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Befindlichkeit, subjektives Wohlbefinden und Beschwerden

2.3 Subjektive Gesundheit: Befindlichkeit und Lebensqualität Lebensqualität

2.3.1 Befindlichkeit, subjektives Wohlbefinden und Beschwerden

Ursprünglich bestand die Absicht, Befindlichkeit, subjektives Wohlbefinden und Be-schwerden getrennt voneinander abzuhandeln und gegenüberzustellen. Die

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sicht der entsprechenden Literatur belehrte jedoch eines Besseren. Dabei zeigte sich Folgendes: Drei miteinander eng verwandte Forschungsrichtungen nehmen in der entsprechenden Literatur immer wieder einmal Bezug aufeinander, ohne sich jedoch richtig dabei wahrzunehmen. Schwierigkeit besteht somit in einer Findung für eine angemessene Definition, wo denn der Startpunkt liegen soll.

Es ist jedoch die Forschung und Theorie zum Wohlbefinden, die es ermöglicht, einen adäquaten Anfang zu finden. Das mittlerweile in der zweiten Auflage erschienene Lehrbuch zur Wohlbefindensforschung besticht trotz verschiedener Autoren dadurch, dass es sich stringent auf eine Definition des Wohlbefindens und seine Nomenklatur geeinigt hat (Abele & Becker, 1994). Vor allem Becker ist es, der in seinem initialen Beitrag die theoretischen Grundlagen des Wohlbefindens darstellt (Becker, 1994).

Bereits eingangs erwähnt er die hohe Affinität des Wohlbefindens zu Konzepten wie Glück und Lebenszufriedenheit. Hilfreich erscheint die bereits oben angesprochene Unterscheidung – diese wird stringent beibehalten – zwischen aktuellem und habituel-lem Wohlbefinden. Dabei charakterisiert das aktuelle Wohlbefinden die augenblickli-che Befindlichkeit und habituelles Wohlbefinden eine relativ stabile Eigenschaft. Die nähere Erläuterung ergibt, dass das aktuelle Wohlbefinden den „Oberbegriff zur Cha-rakterisierung des momentanen Erlebens einer Person, der positiv getönten Gefühle, Stimmungen und körperlichen Empfindungen sowie das Fehlen von Beschwerden umfasst“ (Becker, 1994, S. 13). Herausgestellt wird dabei, dass Gefühle auf Einsätze beschränkt und von relativ kurzer Dauer sind. Stimmungen zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass sie, anders als Gefühle, in der Regel länger andauern und eine schwächere Intensität besitzen.

Beim habituellen Wohlbefinden handelt es sich, anders als beim aktuellen Wohlbefin-den, um „aggregierte emotionale Erfahrungen“ (Becker, 1994, S. 15). Diese kommen durch kognitive Prozesse zustande – wie Becker erwähnt, beispielsweise die Lebens-zufriedenheit. Hier wird erstmalig konstatiert, dass Lebenszufriedenheit eine Form des habituellen Wohlbefindens darstellt. Grundsätzlich kann dies als ein eher langanhal-tender Prozess bezeichnet werden, der durch einen andauernden Prozess der Bewer-tung einer Vielzahl von Umständen zustande gekommen ist. Nach Becker zeichnet sich das Konzept des habituellen Wohlbefindens durch eine hohe zeitliche Stabilität und somit als Eigenschaft aus. Erwähnenswert ist hierbei, dass die empirische Abbil-dung vor allem der Lebenszufriedenheit als Indikator des habituellen Wohlbefindens trotzdem von einer ganzen Reihe Faktoren abhängt. Genannt seien hier die aktuelle Stimmung zum Zeitpunkt der Beurteilung, Erinnerung an zurückliegende Ereignisse, die Form der Befragung u. a. Als eine weitere Differenzierung habituellen

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dens schlägt Becker die Einteilung in eindimensionale und mehrdimensionale Modelle vor. Demnach erscheint es schwierig, Wohlbefinden als eindimensionale Begrifflich-keit irgendwo zwischen „state“ und „trait“ anzusiedeln, also in Form einer Grundbefind-lichkeit. Diese Verortung würde zudem davon ausgehen, dass allgemeines Glücklich-sein und Lebenszufriedenheit etwas sehr Ähnliches abbilden. Nach Becker erscheint dies jedoch nicht sinnvoll, da nicht unbedingt Glück und Lebenszufriedenheit in einer Person gleichzeitig vorhanden sein müssen – in diesem Zusammenhang ist die Form der resignativen Zufriedenheit zu erwähnen, die nicht mit Glück gleichzusetzen ist (Becker, 1994, S. 16).

