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Sprachliche und erzählerische Charakteristika

Im Dokument Q. CurtiumSupplemente zu Q. Curtius (Seite 44-50)

5 Das Supplement

Buch 2 – Alexander in Persien

5.5 Sprachliche und erzählerische Charakteristika

Anders als seine Vorgänger (s. o.) wollte Freinsheim ein Supplement vor-legen, das nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf sprachlicher und erzählerischer Ebene anschlussfähig an die Historiae Alexandri war. Mit einer solchen Aufgabenstellung dürfte er durch seine schulische Ausbil-dung bestens vertraut gewesen sein.78

Grundsätzlich gelingt ihm die sprachliche Nachahmung hervor-ragend. Das verwendete Vokabular zeigt eine große Überschneidung mit dem der Historiae Alexandri, besonders bei typischen Wörtern und Wendungen (z.B. ceterum, inter haec). Am Beispiel von hostis und amnis lässt sich außerdem zeigen, dass Freinsheim immer wieder auch die semantischen Feinheiten seiner Vorlage aufgegriffen hat.79 Ebenso über-nahm er prägnante grammatikalische Strukturen und deren spezifischen Gebrauch. Den Ablativus absolutus etwa, der bei Curtius des Öfteren spürbar von der klassischen Norm abweicht, imitierte er so treffend und tollkühn, dass er sich in diesem Punkt fast schon ‚curtianischer als 77 In 1,13,11 berichtet Freinsheim beispielsweise, dass die Stadt Onchestos etwa

sechs Meilen von Theben entfernt sei; diese Information hat er auf Basis von Paus. 9,25,1–26,5 selbst errechnet. In 2,8,6 übernimmt er aus seinen Quellen (Diod. 17,23,1; Arr. anab. 1,20,1), dass Alexander die Seeflotte auflöst, fügt aber noch hinzu, dass er einige Transportschiffe zurückbehält, weil er ansonsten ja kein Belagerungsgerät nach Halikarnassos befördern könnte (2,9,1).

78 Vgl. z.B. Ohlendorf 2008; Stegmann 2006.

79 Mit hostes (Pl.) werden bei Curtius gewöhnlich einzelne Feinde bezeichnet, die aus der Menge hervortreten, mit hostis (Sg.) der als monolithische Einheit agierende Feind; beides wird bisweilen auch für den Feind des Feindes, also Alexanders eigene Leute, verwendet. Die Wörter für ‚Fluss‘ – amnis, flumen und fluvius – benutzt Freinsheim mit etwa gleicher Häufigkeit und Semantik wie Curtius Rufus, also amnis/fluvius für einen bekannten, großen Fluss, der unter Hervorhebung seiner geographischen Eigenschaften als Ganzes in den Blick genommen wird, und flumen für irgendeinen Wasserlauf, dessen lokale Qualitäten hervorgehoben werden sollen.

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Curtius‘ gab.80 Eine zeitgenössische Stimme versicherte sogar, Freins-heim hätte den Text nach Entfernen der Quellenangaben als Neufund des verschollenen Originals publizieren können und wäre von der Fach-welt nicht als Fälscher entlarvt worden.81 Dass diese Behauptung – zumindest nach modernem Verständnis – denn doch zu euphorisch aus-gefallen ist, zeigt eine präzisere Analyse des Sprachmaterials: Tatsächlich haben sich zahlreiche Wörter und Wendungen eingeschlichen, die Curtius Rufus wahrscheinlich nicht benutzt hätte, weil sie, soweit rekon-struierbar, nicht in seinem Vokabular enthalten waren.82 Nimmt man semantische Unschärfen sowie gelegentliche grammatikalische Un stimmigkeiten hinzu, so hätte ein hypothetischer Echtheitskritiker die Indi zienlage höchstwahrscheinlich dahingehend gedeutet, dass hier eben doch nicht Curtius Rufus, sondern ein späterer Schreiber am Werk war, der eine profunde Kenntnis der antiken und zeitgenössischen lateinischen Literatur und vor allem der kaiserzeitlichen Historiker hatte.

