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Kapazität Anschlüsse Ende 1992

6. Steuerung in die Nicht-Steuerbarkeit

(Irrtum, Sabotage oder das Zauberlehrling-Syndrom?)

Zumindest nach der Folklore großer technischer Systeme entwickeln diese mit ihrem Wachstum eine Eigendynamik, die sie in Ausdehnung und Funktionsumfang immer größer, damit mächtiger und steuernden Eingriffen von außen immer weniger zugänglich werden läßt. Abweichungen von diesem Muster werden darauf zurückgeführt, daß die Systembetreiberorganisationen tiefgreifende technologische, ökonomische oder politische Wandlungen nicht erkannt, nicht berücksichtigt haben oder

239 Grande, 1989: 242.

die Konsequenzen daraus nicht umsetzen konnten, so daß sie gleich den Dinosauriern in einer veränderten Umwelt nicht überleben können. Dieses in der Organisationstheorie für Bürokratien schon seit langem gebräuchliche Bild kann auch auf die institutioneile Seite großer technischer Systeme übertragen werden. Miß-Management und daraus resultierend Mißerfolg wären danach die Ursachen für ein Zerfallen in Teilsysteme.

Dies scheint in der Telekommunikation nicht der Fall zu sein. Das Fem­

meldewesen ist fast 100 Jahre erfolgreich expandiert und hat in Deutschland die Panne mit der ersten Digitalisierung auch zunächst gut verkraftet. In seiner ökonomischen Analyse der Netzwerkentwicklung spricht Noam von der Tragödie des Erfolgs, die darin besteht, daß erfolgreiche Netz­

expansion zur Zersplitterung führt, weil die Gewinnerwartungen den politi­

schen Druck zur Deregulierung und den Markteintritt neuer Wettbewerber zur Folge haben. Dies ist, wie Noam selbst einräumt, eine Variation des Schumpeterschen Entwicklungsmodells. Aus wirtschaftspolitischer und po­

litikwissenschaftlicher Sicht gibt es noch eine zweite Tragödie oder, vorsich­

tiger ausgedrückt, eine zweite Paradoxie: In dem Maße, wie versucht wurde und wird, die Telekommunikation für medien- und wirtschaftspolitische Ziele zu instrumentalisieren, sank und sinkt aufgrund der ergriffenen Maß­

nahmen die Steuerbarkeit. Und dieser Kurs in die Nicht-Steuerbarkeit wurde nicht etwa von außen gegen den erbitterten Widerstand der Leitung des Systems erzwungen, sondern von dieser Leitung forciert. Wie kann diese Beobachtung erklärt werden, und was folgt daraus? Mit diesen Fragen soll sich das abschließende Kapitel befassen.

6.1 Steigender Steuerungsbedarf

Wenn es nun um eine kritische Würdigung der bisherigen Überlegungen zur zukünftigen Entwicklung gehen soll, müssen einige Annahmen gesetzt werden. Dazu gehört die Annahme, daß das Femmeldewesen Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre aufgrund der technologischen Innovationen im Bereich der Mikroelektronik, der Entwicklung neuer Medien im Ausland, der Verbreitung der Datenverarbeitung, der Intemationalisierung der Wirtschaft, insbesondere durch multinationale Konzerne, auf jeden Fall Änderungen unterworfen werden mußte. Ein strenges Fernmeldemonopol für alle neuen Dienste wäre weder sinnvoll noch kontrollierbar gewesen. Es gab eine grö­

ßere Anzahl technischer Optionen und eine zu erwartende größere Anzahl von Akteuren. Die traditionelle hierarchisch-bürokratische Organisation der Deutschen Bundespost und das clan-artige Amtsbaufirmenkartell waren nicht in der Lage, die erforderliche Koordination zu leisten und dabei auch noch einen breiten gesellschaftlichen Konsens über technische und organi­

satorische Innovationen zu erzeugen. Die letztlich durchgeführte Postreform hat die Chancen nicht verbessert. Def Steuerungsbedarf erscheint heute je ­ doch noch größer als vor zehn Jahren.

