• Keine Ergebnisse gefunden

Stefan Zweigs Würdigung von Suttners Vermächtnis

Im Dokument Brenner-Archiv Mitteilungen aus dem (Seite 46-52)

Eine ungewöhnlich vielbeachtete, fein beobachtende, zugleich aber auch sehr selbstkritisch formulierte Würdigung, die Stefan Zweig der wichtigsten Protagonistin der österreichi-schen Friedensbewegung im Rückblick angedeihen ließ, liefert wertvolle Anhaltspunkte für eine umfassende und differenzierte Einschätzung von Bertha von Suttners Lebenswerk, bei der sowohl ihre breite und langfristige Ausstrahlung als auch ihr unmittelbares realpo-litisches Scheitern nachvollziehbar wird. In seiner 1918 gehaltenen Grundsatzrede über die Notwendigkeit eines Völkerbundes, in der er – zum vierten Jahrestag von Suttners Tod – die Berechtigung des Engagements der Friedensbewegung vor 1914 verspätet eingestand, fand er leidenschaftliche Worte des Lobes für ihr Vermächtnis – wobei er allerdings wohl auch die Macht von Ideen und ‚die unsterbliche Seele der Menschheit‘ etwas überschätzte, indem er unter anderem ausrief: „Aber nur Menschen sind vergänglich, niemals die Gedanken.“38 Einleitend erklärte er:

„Ich weiß nun nur nicht, ob mir persönlich ein Recht zusteht, von dieser au-ßerordentlichen Frau zu Ihnen zu sprechen, denn – daß ich’s nur unverhohlen und mit Beschämung sage – ich muß mich selbst zu den allzu vielen zählen, die sie nicht genug verehrten, die ihr Werk nicht hinlänglich würdigten, so lange sie selbst noch eine Wirkende war. Und wie leicht wäre es gewesen, eine wie gute, wie dankbare Pflicht! [...] Wie leicht hat es der Kriegswille, wie schwer der Pazifismus! [...] Seit zwanzig Jahren hatte Berta von Suttner um diesen Weltkrieg gewußt.“39

Im Rückblick erkannte Zweig auch frauenfeindliche Tendenzen, die dazu beigetragen hatten, Suttner nicht ernst zu nehmen:

„Man nahm diese leidenschaftliche Monotonie des Gedankens für Armut, sei-ne Sinnfälligkeit für Banalität. [...] Allmählich war sie etwas ganz Lächerliches geworden, die Friedens-Berta der Witzblätter, und man nannte sie ‚eine gute Frau‘ mit jener mitleidigen Betonung, durch die Güte als Dummheit gilt.“40

Zweig verstand aber auch, dass eine von Suttners wichtigsten Erkenntnissen in der Bedeutung von Organisation, von aktiver Mitgliedschaft und Beteiligung an Projekten lag:

„Sie hatte auch die einzige notwendige Waffe der Zeit rechtzeitig zu fassen ge-sucht: die Organisation. [...] Waren wir nicht alle aus jenem Mißtrauen zu Vereinen, aus jenem unedlen Hochmut, einer Selbstverständlichkeit zu dienen, ihren Plänen fern geblieben? Meinten wir nicht alle, wir könnten, jeder einzeln, Wesentlicheres wirken als im Zusammenschluß? Sie aber, gleichgültig gegen alle Gleichgültigkeit, unermüdlich in ihrer Arbeit, gründete Friedensgesellschaften.

[...] So gab diese heroische Agitatorin der Menschheit ein dauerhaftes Beispiel, daß die Frau, selbst wenn ihr das Recht der öffentlichen Einflußnahme auf Politik durch das verweigerte Wahlrecht versagt ist, deshalb doch nicht zur Untätigkeit und Wirkungslosigkeit verdammt bleibt.“41

Nicht zuletzt thematisierte Zweig in diesem Zusammenhang aber auch eine mächtige und tiefsitzende gesellschaftliche Neigung zu Verdrängung und Verleugnung:

„Aber – ich frage Sie und mich, spreche ich wirklich wahr, wenn ich sage, wir waren ahnungslos gewesen, wir hätten nicht um diesen Weltkrieg gewußt. Ein Ja und ein Nein, beides als Antwort wäre Übertreibung, denn es gibt eine eigen-tümliche Art des Wissens in jedem Menschen, eine eigeneigen-tümliche und gefährli-che Art des Wissens und gleichzeitig Nichtwissenwollens, die mit einer elemen-taren Funktion unseres Lebenswillens zusammenhängt. Wir bemerken vieles und bemerken es doch nicht bewußt, weil wir es nicht bemerken wollen, weil

wir es gewaltsam verdrängen und ins Unterbewußtsein, in die Dämmerung des Gefühls zurückstoßen. [...] Und so haben wir im Frieden aus Lässigkeit, aus Leichtfertigkeit, aus seelischem Selbsterhaltungstrieb an den Krieg nicht ge-glaubt, weil wir nicht glauben wollten, weil wir uns nicht stören lassen wollten in unserer Bequemlichkeit.“42

Trotz der Bemühungen Rosa Mayreders (und so mancher anderer), insbesondere im Rahmen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit Suttners Vermächtnis weiterzufüh-ren, sollte diese „Bequemlichkeit“ – die einer militaristischen Kultur de facto mächtig in die Hände arbeitet – leider auch in den folgenden Jahrzehnten weiterhin einen entscheidenden Einfluss behalten.

Anmerkungen

1 Nach Stefan Zweig: Jaurès. Ein Porträt. In: Neue Freie Presse, 6. August 1916, 3-4, hier 3.

2 Meine Definition des Feminismus lehnt sich an Karen Offens Konzeption an (Karen Offen: Defining Feminism.

A Comparative Historical Approach. In: Fiona Montgomery, Christine Collette (Hg.): The European Women’s History Reader. London: Psychology Press 2002, 24-26, hier 24): „Der Begriff des Feminismus umfasst sowohl ein System von Ideen als auch eine Bewegung für einen gesellschaftspolitischen Wandel, die auf einer kritischen Analyse männlicher Privilegien und weiblicher Unterordnung in einer Gesellschaft beruhen.“ (Übersetzung: L.

Cohen)

3 Zur Unterscheidung zwischen einer ‚Ethik der Gerechtigkeit‘ (‚ethic of justice‘) und einer ‚Ethik der Fürsorge‘

(‚ethic of care‘) vgl. Carol Gilligan: In a Different Voice. Psychological Theory and Women’s Development.

Cambridge, Mass.: Harvard Univ. Press 1982.

4 Albert Fuchs: Geistige Strömungen in Österreich. Wien: Globus Verlag 1949, 258.

5 Der Roman Die Waffen nieder! (1889) beschreibt die Entwicklungsjahre einer eigenwilligen jungen Frau na-mens Martha Tilling, die sich gegen die im damaligen Österreich-Ungarn vorherrschende Atmosphäre von männlichem Chauvinismus und blindem Militarismus auflehnt.

6 Bertha von Suttner: Letzter Brief an die deutschen Frauen, 1914. Swarthmore College Peace Collection, CDG-B Austria: Suttner, Baroness Bertha von, Karton 2. Teilweise nachzulesen in: Frida Perlen: In a Grave Hour. In: Jus Suffragii. 9. Jg., 3. H., Dezember 1914, 3.

7 Zitiert nach R. G.: Zum sechzigsten Geburtstag von Rosa Mayreder. In: Arbeiter-Zeitung, 1. Dezember 1918, 4, wo Mayreder darüber hinaus auch als „sicherlich […] die stärkste weibliche Persönlichkeit, die wir augenblick-lich in Deutschösterreich besitzen“, bezeichnet wird.

8 Vgl. u.a. Edith Leisch-Prost: Rosa Mayreder. In: Francisca de Haan, Krassimira Daskalova and Anna Loutfi (Hg.): A Biographical Dictionary of Women’s Movements and Feminisms. Central, Eastern, and South Eastern Europe, 19th and 20th Centuries. Budapest: CEU Press 2006, 319-23. Eine wesentliche Ausnahme findet sich in Hanna Schnedl-Bubeniček: Bewegungen vor 1914. Humanitäre Initiativen oder gesellschaftliche Veränderung.