Die Dichotomie eines positiven und negativen Wohlbefindens gehört zu den zweidi-mensionalen Modellen habituellen Wohlbefindens. Dabei wird davon ausgegangen, dass positives Wohlbefinden dann vorliegt, wenn eine Person in „letzter Zeit häufig positive und selten oder nie negative Gefühlszustände erlebte“ (Becker, 1994, S. 16).

Bekannteste empirische Operationalisierung dieses Konzeptes ist sicherlich das von Bradburn und Mitarbeitern entwickelte Instrument „Subjektives Wohlbefinden“

(Bradburn, 1969), das von Badura in die Rehabilitationswissenschaften im deutschen Sprachraum etabliert wurde (Badura et al., 1987). Dabei kann bei einer zweidimensio-nalen Betrachtung habituellen Wohlbefindens herausgestellt werden, dass es eine erstaunlich hohe Überschneidung zwischen psychischem und physischem Wohlbefin-den gibt.

Ein dreidimensionales Modell der habituellen Befindlichkeit versucht, die „Gesund-heitstrias“ der WHO wiederzugeben, indem zwischen dem physischem, dem psychi-schen und dem sozialen Wohlbefinden unterschieden wird. Aufgegangen ist diese Konzeption im Instrument „Trierer Persönlichkeitsfragebogen“.

Diese Ausführungen lassen sich in einem von Becker zusammengestellten Struktur-modell des Wohlbefindens darstellen:

Im Gegensatz zum habituellen Wohlbefinden hängt das aktuelle Wohlbefinden von aktuellen, meist nur wenige Stunden zurückliegenden bzw. andauernden Ereignissen ab. Und genau an dieser Stelle kommt es nach Durchsicht der Literatur zu vorschnel-len Vereinfachungen, die das Konstrukt „Befindlichkeit“ nicht weiter differenzieren. So schreiben Henrich und Herrschbach, dass sie den Beurteilungszeitraum für das von ihnen entwickelte Instrument „Fragen zur Lebenszufriedenheit (FLZM)“ deshalb auf vier Wochen fixiert haben, um sich von der Befindlichkeit abzugrenzen, die ihrer Mei-nung nach „den momentanen Zustand beschreibt und im Laufe eines Tages variieren

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kann“ (Henrich & Herschbach, 2000, S. 101). Diese Wahrnehmung weist entweder auf ein weniger differenziertes Verständnis des Wohlbefindens hin oder habituelles Wohlbefinden wird mit Lebenszufriedenheit gleichgesetzt.

In einem wiederum von Becker vorgeschlagenen dreidimensionalen Modell wurde als stärkster Befindlichkeitsfaktor „positive vs. negative Stimmung“ herausgearbeitet. Die anderen beiden Faktoren legen die Benennung „Aktiviertheit“ und „Erregungsniveau“

nahe. Insgesamt lassen sich demnach folgende Kombinationen mit positiver Stim-mung herstellen, die durch folgende Tabelle verdeutlicht werden (nach Becker, 1994, S. 30):

Tabelle 7 Dreidimensionales sphärisches Strukturmodell emotionaler Befindlichkeit

positive Stimmung

hoch beschwingt, begeistert Aktiviertheit

niedrig Gelassenheit noch Erregung Erregung

niedrig Entspannung

Zur Identifikation der Bedingungen und Erreichbarkeit aktueller Befindlichkeit wird ein modellhaftes Vorgehen vorgeschlagen. Demnach kann aktuelle Befindlichkeit durch zwei Strategien erreicht werden:

- direkt über Erfahrungen, „die in sich positiv, belohnend oder lustvoll sind“

- indirekt über die Vermeidung bzw. Verhinderung negativer aversiver Zustände wie Schmerz, Müdigkeit, Angst oder Hilflosigkeit (Becker, 1994, S. 31)

Als Bedingungen für direkte Möglichkeiten zur Erreichung des aktuellen Wohlbefin-dens identifiziert Becker vier Bereiche: sensorische Erfahrungen, erfolgreiche Hand-lungen, soziale Zuwendung und Nähe, sowie glückliche Umstände.