(1) Für die zukünftige Telekommunikationsinfrastruktur im Sinne der Netze gibt es heute eine Reihe technischer Optionen, die in substitutiven

Beziehungen zueinander stehen, hohe Entwicklungskosten aufweisen, nicht alle parallel eingeführt und dann auch langfristig rentabel betrieben werden können. So bietet das analoge Fernsprechnetz noch Nutzungsmöglichkeiten für neue Leistungsmerkmale, die mit dem ISDN konkurrieren. Im Breitband­

bereich konkurrieren Breitband-ISDN und ATM-Technik. Mobilfunksysteme konkurrieren mit dem schmalbandigen Netz, Satellitensysteme auch mit dem breitbandigen. Wenn neue Massendienste (hochauflösendes Fernsehen, Bildfemsprechen) eingeführt werden sollen, müssen dafür Endgeräte ent­

wickelt werden, und dazu muß festgelegt werden, in welchen Netzen diese Dienste angeboten werden sollen.

(2) Die Zahl der Akteure im Bereich der Hersteller und auch der Netzbe­

treiber und Diensteanbieter steigt. Dies erfordert neue Aushandlungsarenen und Koordinationsmechanismen.

(3) Mit zunehmender Verbreitung neuer Formen der Telekommunikation nehmen die Schnittpunkte mit gesellschaftlich geregelten Anforderungen zu und entstehen neue Regelungsbedarfe über die Wettbewerbs- und Preiskontrolle hinaus. Wenn der institutioneile Rahmen diesen Anforderun­

gen nicht entspricht, kommt es zu Verzögerungen und Veränderungen tech­

nischer Planungen. Beispiele dafür sind Datenschutzanforderungen an das ISDN240 oder Anforderungen des Gesundheitsschutzes an Mobilfunksysteme2 41

Es gibt sicher keinen einfachen institutioneilen Rahmen, der diese Steue­

rungsanforderungen umsetzen kann. Die ideologische Alternative Staat oder Markt hilft dabei ebensowenig wie die Fixierung auf die zukünftige Rechtsform der Telekom (Aktiengesellschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts). Die Regierungskommission Femmeldewesen hat leider viele der hier angesprochenen Fragen nicht behandelt. Und auch zur Zeit findet keine öf­

fentliche Regulierungs- oder Steuerungsdiskussion statt. Dies ist um so er­

staunlicher, als es einerseits empirisch etwa in den USA ein ausgebautes Regulierungssystem auf der Ebene der Bundesstaaten gibt, das sich zuneh­

mend auch Fragen des Daten- und Verbraucherschutzes zuwendet242 und die EG-Kommission einen Entwurf für eine spezielle Datenschutzrichtlinie vorgelegt hat, und andererseits auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur von Autoren auf entsprechende Defizite hingewiesen wird, die weder als technikfeindlich noch als marktfeindlich charakterisiert werden können. So beendet Schneider seinen mehrfach zitierten Artikel über den paradigmatischen Wandel der Govemance-Strukturen in der Telekommunikation mit einem Abschnitt: "Die Entstehung von Sicherheitsproblemen, negative externe Effekte und deren Regulierung".243 Er erwähnt insbesondere Probleme der technischen Sicherheit, der Verletzlichkeit und des Datenschutzes, die früher in den Postverwaltungen

240 ITG, 1990; Kubicek, 1990; Kubicek/Bach, 1991.

241 ITG, 1992.

242 Noam, 1991; Kubicek/M ohr/Falke, 1992.

243 Schneider, 1991: 33 f.

selbst reguliert wurden und für die nach der Auflösung der alten Strukturen nun neue fehlen:

"The trend toward less direct governmental control at the level of economic governance seems to be accompanied by a trend toward more externality regulation by the state. This, in turn, leads to new forms and procedures of regulatory state interventions, as well as new mixtures of self-regulatory arrangements between private and public actors".244

Entsprechende Schritte sind in der aktuellen Telekommunikationsdis­

kussion, wie schon betont, nicht erkennbar.

6.2 Indikatoren abnehmender Steuerung und Steuerbarkeit

Zu Beginn der 80er Jahre gab es noch ein langfristiges technisches Aus­

baukonzept für die Telekommunikationsinfrastruktur.245 Dieses Konzept konnte nicht umgesetzt werden. Es ist bisher jedoch auch durch kein anderes ersetzt worden. Die einen setzen auf den Mobilfunk, andere auf Breitband und Multimedia. Beides zusammen geht jedoch kaum. In dem Maße, wie der Monopolbereich der Telekom durch Mobilfunklizenzen ausgehöhlt wird, werden ihr die Mittel entzogen, um Vorleistungen bei der Errichtung von Breitbandnetzen zu tätigen. Ohne langfristige Aussage zu den Breitbandnetzen wird es jedoch keine Endgeräteentwicklung für Massendienste geben.

