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Soziale Ungleichheit und psychosoziale Lebenskontexte

2.4 Befunde

2.4.2 Soziale Ungleichheit und psychosoziale Lebenskontexte

Unter Kapitel 2.2 wurden für die Meso-Ebene der psychosozialen Kontexte die Set-tings und die darin zu findenden psychosozialen Mechanismen identifiziert. Es sind in erster Linie:

- Familie

- Arbeit und Beruf als Settings sowie

- soziale Netzwerke, soziale Unterstützung und Einsamkeit - Beanspruchung, Belastung, Stress und Anforderungen - Coping/Bewältigung

- personale Ressourcen/Kontrollüberzeugungen - Lebenszufriedenheit

als psychoosziale Mechanismen.

Im folgenden Abschnitt wird auf Basis der Literatur geprüft, ob diese Settings und Faktoren sozial ungleich verteilt sind.

Soziale Ungleichheit und Familie

Dieser Abschnitt setzt sich mit zwei Fragestellungen auseinander. Die erste betrifft den Aspekt der Verteilung von Familie(-nformen) nach ausgewählten sozialstrukturel-len Aspekten. Im zweiten Teil wird danach gefragt, ob es schichtspezifische Belastun-gen von Familien gibt, wie diese ausgeprägt sind und mit welchen FolBelastun-gen diese ver-bunden sind.

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Verteilung von Familienformen

Der Wandel von Familienformen ist durch die zunehmende Alterung der Gesellschaft gekennzeichnet. Dabei geraten Kinder und Jugendliche in eine Minderheitenposition, wobei der Anteil ausländischer Kinder und Jugendlicher zunimmt. Hinzu kommt eine Entwicklung, deren Pole in der Soziologie mit Individualisierung und Pluralisierung beschrieben werden und zu deren Zeichen nicht mehr die fraglose Selbstverständlich-keit von Heirat und Familiengründung zählen (Beck, 1986; Beck & Beck-Gernsheim, 1990).

Wird die Frage nach der Umsetzung eines Kinderwunsches gestellt, so ist bei der Hinzunahme der steigenden Lebenserwartung davon auszugehen, dass sich die Zeit, die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern verbringen, innerhalb des gesamten Lebens-zyklus verkürzt. Diese Entwicklung ist mit einem Anstieg der Frauen- und insbesonde-re der Mütteinsbesonde-rerwerbsarbeit verbunden. Buddeberg et al. berichten auf Basis der Schweizer Volkszählung von 1980 und 1990, dass sich neue Formen des familiären Zusammenlebens vor allem in der Mittelschicht finden. Hier haben die Familienformen zugenommen, bei denen es sich um unverheiratete Paare ohne Kinder bzw. mit Kin-dern handelt. Nach ihren Angaben überwiegen sowohl in Ober- wie auch in Unter-schicht „nach wie vor die traditionelle Familie mit patriarchal-hierarchischer Struktur“

(Buddeberg-Fischer & Buddeberg, 1998, S. 174).

Schichtspezifische Belastungen bei Familien

Wie ein Gutachten der Hans-Böckler-Stiftung bemerkt, muss das Wissen über die Einkommensverhältnisse von Familien als sehr defizitär bewertet werden. Informatio-nen über Höhe und auch Ausdifferenzierung familiärer Haushaltseinkommen nach Alter und Zahl der Kinder und deren Abgrenzung nach sozialem Status der Eltern liegen nur ausschnitthaft vor (Bäcker & Ebert, 1996, S. 363).

Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass bei zunehmender Familiengröße das Pro-Kopf-Einkommen stark absinkt. Zwar bemerken Bäcker und Ebert, dass sich Familien mit mehreren Kindern vor allem im oberen Einkommensbereich konzentrie-ren und kommen dabei zu folgender Relativierung: Die noch höher liegenden Pro-Kopf-Einkommen Kinderloser werden hier unterschritten – die von Kinderlosen einer unteren sozialen Schicht jedoch wiederum überschritten (Bäcker & Ebert, 1996, S.

365). Ökonomisch gesehen ist es unsinnig, Kinder zu haben – Kinder verringern ex-trem das Pro-Kopf-Einkommen und verstärken soziale Ungleichheit. Insgesamt muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die empirischen Grundlagen für Aussagen

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dieser Art nur unzureichend sind und hier Forschungsbedarf besteht. So schreiben Bäcker et al. "Der Wissenstand über die Einkommensverhältnisse von Familien ist lückenhaft und unzureichend. Die amtliche Statistik (...) bietet keine hinreichend aktu-ellen und differenzierten Informationen über Höhe und Struktur der Haushaltseinkom-men, strukturiert nach der Zahl der Kinder, deren Alter und nach der Zahl der Erwerbstätigen und Einkommensbezieher" (Bäcker, Bispinck, Hofemann & Naegele, 2000, S. 173).

