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In den meisten westlichen Industriestaaten (mit Ausnahme der USA) existiert entweder ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem, das Leistungsansprüche für alle Einwohner vorsieht (Beispiele: Großbritannien, Schweden), oder aber es gibt eine die gesamte Bevölkerung umfassende Krankenversicherungspflicht (Beispiele: Österreich, Frankreich). Auch in Deutschland besteht seit Jahresbe-ginn 2009 eine solche die gesamte Bevölkerung umfassende Krankenversiche-rungspflicht. Diese wird in zwei getrennten Versicherungssystemen wahrge-nommen. Denn nach § 193 Abs. 3 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) gilt zwar zunächst, dass jede Person mit Wohnsitz im Inland zum Ab-schluss einer privaten Krankheitskostenvollversicherung verpflichtet ist (für die

2 Auch wenn das Ausmaß der Wirkungen der Demographie auf Gesundheitsausgaben umstrit-ten ist; vgl. statt vieler Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Demographischer Wandel- Herausforderung unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik" (2002).

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im Weiteren dann bestimmte Mindestanforderungen definiert werden). § 193 Abs. 3 Satz 2 VVG nimmt dann aber insbesondere Personen, die in der GKV versichert oder versicherungspflichtig sind, von dieser Pflicht zum Abschluss einer privaten Krankheitskostenvollversicherung aus.

Faktisch sind etwas unter 90 % der deutschen Bevölkerung in der GKV versi-chert. Denn der Gesetzgeber hat - einschließlich der damit verbundenen bei-tragsfreien Familienversicherung - rd. 76 % der Bevölkerung in die Versiche-rungspflicht in der GKV einbezogen und weitere rd. 10 % (wiederum ein-schließlich familienversicherter Angehöriger) haben von der Möglichkeit Ge-brauch gemacht, sich nach Auslaufen einer Versicherungspflicht freiwillig in der GKV zu versichern. Demgegenüber sind gut l O Prozent der Bevölkerung in der PKV versichert (wenn man die Beamten und deren Familienangehörige einbe-zieht, die dort nur eine Quotenversicherung haben und im Übrigen Beihilfean-sprüche gegenüber dem Dienstherrn geltend machen).3

Der Wechsel von der GKV zur PKV ist Personen möglich, die nicht mehr in der GKV versicherungspflichtig sind; dies betrifft im Wesentlichen Arbeitneh-mer mit Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze, Personen, die verbeamtet wurden, sowie Personen, die eine selbständige Tätigkeit aufgenom-men haben. Der Wechsel muss nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Ende der Versicherungspflicht ausgeübt werden. Der Wechsel in die umgekehrte Richtung, also die Rückkehr in die GKV, ist nur unter sehr eingeschränkten Be-dingungen möglich.

Durch die Wahlmöglichkeit für den oben beschriebenen Personenkreis zwi-schen einer Fortsetzung ihrer freiwilligen Versicherung in der GKV und dem Wechsel in die PKV besteht ein Systemwettbewerb zwischen den beiden Versi-cherungssystemen im Bereich der Vollversicherung - auch wenn dies zurzeit nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betrifft. An clen Rahmenbedingungen dieses Systemwettbewerbs hat die Politik immer wieder Veränderungen vorge-nommen: Tendenziell haben dabei sozialdemokratisch geführte Bundesregie-rungen den Kreis der GKV-Pflicht-versicherten weiter ausgeweitet,4 in

CDU-3 Zahl der GKV-Versicherten nach BMG-Statistik KM6, Zahl der PKV-Versicherten nach PKV-Zahlenbericht, Einwohner nach Statistischem Bundesamt.

4 So wurden während der sozial-liberalen Koalition Landwirte, Künstler und Studenten in die Versicherungspflicht einbezogen. Während der rot-grünen Regierungskoalition wurde 2002 die Versicherungspflichtgrenze überproportional angehoben.

geführten Bundesregierungen wurden eher Veränderungen in die andere Rich-tung vorgenommen. 5 Die große Koalition hat - intern sehr kontrovers diskutiert - die Voraussetzungen für das Ende der Versicherungspflicht von Arbeitneh-mern bei Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze erschwert - eine Rege-lung, die die schwarz-gelbe Koalition laut Koalitionsvertrag jetzt wieder rück-gängig zu machen beabsichtigt.

Die Frage, wie der System-Wettbewerb zwischen PKV und GKV, der durch die Wahlmöglichkeiten verschiedener Versichertengruppen zwischen beiden Spielarten der Krankenversicherung ausgelöst wird, zu bewerten ist, wird kont-rovers diskutiert. Einerseits werden ihm Vorteile zugeschrieben: Jede Versiche-rungsart könne von der jeweilig anderen lernen - welche Instrumente funktio-nieren, welche nicht. Außerdem bewirke die ständig präsente „Gefahr", dass freiwillig Versicherte der GKV diese verlassen und zur PKV wechseln, dass es im Bereich der GKV zu Innovationen komme. So sei ein vergleichsweise um-fangreicher Leistungskatalog entstanden und erhalten geblieben: ,,Wenn es die PKV als Alternative für die Versicherten nicht gäbe, hätten wir heute schon ei-nen deutlich schlankeren Leistungskatalog in der GKV".6

Andererseits sind aus gesellschaftlicher Perspektive die distributiven und fis-kalischen Wirkungen des Systemwettbewerbs aufgrund der unterschiedlichen Kalkulationssysteme negativ zu bewerten: 7 Die den freiwillig in der GKV versi-cherten Personen offenstehende Wahl der Versicherung zwischen GKV und PKV unterliegt deren individuellem Kalkül, ob sie eher einem System mit ein-kommensabhängigen Beiträgen und Familienversicherung oder eher einem Sys-tem mit risikoabhängigen Beiträgen und Individualprinzip angehören wollen.

