• Keine Ergebnisse gefunden

Wie in verschiedenen Studien zuvor (Sommer et al., 2011, 2012 & 2014) wurden in dieser Arbeit durch funktionelle Messungen sowohl eine 1 : 1 als auch eine 2 : 1 Rezeptor-Ar-restin-Bindungsstöchiometrie erhalten. Alle bisher ermittelten Strukturen verschiedener GPCR-Arrestin-Komplexe weisen eine 1 : 1 Stöchiometrie auf (Kang et al., 2015; Zhou et al., 2017; Yin et al., 2019; Huang et al., 2020; Staus et al., 2020), wobei im Falle des Rhodopsins die 1 : 1 Stöchiometrie durch die Verwendung eines Rhodopsin-Arrestin-Fu-sionsproteins erzwungen wurde (Kang et al., 2015). Es stellt sich daher die Frage, wie eine 2 : 1 Rezeptor-Arrestin-Bindungsstöchiometrie auf molekularer Ebene interpretiert werden kann.

Zunächst wäre es möglich, dass die in den funktionellen Studien ermittelte 2 : 1 Stöchio-metrie nicht die tatsächlichen Bindungsverhältnisse widerspiegelt. So könnten beispiels-weise sterische Faktoren eine vollständige Besetzung aller Rezeptoren mit Arrestin ver-hindern. Insbesondere in nativen Diskmembranen, die eine extrem hohe Rhodopsindichte aufweisen (etwa 25.000/µm²), ist es denkbar, dass bei einer quantitativen Photoaktivie-rung des Rhodopsins das Arrestin aus Platzmangel nicht jeden Rezeptor binden kann (siehe Diskussion in Sommer et al., 2011). Auf der anderen Seite zeigen FTIR-Messun-gen, dass auch in Diskmembranen alle Rhodopsinmoleküle durch Arrestin in der Meta

II-99

Konformation stabilisiert werden können (Beyrière et al., 2015), was eine funktionelle 1 : 1 Bindung der beiden Proteine nahelegt. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Arrestinmo-lekül zwei lichtaktivierte RhodopsinmoArrestinmo-leküle in der Meta II Form stabilisiert, da hierfür die Interaktion der Finger-Schleife mit dem Rezeptorkern notwendig ist (siehe Bindungs-modelle in Abbildung 38 & Abbildung 39 ab Seite 100). Die in dieser Arbeit gemessene 2 : 1 Stöchiometrie in gemischten Phospholipid/Detergens-Mizellen ist daher sehr wahr-scheinlich nicht durch eine sterische Behinderung verursacht.

Bei der Ausbildung von 2 : 1 (Rezeptor : Arrestin) Komplexen sind prinzipiell drei un-terschiedliche Anordnungen der Proteine denkbar (siehe Abbildung 38 auf Seite 100).

Die Struktur von Arrestin mit zwei konkaven Domänen sowie die Größenverhältnisse von Arrestin und Rhodopsin führten schon früh zu der Spekulation, dass sowohl die N- als auch die C-Domäne des Arrestins jeweils eigenständig einen Rezeptor binden kann (Übersicht in Park et al., 2004). Entsprechende in silico erhaltene Strukturmodelle (Mod-zelewska et al., 2006, siehe Abbildung 38 C) sind allerdings kaum kompatibel mit den inzwischen nachgewiesenen Kontaktstellen der beiden Proteine. Die zwei Hauptbin-dungsstellen von Arrestin am Rezeptor sind die Phosphosensoren der N-Domäne, die den phosphorylierten C-Terminus des Rezeptors binden, sowie die Finger-Schleife, die am Rezeptorkern bindet (siehe 1.2 ab Seite 23, siehe Abbildung 38 & Abbildung 39). Nach einem Modell von Sommer und Kollegen kann zusätzlich zu diesen beiden Hauptbin-dungsstellen die 344-Schleife der C-Domäne von Arrestin entweder mit der Membran-oberfläche (im Falle einer 1 : 1 Bindung) oder mit einem benachbarten Rezeptor (im Falle einer 2 : 1 Bindung) interagieren (siehe Abbildung 38 C & D). Für letzteres wäre entweder die aktive Konformation oder die Phosphorylierung des zweiten Rezeptors ausreichend (Sommer et al., 2012).

