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Soziale Beziehungen zwischen Kommerzialisierung und Musealisierung

Wandel des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft – Folgen für Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik

II. Soziale Beziehungen zwischen Kommerzialisierung und Musealisierung

1. Soziale Beziehungen als Kern gesellschaftlicher Ordnung

Soziale Beziehungen bilden den Kern jeder gesellschaftlichen Ordnung.

Erst durch die soziale Interaktion knüpft das Individuum an seine Außen-welt an, lässt soziales Miteinander entstehen und konstituiert damit auf sehr elementarer Ebene etwas, das man in anspruchsvollen Modellen „Gesell-schaft“ nennen kann.

Historisch gesehen haben sich solche sozialen Beziehungen vor allen Dingen unter Anwesenden entwickelt; Gesellschaft wurde überhaupt in ers-ter Linie als Anwesenheitsgesellschaft gedacht und gelebt.14 Zwar mögen sich mittlerweile die technischen und vor allem medialen Grundbedin-gungen der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht radikal von einer solchen Anwesenheitsgesellschaft weg entwickelt haben. Doch auch in Zeiten Staat und Gesellschaft, DÖV 1975, 437 (439), dass man unter der Flagge der Unterschei-dung von Staat und Gesellschaft vieles segeln lassen könne, weshalb nicht nur die Identität, sondern auch die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nicht frei von Gefahren sei.

14 Vgl. etwa grundlegend für die Entwicklung in der frühen Neuzeit Rudolf Schlögl Anwesende und Abwesende, 2014; zuvor schon ders. Kommunikation und tung unter Anwesenden, Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), 155; ders. Vergesellschaf-tung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: ders. (Hrsg.) Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, 2004, 9; für das Spätmittelalter vgl. exemplarisch Gabriela Signori Der Stellvertreter, Zeit-schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung, Bd. 132 (2015), 1.

von Digitalisierung und Virtualisierung sozialer Lebenswelten bleibt die soziale Interaktion unter Anwesenden nach wie vor essentiell für die sozi-ale Gemeinschaftsbildung.15 Als besonders maßgeblich für diese sozialen Beziehungen erweisen sich, gerade dort, wo es sich um schwach organi-sierte, alltägliche soziale Beziehungen handelt, zwei zentrale Faktoren:

zum einen der physische Raum als elementarste örtliche Infrastruktur, zum anderen die Körperlichkeit der Individuen, ihre physische Präsenz, in der sie den Raum einnehmen und in ihm auf eine Weise interagieren, die sozi-ale Beziehungen entstehen lässt. Beide Aspekte finden zusammen in dem vom französischen Ethnologen Marc Augé entwickelten Konzept des an-thropologischen Orts, den er idealtypisch neben das übermoderne Phäno-men des Nicht-Ortes stellt. In seiner Verwendung des Begriffs bezeichnet der anthropologische Ort einen physischen räumlichen Bereich, der sich durch drei Wesensmerkmale auszeichnet: Er ist identitätsstiftend, relational im Sinne von beziehungsstiftend sowie historisch.16 Seiner räumlich phy-sischen Existenz entsprechen jeweils eine Gesamtheit von Möglichkeiten, Vorschriften und Verboten, deren Inhalt sowohl räumlich als auch sozial konnotiert ist.17 Es geht mithin um Orte, die durch überkommene gemein-same soziale Regeln geprägt und über sie mit Sinn aufgeladen sind.

Dieses Konzept des anthropologischen Ortes findet sich etwa idealty-pisch wieder in klassischen Vorstellungen des urbanen Marktplatzes. Wie zentral gerade dieser beispielgebende Ort dabei auch für unsere rechtlichen Bilder ist, zeigt sein vielfältiges Auftauchen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, die von den Grundlagen der attischen Demokratie18 bis hin zur rechtlichen Privilegierung im Gewerberecht19 reichen. Gleichzeitig können sich die entsprechenden Orte auch wandeln und mit neuen sozia-len Regeln und neuer Bedeutung aufgeladen werden. Eindrucksvoll zeigt sich dies etwa an einem aktuellen Beispiel aus Frankreich. Die massiven politischen Proteste der „gilets jaunes“, der sogenannten Gelbwesten, die seit Herbst 2018 die französische Republik erschüttern, haben etwa gerade als Gegenmodell zur klassischen französischen Stadttopographie aus Kir-che, Rathaus und Marktplatz20 einen geradezu emblematischen Nicht-Ort in den räumlichen Mittelpunkt ihres Widerstands gestellt: den Kreisverkehr.

