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Der Wandel des deutschen Gesundheitssystems

mehrdimensionale Analyse des Handlunasbedarfs

DP 6 Unterstützende Maßnahmen

2. Multimorbidität und Pflegebedürftigkeit als besondere Anforderung an die Versorgung

1.2 Der Wandel des deutschen Gesundheitssystems

Neueste Berechnungen von Experten aus dem Bundesgesundheitsministerium, dem Bundesversicherungsamt und dem GKV-Spitzenverband lassen keinen Zweifel aufkommen: 2010 werden die Gesetzlichen Krankenkassen eine Finan-zierungslücke von rund 7 ,8 Milliarden Euro aufweisen 1• Das Defizit soll durch Steuerzuschüsse in Höhe von 3,9 Milliarden Euro sowie durch Zusatzbeiträge der Krankenkassen über rund zwei Milliarden Euro kurzfristig abgefangen

wer-1 Quelle: GKV-Schätzerkreis, 8.01.2010

den. Vor allem angesichts des demographischen Wandels sowie einer steigenden Krankheitsanfälligkeit der Bevölkerung - in den nächsten Jahren wird alleine eine Verdoppelung der bekannten Diabetesfälle von heute 6 auf dann 12 Millio-nen in Deutschland erwartet - dürfte die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auch künftig mit massiven Finanzierungsengpässen zu kämpfen haben.

Weil das Durchschnittsalter der Bevölkerung unaufhörlich steigt und die techni-sche Entwicklung rasch voranschreitet sind sich Experten einig, dass die Refor-men am System fortgeführt werden müssen; der Fokus dabei aber stärker als bislang auf die Einnahmenseite gelegt werden sollte. Denn tatsächlich krankt die GKV in erster Linie an einem Einnahmeproblem, welches sich regelmäßig in schwierigen ökonomischen Zeiten noch einmal verstärkt. So sank der Anteil der Arbeitgeber-Entgelte am Bruttoinlandsprodukt von 1992 bis 2008 von 55,7 auf rund 49 Prozent. Gleichzeitig stieg der durchschnittliche Beitragssatz von 12,7 auf 14,9 Prozent. Ein Blick auf die Ausgabenseite im Gegenzug zeigt. Unter den Leistungserbringern verbuchen die Krankenhäuser derzeit laut Bundeskartellamt mit rund 65 Milliarden Euro den größten Kostenblock2• Medikamente sind zwar der zweitgrößte Kostenblock der Kassen und der Anteil der Arzneimittelausga-ben ist mit rund 18 Prozent in den letzten Jahren auch leicht gestiegen. Dass Medikamente jedoch zu den besonderen Kostentreibern des Systems zählen, entspricht nicht der Realität. Abzüglich der Mehrwertsteuer liegt dieser Ausga-benbereich zum Beispiel deutlich unter dem Anteil der mehrwertsteuerbefreiten ärztlichen Honorare. Nach Informationen des Verbandes Forschender Arznei-mittelhersteller (VfA) betrug der Umsatz 2009 mit Fertigmedikamenten im GKV-Arzneirnittelmarkt 30,9 Milliarden Euro und rangierte damit gerade 4,5 Prozent über dem 2008er-Wert. Insbesondere lag die Ausgabenentwicklung 2009 auf Bundesebene im Rahmen der Vereinbarungen zwischen Kassenärztli-che Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband. Doch anstatt die Einnahmenbasis neu zu organisieren und damit zukunftsfähig zu gestalten, fo-kussieren die politischen Reformprozesse seit Jahren stark auf eine Begrenzung des Ausgabenwachstums. Wesentliche gesetzliche Änderungen, die das Ver-tragsverhältnis zwischen Kassen und Industrie dramatisch verändert haben, wer-den nachfolgend erläutert:

• 2003 wird das Beitragssicherungsgesetz eingeführt. Bedeutsam für die Hersteller von Medikamenten ist in diesem Zusammenhang der § 130a

2 Quelle: Dr. Bernd Heitzer, ehemaliger Präsident des Bundeskartellamtes, Rede beim Studi-enkreis Regulierung Europäischer Gesundheitsmärkte, 29. Juni 2009, Königswinter

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des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), der die Rabattregeln ver-ändert. Denn die Medikamentenhersteller geben den Apotheken einen sechsprozentigen Abschlag auf Herstellerabgabepreise für Arzneimittel, für die es bis dato keine speziellen Regelungen zur Begrenzung der Kos-tenübernahme durch die Gesetzliche Krankenversicherung gab. Für hoch-preisige patentgeschützte Arzneimittel wurde zudem der Rabatt von sechs auf zehn Prozent angehoben sowie Preis-Obergrenzen für die Erstattung durch die Krankenkassen (Festbeträge) bestimmt.