100

Abbildung 38: Modelle der möglichen Rhodopsin-Arrestin-Komplexe

Modelle möglicher Rhodopsin-Arrestin-Komplexe (Bindungsstöchiometrien 1 : 1 (A, B) sowie 2 : 1 (pRho : Arrestin) (C bis E)). Orange: aktivierter Rezeptor, blau: N-Domäne von Arrestin (Arr); grün: C-Domäne von Arrestin rote Linie: hochphosphorylierter C-Terminus des Rezeptors; gestrichelte rote Linie: niedrig phosphorylierter C-Terminus des Rezeptors.

1 : 1 Stöchiometrie: (A) Ein Arrestin-Molekül bindet den aktivierten, phosphorylierten Re-zeptor (links) sowie zugehörige Kristallstruktur des Ops*-Arrestin-Komplexes (rechts;

Kim et al., 2013). (B) Zwei Arrestin-Moleküle binden ein aktiviertes, phosphoryliertes Re-zeptordimer (links) sowie zugehöriges Modell des Komplexes (rechts; das Modell basiert auf einer Kryo-EM-Struktur eines Rhodopsindimers; Zhao et al., 2019). 2 : 1 Stöchiomet-rie: (C, D, E) Ein Arrestin-Molekül bindet ein aktiviertes, phosphoryliertes Rezeptordimer (links) an unterschiedlichen Bindungsstellen (siehe Text für Details). (C, rechts) Zugehöri-ges Strukturmodell (Modzelewska et al., 2006). Die symbolische Darstellung der Proteine ist angelehnt an Sommer et al., 2014.

Da der C-Terminus des Rezeptors sehr flexibel ist und Arrestin auch an phosphoryliertes, inaktives Rhodopsin binden kann („Dunkelbindung“), ist auch ein drittes Bindungsmo-dell denkbar. In diesem MoBindungsmo-dell interagiert Arrestin mit dem phosphorylierten C-Termi-nus eines Rezeptors und bindet gleichzeitig mit der Finger-Schleife einen benachbarten Rezeptor am Rezeptorkern. In diesem Fall müsste der C-terminal gebundene Rezeptor phosphoryliert, aber nicht zwingend aktiviert sein und der via Finger-Schleife gebundene Rezeptor aktiviert, aber nicht zwingend phosphoryliert sein (siehe Abbildung 38 E).

Beide letztgenannten Modelle (Abbildung 38 D und E) sind nach dem derzeitigen Wis-sensstand möglich, sodass es an dieser Stelle offenbleibt, welcher der beiden (bzw. ob beide) Bindungsmodi realisiert ist.

101

Des Weiteren stellt sich die Frage, wie der Phosphorylierungsgrad des Rezeptors die Bin-dungsstöchiometrie beeinflussen könnte. Hier sind vermutlich bereits vor der lichtakti-vierung des Rezeptors gebildete Proteinkomplexe („preformed complexes“) ausschlagge-bend, wobei sowohl vorgeformte Rezeptor-Arrestin-Komplexe als auch Rezeptordimere in Frage kommen (siehe Modelle in Abbildung 39 auf Seite 102).

In Lösung befindliches Arrestin liegt in einer inaktiven Konformation vor, die durch In-teraktion mit dem phosphorylierten, lichtaktivierten Rezeptor schrittweise in eine aktive Konformation überführt wird (siehe Abbildung 39 A). Es ist bekannt, dass Arrestin auch an phosphoryliertes, inaktives Rhodopsin oder phosphoryliertes Opsin mit geringer Affi-nität binden kann (siehe z.B. Vishnivetskiy et al., 2007). Die Bindung führt (ebenso wie die Bindung phosphorylierter Peptide der C-terminalen Rezeptorsequenz) zu einer parti-ellen Aktivierung des Arrestins, d.h. die für die Ausbildung des hochaffinen Rhodop-sin-Arrestin-Komplexes notwendigen Konformationsänderungen sind zum Teil bereits erfolgt (Mayer et al., 2019). Es ist daher gut möglich, dass sich der letztendlich gebildete Rezeptor-Arrestin-Komplex bei Lichtaktivierung vorgeformter Rezeptor-Arrestin-Kom-plexe von dem aus den separierten Proteinen entstandenen Komplex unterscheidet (siehe Abbildung 39).

Da die Affinität von Arrestin zu C-terminalen Rezeptorpeptiden (Mayer et al., 2019) so-wie zu inaktivem Rhodopsin (Vishnivetskiy et al., 2007) mit zunehmender Phosphorylie-rung steigt, ist es naheliegend, dass, infolge der zunehmenden Dunkelbindung des Arrest-ins, die Rhodopsin-Arrestin-Komplexbildung vom Phosphorylierungsgrad abhängt.