Eigentlich Symbol der Mobilitätsgesellschaft, wird er in paradoxer Weise

15 Vgl. etwa nur prägnant Ludger Pries Die Transnationalisierung der sozialen Welt, 2007, 28.

16 Marc Augé Nicht-Orte, 3. Aufl. 2012, 59 f.

17 Augé Nicht-Orte (Fn. 16), 59.

18 Vgl. etwa nur Christoph Schönberger Vom Verschwinden der Anwesenheit in der Demokratie, JZ 2016, 486 (486).

19 Vgl. nur §§ 64 ff. GewO.

20 Vgl. dazu nur Augé Nicht-Orte (Fn. 16), 70.

zum Sinnbild des Widerstands umgedeutet, als eigentlich prototypisch leb-loser Ort nun umfassend mit Leben, sozialer Interaktion, politischer Insze-nierung und neuen sozialen Regeln gefüllt.21

Diese anthropologischen Orte stellen in vielerlei Hinsicht den räum-lichen Nukleus sozialer Beziehungen bereit. Durch ihre Einbettung in Tradition und soziale Regelhaftigkeit ermöglichen sie alltägliche soziale Interaktionen ohne gefestigte Beziehungsstrukturen und bilden damit eine Grundlage für Gemeinschaftsbildung jenseits verfestigter Organisation.

Trotz ihrer Verankerung in der Geschichte sind sie dabei als lebende Orte immer auch kontinuierlichen Wandlungsprozessen unterworfen, entwickeln sich also mit derselben Dynamik wie die Gesellschaft insgesamt. Zwei maßgebliche Wandlungsprozesse, die sich dabei in jüngerer Zeit zuneh-mend beobachten lassen und auch den Hintergrund der skizzierten Ent-wicklung der Grundrechtsrechtsprechung bilden, sind dabei zum einen die Kommerzialisierung, zum anderen die Musealisierung dieser anthropologi-schen Orte. Sie haben unmittelbare Auswirkungen auf die sich an diesen Orten bildenden sozialen Beziehungen und beeinflussen damit auch zent-rale Parameter der Gemeinschaftsbildung.

2. Kommerzialisierung: soziale Beziehungen als Gegenstand wirtschaftlichen Austauschs

Dass wirtschaftliche Interaktionen soziale Beziehungen hervorrufen und prägen, ist zunächst alles andere als ein neues Phänomen. Wie gerade das Beispiel des Marktplatzes zeigt, sind soziale Beziehungen und anthropo-logische Orte immer schon stark von solchen Zusammenhängen geprägt.

Neben familiären Strukturen dürfte der wirtschaftliche Austausch sogar eine der zentralen Arenen für soziale Beziehungen sein und zwar auch maßgeblich auf alltäglicher, wenig organisierter Ebene. Wenn hier trotzdem die verstärkte Kommerzialisierung als neuere Entwicklung ausgemacht wird, liegt dem daher nicht die simple Beobachtung zugrunde, dass wirt-schaftliche Beziehungen einen wesentlichen Teil allgemeiner Sozialbezie-hungen bilden. Vielmehr geht es um einen Prozess, der hier in einem relativ weiten Sinne zunächst als verstärkte Anlehnung sozialer Beziehungen an das Wirtschaftssystem beschrieben werden soll. Bemerkenswert ist daran, in welchem Ausmaß in jüngerer Zeit nicht mehr nur der wirtschaftliche Austausch Anknüpfungspunkt für soziale Beziehungen ist, sondern viel-mehr die sozialen Beziehungen selbst in den Fokus der wirtschaftlichen Aufmerksamkeit rücken und teilweise selbst zum Gegenstand

wirtschaftli-21 Siehe dazu etwa nur Luc Gwiazdzinski Le rond-point totem, média et place publique d’une France en jaune, Multitudes n°74, février 2019.