• 2006 kommt das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz. We-sentliche Regelungen sehen einen zweijährigen Preisstopp für Arzneimit-tel vor und eine neue Vorgabe für die Festbetragsgrenzen bei Erstattung von Arzneimitteln. Bei patentfreien Arzneimitteln mit gleichen Inhalts-stoffen, die von mehreren Unternehmen angeboten werden (Generika), wird ein Rabatt in Höhe von zehn Prozent des Herstellerabgabepreises er-hoben. Dabei können die Kassen allerdings mit den Herstellern spezielle Rabattverträge abschließen.

• 2007 tritt das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) in Kraft, das eine ganze Reihe von Maßnahmen für eine Verbesserung der Versor-gungsqualität sowie mehr Wirtschaftlichkeit im System auf den Weg bringt. Neben Höchstpreisen für Arzneimittel außerhalb der Festbetrags-gruppen und der Einführung einer Kosten-Nutzen-Analyse durch das In-stitut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist es den Kassen seither gestattet, eigene Rabattverträge einzugehen. Das heißt konkret: Der § 130a Abs. 8 SGB V regelt, dass Krankenkassen mit pharmazeutischen Unternehmen über deren Rabattverpflichtungen hinaus weitere Rabatte für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittelverein-baren können.

• 2009 wird der Gesundheitsfonds eingeführt, der die Einnahmenseite der GVK neu definiert, indem die Kassen für ihre Versicherten standardisierte Zuweisungen erhalten. Parallel orientiert sich der Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen den gesetzlichen Krankenkassen seit Anfang 2009 am Krankheitszustand - der Morbidität - der Versicherten. Dieser sogenannte Morbi-RSA stellt den Finanzausgleich auf eine neue Basis, denn er be-zieht sich nur noch auf die Ausgabenseite, da die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nach der Risikostruktur der Versicherten differenziert werden.

Abb. 1: Ausgaben der GKV, Ausgabenanteile 1. bis 4. Quartal 2009

Anteile an d•n Ausgaben insgesamt

17% Ausgaben.die der -.,e11ragslilrztllcntn Venorgen zugute kommen' (30,8 Mrd. EUR)

S'f. 2ahnliirztllche Behandlung (ohne .Zahnersatz) (8,5 Mrd. EUR)

7% Zahnersatz {3. 1 Mrd. EUR)

18°4 Arznelmlttol aus Apothek•n und von Sonstigen ('2.• Mrd. EUR)

3% Hllfsmlttel (5,5 Mrd. EUR) 3% Heilmittel 14,5 Mrd. EUR)

_ _ 32¾ Krankenhausbehandlung (56,4 Mrd. EUR)

~ - - - -- - 4% Krankengeld (7,2 Mrd. EUR)

~ - -- - - - - - -- - - 2% Fahrtkosten f3,6 Mrd. EUR)

1% Vorsorl}fl-und Reh;a-Maßm1hmen (2.5 Mrd. EUR) 2•4 Hlliusllch• Kranh.enpflegt (2.9 Mrd. EUR) 5% Netto-Verwaltungsko'Slen (8,9 Mrd, EUR}

5% Sonstige Ausga~n (8,9 Mrd, EURI

·1n dieser Auag1blnposHlon 1.lnd enth1llen~ lntflche Behandlung. Behandlung durc.h Beleglr.z1e In Krankenhlusen, lrztllche Beratung und

Behandlung bei EmpfllngnlsverhUtung, S~l'IHi•tlon, Schwangerschahsabbruch, Früherkennung, Mutterach•ttsvoniorge, Olatyse-Sachkosten sowie von den V•rslchert•n g•l•lstete Zuzahlungen {P,axlsgeb0hr). Der Anteil aller Ausgaben crer CK\I, die dtlr Y•rtrgslnlllchen Versorgung ZUQL.11• kommen, llegt bei ca. 11 .... H.

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, März 2010