Ein weiterer potenzieller Einflussfaktor auf die Komplexbildung ist die Ausbildung von Rezeptordimeren. Trotz zahlreicher Studien ist es bisher ungeklärt, ob Rhodopsin in vivo als Monomer oder in di- oder sogar oligomerer Form vorliegt. Unbestritten ist jedoch, dass in vitro Rhodopsin in unterschiedlichsten Lipidumgebungen (Diskmembranen, Na-nodisks, Bizellen, Detergens) sowohl als Monomer als auch als Dimer vorliegen kann (siehe 1.1.8 ab Seite 21). Durch welche Faktoren die Dimerisierung beeinflusst wird, ist derzeit nicht bekannt. Es ist gut möglich, dass die Dimerisierung vom Phosphorylierungs-grad abhängt; z.B. könnte die Affinität der Rezeptoren zueinander mit zunehmender Phosphorylierung durch die zunehmende elektrostatische Abstoßung der C-Termini ver-ringert sein.

102

Abbildung 39: Bildung von Rhodopsin-Arrestin-Komplexen

Modelle der möglichen Rhodopsin-Arrestin-Komplexe (Bindungsstöchiometrien 1 : 1 so-wie 2 : 1 (pRho : Arr)). Rot: inaktiver Rezeptor; orange: aktivierter Rezeptor, blau: N-Do-mäne von Arrestin (Arr); grün: C-DoN-Do-mäne von Arrestin; rote Linie: hochphosphorylierter C-Terminus des Rezeptors; gestrichelte rote Linie: niedrig phosphorylierter C-Terminus des Rezeptors. (A) Ein Arrestin-Molekül, das vor Rezeptoraktivierung in Lösung war, bin-det nach Lichtaktivierung ein phosphoryliertes Rezeptordimer (links). (B) Ein Arres-tin-Molekül bindet bereits im Dunkeln den phosphorylierten, inaktiven Rezeptor lose; nach Lichtaktivierung bildet sich eine hochaffine Rezeptorbindung mit einer Stöchiometrie 1 : 1 aus. (C) Zwei Arrestin-Moleküle binden bereits im Dunkeln ein phosphoryliertes, inaktives Rezeptordimer mit geringer Affinität; nach Lichtaktivierung bildet sich eine hochaffine Re-zeptorbindung mit einer Stöchiometrie 1 : 1 aus. Die symbolische Darstellung der Proteine ist angelehnt an Sommer et al., 2014.

Zusammengefasst kann folgende Hypothese aufgestellt werden: Bei geringer Phosphory-lierung liegen die Rezeptoren in den gemischten Detergens/Phospholipid-Mizellen be-vorzugt als Dimere vor. Gleichzeitig ist der Anteil vorgeformter Rhodopsin-Arres-tin-Komplexe gering, sodass Arrestin nach Lichtaktivierung aus der Lösung an die Re-zeptordimere bindet und 2 : 1 Komplexe ausbildet. Mit zunehmender Phosphorylierung

103

nimmt die Dimerisierung der Rezeptoren ab und die Dunkelbindung von Arrestin an Rho-dopsin zu, sodass nach Lichtaktivierung bevorzugt 1 : 1 Komplexe entstehen.

In diesem Zusammenhang ergibt sich schließlich die Frage, warum sich bei den Titrati-onsexperimenten bei geringem Phosphorylierungsgrad auch mit einem Arrestin-Über-schuss 2 : 1 Rezeptor-Arrestin-Komplexe bilden. Wenn eine 1 : 1 Stöchiometrie möglich ist, sollten sich im thermodynamischen Gleichgewicht bei hohen Arrestinkonzentrationen entsprechend 1 : 1 Komplexe bilden. Dass dies nicht erfolgt, zeigt, dass die Komplexbil-dung kinetisch kontrolliert ist, d.h. durch die ArrestinbinKomplexbil-dung eine bestimmte Situation

„eingefroren“ wird. Um das thermodynamische Gleichgewicht zu erreichen, müsste man sehr lange Inkubationszeiten nutzen. Dies ist in diesem Fall jedoch nicht möglich, da der Zerfall der aktiven Rezeptorkonformation in Opsin und all-trans-Retinal schneller er-folgt, als die Dissoziation des Arrestins vom aktiven Rezeptor.