cher Austauschbeziehungen gemacht werden. Es geht in diesem Sinne dann nicht mehr um die ökonomische Dimension sozialer Beziehungen, sondern eben um die Kommerzialisierung dieser Beziehungen selbst.

Beispiele für diese Entwicklung lassen sich mittlerweile deutlich in dem vom Bundesverfassungsgericht verhandelten Fallmaterial finden. In der Fraport-Entscheidung etwa, in der es um die Frage der Demonstrationsfrei-heit im Empfangsbereich des formal privatisierten Frankfurter Flughafens ging,22 war die sogenannte Landseite des Flughafens, ein sozialer Raum, der im Sinne Augés geradezu den Prototyp eines Nicht-Ortes darstellt, über Jahre hinweg als Kommerzort neu konzipiert worden. Dabei konnte zwar nicht auf überkommene Sozialstrukturen zurückgegriffen werden, weil der Flughafen insofern weniger als sozialer Ort denn als funktionaler Ort der Vereinzelung wirkt. Gleichzeitig standen aber die zwei zentralen Bestandteile jedes sozialen Ortes bereit und wurden durch die Neukon-zeption nun kommerziell genutzt: der physische Raum und die durch den Transportzweck erforderliche körperliche Anwesenheit einer überaus plu-ralen Gruppe von Menschen. Beide Ressourcen werden durch die Kon-zeption eines umfassenden Geschäfts- und Gastronomiebereichs im Flug-hafen erschlossen, um Möglichkeiten des Absatzes zu schaffen, ohne dass es dafür besonderer vorausliegender sozialer Verflechtungen bedarf. Ganz im Gegenteil: Die sozialen Beziehungen, die durch die Neukonzeption des Ortes entstehen, sind von vorneherein Konsumbeziehungen. Sie sind darauf ausgelegt, nur einen kleinen, vor allen Dingen auch konfliktfreien Auszug menschlicher Interaktion entstehen zu lassen. Gerade das Fehlen der klassi-schen anthropologiklassi-schen Komponenten, des Identitätsstiftenden, des Rela-tionalen und des Historischen, ermöglicht in gewisser Weise sogar erst die Besetzung als kommerzialisierten Raum.23

22 BVerfGE 128, 226.

23 Die Reduktion dieses sozialen Miteinanders hat auch das Bundesverfassungsgericht beunruhigt, weshalb es in seinem spezifischen Entscheidungszusammenhang darauf hin-wies, dass der Wunsch, „eine ‚Wohlfühlatmosphäre‘ in einer reinen Welt des Konsums zu schaffen,“ jedenfalls kein legitimer Zweck sei, um andere, vor allem politische Formen der sozialen Interaktion auszuschließen: BVerfGE 128, 226 (266). Diese besondere Situation, in der Räume der Verkehrsinfrastruktur zu Konsumorten weiterentwickelt werden, ist im Übrigen weder auf den von Karlsruhe entschiedenen Fall noch auf den Bereich von Flughä-fen beschränkt. Vgl. zur entsprechenden Entwicklung, gerade auch in Bezug auf Bahnhöfe, etwa nur Juliane Korn Transiträume als Orte des Konsums, Diss. Berlin 2006, 60 ff.; Peter Brummund Bahnhofsbuchhandel, 2005, 13 ff.; Matthias Achen/Kurt Klein Retail Trade in Transit Areas: Introduction to a New Field of Research, Die Erde 133 (2002), 19. Spezi-fisch zur Entwicklung von Flughäfen s. Ogenyi Omar/Anthony Kent International airport influences on impulsive shopping: trait and normative approach, International Journal of Retail & Distribution Management 29 (2001), 226; Paul Freathy/Frank O’Connell The role

