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Die Billets und Briefe des Jahre 1794/95 deuten buchstäblich auf ein sehr bewegtes Leben der Salongesellschaft: Neben den Teetischen wurden bereits Gärten oder Konzerte als Treffpunkte erwähnt, auch die Orte dazwischen müs-sen dazu gerechnet werden. Spaziergänge, Ausfahrten und vor allem Besuche machen und empfangen gehörten zu den alltäglichen Vorhaben der Beteilig-ten. Daneben prägten Ausflüge, etwa nach „Scharlottenbourg“ oder Potsdam, Theaterbesuche und andere kulturelle Teilhabe den Lebensrhythmus. Kommu-nikation und Konversation fanden, den Quellen zufolge, nicht nur an all die-sen, sondern auch zwischen den einzelnen Orten statt. Die Salonkonversation ließ sich im mehrfachen Sinne nicht auf spezifische Räume begrenzen. Sie erstreckte sich – wie später im Falle des viel zitierten Grillparzerbesuchs191bei

189 Sie lebte im Untersuchungszeitraum gelegentlich in Schloss Friedrichsfelde, wohin sie zuvor bereits einmal Moses Mendelssohn eingeladen hatte. Außer der Gesellschaft ihres Verehrers, ihres Bruders und einer neugeborenen Tochter (Dorothea Prinzessin von Kurland, 1793–1862) ist von Geselligkeit hier aber nichts überliefert. Ihren Salon Unter den Linden soll sie erst nach 1800 geführt haben. Das Gebäude, Unter den Linden 7, wurde nach der Geburt der Tochter Ende 1793 erworben. Wilhelmy verweist darauf, dass die Herzogin erst nach dem Tod ihres Gatten (1800) regelmäßig in Berlin lebte. Wilhelmy 1989, S. 637.

Vermutlich beruft sie sich darin auf Hans Landsberg, der schreibt, dass die Herzogin in dem Palais ihrer Tochter Unter den Linden, der heutigen russischen Botschaft, ab der

Jahrhundertwende glänzende Gesellschaften gegeben habe. Landsberg 2000, S. 68 f.

190Beispielsweise verkehrten Marianne Meyer Eybenberg und kurländische Prinzessinnen 1808 in Teplitz miteinander. Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Tagebucheintrag 3. 7. 1808, zit. nach: Sauer 1904, S. 377. Rahel Levin Varnhagen erhielt im österreichischen Baden Schwimmstunden gemeinsam mit der Herzogin von Sagan, Tochter der Herzogin von Kurland. Dabei erinnern sich beide einer früheren Begegnung 1797 oder 1799 in Teplitz.

Rahel Levin Varnhagen an Karl August Varnhagen, 27. 6. 1815, in: GW II, S. 298.

191Franz Grillparzer wurde von Varnhagen am Ende eines langen Tages und „müde bis zum Sterben“ noch zum Haus gebracht, in dem Rahel wohnte. Sie kam ihnen auf der Treppe entgegen, begann die Unterhaltung, „und ich war bezaubert. Meine Müdigkeit verflog. […]

Ich habe nie in meinem Leben interessanter und besser reden gehört.“ Franz Grillparzer:

der Legationsrätin Varnhagen – bis auf die Treppen des Hauses und begleitete Salonteilnehmer bis vor die Tür bzw. zur nächsten Veranstaltung. Rahel Levin Varnhagen beispielsweise berichtete, wie sie auf einem Nachhauseweg von der Doktorin Lemos, Henriette Herz’ Schwiegermutter, mit Isaak Euchel besonders gut gesprochen und Bücher diskutiert hätte.192 Ein anderes Mal ließ sie sich von einem Gast des Ehepaars Fließ nach Hause bringen und überzeugte ihn auf dem Wege, auch ihr Gast zu werden.193Im weiter oben zitierten Billet fand Brinckmann einen Professor so „aimable“, dass er einem Herzschen Freitag einen Spaziergang mit ihm anschloss und sogar zweimal die Linden auf und ab marschierte. Auch die langjährige Freundschaft zu Levin Varnhagen verdankte Brinckmann nach eigener Aussage eigentlich einem „Treppengespräch“ nach einem Salonbesuch.194

Der Befund vom Gang und Spaziergang als Kommunikationsort, der das Bild vom Salon als einer um einen Teetisch versammelten Gruppe ausweitet, entspricht allerdings dem Empfinden der Zeit, nach dem „Spaziergänge“ unter die Sehenswürdigkeiten einer Stadt gezählt und in Reiseführern erwähnt wur-den.195Auch der Weg entlang der 1801 fertig gestellten Stadtmauer Berlins hieß vermutlich nicht zufällig „Communication“.196

Die Vorstellung, dass man die als Salon bekannten geselligen Aktivitäten auch im ganzen Haus und auch auf der Straße wiederfinden kann, wurde

bis-Fragmente einer Selbstbiographie, in: Werke in 2 Bd., hrsg. von P. Stapf, Berlin [u. a.] 1959, S. 852, zit. nach: Strube 1992, S. 218.

