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sogenannten Normalisierung (1969–1989) 1

Im Dokument Politisches Entscheiden im Kalten Krieg (Seite 128-147)

Das Politbüro (PB) galt als das Machtzentrum der staatssozialistischen Regime.2 In der Tschechoslowakei lautete die offizielle Bezeichnung seit 1962 »Präsidium des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch)«.3 Der tschechische Historiker Karel Kaplan beschreibt das PB als »ab-soluten Machthaber«4 – es habe alles entschieden, kontrolliert und disponiert.

Er macht jedoch einen Vorbehalt: Wer entscheiden wollte, musste Beschlussvor-lagen haben. Somit war die umfassende Kompetenz des ZK-Präsidiums auf das Engste mit der Tätigkeit der ihm zuarbeitenden Apparate verknüpft.5 In wel-chem Verhältnis standen nun die Vorlagen, der Beschluss sowie die Sitzung und wie wurde im PB überhaupt entschieden und diskutiert? Spielte dieses zentrale kollektive Organ wahrhaftig die ihm von Kaplan zugeschriebene Rolle? Wa-ren es tatsächlich die geheimen Sitzungen des Politbüros, auf die alles ankam?

Oder wurden die Beschlüsse an anderer Stelle faktisch informell vorentschie-den? Gestaltete sich der Austausch im PB frei und offen, wie sich beispielsweise Zdeněk Hoření, der Chefredakteur der Parteizeitung Rudé právo (Rotes Recht),

1 Der folgende Beitrag entstand im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1150 »Kul-turen des Entscheidens« im Teilprojekt C07 »Politisches Entscheiden in der sozialistischen Tschechoslowakei« an der Universität Münster.

2 Zdeněk Mlynář, »Prager Frühling« 1968 und die gegenwärtige Krise politischer Systeme sowjetischen Typs, in: Ders. (Hg.), Der »Prager Frühling«. Ein wissenschaftliches Sym-posium, Köln 1983, S. 17–66, S. 24–25; Zum sowjetischen Politbüro vgl. John Löwenhardt (Hg.), The Rise and Fall of the Soviet Politburo, London 1992.

3 In den Jahren 1924–1945 und von 1954–1962 war die Bezeichnung Politbüro (politické byro). Im Folgenden werden beide Begriffe synonym verwendet. Auch wenn die offizielle Bezeichnung in den hier behandelten Jahren ›Präsidium‹ war, wurde und wird auch vom

›Politbüro‹ gesprochen. Vgl. beispielsweise Miroslav Vaněk / Pavel Urbášek (Hg.), Vítězové?

Poražení? Životopisná interview. II. díl. Politické elity v období tzv. normalizace, Praha 2005, S. 39.

4 Karel Kaplan, Anatomie einer regierenden kommunistischen Partei. Teil 2: Das Politbüro (ZK-Präsidium), in: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internatio-nale Studien 26 (1983), S. 1; ders., The Communist Party in Power, London 1978.

5 Ebd.

erinnert?6 Welche Rolle spielten distinkte Gruppen innerhalb des PB und ihre Netzwerke,7 der Generalsekretär8 und der sowjetische Bündnispartner beim Entscheiden?9 In welchem Verhältnis standen formales Verfahren und infor-melle Praktiken?10

Im folgenden Beitrag werden anhand der Verlaufsprotokolle exemplarisch drei Präsidiumssitzungen mit Blick auf die Kommunikation der Teilnehmer analysiert. Die gewählten Beispiele sind zum einen eine Präsidiumssitzung im Mai 1975, bei der es um die Wahl des Präsidenten der Republik und die delikate Frage der Ämterkumulation ging. Sollte der seit April 1969 amtierende Gene-ralsekretär der Partei, Gustáv Husák, zusätzlich das Amt des Präsidenten der Republik übernehmen und somit zwei zentrale Funktionen in seiner Person vereinigen?11 Auch wenn sich die realen Machtbefugnisse des Präsidenten in Grenzen hielten, kam diesem Amt seit der Ersten Tschechoslowakischen Repu-blik (1918–1938) prestigebedingt eine große Bedeutung zu.12

Auf zwei anderen Präsidiumssitzungen im Sommer 198013 wurde der Anstieg der Fleischpreise diskutiert.14 Die Erhöhung von Lebensmittelpreisen beleuchtet

6 Vaněk / Urbášek, Vítězové? Poražení? (wie Anm. 3), S. 146; Zdeněk Hoření nahm seit 1983 in seiner Funktion als Chefredakteur der Parteizeitung Rudé právo an den ZK -Präsi-diumssitzungen teil. Vgl. ebd., Interview mit Zdeněk Hoření (2.10.2016).