Eine ähnliche Form der Kommerzialisierung, die gleichwohl deutlich stärker an vorhandene soziale Strukturen anknüpft und diese wirtschaft-lich nutzbar macht, zeichnet die Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts zum sogenannten Bierdosen-Flashmob nach.24 Ähnlich wie in der Fraport-Entscheidung war die Grundkonstellation des Konflikts auch hier der Ausschluss einer Versammlung von einer dem Konsum gewidmeten privatisierten Fläche, konkret einem Platz vor einem Einkaufszentrum, der im Eigentum des privaten Betreibers stand. Anders als im Fall des Flugha-fens wurde hier allerdings nicht die Konsumfunktion auf einer ursprünglich reinen Verkehrsfunktion aufgebaut.25 Vielmehr wurde der Platz, der an die Passauer Fußgängerzone anschließt und von Arztpraxen, Cafés, Geschäf-ten, einem Supermarkt und einem Kino umrandet ist, bewusst als Kon-sumort geschaffen. Gleichzeitig wurde dabei, anders als beim Flughafen, ein klassisches anthropologisches Raumkonzept, nämlich der Marktplatz, jedenfalls adaptiert – allerdings zum rein privaten kommerziellen Nutzen.26 Diese besondere Konstellation reiht sich damit ein in eine längere Entwick-lung, in der vor allen Dingen Einkaufszentren nach amerikanischem Vor-bild in deutschen Innenstädten versucht haben, das klassische Konzept des Marktplatzes bzw. der Fußgängerzone für sich nutzbar zu machen – auch wenn gerade diese Formen der Konsumkultur seit einigen Jahren ihrerseits nicht zuletzt durch den Online-Handel zunehmend in eine Krise geraten.27

of the buying function in airport retailing, International Journal of Retail & Distribution Management 26 (1998), 247.

24 BVerfG, NJW 2015, 2485.

25 Zu diesem Konzept, den Konsum an die Verkehrsfunktion anzuknüpfen, s. etwa nur Gary Davies Bringing stores to shoppers – not shoppers to stores, International Journal of Retail & Distribution Management 23 (1995), 18.

26 Vgl. zu dieser Entwicklung etwa nur Martin Klamt Öffentliche Räume, in: Frank Eckardt (Hrsg.) Handbuch Stadtsoziologie, 2012, 775; Klaus Selle Öffentliche Räume in der europäischen Stadt – Verfall und Ende oder Wandel und Belebung, in: Walter Siebel (Hrsg.) Die europäische Stadt, 2004, 131.

27 Zum sozialen Phänomen der Einkaufszentren allgemein s. etwa nur die Beiträge bei Jan Wehrheim (Hrsg.) Shopping Malls. Interdisziplinäre Betrachtungen eines neuen Raum-typs, 2007; sowie Elmar Kulke/Jürgen Rauh Das Shopping Center Phänomen: Aktuelle Entwicklungen und Wirkungen, in: dies. (Hrsg.) Das Shopping Center Phänomen, 2014, 7;

Alexander Sedlmaier From Department Store to Shopping Mall: New Research in the Transnational History of Large-scale Retail, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte / Economic History Yearbook 46 (2005), 9; Olivier Gaudin Is the Shopping Mall a Normative Appara-tus? Investigating the Impact of Shopping on the Perception of Urban Public Space, in:

Elmar Kossel/Brigitte Sölch (Hrsg.) Platz-Architekturen, 2018, 311. Zum Niedergang der Einkaufszentren s. etwa nur Daniela Ferreira/Daniel Paiva The death and life of shopping malls: an empirical investigation on the dead malls in Greater Lisbon, The International Review of Retail, Distribution and Consumer Research 27 (2017), 317; Ellen Dunham-Jones/June Williamson Dead and Dying Shopping Malls, Re-Inhabited, Architectural

