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6.2 Häufige Noxengruppen

6.2.4 Sonstige chemische Produkte

Bei den Anstrichstoffen besteht vor allem Vergiftungsgefahr durch die enthaltenen Lösungsmittel, welche allerdings in den Fallberichten nicht näher genannt werden. Hier könnte die Auswertung aussagekräftiger gemacht werden, wenn Lösungsmittel in chemischen Produkten und aus der Katego-rie Grundsubstanzen zusammengefasst werden.

Baustoffe und Bauhilfsstoffe werden oft in ihrem Gefährdungspotential unterschätzt. So wurden z. B. Bauschaumprodukte häufig mit Vergiftungsverdachtsfällen identifiziert. Sie enthalten als Haupt-komponente Diphenylmethandiisocyanat. Diese Chemikalie ist eingestuft als krebserzeugend nach EG-Kategorie 3, die R-Sätze weisen auf gesundheitsschädigende und sensibilisierende Wirkung sowie starke Reizwirkung auf Augen, Atemwege und Haut hin. Letztere bestätigt sich in der Beschreibung einer mittelschweren Vergiftung (ID 199503066) in Form von Verätzungen von Armen und Beinen.

Auch die Gefahr schwerer Verätzungen beim Hautkontakt mit Beton ist gut bekannt. Durch die hohe Alkalizität kommt es zu Kolliquationsnekrose mit mittelschweren Gesundheitsbeeinträchtigungen.

Bei Rauchgasvergiftungen kann die Noxenzusammensetzung sehr unterschiedlich sein. Vergiftun-gen entstehen durch die Reizgase (z. B. Schwefeldioxid, Formaldehyd, Ammoniak, Stickstoffdioxid) und die toxischen Rauchgase (z. B. Kohlenmonoxid und Cyanwasserstoff). Faulgase (Grubengas und Güllegas) können z. B. Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Methan oder Schwefelwasserstoff enthalten.

Gase aus Verbrennungsmotoren führen zu einer Kohlenmonoxidvergiftung. Bei der Exposition von Beschäftigten mit Rauchgasen muss mit Lebensgefahr gerechnet werden. Der Selbstschutz bei der Einleitung von Rettungsmaßnahmen ist hier besonders wichtig.

Als Noxe bei den Sekunden- bzw. Komponentenkleber wird meist Cyanoacrylat angegeben, aber auch die enthaltenen Lösungsmittel können toxisch wirken. Ein beispielhaftes Sicherheitsdatenblatt (siehe 9.4) enthält die R-Sätze R36/37/38 „Reizt die Augen, Atmungsorgane und die Haut“ und wegen dem Gehalt an 1.4-Dihydroxybenzol (MAK-Wert: 2 mg/m³) den Hinweis: „Gase/Dämpfe/Aerosole nicht einatmen“ [8]. Der Sekundenkleber wirkt auch auf der Haut und ist daher sehr gefährlich beim Kon-takt mit Augenlidern. Bei großen Mengen sind Verbrennungen möglich, da die Polymerisation unter Wärmeabgabe erfolgt.

In der Noxengruppe Lampenöle werden für den Expositionsort Arbeitsplatz nur wenige Einzelfälle genannt. Besonders schwere Gesundheitsgefährdung geht hier von Feuerspuckerflüssigkeit aus. Durch Aspiration kann eine lebensgefährliche chemische Pneumonie ausgelöst werden.

6 Diskussion und Bewertung

6.2.5 Säuren

Säurekontakt führt bei menschlichem Gewebe zu Reizungen und Verätzungen vor allem von Haut, Atemwegen und Auge. Die Wirkung ist dabei stark von der Konzentration, der Einwirkzeit, der Art der Kontamination (z. B. Spritzer oder durchtränkte Kleidung) und Eigenschaften der Noxe wie dem pH-Wert, der Oxidationskraft, der Hygroskopizität und der Lipophilie abhängig. Verstärkte Wirkungen sind auch bei Mischungen von Säuren untereinander bzw. mit Oxidationsmittel zu erwarten. Beim Kontakt mit Proteinen führt der niedrige pH-Wert zu deren Denaturierung mit der Folge von Koagulationsnek-rosen. Dies stellt teilweise auch einen (vorübergehenden) Schutz vor weiterem Eindringen in tiefere Gewebsschichten dar. Stark hygroskopische Säuren (z. B. Schwefelsäure) schädigen das Gewebe zusätzlich durch Wasserentzug und die lokale Wärmeentwicklung. Besonders gefährlich werden Säu-ren, die durch hohe Lipidlöslichkeit Haut- (Schutz-)schichten durchdringen können (z. B. Flusssäure).

Tab. 29 zeigt als Übersicht die Eigenschaften, Kennzeichnung7 und Besonderheiten der in dieser Arbeit als toxisch relevant eingestuften und zugleich häufigsten Säuren.