7 Zur Rolle von Netzwerken und Patronage vgl. insbesondere die dazu umfangreiche Lite-ratur für die Sowjetunion und die KPdSU: John P. Willerton, Patronage and Politics in the USSR, Cambridge 1992; John H. Miller, Putting Clients in Place. The Role of Patronage in Cooption into the Soviet Leadership, in: Archie Brown (Hg.), Political Leadership in the Soviet Union, Bloomington 1989, S. 54–95; Susanne Schattenberg, Leonid Breschnew.

Staatsmann und Schauspieler im Schatten Stalins. Eine Biographie, Köln 2017, S. 295–412.

8 1953–1972 war die Bezeichnung Erster Sekretär. Karel Kaplan, Anatomie einer regieren-den kommunistischen Partei, Teil I: Der Generalsekretär, Köln 1983, S. 1.

9 Ders., Anatomie einer regierenden kommunistischen Partei, Teil 5: Hinter den Kulissen des zentralen Parteiapparats (»Zentralsekretariat«) der KPC, Köln 1989; ders., Der Gene-ralsekretär, Teil 1 (wie Anm. 8).

10 Vgl. hierzu Stephan Bröchler / Timo Grunden (Hg.), Informelle Politik. Konzepte, Akteure und Prozesse, Wiesbaden 2014; Patrick Köllner, »Informelle Politik« und »informelle Institutionen«. Konzeptionelle Grundlagen, analytische Zugänge und Herausforderun-gen für das Studium autoritärer und anderer politischer Herrschaftssysteme, in: GIGA Working Papers 192 (2012), https://www.giga-hamburg.de/de/system/files/publications/

wp192_koellner.pdf (Stand: 7.7.2019); Victoria von Groddeck / Sylvia Marlene Wilz (Hg.), Formalität und Informalität in Organisationen, Wiesbaden 2015.

11 Národní archiv České republiky (künftig: NAČR), Praha, fond Ústřední výbor KSČ (künftig: ÚVKSČ) 1945–1989, 02/1 Předsednictvo ÚVKSČ (künftig: PÚVÚVKSČ) 1971–

1976, svazek (künftig: sv.) 154, archivní jednotka (künftig: a. j.) 158, bod (künftig: b.) 0;

Michal Macháček, Podivná jednota. Gustáv Husák a mocenskopolitické zápasy v KSČ na příkladě prezidentské otázky (1969–1975), in: Soudobé dějiny 3–4 (2015), S. 299–347;

ders., Gustáv Husák, Praha 2017, S. 433–453.

12 Vgl. Marie Ryantova u. a. (Hg.), Českoslovenští prezidenti, Praha 2016.

13 Der zweite Termin war die Fortsetzung der bei der ersten Sitzung nicht beendeten Dis-kussion.

14 Zasedání PÚVKSČ z  6.  a 13.6.1980. NA ČR, Praha, f. ÚVKSČ, 02/1 PÚVÚV KSČ 1976–1981, sv. 144, a. j. 140, b. 0, 12; sv. 144–145, a. j. 141, b. 0, 14.

das fortwährende Problem der politischen Führung, Versorgungsengpässe im Rahmen einer zentralistischen Plan- und Mangelwirtschaft zu bewältigen. So galt es, Knappheit an Waren und Preiserhöhungen zu vermeiden, um Unruhen in der Bevölkerung zu verhindern. Eine funktionierende Versorgung der Bürger mit preiswerten Lebensmitteln wirkte systemstabilisierend und sollte Loyalität zwischen der Bevölkerung und dem Staat schaffen. Andererseits lagen die staat-lich subventionierten niedrigen Fleischpreise unter den Produktionskosten, was wirtschaftlich auf lange Sicht kaum tragbar war. Hinzu kam, dass man wieder-holt aufgrund eines Mangels an Futtermitteln Getreide im Westen gegen wert-volle und nur sehr begrenzt vorhandene Devisen einkaufen musste.

Die Auswahl gerade dieser Beispiele erfolgte, da sie zweifelsohne für das Regime wichtig waren und zu ihnen Verlaufsprotokolle der Besprechungen mit den Beiträgen der einzelnen Teilnehmer vorliegen.15 Solche stenografischen Verlaufsprotokolle wurden nämlich nur zu wenigen Präsidiumssitzungen ver-fasst. In der Regel machte der Protokollant nur stichwortartige und oft schlecht zu entziffernde handschriftliche Notizen zu den Äußerungen der einzelnen Mitglieder. Zentral für das Regime waren die Beschlüsse als solche, nicht aber der Verlauf der Sitzungen. Jedes Präsidiumsmitglied hatte jedoch das Recht, die Anfertigung eines Verlaufsprotokolls einzufordern. Zu einigen Sitzungen, wie den hier behandelten, die den Teilnehmern anscheinend besonders wichtig erschienen, liegen sie vor.16 Sie dienen hier als Grundlage, um die Formen der Kommunikation und das Entscheiden im Politbüro zu analysieren. Im Unter-schied zu den Beschlussprotokollen, mit denen in der Regel in der Forschung gearbeitet wird, geben die Verlaufsprotokolle darüber Auskunft, wie mit Ent-scheidungsalternativen und dissentierenden Meinungen (sofern es sie gab) um-gegangen wurde.