Das derzeitige Fehlen jeglicher Infrastrukturpolitik wird besonders deutlich am Beispiel des hochauflösenden Fernsehens (HDTV). Der Einstieg in diese Technik wird von der Bundesregierung und der EG-Kommission als ein strategisch wichtiger Faktor im Wettbewerb mit den USA und Japan im gesamten Bereich der IuK-Techniken herausgestellt. Denn es geht nicht nur um Fernsehapparate, sondern um die gesamte Produktionskette und auch um neue Schnittfelder aus Video und Datenverarbeitung. Es ist aber völlig unklar, wie die Infrastruktur aussehen soll, über die die hohen Bitraten in die Privathaushalte transportiert werden sollen. Das im November 1992 vor­

gelegte Förderkonzept Informationstechnik enthält zu dem Thema "Neue Kommunikationsinfrastrukturen" nur unverbindliche Allgemeinplätze.246 Die Postreform hat nicht nur keine neuen Verfahren und Instanzen ge­

schaffen, Sie hat, wie es Klumpp formulierte, "vor allem den Effekt, ... für fast drei Jahre eine eingeschwungene Organisation lahmzulegen".247 Inzwischen kann man diese Zeitspanne auf fünf Jahre erhöhen, da nun über die Postreform 2 debattiert wird. In der gesamten Zeit sind nicht nur die Kompetenzen und neuen Rollen zwischen Ministerium und

244 Schneider, 1991: 35.

245 vgl. oben Abb. 20.

246 BMFT, 1992: 100 f.

247 Klumpp, 1991: 204.

"Unternehmen" unscharf geblieben. Die Mitarbeiter mußten und müssen sich auf neue Aufgaben, neue Ziele und persönliche Bewertungskriterien einstellen, mit Veränderungen bekannter Karrieremuster fertigwerden, und nicht wenige sind verunsichert, wenn von der Herauslösung aus dem öffent­

lichen Dienstrecht die Rede ist. Und weil diese Reform nicht vorankommt, bleibt die Ungewißheit und bleibt die Planlosigkeit,

Ein weiteres Problem für eine langfristige Perspektive für den Ausbau der Infrastruktur sind die zunächst wohl unterschätzten Aufwendungen für den Netzaufbau in den neuen Bundesländern, der in erheblichem Maße per­

sonelle und finanzielle Ressourcen bindet.

Das große technische System Femmeldewesen ist ohne Zweifel in Turbu­

lenzen geraten. Noch steigt die Zahl der Femsprechanschlüsse, so daß der technische und institutioneile Kern noch nicht spürbar betroffen ist.

Doch schon jetzt ist die Finanzkraft überfordert. Die Telekom macht Verluste. Die Eigenkapitalquote ist außerordentlich niedrig. Die in Verbin­

dung mit der Postreform 2 geforderte Aufhebung des Netzmonopols und des Femsprechmonopols würde die bisherigen Hauptfinanzierungsquellen für Erweiterungs- und Modemisierungsinvestitionen zum Versiegen bringen.

So steht die Deutsche Bundespost Telekom zu Beginn der 90er Jahre in geradezu paradoxem Gegensatz zu allen Beteuerungen ihrer Schlüsselfunk­

tionäre in einer äußerst schlechten Verfassung da:

- Es gibt kein technologisches Leitbild und kein Infrastrukturkonzept.

- Die Binnenorganisation muß weiter gestrafft werden (insbes. Auflösung der Organisationsebene der früheren Oberpostdirektionen), was erhebli­

che Unruhe auch auf der mittleren Leitungsebene erzeugt.

- Der Markt ist national und international sehr unübersichtlich geworden.

- Das Ministerium kommt mit seiner Postreform 2 nicht recht voran. Und schon wird in der Fachpresse gefragt, ob man bei weiterer Deregulierung überhaupt noch ein Ministerium für Post und Telekommunikation benötigt.