Zu Recht betont Becker zum Ende seines Beitrages, dass die Wohlbefindensfor-schung in Deutschland nach wie vor am Beginn steht. Besonders ermutigend er-scheint dabei aus soziologischer Perspektive seine Anregung, das habituelle Wohlbe-finden auf „die `höheren` Bedürfnisse des Menschen zurück(zu)führen“ (Becker, 1994, S. 43). Demnach scheint gerade diese habituelle Befindlichkeit Ausdruck „eines ge-lungenen Lebens bzw. der Fähigkeit zur ausgewogenen Bewältigung externer und interner Anforderungen.“ (Becker, 1994, S. 43), zu sein.

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Im gleichen Band (Abele & Becker, 1994) geht Mayring auf die Erfassung des subjek-tiven Wohlbefindens ein – im Gegensatz zu Becker spricht er von subjektivem Wohl-befinden und identifiziert in der Literatur verschiedene Umschreibungen für subjekti-ves Wohlbefinden: „subjektisubjekti-ves Wohlbefinden als Glück, Glück als subjektisubjekti-ves Wohl-befinden, Glück als Lebensqualität, Glück als Freude, positive Stimmung als Glück, Glück als Zufriedenheit (...)“ (Mayring, 1994, S. 51). Ähnlich wie Becker kommt auch Mayring zu einer nachvollziehbaren, faktorenanalytisch begründeten Klassifikation subjektiven Wohlbefindens. Demnach lassen sich die Wohlbefindensindikatoren in folgende differenzierte Kategorien unterteilen:

- negative Komponente – Freiheit von subjektiver Belastung - Balance zwischen positivem und negativem Befinden - positive Komponente – Freude, Glück

- kurzfristige, situationsspezifische (aktuelle) positive Gefühle - kognitive Komponente – Zufriedenheit

- kognitive Einschätzung des eigenen Lebens, Abwägen von Positivem u.

Negativem, Vergleich von Lebenszielen, Messen des eigenen Lebens an internen oder sozialen Vergleichsnormen

- affektive Komponenten – Gefühl des Wohlbefindens: Unterscheidung in zwei Komponenten:

- State Komponente: „aktuelles, intensivstes und tiefes, die ganze Persön-lichkeit umfassendes emotionales Glückserleben“ (Mayring, 1994, S. 52) - Trait Komponente: „langfristiges, auf Glückserleben aufgebautes, im

Le-benslauf entwickeltes Lebensglück“ (Mayring, 1994, S. 52)

Diese von Mayring vorgeschlagene Konzeption bringt Klärung in das Dickicht ver-schiedenster Begrifflichkeiten subjektiven Wohlbefindens und kann durch folgende Grafik veranschaulicht werden (vgl. Abbildung 2) (nach Mayring, 1994, S. 53):

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S u b je k ti v e s W o h lb e fi n d e n

A k tu e ll e s W o h lb e f in d e n (s ta t e )

H a b it u e ll e s W o h lb e f in d e n (t r a i t)

F r e u d e n G lü c k B e l a s t u n g s

- fr e i h e it

Z u fr ie d e n h e it

Abbildung 2 Vier-Faktoren-Ansatz des subjektiven Wohlbefindens

Nach Mayring lässt sich aufbauend auf dieser Konzeption der Begriff der Lebensquali-tät klären, der demnach eine Kombination von subjektivem Wohlbefinden und positi-ven objektipositi-ven Lebensbedingungen ist. Deutlich wird hier, dass dies dem soziologi-schen Begriff der Lebensqualität nahe kommt (Glatzer, 1984; Glatzer & Zapf, 1984).