Schließlich zeigt der vom Bundesverfassungsgericht zuletzt entschie-dene Fall des Stadionverbots für einen auffällig geworentschie-denen Fußballfan, dass von dieser Entwicklung der Kommerzialisierung nicht allein klassi-sche Bereiche des Wirtschaftslebens wie Handel und Gastronomie erfasst sind. Gerade mit dem Sport, insbesondere in Gestalt des Profifußballs, hat sich vielmehr ein Bereich kommerzialisiert, der ursprünglich allein im Bereich der sozialen Freizeitgestaltung verankert war und lange Zeit durch klassische ehrenamtliche Vereinsarbeit geprägt wurde, mittlerweile jedoch zu einem Geschäft mit Milliardenumsätzen geworden ist.28

Die gesellschaftlichen Konflikte, die durch diese Entwicklung entste-hen und sich reformuliert als rechtliche Konflikte vor dem Bundesverfas-sungsgericht widerspiegeln, lassen sich zusammenfassend als Teilhabe-konflikte beschreiben. Wenn um den Zugang zu einer Flughafenhalle oder einem privatisierten öffentlichen Platz zum Zwecke einer Demonstration gestritten wird, dann geht es im Kern genauso um die Teilhabe an räum-lich verankerten sozialen Beziehungen wie dies beim Streit um den Zugang zu einem Fußballspiel der Fall ist.29 Die Grundrechte und mit ihnen das Bundesverfassungsgericht geraten auf diese Weise in die Rolle einer Ver-mittlungsinstanz für die Frage, inwiefern kommerzialisierte öffentliche Design 87 (2017), 84 ff.; Vanessa Parlette/Deborah Cowen Dead Malls: Suburban Acti-vism, Local Spaces, Global Logistics, International Journal of Urban and Regional Research 35 (2011), 794 ff.

28 Wesentlicher Auslöser für die Kommerzialisierung war dabei die Einführung der dua-len Rundfunkordnung, die eine Vermarktung von Übertragungsrechten im privaten Rund-funk grundsätzlich ermöglichte, vgl. Thorsten Schauerte Die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Sport und Medien, in: ders./Jürgen Schwier (Hrsg.) Die Ökonomie des Sports in den Medien, 2004, 84 (84 ff.); Henk Erik Meier Kommerzialisierung und Marktkonstitu-tion. Zur politischen Konstruktion des Sportrechtemarkts, Medien & Kommunikationswis-senschaft 2004, 583. Allein die Fußballbundesliga hat ihren Umsatz zwischen 2010 und 2019 auf 3,81 Milliarden Euro fast verdoppelt, s. <https://www.manager-magazin.de/unter- nehmen/artikel/dfl-tv-rechte-werden-2020-neu-vergeben-umsatz-in-bundesliga-verdop-pelt-a-1253007.html> (Stand: 1.10.2019). Im Bundesland Bremen hat die kommerzielle Natur der Bundesligaspiele in Verbindung mit den erheblichen Kosten für den Einsatz von Polizeikräften bei sogenannten Hochrisiko-Spielen dazu geführt, dass der Veranstalter sich mittlerweile grundsätzlich an den Polizeikosten beteiligen muss. Zur grundsätzlichen Rechtmäßigkeit einer solchen Regelung s. BVerwG, Urt. v. 29.3.2019, Az. 9 C 4.18.

29 Christoph Smets Die Stadionverbotsentscheidung des BVerfG und die Umwälzung der Grundrechtssicherung auf Private, NVwZ 2019, 34 (35), argumentiert demgegenüber, dass es sich bei der letztgenannten Entscheidung im Schwerpunkt um die Frage des Zugangs zu einer Veranstaltung im Unterschied zu einem von der Öffentlichkeit frei fre-quentierbaren Ort handelt. So richtig diese Unterscheidung auf der Oberfläche ist, so sehr verkennt sie doch bei genauerer Betrachtung, dass es in den Konstellationen von Fraport und Bierdosen-Flashmob gerade nicht um einen beliebigen physischen Raum geht, sondern die Besonderheit des Zugangswunsches erst durch die in diesen Räumen stattfindenden sozialen Beziehungen entsteht.