Rational handelnde Versicherte werden diese Entscheidung so treffen, dass sie die für sie nützlichere Alternative wählen. Dies heißt aber, dass sich diejenigen für eine Versicherung in ger PKV entscheiden, die für die GKV „attraktive Risi-ken" wären (nämlich: gesund, jung, wenig Familienversicherte), während es für diejenigen, die für die GKV weniger attraktiv sind (nämlich: erkrankt, älter, vie-le Familienversicherte), eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit gibt, dass sie in

5 So wurde mit der Gesundheitsreform von 1988 (GRG) die Versicherungspflicht bestimmter Gruppen Selbständiger abgeschafft und auch für Arbeiter eine Versicherungspflichtgrenze eingeführt. Bei Aufnahme einer Teilzeittätigkeit greift unter bestimmten Voraussetzungen die Versicherungspflicht nicht.

6 Leienbach (2005): 235.

7 Vgl. Jacobs et al. (Hrsg.) (2006) 46

der GKV verbleiben. Exemplarisch sei darauf verwiesen, dass auf 100 Pflicht-versicherte rd. 33 FamilienPflicht-versicherte kommen, auf 100 freiwillig Versicherte hingegen 76. Aus der Ausübung der Wahlentscheidungen resultieren daher ver-teilungspolitische Inkonsistenzen. Insgesamt führt diese Konstellation dazu, dass der GKV im Vergleich zu einer Situation, in den solchen individuellen Wahl-rechten nicht bestünden, erhebliche Verluste an Deckungsbeiträgen entstehen. 8

Darauf hinzuweisen ist, dass als Gegenargument die höheren Leistungsentgel-te der PKV-VersicherLeistungsentgel-ten ins Feld geführt werden. So zahlen die privat Versi-cherten insbesondere bei der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen mehr als das Doppelte der Beträge, die die gesetzlichen Krankenkassen für die gleichen Leistungen entrichten;9 in geringerem Umfang findet ein solcher überproportio-naler Finanzierungsbeitrag der PKV-Versicherten auch in anderen Leistungsbe-reichen statt. Dies kann in gewisser Weise als Quersubventionierung von der PKV in die GKV interpretiert werden. Zutreffend ist daran, dass die GKV höhe-re Phöhe-reise zahlen müsste, wenn bei Übergang zu einheitlichen Phöhe-reisen beider Ver-sicherungssysteme ( oder im Rahmen eines einheitlichen Versicherungssystems) die Umsätze der Leistungserbringer nicht sinken sollten. Bisweilen wird argu-mentiert, dass die höheren Entgelte der PKV die Leistungen z.T. überhaupt erst - und zwar auch für GKV-Versicherte - möglich machen. Dahinter steht der Gedanke, dass die Ein-nahmen aus der Behandlung von PKV-Versicherten nicht nur die Einkommen der abrechnenden Ärzte erhöhen, sondern über ihren Kos-tendeckungsanteil erst die Voraussetzungen schaffen für bestimmte Angebote an GKV-Patienten. Allerdings lassen sich diese beiden Effekte schwer voneinander abgrenzen. Andererseits wird festgestellt, dass die GKV durch Einsatz eigener Ressourcen Wirkungen in der Steuerung des Gesundheitssystems erzielt, von denen auch die PKV profitiert, etwa wenn Gemeinsamer Bundesausschuss und Krankenkassen Festbeträge festlegen, in deren Folge die Arzneimittelhersteller ihre Apothekenabgabepreise senken. Zudem wird angeführt, dass die höheren Preise, die Leistungserbringer bei der Behandlung privat Versicherter erzielen können, eine bevorzugte Behandlung dieser Personengruppe mit sich bringt.

Dass die Terminvergabe von niedergelassenen Ärzten zwischen gesetzlich und privat Versicherten differenziert, weiß inzwischen der Volksmund und ist auch experimentell belegt.10

8 Vgl. etwa Berechnungen bei Sehlen et al. (2004).

9 Vgl. etwa Niehaus (2006), Walendzik et al. (2009).

10 Vgl. Lüngen et al. (2008).

Insgesamt lässt sich somit konstatieren, dass es Argumente sowohl für als auch gegen den Systemwettbewerb gibt. Es muss daher eine Wertentscheidung getroffen werden, ob der Systemwettbewerb durch Wahlmöglichkeiten von Tei-len der Bevölkerung in der Vollversicherung zwischen zwei unterschiedlichen Versicherungslogiken folgenden Versicherungsarten bestehen bleiben oder durch ein anderes System ersetzt werden sollte. Wird - wie in der Themenstel-lung für dieses Referat vorgegeben - der Blickwinkel auf eine „Überwindung"

der Marktabgrenzung gelegt, so ist damit ein Modell eines „einheitlichen Versi-cherungssystems" angesprochen.

2. Beurteilungskriterien für eine Reform zur Außtebung der