192 Rahel Levin Varnhagen an David Veit, 3. 1. 1794, in: GW VII/I, S. 107 ff. Dass es bei der Schwiegermutter von Henriette Herz auch Teegesellschaften gegeben hat, ist m. W. noch überhaupt nicht untersucht.

193 „Dr. Bote war einmal bei uns, ich will Ihnen sagen, wie das geschah; ich sah ihn in Gesellschaft bei Fließens […]; Dr Fließ und er brachten mich zu Mad. Liman, unterwegs sagte ich: ‚Sie waren so gütig mir das Buch selbst zu bringen, ich war aber nicht zu Hause, und ich habe mir eingebildet, Sie hätten mich dabei besucht; wollen Sie mir das wohl ersetzen?‘ – ,Mit Vergnügen, wenn Sie erlauben.‘“ Rahel Levin Varnhagen an David Veit, 20. 2. 1794, in: GW VII/I, S. 175 f.

194 „Wir trafen uns in einer ziemlich gemischten Gesellschaft [bei Herzens, H. L. L.], wo Rahel wenig sprach, aber ‚geflügelte Worte‘, die mich um so aufmerksamer machten […].“

Auf der Treppe habe Rahel dann gesagt: „,Ichsollte Ihre Freundin sein! ganz andre Dinge würden Sie vonmirhören müssen!‘ […] Dieses Treppengespräch war unsere erste, für mich immer gewurzelte Bekanntschaft.“ Gustav von Brinckmann:Rahel.Brief an von Varnhagen, nach dem Tode seiner Gattin. 1834, hier zit. nach dem Original, BA V.

195 Vgl. z. B. Nicolais Wegweiser von 1793, in dem unter „Oeffentliche Spaziergänge, Spazierfahrten und andere Vergnügungen“ der „Thiergarten“, die „Gegend um Berlin“

gleichwertig neben Scheibenschießen und Oper genannt werden. Nicolai 1793, S. 150 ff.

196 Mieck 1980, S. 406.

her nur einmal beschrieben, und nur für Rahel Levin Varnhagen.197 Dieses Kapitel ist ein Plädoyer dafür, die Berliner Salongesellschaft der 1790er-Jahre im Modell der offenen Häuser zu denken: offen für Besucher unterschiedlicher Herkunft, offen aber auch im Wortessinne zwischen den Etagen, für eine Betei-ligung der Familie. Offen waren die Häuser schließlich auch zur Straße hin, um das Gespräch in ein anderes Haus oder auf den Weg mitzunehmen.

Diese Fortsetzung des Gesprächs auf der Straße und die schnellen Orts-wechsel wurden natürlich durch die Nähe der einzelnen Etablissements begünstigt. In einer Zeit, in der man die meisten innerstädtischen Wege noch per pedes zurücklegte, war es für die Salons von Vorteil, in der Nähe des Thea-ters, der Oper und der Clubs zu liegen, die von ihren potentiellen Gästen aufge-sucht wurden. Eine von Petra Wilhelmy erarbeitete Karte198 zeigt eine strate-gisch günstige Lage als Merkmal der Berliner Salons von 1790 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Der Umstand, dass man vom Haus der Levins zum Natio-naltheater auf dem Markt maximal zehn Minuten Fußweg zurücklegen musste, trug sicherlich ebenso zur Attraktivität eines Nachttees bei, wie die Tatsache, dass die Besuche auch nachts stattfinden oder enden konnten, ohne dass ein öffentliches Verkehrsmittel bzw. eine private Kutsche bereit gehalten werden musste. Umgekehrt war bereits die Distanz von Berlin Mitte nach Tegel eine solche Entfernung, dass Wilhelm von Humboldt sich 1795 mehrere Wochen auf seinem Schloss aufhalten konnte, ohne von Freunden spontan aufgesucht zu werden. Auch gab es nahe gelegene Gegenden, die ‚man‘ kaum besuchte: Mit einer Wohnung jenseits der Oranienburger Straße, heute ebenfalls Berlin-Mitte, wurden Friedrich Schlegel und Dorothea Mendelssohn Veit Schlegel 1797 im doppelten Sinne als außerhalb der vornehmen Kreise empfunden.

