen und Kinder des „Feindes“ betrachtet. Große Teile ihres Umfelds, der Behörden aber häufig auch eigene Familienmitglieder lehnten sie aus nationalistischen, moralischen und/oder rassistisch motivierten Gründen ab. Diese Logik wirkte auch noch lange nach dem Abzug der alliierten Truppen im Jahr 1955 nach. Isoliert und ohne Referenzgruppe mussten die Kinder alliierter Soldaten ihre Schicksale oft sehr individuell meistern.

Oft ohne Vater aufwachsend, wurde die Ablehnung, die den Müttern der „Besatzungs-kinder“ gegenüber an den Tag gelegt wurde, auf sie übertragen. Um sich selbst und die Kinder zu schützen, versuchten die Mütter häufig die wahre Herkunft der Väter geheim zu halten. Sie reagierten ablehnend, wenn die Kinder sie nach den Vätern befragten oder hat-ten nicht genug Informationen, um Fragen, die an sie gestellt wurden, befriedigen zu be-antworten bzw. die Kinder bei ihrer Suche zu unterstützen. Zusätzlich erschwert wurde ihre Lage durch fehlende Dokumentation in österreichischen und internationalen Archiven oder durch Archivsperrfristen.

Auch wenn die Diskriminierung der Kinder alliierter Soldaten in späteren Jahren, z. B.

durch deren Eintritt ins Berufsleben abnahm, blieben Schrammen, Narben und Wunden zurück. Die Frage nach der Identität des Vaters und somit der eigenen Identität blieb für sie stets ein aktuelles Thema, das sie häufig auch noch bis in die Gegenwart beschäftigt.

ANMERKUNGEN

1 Der Artikel erschien im Wiener Kurier vom 4.05.1949 und ist im vorliegenden Text nach: Putz, Johannes: Zwischen Liebe und Business. Österreicherinnen und amerikanische GIs in der Besatzungszeit, Diplomarbeit, Salzburg 1995, S. 3, zitiert.

2 Salzburger Landesarchiv, Abteilung III, 1956 50-2/9, Schreiben des Amts der Vorarlberger Landesregierung an das Amt der Salzburger Landesregierung bezüglich Unterlagen für farbige Soldatenkinder, 19.11.1955.

3 Sämtliche Interview-Passagen stammen aus: Interview mit Linda O., durchgeführt von Philipp Rohrbach und Marion Krammer, 14.11.2013, Transkription: Tanja Kuschej, Sammlung Lost in Administration.

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Rohrbach, „Besatzungskinder“ – Die Kinder alliierter Soldaten und österreichischer Frauen 217

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ZUM AUTOR

Philipp ROHRBACH, MA, Studium der Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Wien. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI), war Ku-rator der Ausstellung „SchwarzÖsterreich. Die Kinder afroamerikanischer Besatzungssoldaten“, die 2016 am Volkskundemuseum Wien gezeigt wurde und ist Dissertant am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Sein Dissertationsprojekt trägt den Titel „Die ‚unsichtbaren’ ÖsterreicherIn-nen. Selbstbilder, Fremdbilder und gesellschaftliche Stellung von Kindern schwarzer US-amerikani-scher Besatzungssoldaten und österreichiUS-amerikani-scher Frauen“.

218 Schmidlechner, Österreich in den 1950er Jahren

Im Dokument Erziehung & Unterricht (Seite 41-44)