Räume im Grundsatz jedem Einzelnen offenstehen müssen bzw. unter wel-chen Umständen der Betreiber bestimmte Personen oder bestimmte Formen sozialer Beziehungen ausschließen darf. Verhandelt wird dabei vor allem die Frage, inwiefern ein Ausschluss sozialer Beziehungen gerade jenseits des Konsums möglich ist, inwieweit also soziale Räume derart kommer-zialisiert werden dürfen, dass eine andere, nicht konsumorientierte soziale Nutzung vollständig verhindert werden darf.

3. Musealisierung

Dieser Entwicklung der Kommerzialisierung steht die Musealisierung sozialer Beziehungen gegenüber, die teilweise als gegenläufige Entwick-lung zur Kommerzialisierung begriffen werden kann, tatsächlich aber auf komplexere Weise mit ihr verschränkt ist. In der Sache wird hiermit eine besondere Form der Vergangenheitsbezogenheit bezeichnet, durch welche die musealisierten Objekte oder Praktiken und damit auch die mit ihnen verbundenen Orte einem Bedeutungswandel unterzogen werden. Sie verlie-ren ihre Verankerung im sozialen Alltag, ihverlie-ren primäverlie-ren Sozialzusammen-hang und damit auch ihre ursprüngliche Symbolbedeutung.30 Stattdessen werden sie als Erinnerungs- und Bedeutungsträger neu kodiert. Musealisie-rung stellt sich so in gewisser Weise als ein „Aus-der-Welt-Bringen“ dar,31 indem Objekte oder auch kulturelle Praktiken ihrer ‚weltlichen‘, d.h. im ursprünglichen sozialen Kontext stehenden, Funktion beraubt werden.32

Dabei bezieht sich das Konzept der Musealisierung ursprünglich auf den kulturellen Bereich und hier zunächst im Wesentlichen auf materielle Objekte. In diesem Sinne diagnostizierte Hermann Lübbe schon vor 30 Jah-ren, dass die Musealisierung unserer kulturellen Umwelt ein historisch bei-spielloses Ausmaß erreicht habe.33 Tatsächlich lässt sich der Befund aber mit demselben Autor noch allgemeiner formulieren: Es habe noch niemals eine Zivilisationsepoche gegeben, so Lübbe, die so sehr vergangenheits-bezogen gewesen wäre wie unsere eigene oder anders ausgedrückt: Keine

30 Vgl. Heiner Treinen Ansätze zu einer Soziologie des Museumswesens, in: Günter Albrecht/Hans-Jürgen Daheim/Fritz Sack (Hrsg.) Soziologie. René König zum 65. Geburtstag, 1973, 336 (339 ff.); Wolfgang Zacharias Zeitphänomen Musealisierung, in:

ders. (Hrsg.) Zeitphänomen Musealisierung, 1990, 9 (11 f.); Jean-Louis Déotte Wie die Geschichte der Musealisierung anheim fällt, in: Jörn Rüsen/Wolfgang Ernst/Heinrich Theo-dor Grüter (Hrsg.) Geschichte sehen, 1988, 100 (100 f.); Ludger Schwarte Einleitung: Aus-stellungswert und Musealisierung, Paragrana 26 (2017), 9 (10).

31 Bazon Brock Musealisierung – eine Form der experimentellen Geschichtsschreibung, in: Zeitphänomen Musealisierung (Fn. 30), 51 (54).

32 Sophie Lenski Öffentliches Kulturrecht, 2013, 4.

33 Hermann Lübbe Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 1989, 13.

Zivilisationsepoche zuvor habe solche Anstrengungen intellektueller, auch materieller Art unternommen wie unsere gegenwärtige Epoche, Vergange-nes gegenwärtig zu halten.34

Die Bedeutung dieser Entwicklung für wenig organisierte soziale Bezie-hungen im öffentlichen Raum ist nicht in gleicher Weise evident wie die-jenige der Kommerzialisierung, und doch nicht weniger existent. Sie lässt sich derzeit vor allen Dingen beobachten als zunehmende Umwandlung von klassischen Innenstadtbereichen, also Prototypen des anthropologi-schen Ortes, in Bühnen für eine sehr spezifische Form der Eventisierung.