In dieser Krisensituation reicht der zuständige Minister Anfang 1993 seinen Rücktritt mit einer wenig überzeugenden Kritik an dem seit Jahren praktizierten Regierungsstil von Bundeskanzler Kohl ein. Es liegt nahe, das Bild vom Kapitän zu bemühen, der als einer der ersten das Schiff verläßt, das er in eine schwierige Situation manövriert hat. Wie aber ist das Schiff Telekommunikation in diese krisenhafte Situation geraten?

6.3 Irrtum, Sabotage oder das Zauberlehrling syndrom?

Die von Schneider analysierte institutioneile Dispersion und die von Noam herausgearbeitete Fragmentierung der Netze sind international zu be­

obachten. Die ähnlichen generellen Trends weisen jedoch durchaus natio­

nale Variationen aus, die für Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien von Grande und Schneider auf unterschiedliche politische Konstel­

lationen zurückgeführt werden. Als relevante Faktoren nennen sie "die Stärke der konstitutionellen und legalen Restriktionen im Bereich der Tele­

kommunikation", "die Organisation der staatlichen Entscheidungsprozesse und die Einbindung des Telekommunikationssektors in die Staatsstruktur"

und "die Konstellation sozialer Akteure".248 Schneider und Werle haben mit empirischen Mitteln versucht, das "Policy Network" zu bestimmen, das die Postreform eingeleitet und durchgeführt hat. Solche politischen Netzwerke bestehen ihrer Auffassung nach in heutigen Gesellschaften aus korporativen Akteuren im Sinne von Organisationen.249 Die über 30 befragten korporativen Akteure bzw. deren Vertreter stimmten bis auf eine Ausnahme darin überein, daß das Postministerium mit Abstand den größten Einfluß gehabt und ausgeübt habe. Allerdings wird nicht genauer differenziert, wel­

che Abteilungen im Ministerium dabei welche Rolle gespielt haben. Diese Frage erscheint nicht unerheblich, weil frühere Reformansätze ja im we­

sentlichen an dem Ministerium gescheitert sind.

Bei aller gebotenen Skepsis, die auch Joerges gegen die heroisierenden Darstellungen großer Männer (system builders) bei der Entwicklung und beim Aufbau großer technischer Systeme äußert, so sollten andererseits per­

sonelle Momente nicht völlig als Erklärungsfaktoren ausgeschlossen werden.

Im vorliegenden Fall drängt sich eine personenbezogene Betrachtung gera­

dezu auf. Die hier behandelte Phase der technischen Modernisierung, insbe­

sondere durch das ISDN und der institutionellen Reform fällt weitestgehend zusammen mit der Amtszeit von Postminister Schwarz-Schilling und wurde auch inhaltlich wesentlich von ihm geprägt. Als medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte er das Postmonopol wie auch das Rundfunkmonopol mehrfach heftig kritisiert. Als er das Postministerium übernahm, wollte er, wie es Schneider und Werle in dem einzigen auf eine Person bezogenen Satz formulieren, "eine Reform um jeden Preis einleiten".250 In der Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl im Oktober 1982 wurde das Ziel, "den Staat auf seine ursprünglichen und wirk­

lichen Aufgaben zurückzuführen" auch auf den Rundfunk und das Femmel­

dewesen bezogen.251 Zwar wurden diese Monopole dann auch weitestgehend aufgehoben, die damit angekündigten volkswirtschaftlichen Ziele wurden jedoch nicht erreicht. Als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen und

Diskussionen sollen drei Erklärungsvarianten angeboten werden.

Irrtum

Weiter oben wurde auf einen technologischen und einen ordnungspoliti­

schen Irrtum hingewiesen. Im Zusammenhang mit dem technologischen Irrtum wurden die Unterschiede zwischen der Welt des Femsprechens und der Welt der Datenverarbeitung betont, und es wurde die These vertreten, daß die mit dem Fernsprechnetz beruflich aufgewachsenen

Femmelde-248 Grande/Schneider, 1991: 466; vgl. auch Grande, 1989.

249 Schneider/W erle, 1991: 98.

250 ebenda: 119.

251 Grande/Schneider, 1991: 462.

Ingenieure von Post und Herstellern die anderen Bedingungen der Da­

tenübertragung und -femverarbeitung nicht hinreichend verstanden oder nicht richtig in Empfehlungen für politische und Marketingentscheidungen umgesetzt haben. Häufig haben sich die Fachleute im Hinblick auf die Entwicklung von Nachfrage und Nutzungsformen neuer Dienste verschätzt.