Wie oben gezeigt, fand neben den bekannten „Salons“ im Hause Herz und Levin ein Großteil der Kommunikation nicht an einem Teetisch, sondern andernorts statt. Auf der Suche nach kommunikativen Orten in Berlin ist fest-zuhalten, dass jeder Briefwechsel ebenso wie in den intellektuellen Themen auch in der Nennung von Vergnügungen und Orten andere Schwerpunkte setzt, andere Treffpunkte häufiger nennt, je nach den Vorlieben oder gemeinsa-men Erinnerungsorten der Briefpartner. Auch die Lektüre zahlreicher Brief-wechsel aus demselben Zeitraum kann daher nur eine ungefähre Hochrech-nung zu den kommunikativen Orten dieser Zeit, nur einen Näherungswert auf der Beliebtheitsskala der Salongesellschaft ermöglichen. Als besonders illustre Beispiele für kommunikative Orte, die – wie der Salon – eine Mischung der Stände und Geschlechter ermöglichten, und da sie in fast allen

Korresponden-197 Vgl. Roebling 1993.

198 Wilhelmy 1989, S. 966 ff.

zen häufiger erwähnt werden, sollen hier der Tiergarten und das Theater als kommunikative Orte und Treffpunkte der Salongesellschaft vorgestellt werden.

„Thiergartenleben“

„Einer der angenehmsten Spaziergänge in Berlin, wo vornehmlich des Sonn-tags alle Stände vereinigt sind, um sich Erholung und Erquickung zu schaffen, ist der Tiergarten“, bemerkte ein zeitgenössischer Reisender.199 Ursprünglich als Jagdrevier der Kurfürsten genutzt, war der Park von Friedrichs II. Architek-ten Knobelsdorff so als LustgarArchitek-ten umgestaltet worden, dass überschattete Alleen und Gänge, etwa der „Philosophische Gang“, Raum sowohl für aneinan-der vorbeifahrende Kutschen als auch für Spaziergangsgeplauaneinan-der boten.200Der Tiergarten war Treffpunkt, Ziel kurzer Ausflüge und angenehmer Kommunika-tionsort in dem Sinne, dass er Kommunikation ermöglichte, aber nicht erzwang: „Es giebt hier kein Mensch auf den andern Achtung, jedermann genießt nur die uneingeschränkteste Freiheit, die nur die Beschaffenheit eines solchen Orts mit sich bringen kann“.201 Gegenüber dieser etwas idealisierten Darstellung beschrieb Friederike Liman 1794 sowohl bewusstes Sehen und Gesehenwerden, wie auch das Darüberhinweg- oder Aneinandervorbeisehen:

„Sontag begegnete ich im thiergarten die Elliot mit navarro und noch einer menschpersohn, [zu] in einem ganzen wagen navarro bückte sich gans hinein um mich nicht zu grüssen, sie konnte meine insolence nicht leiden weil ich sie gradezu ansah und wendete den kopf mit dedain weg“.202Obwohl also der

199 Karl Heinrich Krögen: Freie Bemerkungen über Berlin, Leipzig, Prag [1785], Leipzig und Weimar 1986, S. 28.

200 Der Tiergarten war 1794 und weit darüber hinaus übrigens der einzige heimische Ort, den Berliner mit dem Begriff Salon in Verbindung bringen konnten, da hier gewisse baumumstandene Plätze als so genannte „grüne Salons“ gestaltet wurden. „Links, vom Brandenburger Thore, hat der Park reitzende Alleen, geschlängelte Gänge, Salons von Birken und Weißbüschen, denApoll- oderFlorasalon(von den daselbst befindlichen Statuen also benennet.)“ Nicolai 1793, S. 151. Hervorhebung im Original. Vgl. auch Klaus von Krosigk: Der Berliner Tiergarten (Berliner Ansichten; Bd. 21), Berlin 2001 S. 28 f. Auch 1834, zu einem Zeitpunkt als Salons im Sinne geselliger Phänomene in der Salonforschung als etablierte Berliner Institution gelten, haben sie noch keinen eigenen Eintrag in Reiseführern. Vgl. z. B.

das sehr detaillierte Zedlitz-Lexikon, das zwischen Salomons Meierei und Salpeterfabriken eine bezeichnende Leerstelle hat: Leopold Freiher von Zedlitz: Neuestes Conversations-Handbuch für Berlin und Potsdam. Zum täglichen Gebrauch der Einheimischen und Fremde aller Stände, Berlin 1834, reprint Berlin 1979.

