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10 Standardisierte Tests in Frage stellen

Im Dokument Bildung und Demokratie (Seite 73-77)

In einer wachsenden Anzahl von Ländern hat die Zunahme von und das Vertrauen in standardisierte Tests und ähnliche Techniken Bildungsprozesse verdrängt, die für die Entwicklung kritischen Denkens und die Vermittlung demokratischer Werte notwendig sind. Belohnt werden damit die erzielten Punkte und nicht das Lernen an sich. Derartige Vorgehensweisen schränken häufig die Unterrichts- und Lernmethoden ein und machen aus Schulsystemen wettbewerbsorientierte Märkte.

Tests sind wichtig, sollten aber Pädagog:innen als Werkzeug zur Beurteilung dienen, um den Lernenden zu helfen, ihre Leis-tung zu verbessern, und nicht als Regierungsinstrument, mit dem die Arbeit von Lehrkräften und Schulen bewertet und diese in Ranglisten verglichen werden kann. Markt

ideologie gegenüber Bildung für das Gemeinwohl

Die koreanische Lehrergewerkschaft25 (Südkorea) berichtete 2015, dass Schulen und Lehrkräften mit der Einführung neoli-beraler Maßnahmen in der Bildungspolitik, wie Leistungszula-gen, standardisierte Prüfungen und ständige Beurteilung von Lehrkräften, Wettbewerbsmethoden aufgezwungen wurden.

Eine solche Politik untergräbt die Kultur der Zusammenarbeit von Pädagog:innen. Das Interesse der Schüler:innen am Lernen nahm ab, da der Unterricht hauptsächlich auf den nächsten Test ausgerichtet wurde. Weitere Folgen dieser neuen Regierungs-politik waren schlechtes Benehmen von Schüler:innen, Gewalt in der Schule und eine erhöhte Belastung für die Lehrkräfte (Symeondisis, 2015).

Die explosive Zunahme von standardisierten Tests in eini-gen Ländern wirft grundleeini-gende Fraeini-gen zum Bildungsauftrag auf. Auch auf die Gefahr einer zu starken Vereinfachung hin stellen wir uns die Frage: Ist der standardisierte Test ein Hilfs-mittel für die Lehrkraft, oder ist die Lehrkraft HilfsHilfs-mittel für den standardisierten Test? Standardisierte Tests gehen häufig mit Mess- und Bewertungssystemen einher, die sich besser für technische Geräte als für Menschen eignen. Die miss-bräuchliche oder unangemessene Verwendung dieser Tests verdeutlicht, wie Mittel und Zweck hier verwechselt werden.

Für die Bildungspolitik hat dies zur Folge, dass viel zu viele Entscheidungen aufgrund von Daten getroffen werden, die sich nicht mit Kernkompetenzen befassen, die für die Demokratie notwendig sind.

Eine Kompetenz, die dabei zu kurz kommt, ist das kriti-sche Denken. Kritikriti-sches Denken bedeutet für Demokratie nicht nur, einen Text in einem Buch, sondern auch das eigene Umfeld analysieren zu können. Kritisches Denken in einer

25 JeonGyoJo 전국교직원노동조합

Demokratie braucht menschliche Inhalte, Kontakte und Dialog. In diesem dynamischen Prozess spielen Lehrer:innen eine zentrale Rolle.

Es gibt wachsende Vorbehalte gegenüber standardisier-ten Tests und Beurteilungen von Schüler:innen, aber auch Lehrenden.

In der »opt out«-Bewegung in den usa wehren sich Hunderttausende Eltern, Lehrer:innen sowie Schüler:in-nen gegen die übermäßigen Tests und nehmen ihr Recht auf Nicht-Teilnahme oder Ablehnung wahr (FairTest, 2018).

Dennoch gibt es nach wie vor starken politischen Rückhalt für diese Art von Tests, und die Weltbank setzt sich für mehr – und nicht weniger – großangelegte, länderübergreifende Bewertungen in Ländern ein, deren Bildungsfinanzierung von der Weltbank abhängt.

Wettkämpfe können für Lernende motivierend sein. So kann beispielsweise ein Wettbewerb eine langweilige Diskus-sion unterhaltsam machen. In gleichem Maße können Turniere Sportveranstaltungen attraktiver machen. Standardisierte Tests jedoch sind eine destruktive Form des Wettbewerbs, die zu Stress, mangelndem Selbstvertrauen und wenig mehr führt.

Stress ist häufig Folge von zu viel standardisierten Tests und ähnlichen Praktiken. Schulen, die auf standardisierte Tests hin unterrichten, machen den Schüler:innen viel weni-ger Spaß, und den Lehrer:innen macht das Unterrichten viel weniger Spaß. Führt Lernen ohne Freude zu besserer Bildung?

Sind mehr Angst, Stress und Konkurrenz von Vorteil für die Bildung? Sind psychosomatische Erkrankungen von Lernen-den und LehrenLernen-den förderlich für Lernen-den Lernerfolg? Wohl kaum.

Das Gegenteil ist eher der Fall, so wie Albert Einstein es einst formulierte: »Es ist die höchste Kunst des Lehrers, Freude am kreativen Ausdruck und Wissen zu wecken.«

Besorgniserregend bei standardisierten Tests sind zudem die immensen Datenmengen, auch Big Data genannt, die über Schüler:innen, Lehrkräfte, den Unterricht und die Schu-len mit Hilfe von Tests gesammelt werden. Neben Beden-ken zur Wahrung der Privatsphäre gibt es auch die Sorge darüber, von wem und wie diese Informationen verwendet werden. So wurde bekannt, dass einige dieser Daten von privaten Anbietern zu Marketingzwecken verwendet werden (Carmel, 2016).26

Daten sind wichtig, aber noch wichtiger sind Infor-mationen darüber, was professionelle Lehrkräfte Tag für Tag im Klassenzimmer unterrichten und wie sie dies tun.

Die menschliche Komponente ist nicht nur für das Unterrich-ten von Schüler:innen zentral, sondern auch um beurteilen zu können, was passiert und was verändert werden muss.27

26 Der Carmel Artikel «Regulating ‘big data education’ in Europe: lessons learned from the US« bietet einen hilfreichen Überblick über diese Themen.

https://policyreview.info/articles/analysis/regulating-big-data-education- europe-lessons-learned-us

27 Vergleich des Wertes von Big Data und Small von Pasi Sahlberg und Jonathan Hasak in «Next Big Thing in Education: Small Data«

https://pasisahlberg.com/next-big-thing-education-small-data/

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