Und unter der ständigen öffentlichen Anschuldigung, neue technologische Entwicklungen nicht aufzunehmen, hat die Post bzw. Telekom alles aufgenommen und angefangen und Interdependenzen nicht bedacht.

In ordnungspolitischer Hinsicht mögen sich Bundesregierung und Indu­

strieverbände darin geirrt haben, was der Wettbewerb bewirken kann und was nicht. Sinkende Gebühren und Gerätepreise sind halt nicht die einzigen Erfolgskriterien für die Weiterentwicklung von Infrastrukturen. Aus den USA sowie aus anderen Bereichen hätte man wissen können, daß eine Aufhebung eines Monopols und damit die Vermehrung der Anzahl der Akteure einen anderen Koordinationsmechanismus für die Planung und Realisierung von Infrastrukturen erfordert. Über ein umfassenderes Regulierungsmodell ist noch nicht einmal öffentlich diskutiert worden. Die Aufsichtsfunktionen des Ministerium sind in erster Linie als Preisaufsicht definiert worden. Die ideologische Fixierung auf Markt und Wettbewerb könnte dazu geführt haben, daß die Grenzen des Marktes nicht erkannt und die infrastrukturellen Momente irrtümlich aufgegeben worden sind.

In beiden Fällen wäre dieser kein persönlicher Irrtum des Ministers. Denn seine Umgebung in Ministerium, Kabinett und Partei teilte diese Auffassun­

gen.

Sabotage

Während es im Hinblick auf die technologischen Irrtümer vergleichsweise wenige Warnungen gab, sind die negativen Konsequenzen der Post­

strukturreform öffentlich von der Opposition, der Postgewerkschaft und ein­

zelnen Wissenschaftlern deutlich skizziert worden. Diese Poststrukturreform ist anders als in früheren Jahren dem Minister nicht aufgezwungen worden.

Er hat in den Auseinandersetzungen auch kaum die Interessen des Femmeldewesens, der dort Beschäftigten oder der Fernmeldeindustrie gel­

tend gemacht, sondern allgemeine volkswirtschaftliche Zwecke. Zum Teil gingen seine Deregulierungsvorschläge weiter als der letztlich erreichte Kompromiß. Solche Verhaltensweisen kennt man an der Spitze eines Unternehmens nur aus Situationen, wo ein Eigentümer Manager entsendet, um einen Schrumpfungsprozeß einzuleiten. Hat die Bundesregierung bzw.

der Bundeskanzler oder darüber vermittelt der BDI oder DIHT 1982 den Un­

ternehmer Schwarz-Schilling mit diesem Auftrag an die Spitze der Bun­

despost gestellt? Greift man auf die Regierungserklärungen von Bundes­

kanzler Kohl zurück, so können die Deregulierung des Rundfunks und des Femmeldewesens als Ziele ausgemacht werden, die der frühere medienpolitische Sprecher der CDU/CSU und Unternehmer erfüllen sollte.

Und von diesem Auftrag her ist er einer der erfolgreichsten Minister dieser beiden Legislaturperioden.

Noch 1992 war er derjenige, der die Postreform 2 vorantrieb und selbst die Abschaffung der verbliebenen Monopole anbot. Damit hätte er den Rol­

lenwechsel vom Leiter der Deutschen Bundespost hin zum Regulierer für alle Anbieter von Telekommunikationsdiensten vollzogen. In vielen Entscheidungen als Regulierer hat der Minister 1992 die Wettbewerber gegenüber seiner "Tochter" Telekom bevorzugt, so etwa beim Ausschluß von der Bewerbung um die Errichtung des E-Mobilfunknetzes.

Die Bezeichnung Sabotage mag etwas überzogen klingen, da die Ziele der Deregulierung stets öffentlich vertreten wurden. Wenn es sich aber nicht um Irrtümer gehandelt hat, sondern dem Interesse des privaten Kapitals an den hohen Erträgen aus Telekommunikationsdienstleistungen gezielt ent­

sprochen werden sollte, dann liegen schon Momente von Irreführung vor.

Denn es war durchaus erkennbar, daß die Telekom erheblich geschwächt würde und eine einheitliche Infrastruktur nicht mehr planbar wäre. Die von der Postgewerkschaft befürchtete "Rosinenpickerei" ist eine andere Formulierung für diese Situation.