Freinsheim setzte die Imitation bei der Erzähltechnik fort, über-nahm wesentliche Charakteristika des Originals und gab dem Supple-ment dadurch eine literarische Gestalt. So bediente er sich etwa interner Vor- und Zurückverweise (z.B. ut supra diximus), berichtete von Vorzei-80 Beispielsweise benutzte Freinsheim immer wieder Ablativi absoluti, die nur

aus einem Partizip bestehen und eine Hypotaxe enthalten (invitante ex more praecone, qui salutare patriae consilium haberet, uti diceret, 1,5,25; vgl. Curt.

5,13,13), oder weitete sie so aus, dass sich die Funktionen von Hauptsatz und Ablativus absolutus umzukehren scheinen: Pausanias theatrum intrare volentem observaverat, utque praemissis amicis, qui eum deduxerant, relictisque a tergo satellitibus (nam in tanta omnium benivolentia nihil iis opus esse volebat osten-dere) solus ingrediebatur (1,9,25; Hauptsatz unterstrichen).

81 Vgl. Schmidt 1964, 19.

82 Beispielsweise ist averruncator („[göttlicher] Abwender des Bösen“, 1,6,24), eine Substantivierung des seltenen averruncare, bis zum Humanismus nicht belegt und scheint erst später in der englischen Sprache als Bezeichnung für eine Baumschere aufzutauchen; in stuporem vertere/dare („in Staunen ver-setzen“, 1,12,26; 2,11,26) ist selten und erst ab Hieronymus belegt; ambitioso imperio („mit einer auf Popularität bei den Untergebenen ausgelegten Form der Kommandoausübung“, 1,10,3) ist überhaupt nur zweimal bei Tacitus be-legt, ähnlich hospitale donum („Gastgeschenk“, 2,11,3) und consilia sociare („gemeinsame Sache machen“, 10,1,7).

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chen, die den Verlauf der Dinge andeuten oder angedeutet haben,83 benutzte Sentenzen, um ethische Einsichten treffend auf den Punkt zu bringen,84 und platzierte Reden an bedeutsamen Scharnierstellen, die Einblick in die Entscheidungsfindung seiner Protagonisten boten. Her-vorzuheben ist in diesem Zusammenhang abermals das Redepaar Python–Demosthenes (1,6–7), das mustergültig für zwei entgegen-gesetzte Standpunkte argumentiert und ganz nebenbei zu einem Schlag-abtausch über die richtige Staatsverfassung gerät; interessanterweise ist es genau in der Mitte des ersten Buches platziert und schlägt eine Brücke zu der Zerstörung Thebens am Ende desselben.85

5.6 Themen

Nach den im Supplement behandelten Themen zu fragen, mag angesichts des durch die Parallelüberlieferung determinierten Alexanderstoffs fruchtlos erscheinen. Tatsächlich aber stellte ja schon die Auswahl der Quellen einen konstruktivistischen Akt dar, der durch die einseitige Bevorzugung positiver Zeugnisse die Grundtendenz des Supplements vorgab. Darüber hinaus legt der Vergleich mit dem verwendeten Material zahlreiche interpretierende Zusätze Freinsheims frei, anhand derer sich Fragestellungen und Problembereiche ausmachen lassen, die in den Historiae Alexandri zwar thematisiert sind, bei ihm aber auf besondere Resonanz stießen und deshalb intensiver behandelt wurden. Berücksich-tigt man ferner seine sonstigen Publikationen und den Einfluss Berneg-gers (s. o.), so ergibt sich ein durchaus stimmiges Gesamtbild:

Freins-83 So z.B. bei Alexanders Geburt (1,1,24–29), nach der Zerstörung Thebens (1,14,1–12) oder nach der Schlacht am Granikos (2,6,1–3).

84 Z.B. in 1,1,8; 1,3,32; 1,10,10; 2,1,8; 5,13,34.

85 Zwar lagen die Verhältnisse in Theben etwas anders, doch könnte eine derart starke Gewichtung seiner Zerstörung ein ‚Echo‘ der Zerstörung Magdeburgs am 20. Mai 1631 sein: Selbst wenn Freinsheim keine Parallelen beabsichtigt hatte, so war er dennoch sensibilisiert für die politisch-militärische Grund-konstellation und die Konsequenzen einer Stadtvernichtung von bis dato ungekanntem Ausmaß. Vielleicht bestand er auch deshalb ausdrücklich (und gegen die Überlieferung, vgl. Diod. 17,13,1) darauf, dass Alexander und seine Makedonen keine Schuld an einem Kriegsverbrechen traf (1,13,24).