201 Krögen 1986, S. 28

202 Friederike Liman an Rahel Levin Varnhagen, 21. oder 22. 6. 1795, ungedruckt, in: Bosold 1996, S. 15. Schreibung im Original.

Tiergarten als Treffpunkt der Stände galt, glaubte Friederike Liman, dass die Gattin des englischen Gesandten es als „Dedain“, also Unverschämtheit emp-fand, wenn sie von ihr angesehen würde. Der erwähnte Marquis Navarro D’Andrado war zu dieser Zeit Gast bei Levins und daher auch mit Friederike Liman gut bekannt, aber anscheinend nicht immer ...

Das Vergnügen dieses öffentlichen und offenen Orts, als „Sammelplatz von Hohen und Niedern, von Reichen und Armen“ lag vermutlich vor allem in der Mischung seiner Besucher und in der Beobachtung dieser Mischung. „Man kann hier ohne viele Mühe ein reiches Maß von Menschenkenntnissen samm-len, das man oft jahrelang vergeblich zu erreichen sucht“,203schrieb ein Buch-händler, und ein Offizier, der sich auf die Galanterien von Berlin spezialisierte, lobte den Tiergarten: „Hier hüpft der Stutzer dem Philosophen vorbey, und dort rauscht eine wollüstige Nymphe hinter der Frau Präsidentin drein“.204 Die Kaffeegärten am Anfang des Tiergartens wurden schließlich explizit als Treffpunkt der Geschlechter erwähnt: „man sieht da […] eine zahlreiche Gesell-schaft beiderlei Geschlechts, die sich bei Kaffe, Wein und Schokolade die Zeit verkürzen. Die Frauenzimmer sitzen ohngeachtet des vielen Tobakrauchens mit unter den Mannspersonen“.205

Eine Attraktion des Tiergartens bestand sicher darin, die Stadtprominenz dort ansehen zu können.206Die gesellschaftliche Offenheit des Ortes muss dann noch dadurch gesteigert worden sein, dass Personen einfacher Herkunft durch prächtige bzw. für ihr Herkommen zu prächtige Kleidung für Personen höheren Standes gehalten werden konnten. Verschiedene Stadtbeschreibungen erwäh-nen, dass hier eine stadtbekannte Mätresse im gleichen Kleid wie eine Gräfin gegangen sei oder ein Adliger einer Prostituierten solange den Arm geboten habe, bis ein Freund, der sie von dem anderen Ort kannte, ihn aufklärte.207

Neben der Funktion als öffentlicher Ort oder Spaziergang verfügte der Tier-garten noch über interessante Lokale bzw. Restaurationen, in denen Mitglieder

203 Krögen 1986, S. 29.

204 [Johann Friedel]: Briefe über die Galanterien von Berlin. Auf einer Reise gesammelt von einem österreichischen Offizier 1782, Berlin 1987, S. 63.

205Krögen 1986, S. 29. Auch die Berliner Sitte, bei dem geringsten Anschein guten Wetters seinen Kaffee draußen zu trinken, bestand anscheinend schon vor 200 Jahren, denn man sah „die Menschen in leichter Tracht mehrere Stunden in unserm ohnehin feuchten Thiergarten bei dem geliebten Caffee im Freien verweilen“. Formey 1796, S. 82.

206 1794 ist z. B. auch in den Briefen der Königin Luise zu lesen, dass sie mit ihrer Schwester im Wagen durch den Tiergarten fuhr, auch begleitet von zwei Ehemännern zu Pferde. Luise von Preußen an Therese von Thurn und Taxis, 19. 2. 1794 und 25. 2. 1794, in:

Malve Rothkirch (Hrsg.): Königin Luise von Preußen: Briefe und Aufzeichnungen. Mit einer Einleitung von Hartmut Boockmann, München [u. a.] 1995, S. 52.

