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3.1 Kristallographische Grundlagen

3.1.1 Strukturlösung

Die bei einem Beugungsexperiment gemessenen Reflexintensitäten I(hkl) entsprechen dem Quadrat der Amplitude des Strukturfaktors F(hkl). Um aus den Strukturfaktoren über eine Fouriersynthese die Elektronendichteverteilung im Kristall zu berechnen, müssen neben den Strukturfaktoramplituden auch ihre Phasen bekannt sein. Das Unvermögen, die relativen Phasen direkt zu messen, wird als das Phasenproblem der Röntgenstrukturanalyse bezeichnet. Zur Lösung des Phasenproblems können unterschiedliche Methoden eingesetzt werden, nachfolgend sollen jedoch nur die Methoden, über die das erste Modell der Alkylsulfatase AtsK erhalten wurde, beschrieben werden (GIACOVAZZO, 2000; BLOW, 2002, DRENTH, 1999; ROSSMANN UND ARNOLD, 2001).

3.1.1.1 Isomorpher Ersatz

Von isomorphem Ersatz spricht man, wenn in einem Kristall ein oder mehrere Atome gegen ein oder mehrere andere (schwerere) Atome ersetzt wurden und der Rest der Struktur im Kristall unverändert bleibt. Beim Austausch von Wasser gegen ein schweres Element wie Quecksilber ändert sich die Zahl der Elektronen im gesamten Proteinkristall nur wenig (im ‰-Bereich). Da die zusätzlichen Elektronen aber an der jeweiligen Atomlage konzentriert sind, ändern sich die Strukturfaktoren und damit die gemessenen Intensitäten der Reflexe signifikant.

Für die Strukturfaktoren des nativen (FP) und des derivatisierten (FHP) Kristalls gilt der Zusammenhang

FHP = FP + FH (1)

wobei mit FH die Strukturfaktoren der Schweratomsubstruktur bezeichnet werden. Da FH klein gegenüber FP und FHP ist, haben letztere fast immer das gleiche Vorzeichen. Für zentrosymmetrische Reflexe berechnen sich die Strukturfaktoramplituden für die Schweratompositionen |FH| aus denen der nativen |FP| und der Derivatstruktur |FHP| nach der Gleichung für den isomorphen Ersatz

|FH| = |FHP| – |FP| (2)

Im nicht-zentrosymmetrischen Fall gibt diese Differenz den minimalen Wert für |FH| an.

Abb. 1 Graphische Darstellung der Methode des isomorphen Ersatzes für zentrosymmetrische (links) und nicht-zentrosymmetrische (rechts) Strukturfaktoren.

Je stärker die Phasen von nativer und Derivatstruktur voneinander abweichen, desto größer wird

|FH|.

Die Gleichung für den isomorphen Ersatz gilt jedoch nur streng, wenn native und Derivatstruktur exakt isomorph sind. In der Praxis können die Zellen der beiden Strukturen voneinander abweichen. Ein Kriterium, das zur Abschätzung der Isomorphie der Datensätze herangezogen werden kann, ist Rint

Für identische Strukturen liegt der Wert für Rint unter 5%. Derivate, die für eine Strukturlösung über isomorphen Ersatz geeignet sind, weisen meist einen Rint von 10-30% auf. Vergleicht man die Elementarzellen der Strukturen, sollten die Zellkanten um nicht mehr als 1.5% voneinander abweichen, damit die Gleichung für den isomorphen Ersatz ihre Gültigkeit behält.

Mit der Kenntnis der Schweratomsubstruktur ergeben sich zwei Möglichkeiten für die Proteinphasen (siehe Abb. 3).

3.1.1.2 Anomale Streuung

Die elastische Streuung fo von Röntgenstrahlen an der Elektronenhülle eines Atoms liefert den größten Beitrag zum Gesamtstreufaktor f. Dabei ändert die reflektierte Welle ihre Frequenz verglichen mit der einfallenden Welle nicht und der Phasenwinkel zwischen beiden Wellen beträgt π. Je näher die Energie der einfallenden Röntgenstrahlung der Energie an einer Absorptionskante kommt, desto größer wird der Anteil der inelastischen Streuung. Diese sogenannte anomale Streuung tritt auf, wenn das Röntgenquant vom Atom zunächst absorbiert wird. Erfolgt die Emission ohne Zeitverzögerung, ist die emittierte Welle mit der Welle der

elastischen Streuung in Phase, der resultierende Streufaktor f’ entspricht dem Realteil der anomalen Streuung. Bei einer Emission mit Zeitverzögerung ist die ausfallende Welle relativ zu fo phasenverschoben, man spricht vom Imaginärteil der anomalen Streuung.