In: Gernot Heiss, Heinrich Lutz (Hg.): Friedensbewegung: Bedingungen und Wirkungen. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1984, 96-113.

9 Vgl. Chère Baronne et Amie – Cher monsieur et ami. Der Briefwechsel zwischen Alfred Nobel und Bertha von Suttner. Hg. von Edelgard Biedermann. Hildesheim, Zürich, New York: Olms 2001.

10 Vgl. Laurie R. Cohen: Aussteiger. Arthur und Bertha von Suttners entscheidende Jahre im russischen Kaukasus, 1876–1885. In: Laurie R. Cohen (Hg.): „Gerade weil Sie eine Frau sind…“ Erkundungen über Bertha von Suttner, die unbekannte Friedensnobelpreisträgerin. Wien: Braumüller 2005, 15-54.

11 Vgl. Laurie R. Cohen: Seite an Seite, gegen den Strom. Die frühen Jahre der österreichischen Friedensbewegung und der Vereinigung gegen Judendiskriminierung. In: Ebenda, 55-94.

12 Chère Baronne et Amie (Anm. 9), 105.

13 Vgl. (Zum Friedenskongreß). In: Neue Freie Presse (Abendblatt), 16. Juli 1914, 1. Die Absage für den vom 15. bis 19. September geplanten Weltfriedenskongress wurde in der Wiener Zeitung am 30.7.1914, 5, veröf-fentlicht. (Vgl. Österreichisches Staatsarchiv, Wien, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Ministerium des Inneren, Präsidiale, Bestand Nr. 9, Karton 1559, Protokoll 9504/1914 „WFK 1914, Absage“.)

14 Vgl. Hilde Schmölzer: Rosa Mayreder. Ein Leben zwischen Utopie und Wirklichkeit. Wien: Promedia 2002;

Brigitte Semanek: Politik im Tagebuch von Rosa Mayreder in der Zwischenkriegszeit. Möglichkeiten einer Diskursanalyse. Wien 2011 (unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien).

15 Rosa Mayreder: Die Frau und der Krieg. In: Internationale Rundschau (Zürich). H. 10/11, 1915, 51-61, hier 56. – Als in vieler Hinsicht vergleichbarer Text, der von der US-amerikanischen Sozialreformerin und Mitgründerin der „Women’s Peace Party“ Lillian Wald verfasst wurde, vgl. Women and War, 1915, New York Public Library, Manuscript Division, Lillian Wald Papers.

16 Die über hundert Delegierten dieses Kongresses wurden auf der Grundlage des Eintretens für das Frauenwahlrecht und für die Beendigung des Krieges zur Teilnahme zugelassen.

17 Rosa Mayreder: Der Haager Frauenkongress im Lichte der Frauenbewegung. In: Neues Frauenleben. 17. Jg., Nr.

5, 1915, 98-101. [auch in Austrian Literature online: www.literature.at]

18 Ebenda, 101. Vgl. Abschrift, Wien, zu Protokoll 11799/1. Juni 1915 „Internationaler Frauen-Kongress im Haag“.

In: Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Innenministerium, Präsidiale, Signatur 22, Karton 2051. Auf dem zweiten, 1919 in Zürich abgehaltenen Frauen-Friedenskongress wurde die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit offiziell gegründet, die dann ihren eigenen ersten Kongress 1921 in Wien abhielt.

19 Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Hg. von Rudolf Malter. Stuttgart: Philipp Reclam jun 2005.

20 Vgl. Michael Howard: Die Erfindung des Friedens. Über den Krieg und die Ordnung der Welt. Lüneburg: zu Klampen 2001.

21 Zitiert in Friedrich Helbig: Der „ewige Friede“ – ein Menschheitsideal. In: Die Gartenlaube. H. 26, 1882, 431-434, hier 434.