207Vgl. die Anekdoten bei Krögen 1986, S. 29 und Friedel 1782, S. 62.

der Salongesellschaft speisten.208In diesen Restaurationen, vor allem in gro-ßen Gärten, vermischte sich die Grenze von öffentlich und privat insofern, als dass Privatpersonen im öffentlichen Raum ausgewählte Gäste zur Gesellschaft bitten konnten.209In den Briefen der Salonbeteiligten wurden beispielsweise die Gärten der Brüder Boucher und der Ephraimsche Garten als Attraktion verzeichnet.210Weiterhin wird das Areal vielfach erwähnt wegen der Sommer-wohnungen, die sich einige Berliner dort nahmen, um die warmen Monate im Grünen zu verbringen. Für Frühjahr und Sommer muss der Tiergarten als einer der wesentlichen Orte der Salongesellschaft zählen. Henriette und Markus Herz zogen sommers in den Tiergarten und empfingen dort auch Gäste. Anfang des 19. Jahrhunderts sollte Familie Beer ihren Wohnsitz ganz in den Tiergarten verlegen und dort gemischte Gesellschaften geben.211Rahel Levin Varnhagen beschwerte sich bei David Veit im März 1795: „Ich war mit der Liman und Unzelmann ausgefahren […], uns ein Zimmer, bis ich verreist, im Thiergarten zu miethen; aber keins bekommen.“ Und im August des Jahres schrieben ihr Bruder und Schwägerin, sie wären „alle Tage“ dort.212

Mit einer Bekannten zu einer Bekannten in den Tiergarten fahren und darüber einer anderen Bekannten zu berichten, war eine weitere häufige Ver-lustierung der Salongesellschaft in dieser Zeit: „ich habe heute ordentlich ein francoisiches Billet an die marchetti geschrieben und sie invitirt, morgen Nach-mittag mit mir bey der flies in thiergarten zu faren“, schrieb Friederike Liman.213 Ähnliches berichtete Rahel Levin Varnhagen – ihre Beschreibung eines Frühlingstages ist ein gutes Beispiel dafür, dass Geselligkeit den Charak-ter eines Staffellaufs annehmen konnte: „[…] die Baranius trat in mein Zimmer,

208 Beispielsweise wurde häufig auf dem Weg nach Charlottenburg, bis wohin sich der Tiergarten erstreckte, in einem Kaffeehaus Rast gemacht.

209 Explizit aus dem Jahr 1795 nennt zum Beispiel der Arzt Heim verschiedene Gastgeber, von denen er „in Gesellschaft mehrerer im Therbuschischen Garten bewirtet worden“. Heim 1989, S. 92 f.

210 Vgl. z. B. Rahel Levin Varnhagen an David Veit 1. 4. 1793, in: GW VII/I, S. 10 und Rose Varnhagen an Rahel Levin Varnhagen, 18. 5. 1795, ungedruckt, SV 214. Heim nennt den Therbuschischen und den Georgischen Garten. Diese Nichtüberschneidung kann aber Zufall sein, da die Zahl der Gartenrestaurationen in Berlin verhältnismäßig groß war.

211 Zu der Villa Beer und den Geselligkeiten s. zuletzt: Liliane Weissberg: Von Liepmann Meyer Wulff bis Hans Richter. Eine Berliner Familien- und Stadtgeschichte, in: Sven Kuhrau / Kurt Winkler (Hrsg.): Juden. Bürger. Berliner. Das Gedächtnis der Familie Beer-Meyerbeer-Richter, Berlin 2004, S. 15–32, bes. 21 ff.

212 Vgl. Rahel Levin Varnhagen an David Veit, 22. 3. 1795, in: GW VII/II, S. 84, sowie den gemeinschaftlichen Brief von Markus und Hendel Levin an Rahel Levin Varnhagen, 29. 8. 1795, SV 214, auch in: ERLV III, S. 55.

213 Friederike Liman an Rahel Levin Varnhagen, 6. 6. 1795, in: Bosold 1996, S. 6.

blieb bis Mittag, half mir Heimann versäumen, welcher mich dann mit Fließ zusammen zwang, nach dem Thiergarten zu gehen; […] ich aß, wurde zur Fließ gebeten, wo eine Frau vom Lande war, die ich sehen wollte“.214