Weiterhin scheint es möglich psychische Gesundheit zu definieren, die demnach als Kombination aus subjektivem Wohlbefinden und individuellen Kompetenzen gesehen werden kann. Auf die bei Mayring dann angeführte Vielzahl von Instrumenten wird zwar explizit verwiesen jedoch nicht näher eingegangen (Mayring, 1994, S. 54ff.). In einer hier fortführenden Begriffsdefinition legt sich Bullinger mit dem Begriff Befind-lichkeit auf eine Zustandscharakterisierung (stait) fest. Diese im Spannungsfeld zwi-schen subjektivem Wohlbefinden und Unbehagen liegenden unterschiedlichsten Ge-fühlsqualitäten charakterisieren die Verfassung einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt. Über die bisherigen Konzeptionen hinausgehend differenziert Bullinger die Befindlichkeitsdimensionen in psychische (z. B. Angst), in körperliche (z. B. Schmerz), in soziale (z. B. Einsamkeit) sowie in funktionale Bereiche (z. B. Konzentrationsfähig-keit). Hier ist bereits eine Anlehnung an das Gesundheitskonzept der WHO erkennbar, auf das weiter unten noch näher eingegangen wird. Im Vordergrund steht jedoch die Dichotomie zwischen der psychischen und der physischen Dimension der Befindlich-keit. Ersteres bezeichnet Bullinger als „Stimmung“ zweites als „körperliches Allge-meinbefinden“ (Beschwerden) (Bullinger, 1997a, S. 1f.).

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Operationalisierung und Messung des subjektiven Wohlbefindens

Wie bei den anderen bisher vorgestellten psychosozialen Konstrukten bietet sich auch bei Erfassung des subjektiven Wohlbefindens die standardisierte Berfragung an. Vor allem in der klinischen Psychologie ist die Forschung zur Erhebung des subjektiven Wohlbefindens weit fortgeschritten. Dabei ist das Verfahren der Wahl die Selbstein-schätzung durch den Befragten. Sogenannte proxy-Messungen, also EinSelbstein-schätzungen über Fremdrater, sind mittlerweile zwar auch etabliert, bieten jedoch nur eine indirekte Erfassung. Bei den eingesetzten Instrumenten handelt es sich in der Regel um soge-nannte Adjektivlisten, bei denen die Befragten über vorgelegte Antwortvorgaben un-terschiedlichster Abstufungen ihren momentanen Zustand angeben sollen. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass alle in diesem Bereich eingesetzten und etab-lierten Instrumente den strengen Anforderungen der Testtheorie entsprechen und psychometrisch abgesichert sind. Oftmals stehen für die eingesetzten Instrumente auch Referenzdaten bzw. Angaben von Normpopulationen zur Verfügung (Bullinger, 1997a, S. 2).

Im hier vorliegenden Untersuchungszusammenhang ist zur Erfassung der psychi-schen Befindlichkeit das sogenannte Profile of Mood States (POMS) eingesetzt wor-den. Weiterhin wurde die Skala „Mental Health“ des SF-36 mit in das Instrument auf-genommen. Zur Erfassung des körperlichen Wohlbefindens ist die Beschwerden-Liste von von Zerssen eingesetzt worden.

Profile of Mood States (POMS)

Die psychische Befindlichkeit wurde mit der deutschen Version des „Profile of Mood States“ erhoben (McNair, Lorr & Leman, 1971). Der POMS ist ein standardisierter Fragebogen zur Erfassung des psychischen Wohlbefindens. In der PoKlimA-Studie (vgl. Studie A 3.1) wurden daraus die Subskalen „Tatendrang“, „Missmut“ und „Müdig-keit“ eingesetzt. Die Subskala „Benommenheit“ wurde neu entwickelt. Ergänzt wurde die Erhebung der psychischen Befindlichkeit durch die Subskala „Psychisches Wohl-befinden“ des Fragebogens zum Gesundheitszustand – SF-36 (vgl. Bullinger & Kirch-berger, 1998), so dass die Fragebogenversion dreißig Items enthält, die auf einer fünfstufigen Rating-Skala („gar nicht“, „etwas“, „ziemlich“, „stark“, „sehr stark“) beant-wortet werden können. Gefragt wurde nach dem Empfinden „heute während der Ar-beit“.

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Die in der Literatur angegebenen Werte für die interne Konsistenz (Cronbach's α) liegen für die Subskalen des POMS zwischen .88 und .91 und wurden auch in der PoKlimA-Studie (Studie A) erzielt (Cronbach's α zwischen .77 und .92).