Als Quellenbasis für den Aufsatz dienen somit die stenografischen Verlaufs-protokolle sowie die schriftlichen Unterlagen, welche die Präsidiumsmitglieder zu den Tagesordnungspunkten im Vorfeld der Sitzung erhielten.17 Des Weite-ren erfolgt ein Abgleich der Beschlussentwürfe und der Beschlüsse als solcher,

15 In dem Teilprojekt C07 »Politisches Entscheiden in der sozialistischen Tschechoslowakei«

werden insbesondere zwei Aspekte untersucht. 1. Die Kommunikation der Präsidiums-mitglieder während der Sitzungen aufgrund der stichwortartigen sowie – soweit vorhan-den – stenografischen Aufzeichnungen. 2. Die Bedeutung der vorab erfolgten schrift-lichen Stellungnahmen der jeweiligen ZK-Abteilung auf Anträge der Regierung und anderer staatlicher Organe. Die Analyse dieser Gutachten ermöglicht es, das Verhältnis von Staats- und Parteiorganen im Entscheidungsprozess zu beurteilen. Vgl. Ellen Jones, Committée Decision Making in the Soviet Union, in: World Politics 36 (1984), S. 165–188.

16 Vgl. beispielsweise Kapeks Forderung, auf der Sitzung des ZK-Präsidiums der KPTsch am 19.11.1987 eine stenografische Aufzeichnung anzufertigen. František Koudelka (Hg.), Husákův pád 1987. Dokumenty k oddělení funkcí prezidenta ČSSR a generálního tajem-níka KSČ a k nástupu Miloše Jakeše do čela KSČ, in: Soudobé dějiny 3 (2000), S. 471–525, S. 499.

17 Dabei handelte es sich in der Regel um den Antrag eines Ministeriums, der eine Begrün-dung beinhaltete. Die zuständige ZK-Abteilung verfasste eine Stellungnahme.

um sehen zu können, inwiefern die bereits im Vorfeld gefällten Entscheidungen noch aufgrund der Diskussionen im Politbüro geändert wurden.

Der erste Teil des Beitrags geht zunächst auf das Präsidium des Zentralkomi-tees als Institution ein, um anschließend den Verlauf der Verhandlung der drei ausgewählten Sitzungen zu analysieren. Bei der Diskussion über die Erhöhung der Fleischpreise und die Versorgung mit tierischen Nahrungsmitteln werden zudem exemplarisch die Aushandlungsprozesse zwischen dem Ministerium, der zuständigen ZK-Abteilung sowie dem Politbüro behandelt.

1. Das Präsidium des Zentralkomitees der KPTsch

Das tschechoslowakische ZK-Präsidium hatte in der Zeit der ›Normalisierung‹

seit Anfang der 1970er Jahre elf bzw. zwölf Mitglieder.18 Dazu zählten der Ge-neralsekretär, der Präsident, vier ZK-Sekretäre, die Vorsitzenden der föderalen, der slowakischen und der tschechischen Regierung, der Gewerkschaftschef sowie die Vorsitzenden der Föderalen Versammlung und des tschechischen Nationalrats. In der Regel fanden die Sitzungen einmal wöchentlich statt, und zwar am Freitag.19 An ihnen nahmen neben den ordentlichen Mitgliedern noch folgende Personen teil: einer bzw. beide Kandidaten des Präsidiums, mehrere Sekretäre des ZK,20 der Chefredakteur der Parteizeitung Rudé právo, der Vorsit-zende der Zentralen Kontroll- und Revisionskommission der Partei sowie drei weitere Mitarbeiter des Parteiapparats.21 Insgesamt wohnten den Sitzungen so-mit circa zwanzig Personen bei. Die größte Gruppe war die der ZK-Sekretäre.22

Formal waren nur die ZK-Präsidiumsmitglieder stimmberechtigt. In der Praxis wurde allerdings nicht abgestimmt, und auch die nichtstimmberechtig-ten Teilnehmer brachnichtstimmberechtig-ten sich in die Diskussionen ein. Minister und Referennichtstimmberechtig-ten wurden nur zu einzelnen Tagesordnungspunkten hinzugerufen.

