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5 Salons und Badeorte

5.5 Badeschwindel: Salons und Kurbäder – Emanzipation auf Zeit

Alle drei hier genannten Frauen erhoben mit Recht Anspruch auf eine beson-dere Kennerschaft der Goetheschen Werke. Allen dreien kann ein Verdienst an der Verbreitung und vertieften Diskussion seiner Werke sowie eine besondere Beziehung zum Autor selbst nachgesagt werden. Dennoch wäre es vereinfacht, vondemGoethe-KultderBerliner Salons zu sprechen. Die drei Frauen versuch-ten ihre Verbindung zum Dichter auf sehr unterschiedliche Weise zu knüpfen und zu halten. Marianne Meyer Eybenberg erwies sich als angenehme Beglei-tung im Bad, beide genossen den täglichen Umgang, die Diskussion von Litera-tur bis zum Austausch von Klatsch. In der Zeit zwischen Badebesuchen ließ es Meyer Eybenberg an klugen Komplimenten und geschickter Herausforderung seines Charmes nie fehlen. Goethe erlaubte sich in den Briefen an sie einen verbindlicheren Ton als in den an die meisten anderen Bekannten, der manch-mal ins Verspielte ging. Sara Meyer Grotthus hatte durch Goethes Kenntnis ihrer schwierigen Ehegeschichte und ihres angegriffenen Zustandes einen schweren Start im Kampf um die Anerkennung des Dichters. Ihre anhaltende Verbindlichkeit in Worten und Sachwerten, ihr Engagement für ihn in Berlin und die Treue gegenüber ihrer Schwester gewannen ihr schließlich höfliche Aufmerksamkeiten aus Weimar. Ihre Verbindung zu Goethe blieb aber insge-samt etwas eindimensional. Mehrfach wurde er ihr zum Beichtvater ihrer innerlichen religiösen Kämpfe. Auf diese Selbstdarstellungen und ihre schrift-stellerischen Ambitionen reagierte der angebetete „Olympier“ nicht.

Rahel Levin Varnhagen erhob schließlich den Anspruch auf eine beson-dere Beziehung zu Goethe, die in einem tiefen, fortdauernden Verständnis sei-ner Persönlichkeit bestand, in den Worten der Zeit in einem Gleichklang der Seelen, die sich einander indirekt kommunizierten. Dieser Anspruch war, unabhängig von der Umsetzung, folgenreich für die Rezeption: Da in der

Lite-697Rahel Levin Varnhagen an A. E. L. Horn und David Veit, 8. 9. 1795, in: GW VII/II, S. 185.

raturgeschichte des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts die Bedeutung und der Geschmack der mit Goethe bekannten Frauen daran gemessen wurde, wie schnell und tief sie die Bedeutung des Klassikers erfasst hätten,698 wurde Rahel Levin Varnhagen deswegen zur „bedeutendsten Frau Berlins“ stilisiert, weil sie eine lebenslange Begeisterung für Goethe mit der damenhaften Zurück-haltung verband, ihm davon nie direkt zu sprechen.699 Im Vergleich wurde Sara Meyer Grotthus’ anmaßendes oder anstrengendes Verhalten kritisiert.

Und Dorothea Mendelssohn Veit Schlegel, die ihre Begegnungen mit Goethe relativ kurz und humorvoll fasste, bekam unter anderem mangelnde literari-sche Unabhängigkeit attestiert.700

In der Sekundärliteratur ist es weiterhin üblich, darauf hinzuweisen, dass die Bekanntschaft zwischen Goethe und Meyer Eybenberg für ihn nur eine Mar-ginalie des Kurlebens, für sie aber von zentraler Bedeutung für ihr Leben gewe-sen sei.701Tatsächlich haben die meisten hier genannten Frauen umfassendere Erwähnungen in der Literatur und Marianne Meyer Eybenberg ihre Überliefe-rung überhaupt zum nicht unwesentlichen Teil ihrer Bekanntschaft mit Goethe zu verdanken, da sie „MitwisserinseinesLebens und Thuns“ wurde, und ihre Korrespondenz mit ihm „uns Goethe durch das Medium dieses Weltkindes sehen lässt“.702Diese Form der Wertung verdeckt aber leicht das wahre Vergnü-gen, das beide 1795 am gegenseitigen Umgang gefunden haben müssen und

698 Um ein wirkliches Bild von Goethes Begegnungen mit gebildeten jüdischen Frauen zu gewinnen, müsste man diesen Goetheerlebnissen solche Zeitgenossinnen entgegensetzen, in deren Leben er keine zentrale Rolle spielte. Mit Recht vergleicht z. B. Andrea Schatz das Goethe-Erlebnis von Dorothea Mendelssohn Veit Schlegel mit dem oft analysierten der Salonièren und kommt zu dem Ergebnis, dass sie dem Dichter eigentlich „befremdet“

gegenüberstand und dennoch die einzige war, die „die alte göttliche Excellenz“ unbefangen schildern konnte. Schatz 1999, S. 2. Dorothea Mendelssohn Veit Schlegel an Friedrich Schleiermacher, 15. 11. 1799, ebd.

699 Paradigmatisch für diese Wertung: Arnold 1925, bes. S. 216 ff.

700 „Ihr, der leidenschaftlichen, subjektiven, romantischen Natur konnte das klare, objektive, klassische Wesen Goethes im tiefsten Grunde nicht zusagen.“ Arnold 1925, S. 213.