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heims Erzählung kreist um die Bedingungen für das Gelingen monar- chischer Herrschaft in Kriegs- und Friedenszeiten, und Alexander der Große dient als Vehikel für die Darstellung eines Politikprogramms mit rigoros praktischem Zuschnitt in der Tradition von Justus Lipsius’ Politica und Berneggers tacitistischer Auslegungsweise.

Freinsheims Alexander hat alle Eigenschaften, die eine erfolgreiche Führungspersönlichkeit für ihn ausmachten: Er ist klug, tugendhaft, fromm, charismatisch und umfassend gebildet, sein Ziel ist das Gemein-wohl des Staates. Auf der Klaviatur des Politikbetriebs spielt er virtuos wie kein zweiter: Durch eindeutiges, konsequentes und vorausschauen-des Handeln gelingt die Machtübernahme in der makedonischen Hei-mat, der Zusammenschluss der griechischen Stadtstaaten unter seinem Oberkommando und die nachhaltige Erweiterung des Reiches durch Sicherung der hinzugewonnenen Gebiete im fernen Asien. Er ist sich der Grenzen seiner Fähigkeiten zumeist bewusst und nimmt die Ratschläge des Beraterstabes dankbar und wertschätzend entgegen. Wenn erforder-lich, übt er sich in Milde und Nachsicht. Ihm gegenüber steht das einfa-che Volk, eine launiseinfa-che, umtriebige und leicht beeinflussbare Masse, die unfähig zu klugen Entscheidungen ist und deshalb dringend seiner Füh-rung bedarf, um nicht im Chaos zu versinken.

Ganz analog dazu bewährt sich Alexander in Kriegszeiten. Als Herr-scher und Feldherr in Personalunion ist er der eigentliche Garant für den Erfolg des Persienfeldzuges. Unter seiner Ägide wird das von Philipp über-nommene Heer weiter reformiert und die Disziplin durch hartes Training, Wettkämpfe, persönliche Anerkennung und gelegentliche Festivitäten auf-rechterhalten. Ein vorausschauendes Vorrats- und Truppenmanagement sichert die ständige Kampfbereitschaft der Soldaten. Mit optimal aufge-stellten Schlachtreihen und strategischem Geschick führt Alexander diese dann von Sieg zu Sieg. Den Gehorsam der militärisch eroberten Gebiete sichert er durch eine konzessive Politik, die sich tolerant gegenüber beste-henden Strukturen und milde gegenüber der Bevölkerung zeigt. Freins-heims (vorgeblich antiker) Alexander bewegt sich dabei stets innerhalb der Grenzen des im 17. Jahrhundert erst im Entstehen begriffenen Völker-rechts, etwa wenn er Asien einen gerechten Krieg erklärt oder nach der Zerstörung Thebens die Besitzverhältnisse der Besiegten neu ordnet.

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Da Straßburg und das Elsass wiederholt als Bühne für Kriegshand-lungen und militärisch motivierte diplomatische Beziehungen fungier-ten, dürfte Freinsheim mit den damit verbundenen Themenbereichen und Fragestellungen wenigstens indirekt und diffus vertraut gewesen sein, wenn er nicht sogar eigene Erfahrungen ins Supplement einfließen ließ.86 Für eine weitere Verankerung im zeitgenössischen Weltgeschehen sorgten außerdem die nicht zu leugnende Parallelen zwischen Alexander dem Großen und dem Schwedenkönig Gustav Adolf, die in protestan- tischen Kreisen wiederholt eine direkte Gegenüberstellung provozierten:

Ein junger, scheinbar unerfahrener Monarch übernimmt die Herrschaft (Alexander mit rund 20 Jahren, Gustav Adolf mit 17 Jahren) und ist dem Spott der Leute ausgesetzt, da niemand ihm die Bewältigung der neuen Aufgabe zutraut. Erste militärische Bewährungsproben (Alexander gegen die Balkanvölker, Gustav Adolf z.B. im Russisch-Schwedischen Krieg) werden bestanden und belehren die Bedenkenträger schnell eines Besse-ren. Dann beschließt der junge Feldherr/Herrscher, einen gerechten Kriegszug ins Ausland (Persien, Deutsches Reich) zu unternehmen, um die Menschen von der sie unter drückenden Zentralgewalt zu befreien (Perser, katholische Bündnisse), und setzt mit wenigen Truppen über ein Meer (Hellespont, Ostsee). Die Geschwindigkeit des Vorgehens beein-druckt und wird sprichwörtlich. An militärischen Gefechten nimmt er stets persönlich Teil und stellt sich dadurch ostentativ auf eine Stufe mit dem einfachen Soldaten. Sein Gegner, die weit weniger jugendliche geg-nerische Führungsspitze, operiert dagegen vornehmlich aus der Ferne (Perserkönig, katholische Feldherren).

86 Beispielsweise erweiterte Freinsheim in 2,9,12 das von seiner Quelle Gebotene und führte aus, worin konkret die Gefahren eines Angriffs bei Nacht bestanden haben müssen (vgl. Arr. anab. 1,20,10); in 2,10,19 ergänzte er den Bericht Diodors dahingehend, dass Alexander nicht nur allgemein den Einbruch der Dunkelheit fürchtete, sondern insbesondere die feindlichen Fallen auf unbekanntem Terrain. Zum Kontakt mit einem Diplomaten könnte es im Mai des Jahres 1632 gekommen sei: Der schwedische Gesandte Nicodemus von Ahausen (1597–1657) besuchte Straßburg, um ein Bündnis mit der Stadt zu schließen. Vielleicht konnte Freinsheim seine Gelegenheitsdichtung (Ad illustrem et nobilissimum virum dominum Joannem Nicodemi ab Ahausen […], Straßburg 1632, Nr. 3 bei Dünnhaupt 1991b, 1579) sogar persönlich über-reichen.

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6 Zusammenfassung

Freinsheim wollte den Historiker Curtius Rufus in einem umfassenden Sinne nachahmen. Die Historiae Alexandri wurden zwar auch wegen des als lieblich und eingängig beschriebenen Sprachstils geschätzt, ebenso aber für die rhetorisierende Darstellungstechnik, die psychologisierende Figurenintrospektion, das moralisierende Historikerurteil und die als hochgradig relevant wahrgenommenen Themen. Ein solcher Katalog von charakteristischen Qualitäten war es, an dem Freinsheims Imitationsleis-tung gemessen werden würde, und nicht alle davon werden sich aus heu-tiger Sicht eindeutig als charakteristisch bestimmen oder zweifelsfrei nachweisen lassen. Der Text stellt also nicht nur ein ‚Supplement zu Geschichtsschreibung‘, sondern auch eine ‚Geschichtsschreibung als Supplement‘ dar, bei der neben der Vermittlung von Sachinformationen vor allem die Darstellung von tugendhaft-klugem Regierungshandeln im Vordergrund stand. Der Leserschaft wurde ein princeps optimus vor Augen geführt, der sich auf politischem Parkett ebenso mustergültig zu bewähren verstand wie auf dem Schlachtfeld und durchaus als Gegen-modell zu den jeweiligen Repräsentanten der katholischen Seite aufge-fasst werden konnte.87 Dass Freinsheim für seine Botschaft das verhältnis-mäßig unverdächtige Medium des Supplements wählte und sich gleich- sam hinter einem antiken Autor und antiker Thematik zu verstecken suchte, dürfte dem Text zusätzliche Nobilitierung verliehen und einmal mehr die überzeitliche Universalität von Geschichtsschreibung augen-fällig gemacht haben. Der Rückgriff auf historiographische Methodik suggerierte ein hohes Maß an Objektivität und legitimierte die Aussagen zusätzlich.

87 Eine Instrumentalisierung des antiken Stoffs für politisch-propagandistische Botschaften der Gegenwart ist auch in Tommaso Porcacchis (1532–1585) italienischer Historiae-Übersetzung von 1558 zu beobachten (dazu Campe-tella 2018).

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