Ein für die Salongesellschaft besonders wichtiger Ort dieser Zeit im Tiergar-ten war die Restauration „Hofjäger“,215die so beliebt war, dass man bei Besu-chen mit Sicherheitdavon ausgehen konnte, irgend einen Bekannten zufällig zu treffen, bzw. auch davon ausgehen musste. Brinckmann traf dort zufällig Rahel Levin Varnhagens Schwägerin und Eltern, „die Fließ“ suchte dort ihren Ehemann zu vermeiden: „[…] nachher machte ich jedenfalls dass die F mit mir zum Hoffgäger ging: wo es grad den tag sehr hübsch war und Q [traff] traf [ich] mit dem ich mir eigentlich ein rendezvous da gab. die F war aber unaus-stehlich sie eilte weil sie glaubte ihr caro marito würde komen“.216 Entschei-dend war nicht nur, wen man dort traf, sondern auch mit wem man dorthin fuhr: „die U wollte nicht dass wir zusammen faren weil sie befürchtet die Marchetti kann es übel nehmen und da hatt sie auch sehr recht“.217

Dafür, dass der Tiergarten und die Aufenthalte dort vielleicht kein tägli-cher, aber wesentlicher Bestandteil des Salonlebens waren218 bzw. dass der Tiergarten als offener Ort verschiedenste anregende Mischungen erlaubte, spricht schließlich eine Formulierung des Gastes Burgsdorf, der seine Zeit mit Rahel Levin Varnhagen und ihren Freundinnen als „Thiergartenleben“ bezeich-nete. Anders, als Peter Seibert formuliert, ist der Tiergarten nicht eine „Vor-stufe“ für die Verkehrsformen der Berliner Salons oder Fluchtpunkt, sondern essentieller Teil davon.219

214Rahel Levin Varnhagen an David Veit, 24. 3. 1795, in: GW VII/II, S. 86.

215Der Hofjäger war ein Kaffeegarten am Ende der Tiergarten-Straße genannten

Häuserreihe, benannt nach der Tatsache, dass in dem Haus früher der königliche Hofjäger gewohnt hatte.

216Friederike Liman an Rahel Levin Varnhagen, 21. 6. 1795, in: Bosold 1996, S. 15. „F“ steht für Fließ Boye Sparre, der „geliebte Ehemann“ ist Isaac Fließ. „Q“ meint Otto von Quast, Verehrer Friederike Unzelmanns.

217 Friederike Liman an Rahel Levin Varnhagen, 4. 8. 1795, in: Bosold 1996, S. 30. „U“ steht für Unzelmann. Marchetti und Plumer waren beide Sängerinnen, daher möglicherweise die Eifersucht. Schreibung im Original.

218 Der Hofjäger scheint regelmäßiges Vergnügen gewesen zu sein, so schlug Rahel Levin Varnhagen einmal eine Einladung zur Mitfahrt mit den Worten aus „alle Tage ist nicht Sonntag“. Rahel Levin Varnhagen an Gustav von Brinckmann, 10. 9. 1796, ungedruckt, SV 38.

219Wilhelm von Burgsdorf an Gustav von Brinckmann, 3. 9. 1796, in: Cohn 1907, S. 8.

Seibert 1993(a), S. 144.

Das Theater als Treffpunkt und Thema der Salongesellschaft

Das Theater stellt sich im Vergleich der Korrespondenzen als einer der wesent-lichen Diskussionsgegenstände der Salonbeteiligten dar. Sowohl die Auffüh-rungen wie die Aufführenden waren von großem Interesse. Das ist auch aus dem Grund bemerkenswert, da das Berliner Theater um 1800 keineswegs einen guten Ruf hatte, sondern eher durch Tumulte auf und Missverständnisse hinter der Bühne sowie organisatorische Kleinkriege in jeder Form von sich reden machte.2201794/95 im speziellen kam es, neben oder infolge von Auseinander-setzungen zwischen Direktion und einzelnen Stars, zu Aufruhr auf der Bühne und Lärm aus dem Publikum. Diese wurden in den Briefen der Salongesell-schaft kaum kommentiert, allerdings hielt diese vom allgemeinen Publikum in der Stadt auch nicht unbedingt viel.221

Die Anfang der 1790er-Jahre wesentlichen Spielstätten in Berlin waren das Nationaltheater auf dem Gendarmenmarkt222 und das Opernhaus Unter den Linden.223Die 1742 eröffnete Königliche Oper bot italienische Oper. In dem 1775

220 Erst mit der Übernahme der Direktion des Nationaltheaters durch Iffland 1796 wurde die Grundlage für eine „Bühne der ‚Berliner Klassik“ gelegt. Klaus Gerlach: Einleitung, in: ders.

220 Erst mit der Übernahme der Direktion des Nationaltheaters durch Iffland 1796 wurde die Grundlage für eine „Bühne der ‚Berliner Klassik“ gelegt. Klaus Gerlach: Einleitung, in: ders.