Die soziale Situation von Familien in Deutschland gehört zu den brisantesten Themen in der sozialpolitischen Diskussion von Gegenwart und Zukunft. Dieser Umstand muss auch für die nur auf wenig Daten zurückgreifende Familienforschung angenommen werden. Deutlich wurde bei der Bearbeitung, dass es nicht nur wichtig ist, davon aus-zugehen, dass soziale Schichten auch durch differierende Familienformen gekenn-zeichnet sind. Wesentlich erscheint vielmehr, dass eine bestimmte Familiengröße als Kriterium sozialer Ungleichheit angesehen werden muss. Dies hängt nicht nur mit dem rapide absinkenden Pro-Kopf-Einkommen einer größer werdenden Familie zusam-men, sondern auch mit den daraus resultierenden Belastungen, die bei der Berufstä-tigkeit von beiden Elternteilen vielfältig sind. Somit muss hier nicht nur Forschungsbe-darf geschlossen, sondern auf eine mögliche Unterlassungssünde hingewiesen wer-den, die möglicherweise darin bestehen kann, Kriterien wie Haushaltseinkommen nicht auf die Familiengröße zu kontrollieren.

Soziale Ungleichheit und soziale Netzwerke, soziale Unterstützung und Einsamkeit

Wie Geyer aufgrund eigener Analysen bemerkt, berücksichtigt die Forschung zu ge-sundheitsbezogenen Auswirkungen belastender Lebensereignisse und zu belas-tungsmindernden Effekten sozialer Unterstützung den sozialstrukturellen Hintergrund meist nicht, „so dass der Eindruck entstehen könnte, dass Lebensereignisse in einer Art sozialem Vakuum auftreten; wir hätten es dann mit zufälligen und schicksalhaften Begebenheiten zu tun, die sich einer systematischen soziologischen Erklärung entzie-hen“ (Geyer, 2001, S. 212). Ob dieser Eindruck bestätigt werden kann, soll in den folgenden Ausführungen geprüft werden.

Nach eingehender Recherche konnte lediglich eine Arbeit aus dem deutschsprachi-gen Raum identifiziert werden, die anhand repräsentativer Daten die Verteilung sozia-ler Unterstützung nach Ungleichheitsaspekten untersucht hat (Diewald, 1991). In sei-nen theoretischen Analysen zur sozialen Verteilung sozialer Netzwerke geht Diewald

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mit den „sozialromantischen Vorstellungen“, nach denen in unteren sozialen Schich-ten die Unterstützungsqualität besonders gut ist, differenziert um. Demnach ist nach allen von Diewald analysierten Untersuchungen die Unterstützungsqualität durch Netzwerke in höheren Schichten besser: „Ihre Netzwerke sind im Schnitt größer, räumlich weiter verstreut, enthalten mehr Freundschaftsbeziehungen und vermitteln insbesondere mehr an kognitiv-emotionalen Formen der sozialen Unterstützung“

(Diewald, 1991, S. 117.). Als Grundlage für die empirischen Analysen dienten Diewald die Wohlfahrtssurveys 1978, 1984 und 1988. Dabei handelt es sich um Querschnitts-befragungen mit jeweils 2.000 Fällen. Für die Repräsentativität und Grundlage der Stichprobenziehung für den Wohlfahrtssurvey und den ALLBUS sei hier auf die Litera-tur verwiesen (Diewald, 1991; Glatzer & Zapf, 1984; Noll, 1997; Noll & Habich, 1990).

Zusammengefasst zeigten die Ergebnisse hinsichtlich der sozialen Verteilung von sozialer Unterstützung und Netzwerkbeziehung Folgendes:

Die Untersuchung der Frage, wie es sich mit möglichen Isolationen im Freundeskreis verhält, bewegen Diewald zu der Einschätzung, dass sich für beide Geschlechter ein deutlicher Einfluss der Schulbildung auf Freundesbeziehungen zeigt. „Je höher sie (die Schulbildung, d. A.) ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, mindestens eine besonders enge Freundesbeziehung zu haben“ (Diewald, 1991, S. 172). Nach Diewald gehen also Bildungsressourcen als klassisches Maß zur Identifikation sozia-ler Ungleichheit mit der sozialen Verteilung von erworbenen Sozialbeziehungen einher – dieser Effekt gilt insbesondere für Frauen. Auch die Frage nach möglichen Unter-stützungsprozessen – übertragen aus der Vorstellung geschlossener proletarischer Milieus – durch den Verwandtschaftskreis muss aus heutiger Sicht abschlägig be-schieden werden. Hinsichtlich der Erwerbstätigkeit berichtet Diewald, dass hauptberuflich erwerbstätige Männer und Frauen seltener sozial isoliert sind als Nichterwerbstätige. Weiterhin stellt der Autor das erhöhte Risiko für eine soziale Isolation bei Personen mit geringer schulischer Bildung auch bei der Betrachtung verwandtschaftlicher Beziehungen heraus (Diewald, 1991, S. 176f.). Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass es Personen mit Mittlerer Reife sind, die im höchsten Maße geschlossene Einbindungen in Verwandtschaftskontakte besitzen und somit das geringste Risiko sozialer Isolation tragen (Diewald, 1991, S. 177).