Der atomare Streufaktor berechnet sich dann nach

f = fo + f’(λ) + if’’(λ) (4)

Der Realteil der anomalen Streuung kann positiv oder negativ sein, der Imaginärteil ist immer positiv und der Phasenwinkel zwischen ihnen beträgt, wenn im Kristall nicht verschiedene Schweratome nebeneinander enthalten sind, + π/2.

Die anomale Streuung hat zur Folge, dass die Friedelgegenteile F+ und F- azentrischer Reflexe nicht mehr identisch sind.

Abb. 2 Argand-Diagramm zur Darstellung der Proteinstrukturfaktoren in Abwesenheit (FP+ und FP-) und Anwesenheit (FHP+ und FHP-) eines anomal streuenden Atoms. FHR bezeichnet den Realteil, F’’H den dazu um π/2 phasenverschobenen Imaginärteil der Streuung am Schweratom. FHR und F’’H addieren sich zum Gesamtstreufaktor FH des Schweratoms.

Allerdings ist die Differenz zwischen ihnen in Abhängigkeit von der Art des Schweratoms und der Wellenlänge meist kaum stärker als das Hintergrundrauschen der Messung, so dass eine hohe Redundanz der Daten erforderlich ist, um die anomalen (Bijvoet-) Differenzen exakt zu bestimmen. Da man zwar 2FH’’+ berechnen kann, aber statt der Strukturfaktoren FHP+ und FHP -nur deren Beträge aus der Messung erhält, ergeben sich auch hier zwei Möglichkeiten für die Phasenwinkel von FHP+ und FHP- (siehe Abb. 3).

3.1.1.3 SIRAS - Kombination von isomorphem Ersatz und anomaler Streuung

Sowohl bei der Strukturlösung durch isomorphen Ersatz als auch durch anomale Streuung erhält man zwei mögliche Sätze von Phasenwinkeln für die Struktur. Die Informationen zu den Phasenwinkeln aus beiden Methoden sind komplementär und erlauben die eindeutige Bestimmung der Phasenwinkel.

Aus gemessenen Intensitäten für den nativen und den Derivatdatensatz und den tabellierten Werten von f’ und f’’ für das anwesende Schweratom bei der verwendeten Wellenlänge können mit Hilfe einer Harker-Konstruktion die Amplitude von FHN (Strukturfaktor des Schweratoms ohne anomalen Streubeitrag) sowie die Differenz α der Phasen von FHN und FHP berechnet werden.

Abb. 3 Die Zweideutigkeit der Phasen, die sowohl im Fall der Phasenbestimmung durch SIR (durchgezogene Linien) als auch im Falle von SAS (gestrichelte Linien) besteht, wird durch die Kombination der beiden Methoden aufgehoben.

Um den Phasenwinkel φHN und damit auch die Phasen der Derivat- bzw. nativen Struktur zu erhalten, muss zunächst die Schweratomsubstruktur bestimmt werden.

α = φHN - φHP (5)

Das Programm SHELXD (USÓN UND SHELDRICK, 1999) verwendet dazu die Methode des dual space recycling. Dabei wird auf der Ebene der normalisierten Strukturfaktoren gearbeitet.

Zunächst wird entsprechend der Anzahl vermuteter Schweratome ein Satz von N Schweratomen generiert (willkürlich in der Zelle verteilt oder in Übereinstimmung mit der Pattersonfunktion) und im reziproken Raum die Phasen berechnet und verfeinert. Nachdem die schlechtesten 60%

der Phasen verworfen wurden, werden die verbliebenen Phasen mit Hilfe der Tangensformel erweitert. Aus diesen Phasen und den Schweratomstrukturfaktoramplituden |FHN| wird eine Elektronendichtekarte berechnet. Den stärksten Maxima der Elektronendichte werden Atompositionen zugewiesen, davon willkürlich 30% gelöscht und die restlichen Atome als Startsatz für den nächsten Zyklus eingesetzt. Es werden bei jedem Strukturlösungsversuch 2N Zyklen durchlaufen. Die Güte der gefundenen Struktur wird über einen Korrelationskoeffizienten CC zwischen Eo und Ec bewertet (FUJINAGA UND READ, 1987), der für eine eindeutig gelöste Struktur bei über 35% liegt.

( )

Für jedes Atompaar wird aus den Kreuzvektoren die Patterson minimum function PMF berechnet. Der Mittelwert von PMF liefert als PATFOM (Patterson figure-of-merit) ein weiteres Gütekriterium, nach dem korrekte Lösungen erkannt werden können. Anders als der Korrelationskoeffizient CC liefert der PATFOM nur relative Werte; für die besten Lösungen sind aber auch CC und PATFOM fast immer die höchsten eines Satzes von möglichen Lösungen.

Wurden die richtigen Schweratompositionen gefunden, können daraus die Strukturfaktoren FHN und die Phasen berechnet werden und mit Hilfe einer Harkerkonstruktion die Phasen für die Proteinstruktur bestimmt werden.