22 Nachgedruckt in Suttners „Monatszeitschrift“: Die Waffen nieder! H. 11, 1895, 416-417. Vgl. auch Suttner an Alfred Hermann Fried: „Dann vermisse ich in dem Büchlein die ethische Seite der Frage vollkommen. Die spielt doch auch mit in der Menschenentwicklung. Krieg ist Bestialität. Nicht ein Herzschlag ist in dem ganzen Büchel – nicht eine Regung von Mitleid; nicht eine Regung von Ekel und Zorn. Und alles das gehört zur Entwicklung des Menschen.“ (Zitiert in Bernhard Tuider: Alfred Hermann Fried – ein „Adlatus“ oder „Inspirator“ von Bertha von Suttner? Neue Perspektiven auf die Beziehung zweier Leitfiguren der österreichischen Friedensbewegung. In:

Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit. 9. Jg., H. 2, 2009, 134-162, hier 154.)

23 Bertha von Suttner: Memoiren. Hg. von Lieselotte von Reinken. Bremen: Carl Schünemann 1965, 141.

24 Demgegenüber bestritt Suttner freilich wiederholt, dass die Friedensbewegung in irgendeiner Weise spezi-fisch „weiblich“ wäre. Vgl. Bertha v. Suttner: Wie können Frauen die Friedensbewegung fördern? In: Kölnische Volkszeitung, 1. Juni 1911, 2.

25 Um nur ein Beispiel zu nennen: In der satirischen Zeitschrift Neue Glühlichter vom 11. Mai 1899 erschien auf dem Titelblatt eine Karikatur mit dem Titel Die Einleitung der Friedenskonferenz in Haag, oder die rus-sische Friedensliebe. Bertha von Suttner wurde hier etwa als blauäugig-naive und jugendlich-hübsche Dame dargestellt (tatsächlich war sie freilich schon 55 Jahre alt), der von einem riesigen „russischen“ und natürlich männlichen Stiefel ein Tritt in den Hintern versetzt wird. So sehr dies einerseits als Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Friedensinitiative des Zaren – der den ersten Haager Friedenskongress einberufen hatte – verstanden werden konnte, so war es andererseits – aus dem (männlichen) Blickwinkel des Karikaturenzeichners und seines vermeintlichen Publikums – auch ein Beispiel für das Bestreben, Frauen, die den gegenwärtigen Zustand der Geschlechterverhältnisse in Frage stellten, ‚in ihre Schranken zu weisen‘. Vgl. auch die Ironie von Karl Kraus in: Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog. Wien, Leipzig:

Verlag Die Fackel 1926, 75: „Der erste Reporter: ‚Mit echter Männlichkeit nimmt Wien die schicksalsschwere Entscheidung auf‘.“

26 Martin van Creveld: Frauen und Krieg. München: Gerling Akademie Verlag 2001, Vorwort.

27 Jemand [Bertha von Suttner]: Das Maschinenalter. Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit. Zürich: Verlags-Magazin 1889, 85. [https://archive.org/stream/dasmaschinenzei00suttgoog#page/n11/mode/2up]

28 Harriet Anderson: Utopian Feminism. Women’s Movement in fin-de-siècle Vienna. New Haven, CT: Yale Univ.

Press 1992, 166.

29 Mayreder (Anm. 15), 55.

30 Ebenda, 57.

31 Rosa Mayreder: Zur Kritik der Weiblichkeit. Essay. Jena: Diederichs 1905, 119.

32 Ebenda, 120.

33 Mayreder (Anm. 15), 53, 57.

34 Vgl. ebenda, 56: „Wenn es wahr wäre, daß jede Frau – was seit Rousseau eine Schule von Soziologen nicht müde wird zu behaupten – die Aufgabe habe, beständig schwanger zu sein, weil der ‚Genius der Gattung‘ diese Leistung fordert.“

35 Ebenda.

36 Ebenda, 58.

37 Zitiert in Christoph Gütermann: Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung, 1891–1985. In:

Manfried Rauchensteiner (Hg.): Überlegungen zum Frieden. Wien: Deuticke 1987, 13-132, hier 66.

38 Stefan Zweig: Ansprache anläßlich der Eröffnung des Internationalen Kongresses für Völker verständigung in Bern. In: Neue Freie Presse, 21. Juni 1918, 1-4, hier 2.

39 Ebenda, 1, 3, 4.

40 Ebenda, 2.

41 Ebenda, 2 u. 3.

42 Ebenda, 4.

Über die Folgen humanistischer Bildung und die Grenzen des

Im Dokument Brenner-Archiv Mitteilungen aus dem (Seite 46-52)