Korrespondierende Ergebnisse liegen auch hinsichtlich der Inanspruchnahme aber auch aktiven Beteiligung an informellen Netzwerken vor. Hier berichtet Diewald, dass Personen mit höherer Schulbildung eine höhere Wahrscheinlichkeit besitzen, sowohl Unterstützung informeller Netzwerke zu erhalten, aber auch Unterstützung selber zu leisten. Erwähnenswert bleibt hier auch ein geschlechtsspezifisches Ergebnis: Männer mit höherer Schulbildung scheinen weitaus mehr in aktiven Unterstützungsrollen zu sein, die vermehrt auch einseitig funktionieren, während sich bei Frauen dieser

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mehrt auch einseitig funktionieren, während sich bei Frauen dieser Bildungsschicht das Gegenteil andeutet – hier ist das Leisten und Empfangen von Unterstützungspro-zessen in informellen Netzwerken wesentlich ausgeglichener. Diewald meint hier ei-nen emanzipatorischen Erfolg zu erkenei-nen, der sich jedoch auf dieses Bildungsniveau beschränkt (Diewald, 1991, S. 202).

Beziehungen zwischen soziodemografischen Faktoren und Kontrollüberzeugungen

Eine neuere Zusammenfassung von Janßen stellt Ergebnisse zusammen, nach denen von einer schichtspezifischen Verteilung internaler und externaler Kontrollüberzeu-gung ausgegangen werden kann (Janßen, 2001). Gleicher Autor kommt aber zu dem Schluss, dass diese schichtspezifische Verteilung von Kontrollüberzeugungen bisher nur selten Gegenstand der Forschung war (Janßen, 2001, S. 186). Folgende Tabelle 8 gibt eine Übersicht der Arbeiten, die zu dieser Fragestellung Ergebnisse beitragen konnten:

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Tabelle 8 Untersuchungen zu „Soziale Ungleichheit und gesundheitsbezogene Kontrollüberzeugungen“

Ergebnisse Autor Stichprobe

externale internale (Galanos,

Strauss & Pie-per, 1994)

65-Jährige und älter schwarze u. weiße

Amerikaner

*12

kürzere Schulbildung niedriger beruflicher Status

schwarze Hautfarbe

-

(Janßen, 1997) deutsche Untersu-chung

*

kürzere Ausbildungsdauer niedriges Berufsprestige kein Zusammenhang mit

Einkommenshöhe

-

(Janßen & Lü-schen, 1998)

vier westeuropäische Länder (B, F, NL, D)

keine Resultate Keine Zusammenhang

(Bosma, Schrij-vers & Macken-bach, 1999)

Britische Kohorte;

GLOBE study;

n=2462

*

verschiedene Sozialschicht-indikatoren

kein Zusammenhang

(Janßen, Hein-rich, Chrispin, Weitkunat &

Abel, 2000)

Münchner Le-bensstilpanel; n=599

*

abnehmende Bildungsdauer

- (self-mastery)

(Janßen, 2001) schrift. Bevölke-rungsumfrage in West- u. Ostdeutsch-land (GAVID) n=2574

*

faktorenanalytische Bildung sozialer Schicht aus

Einkom-men, Beruf u. Bildung

keine Zusammenhang

(Abel, Duetz &

Niemann, 2000)

Daten des Berner Lebensstil Panels; n=

923

*

neg. Korrelation mit Schulab-schluss für Männer u. Frauen

in etwa gleicher Höhe; bei Frauen keine Korrelation mit Einkommen, bei Männern bei

-.20

*

neg. Korrelation mit Schulabschluss für Männer u. Frauen in etwa gleicher Höhe; bei Frauen keine Korrelation

mit Einkommen

12 Ein * weist auf einen wenigstens zum Niveau .05 signifikanten Zusammenhang hin.

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Hinzuzufügen ist, dass ein Vergleich der Kontrollüberzeugung in vier westeuropäi-schen Ländern darauf hinwies, dass nationale Unterschiede zwiwesteuropäi-schen sozialer Un-gleichheit und Kontrollüberzeugungen stärker ausgeprägt waren als die schichtspezi-fischen, u. U. vermutlich überlagert wurden.