Außerdem ist auffällig, daß häufig mit einzelnen Handlungen gegen die öffentlich verkündeten Maximen verstoßen wurde. Dies gilt für die Kabel­

femsehnetze, die nicht sofort dem Markt überlassen wurden, weil dann die medienpolitischen Ziele nicht erreicht worden wären, oder für die Abnahme­

garantie für die Glasfaserherstellung. Wer an solchen Widersprüchen zwi­

schen Wort und Tat trotz Kritik festhält, kann sich kaum auf Irrtümer beru­

fen.

Das Zauberlehrling syndrom

Während Sabotage eine gezielt geplante Handlungsfolge unterstellt, ist schließlich auch denkbar, daß die politischen Akteure glaubten, private Gewinnmöglichkeiten zu eröffnen und dennoch einen Kembereich an Infra­

struktur erhalten zu können, dabei aber unterschiedliche Erwartungen ge­

weckt haben, die nicht alle einzulösen waren. Auch Grande stellt in seiner Kritik der Poststrukturreform in bezug auf die Abgrenzung des Telefon­

dienstmonopols fest: "Ob freilich die Geister, die einmal gerufen worden wa­

ren, dann auch wieder gebannt werden können, das kann keineswegs als gesichert gelten".252 Hinzu kamen unvorhersehbare technologische und politisch-ökonomische Veränderungen, durch die die Telekommunikation insgesamt in eine nicht mehr steuerbare Situation geriet. So waren die finanziellen Anforderungen durch den Aufbau einer Grundversorgung in den neuen Bundesländern überhaupt nicht vorhersehbar. Ob Mobilfunk- und Satellitennetze auf Dauer Rand- oder auch Kernbereiche werden, ist heute noch nicht abschließend zu beantworten. Daß gegen internationale Satelli­

tennetze kein rechtliches nationales Netzmonopol durchgesetzt werden kann, ist auch allen Beteiligten klar.

252 1989: 240.

Vermutlich bedarf es eines etwas größeren zeitlichen Abstandes, um be­

urteilen zu können, welchen Anteil die drei Varianten an der Erklärung der deutschen Besonderheiten beanspruchen können. Der Rücktritt von Mini­

ster Schwarz-Schilling verstärkt m.E. das Gewicht der Zauberlehrlingsvari­

ante. Zumindest ist glaubhaft, daß er eine so verfahrene Situation nicht ge­

zielt und planvoll herbeigeführt hat.

Unabhängig davon stellt sich die Frage nach den strukturellen Bedin­

gungen, die diese Entwicklungen zugelassen haben. Offensichtlich fehlt dem großen technischen System Telekommunikation ein Frühwarnsystem für Fehlentwicklungen, ein Mechanismus für institutionelles Lernen im Bin­

nenverhältnis und eine wirklich kritische Kontrolle oder Regulierung von außen. Dieser Aspekt des institutioneilen Lernens hat in jüngster Zeit in der sozialwissenschaftlichen Technikforschung stärkere Aufmerksamkeit gefun­

den. Dierkes253 vertritt die Auffassung, daß Organisationen nur aus Krisen oder durch starken Druck von außen lernen. Für die Telekommunikation kann durchaus von einer Krisensitutation gesprochen werden. Die mo­

mentan stagnierende Diskussion über die Postreform 2 bietet die Chance, nicht nur unmittelbar aus einer kritischen Bewertung der ersten Reform zu lernen, sondern in die neuen Strukturen Lernmechanismen einzubauen. Ei­

ner der von Dierkes empfohlenen Mechanismen ist die Erweiterung des Krei­

ses von Entscheiden! und Beratern um kritische Querdenker.

6.4 Konsequenzen fü r die Theorie großer technischer Systeme

Im Entstehungszusammenhang dieses Beitrags ging es nicht in erster Linie um die Telekommunikation allgemein, sondern um deren Analyse als Bei­

spiel für ein großes technisches System. Daher erscheint es sinnvoll, ab­

schließend zu fragen, was aus diesem Beispiel für die Theorie großer techni­

scher Systeme gelernt werden kann und welche neuen Erkenntnisse diese Theorie bei der Behandlung des Beispiels eröffnet hat.

Einige der eingangs zitierten Fragen von Joerges, z.B. danach, was das

Einige der eingangs zitierten Fragen von Joerges, z.B. danach, was das