Tab. 29: Übersicht zu gefährlichen Eigenschaften der Säuren [17]

Säure Konzen-tration

Einstufung Kennzeichnung

Besondere Eigenschaften und toxische Wirkungen

Schwefel-säure

≥ 15 % ätzend (C) R35

Extrem gewebezerstörend (bis zur „Verkoh-lung“, schwere Augenverletzungen möglich) 5–15 % reizend (Xi) R36/38 mit zunehmender Verdünnung weniger

aggres-siv, geringgradige Reizungen, Schäden reversi-bel

Salzsäure

≥ 25 % ätzend (C) R34-37

bei tiefer Inhalation sehr hoher Konzentratio-nen Schädigungen an tiefen Atemwegen (Ge-fahr: Lungenödem und Ausbildung von Mikrothromben) Infarkte in Lunge oder Herz, systemisch: Blutdruckerhöhung in den Arterien und Bradykardie

10–25 % reizend (Xi) R/36/37/38

bei Konzentrationen > 10 % Verätzungen 1. bis 3. Grades (weißliche bis

graue Ätzschorfe)

Phosphor-säure:

≥ 25 % ätzend (C) R34

Gefahr Lungenödem nach Inhalation der Säu-redämpfe

10–25 % reizend (Xi) R36/38 weniger aggressiv als Schwefel- oder Salpeter-säure

bei Augenkontakt Gelbfärbung der Schleimhäu-te durch XanthoproSchleimhäu-teinbildung, Perforation der Hornhaut,

Gefahr Lungenödem nach Inhalation 20–70 % ätzend (C)

R35

nach Verschlucken - selten - reflektorischer Herzstillstand, auch reflektorischer Kardia-schluss mit Arrosion

5–20 % ätzend (C) R34

7 Erläuterung zu den R-Sätzen siehe Anhang 9.2

Säure Konzen-tration

Einstufung Kennzeichnung

Besondere Eigenschaften und toxische Wirkungen

Flusssäure

≥ 7 % Sehr giftig (T+), ätzend (C) R26/27/28-35

AGW 1ml/m³ je nach Konz. schnelle bis zu Stunden verzögerte tiefe Zerstörung des Gewe-bes ,

lebensbedrohliche Intoxikationen: schwere Stoffwechselstörungen (Hypocalcämie), Herz-funktionsstörungen, Atemnot,

wegen hoher Lipidlöslichkeit starkes Penetrati-onsvermögen im menschlichen Gewebe: Vor-dringen bis zum Knochen, schon in geringen Konzentrationen stark gewebeschädigend, Gabe von Kalziumgluconat als Therapie 1–7 % giftig (T), ätzend

Bei den Vergiftungen mit Flusssäure wurden teilweise große Zeitintervalle zwischen Exposition und ärztlicher Beratung bzw. Behandlung dokumentiert. Zu erklären ist dies mit der Eigenschaft, dass Flusssäure fortschreitende ätzende Wirkungen über Stunden und Tage in tiefe Schichten bewirkt (Tab.

29). Außerdem sind die Haut- und Gewebeschädigungen anfangs nicht sehr schmerzhaft und die Hautoberfläche kann scheinbar intakt sein. Allerdings wurden auch Fehleinschätzungen von Ärzten bei der Erstversorgung beschrieben, so dass es zu verzögerter oder nicht adäquater Behandlung kam. Die Berater des GGIZ weisen klar auf die schweren Folgen einer Flusssäureverätzung hin und empfehlen die Vorstellung beim Chirurgen, Ca-Gluconatgabe als Umspritzung des betroffenen Gebietes ggf. auch arterielle Gabe, stationäre Beobachtung mit Monitoring des Ca-Spiegels.

Mischsäuren sind aufgrund ihrer Zusammensetzung (z. B. Salzsäure und Salpetersäure) als sehr gefährlich einzustufen. Bei chemischen Produkten sind Kombinationen von verschiedenen Säuren und Kombinationen von Säuren mit Oxidationsmitteln (z. B. Peroxide) häufig vorhanden.

Die Vergiftungen mit Säuren sind fast immer akute Verätzungen. Sie können schon nach etwa 60-90 Sekunden abgeschlossen sein (ÄMV 2005 S.23 [7]). Erste Hilfe Maßnahmen müssen deshalb sehr schnell eingeleitet werden. Bei der Inhalation von Säuredämpfen sind schädigende Wirkungen auch nach Stunden noch zu erwarten (z. B. Lungenödem durch Salpetersäuredämpfe). Ausgedehnte Verät-zungen können analog Verbrennungen auch durch akute Herz-Kreislauf-Reaktionen (Kollaps, Schock/

Schockfolgen) lebensbedrohlich werden. Überwiegend erfolgt die Intoxikation kutan und inhalativ.

Unabhängig vom Aufnahmeweg führt der Kontakt mit Säuren immer zu mehr oder weniger starken lokalen Schädigungen.

Sicherheitsdatenblätter müssen auch die (besonderen) Gefahren des Produktes und Erste-Hilfe-Maßnahmen nach einer etwaigen Exposition aufzeigen. Dies findet sich z. B. in dem Dokument zu Antox 71 E, einer flusssäurehaltigen Beizpaste [9]:

Punkt 4: Erste-Hilfe-Maßnahmen/Allgemeine Hinweise:

„Vergiftungssymptome können erst nach vielen Stunden auftreten, deshalb ist eine ärztliche Überwachung mindestens 48 Stunden nach einem Unfall not-wendig.“

nach Hautkontakt:

„Beschmutzte und getränkte Kleidung sofort ausziehen. Benetzte Haut gründ-lich mit Wasser und Seife reinigen oder geeignetes Reinigungsmittel benut-zen. Keine Lösemittel oder Verdünnungen verwenden! Soweit vorhanden Reinigung mit Polyethylenglycol 400 durchführen. Sofern vorhanden Cal-ciumgluconat auf Wunde auftragen. Sofort ärztliche Behandlung notwendig, da nicht behandelte Verätzungen zu schwer heilenden Wunden führen.“

6 Diskussion und Bewertung

6.2.6 Sonstige Grundsubstanzen