Insgesamt gestalten sich die Ergebnisse zur Prüfung der Hypothese, dass internale Kontrollüberzeugung mit einer höheren sozialen Lage und externale Kontrollüberzeu-gung mit einer unteren sozialen Lage korreliert, als sehr heterogen. Wie die Ergebnis-se in Tabelle 8 nahe legen, zeigt sich lediglich ein Zusammenhang zwischen einer niedrigeren sozialen Lage und einer höheren externalen Kontrollüberzeugung. Hier ist es die Schulbildung, die in Verbindung mit der externalen Kontrollüberzeugung ge-bracht werden kann, weniger die Höhe des Einkommens. Weiterer Forschungsbedarf besteht demnach nicht nur in der abschließenden Frage, wie sich der soziale Gradient zu verschiedenen Ausformen gesundheitlicher Kontrollüberzeugungen verhält, son-dern auch hinsichtlich der Frage nach einer abschließenden Skalenstruktur der ge-sundheitlichen Kontrollüberzeugungen (vgl. Janßen et al., 2000).

Soziale Ungleichheit und Lebenszufriedenheit

In diesem Abschnitt werden Ergebnisse zur Lebenszufriedenheit berichtet, die mit dem Instrument erhoben wurden, das auch in der hier zugrunde gelegten Studie B (vgl. Kapitel 3.3) eingesetzt wurde. Daran anschließend werden Ergebnisse hinsicht-lich einer sozialschichtspezifischen Abhängigkeit von Lebenszufriedenheit aus der internationalen Literatur berichtet. Für das in Studie A eingesetzte Instrument zur ge-wichteten Lebenszufriedenheit liegen bisher keine publizierten Studien vor, die auf einen sozialen Gradienten hinweisen.

Im oben bereits angesprochenen Bundesgesundheitssurvey gehen die Autoren nur beiläufig auf das Zielkriterium Lebenszufriedenheit ein. Im Rahmen dieser Untersu-chung ist das unter Kapitel 2.2 beschriebene Instrument zur Erfassung der bereichs-spezifischen Lebenszufriedenheit (vgl. Hoffmeister et al., 1988) eingesetzt worden.

Dabei zeigt sich, dass Angehörige der Unterschicht unzufriedener sind als die der Oberschicht – dies trifft auch mit der spezifischen Abfrage der gesundheitsspezifi-schen Zufriedenheit zu. Leider berichten die Autoren hier vermutlich nur Mittelwerte, so dass weiterführende Interpretationen nicht möglich sind (Knopf et al., 1999, S.

S175f.).

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Betrachtet man hingegen die bereichsspezifische Lebenszufriedenheit, so stellt sich ein differenzierteres Bild dar. So untersuchten Laubach et al. an einer bevölkerungs-repräsentativen Stichprobe in den alten und neuen Bundesländern (n=2.948) mit dem weiter oben beschriebenen Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (vgl. Fahrenberg et al., 2000) den Einfluss sozialer Ungleichheit auf die Lebenszufriedenheit (Laubach, Schumacher, Mundt & Brähler, 2000). Die soziale Lage wurde dabei als Mittelwert der Variablen Schulbildung, Beruf und Äquivalenzeinkommen operationalisiert und kann Werte zwischen 1 (untere soziale Lage) und 4 (oberste soziale Lage) annehmen. Da-nach wurden die Studienteilnehmer Da-nach den schichtungstheoretischen Vorstellungen von Bolte (vgl. Bolte & Hradil, 1988) in fünf soziale Schichten eingeteilt (vgl. Laubach et al., 2000, S. 6). Mittels einfaktorieller Varianzanalyse ermittelten die Autoren über alle Einzelbereiche der Lebenszufriedenheit einen sozialen Gradienten. Dies trifft be-sonders für die Einzeldimensionen Zufriedenheit mit eigener Gesundheit, Arbeit und Beruf, finanzielle Lage, eigene Person und Sexualität zu (Laubach et al., 2000, S. 7).

In einer früheren Untersuchung berichtet das gleiche Autorenteam jedoch für einen Abgleich mit zusätzlichen psychologischen Prädiktoren für die Lebenszufriedenheit, dass diese in ihrer Erklärungskraft den eher objektiven Merkmalen überlegen seien – leider wurde hier jedoch nicht geprüft, inwieweit diese objektiven Faktoren bereits die psychologischen „Konkurrenzfaktoren“ beeinflussen (Schumacher, Laubach & Bräh-ler, 1995).