In extremer Weise zeigt sich dies etwa im Bereich des sogenannten „over-tourism“, d.h. der starken touristischen Übernutzung vor allem historischer Innenstädte, bei der die Anzahl touristischer Besucher zur Einwohnerzahl derart außer Verhältnis gerät, dass die Stadtnutzung für die alltäglichen Zwecke des Wohnens und Arbeitens zunehmend schwierig und beschwer-lich wird.35 Von Tagestouristen hinterlassene Müllberge, lautstarke nächt-liche Feiern im Freien, steigende Mieten aufgrund der Verdrängung durch Ferienapartments, aber auch die Missachtung anderer alltäglicher sozialer Regeln durch die Besucher, wie z.B. die angemessene Kleidung in Res-taurants oder Kirchen, sind nur einige der wahrgenommenen Probleme, die auf dieser Ebene entstehen. Städte wie Venedig und Barcelona sind zu geradezu emblematischen Orten geworden, an denen sich die ganze sozi-ale Sprengkraft dieser Entwicklung zeigt. In besonders eklatanter Weise betroffen ist aber etwa auch das oberösterreichische Städtchen Hall-statt, das bei einer Einwohnerzahl von unter 800 Personen jährlich einen Besucherzustrom von fast einer Million, vor allem chinesischer Touristen verzeichnet.36

Dabei beruht das Phänomen allerdings gerade darauf, dass die touristi-sche Attraktivität an die ursprüngliche alltägliche Stadtnutzung anknüpft.

Gerade das Zusammenspiel aus räumlicher Gestaltung und sozialer Nut-zung ist es, das die betroffenen Reiseziele als so beliebt erscheinen lässt.

Genau dadurch tritt aber wiederum ein Effekt der Musealisierung ein: Die gewöhnliche soziale Stadtnutzung wird zur touristischen Kulisse umfunkti-oniert, die Alltäglichkeit des sozialen Raums zum besonderen Erinnerungs- und Bedeutungsort umkodiert.

34 Hermann Lübbe Der Fortschritt von gestern. Über Musealisierung als Modernisie-rung, in: Ulrich Borsdorf/Heinrich Theodor Grütter/Jörn Rüsen (Hrsg.) Die Aneignung der Vergangenheit, 2004, 13 (13).

35 Zum Phänomen vgl. etwa nur den Überblick bei Claudio Milano Overtourism, malestar social y turismofobia. Un debate controvertido, Revista de Turismo y Patrimonio Cultural 16 (2018), 551.

36 Eva Dignös „Bustickets für Hallstatt“, Süddeutsche Zeitung v. 18./19.4.2019, 37.

Anders als für den Bereich der Kommerzialisierung liegen die gesell-schaftlichen Konflikte, die hierdurch entstehen, allerdings nicht in erster Linie in Fragen der (verwehrten) Teilhabe begründet. Maßgeblich sind vielmehr zum einen die Einhaltung bestimmter sozialer Regeln – nämlich derjenigen Regeln, die mit der alltäglichen Nutzung korrespondieren – und zum anderen gerade umgekehrt zu den Fragen der Teilhabe die mögliche

Anders als für den Bereich der Kommerzialisierung liegen die gesell-schaftlichen Konflikte, die hierdurch entstehen, allerdings nicht in erster Linie in Fragen der (verwehrten) Teilhabe begründet. Maßgeblich sind vielmehr zum einen die Einhaltung bestimmter sozialer Regeln – nämlich derjenigen Regeln, die mit der alltäglichen Nutzung korrespondieren – und zum anderen gerade umgekehrt zu den Fragen der Teilhabe die mögliche