701 Ein Artikel zu ihrem Todestag stand unter dem Tenor: „Über der Hälfte ihres kurzen Daseins leuchtete die Sonne Goethes und gab ihrem Leben Schönheit und Sinn.“ Jakob Seifensieder: Marianne von Eybenberg. Zum 125. Todestag am 26. Juni 1937, in: Der Morgen, Heft 3 (1937), S. 123–127, hier S. 124. Prägend für die Rezeption war vermutlich die

Formulierung Ludwig Geigers, dass Goethe sich „einen ‚kleinen Liebesroman’ gemacht hat.

Im Leben der Schwestern bildete die Bekanntschaft dagegen Epoche.“ Geiger 1893, S. 105.

Ähnliche (Ab-)Wertungen finden sich auch in Darstellungen über Goethes Frauenkontakte.

Vgl. Christina Kröll: Begegnungen – Kontakte – Geselligkeit, in: Göres 1982, S. 121–141.

Demnach habe Goethe ein Verliebtsein im Bad einfach als Teil seines Kurerfolges gewertet.

Ebd. S. 126.

702 Geiger 1893, S. 95, Hervorhebung H. L. L.; Seifensieder 1937, S. 124.

das noch 13 Jahre später beim Wiedersehen in Karlsbad dazu führte, dass Frau von Eybenberg Goethes täglicher Kontakt wurde. Man kann zusammenfassend mit einiger Berechtigung behaupten, dass die enge Beziehung der beiden an den Ort Karlsbad geknüpft blieb. Trotz gemeinsamer Kuraufenthalte und gele-gentlicher Höflichkeitsbesuche in Weimar lebte die jahrelange Brieffreundschaft wesentlich, neben der Diskussion Goethescher Werke, von der Erinnerung an und Vorfreude auf einen gemeinsamen Badeaufenthalt.703

Grundsätzlich wird der Dichter sich die tiefreichende Kenntnis und Schät-zung seiner Werke der drei Berlinerinnen gern gefallen lassen haben. Denn beides war auch beim gebildeten Badepublikum nicht selbstverständlich, und wie er Schiller berichtete, wurde er manchmal mit anderen Autoren verwech-selt und „überhaupt hat das Publikum nur den dunkelsten Begriff vom Schrift-steller. […] Doch muß ich billig sein und sagen, dass ich einige gefunden habe die hierin eine merkwürdige Ausnahme machen“.704Eine dieser Ausnahmen war Marianne Meyer Eybenberg, die er um Kommentare zu seinen jeweiligen Texten bat. Eine andere war Rahel Levin Varnhagen, der er hohe Empfindsam-keit attestiert hatte.

Am Beispiel des Karlsbader Aufenthaltes der drei jüdischen Salonièren zeigt sich, dass Badeorte durchaus darin Salons verglichen werden können, dass sie Orte sind, an denen Grenzen zwischen Ständen und Schichten leichter übertretbarerscheinen. Der Weg zum verehrten Dichter war kürzer. In beiden Fällen blieb aber diese Übertretung oder Aufhebung der Schranken an den Ort gebunden und war temporärer Natur. Die Augenhöhe auf der Brücke in Karls-bad war über die Entfernung Berlin-Weimar kaum zu halten.

In Karlsbad und Teplitz und ihren eigenen Salons konnten die drei hier erwähnten Frauen als Kennerinnen und Freundinnen Goethes gelten, denen er einiges Renommee in den Berliner Kreisen verdankte. Außerhalb dieser Kreise bis in die Forschungsliteratur hinein waren sie bald wieder „getaufte Jüdinnen“, die dem verehrten Meister sogar die eigene Überlieferung schulde-ten. Goethe selbst, der sich weder in Karlsbad noch später, nach deren Ehe-schließung mit Adligen, für die jüdische Herkunft seiner Bekannten

interes-703 Zumindest für Goethe war die Einrichtung eines, modern gesprochen, „Badeflirts“ nicht unüblich. Neben den naturwissenschaftlichen Studien ziehen sich seine „romantischen Badebekanntschaften“ wie ein roter Faden durch die 15 Besuche in böhmischen Bädern.

Andere Frauen sind in diesen Zusammenhang bekannter geworden, wie Sylvie von Ziegesar und besonders natürlich Ulrike von Levetzow, der Anlass zur „Marienbader Elegie“. Keine andere aber war über einen Zeitraum von 15 Jahren wiederholt Anlass für „Äugelchen“, wie ein Flirt in der Sprache des Ehepaars Goethe genannt wurde.

704Johann Wolfgang von Goethe an Friedrich von Schiller, 8. 7. und 19. 7. 1795, in: Beetz 2005, Bd. 1, S. 91 und 94 f.

sierte, wurde allerdings durch diese Bekanntschaften auch nicht in seiner Haltung zum Judentum irgendwie beeinflusst. Im kleinen Ausschnitt der Bezie-hung Goethes zu Marianne Meyer Eybenberg spiegelt sich sowohl das ambiva-lente Verhältnis des Dichters Juden gegenüber als auch die auf den Widersprü-chen aufbauende, zum Teil verzerrende Rezeptionsgeschichte.705 1797 konnte Goethe in persona Marianne Meyer Eybenbergs seinem Herzog eine jüdische Bankierstochter vorbehaltlos als angenehme Gesellschafterin empfehlen. Zum Ende seines Lebens fürchtete er kaum etwas mehr, als dass jüdische Frauen bei Hofe tätig würden.706

6 „Freymüthige Kaffeegespräche“ –