In den Jahren 1977–1979 tagte das Politbüro beispielsweise im Durchschnitt dreimal pro Monat. Auf jeder Sitzung wurden im Schnitt zwischen 16 und 19 Tagesordnungspunkte verhandelt. Auf das Jahr berechnet belief sich die

An-18 František Štverák, Schematismus k dějinám komunistické strany Československa (1921–1992). Základní informace o ústředních orgánech a biografické údaje o vedoucích představitelích strany, Praha 2010, S. 248–250.

19 In der Zeit Novotnýs (1953–1967) fanden die Sitzungen dienstags statt. Kaplan, Politbüro (wie Anm. 4), S. 30.

20 Ebd., S. 38.

21 Letztere führten unter anderem das Protokoll.

22 An der Sitzung des Präsidiums am 5.11.1982 nahmen beispielsweise außer den zwölf Mit-gliedern und einem Kandidaten als zugeladene Genossen weitere sieben ZK-Sekretäre, der Leiter der Revisionskommission der Partei, der Leiter der Allgemeinen ZK-Abteilung, der Leiter des Sekretariats des Generalsekretärs sowie der Protokollant aus der Allgemei-nen ZK-Abteilung teil.

zahl der behandelten Punkte auf 581 (1977), 558 (1978) und 552 (1979).23 Ver-ständlicherweise wurden nicht alle Gegenstände gleich intensiv besprochen. In der Regel konzentrierten sich die Präsidiumsmitglieder auf drei bis fünf Punkte, die übrigen unterlagen keiner eingehenden Aussprache.

Wie verliefen die Sitzungen? Geleitet wurden sie vom Generalsekretär, der vorab auch über die zu behandelnden Tagesordnungspunkte entschied. Die Allgemeine Abteilung des Zentralkomitees, welche die Treffen vorbereitete, unterbreitete ihm hierzu Vorschläge. Den Mitgliedern und Kandidaten gingen vorab Dossiers zu, die eine schriftliche Begründung des jeweiligen Antrags sowie die Stellungnahme der zuständigen ZK-Abteilung enthielten. Am Tag der Sitzung wurden für die Mitglieder ebenso wie für die zugeladenen Teilnehmer Anwesenheitslisten geführt. Jeder Tagesordnungspunkt war vom Antragsteller kurz zu begründen. Danach konnten Fragen gestellt werden und anschließend folgte eine Diskussion. Dem Generalsekretär oblag es, diese zu beenden, indem er den Beschluss, zu dem bereits ein Entwurf vorlag, formulierte. Der Proto-kollant vermerkte genau, wer zu welchem Vorgang das Wort ergriff und sich in der Diskussion äußerte. Die einzelnen Standpunkte hielt er jedoch in seinen Diskussionsnotizen oft nicht fest.

Nach den Säuberungen innerhalb der KPTsch infolge der Niederschlagung des Prager Frühlings24 zeichnete sich das ZK-Präsidium in der Zeit der ›Nor-malisierung‹ seit Anfang der 1970er Jahre bis 1987 durch eine hohe personelle Kontinuität aus.25 Die in diesem Gremium vereinigte politische Führung der Tschechoslowakei trat nach außen geschlossen auf. In der Forschungsliteratur wird dennoch von zwei Gruppen bzw. Lagern gesprochen:26 Der ersten gehörte die konservativ-dogmatische Mehrheit um Vasil’ Bil’ak und Alois Indra an.27 Dieser so genannte ›gesunde Kern‹ (so die Selbstbezeichnung der Akteure) war bereits 1968 gegen den Reformkurs Dubčeks vorgegangen und hatte bei der Niederschlagung des Prager Frühlings besonders eng mit der Sowjetunion

23 Vgl. hierzu die Angaben zu den 1950er und 1960er Jahren bei Kaplan. 1948 behandelte das Politbüro der KPTsch 256 Punkte, d. h. im Durchschnitt 4,4 Punkte pro Sitzung. Von 1954 bis 1958 standen durchschnittlich 29 Punkte auf jeder Zusammenkunft des Polit-büros auf dem Programm. Bei circa zehn Sitzungen war jeweils nur ein einziger Punkt auf der Tagesordnung, etwa fünf bis sechs Punkte enthielten Informationen. Im ersten Halbjahr 1965, 1966, 1967 lagen dem ZK-Präsidium 433, 385 bzw. 429 Vorgänge vor.

Somit entfielen 1965 durchschnittlich auf jede Sitzung 19 Programmpunkte, 1966 waren es 18 und 1967 21. Die Anzahl der Informationen beliefen sich 1965 auf 158, 1966 auf 155 und 1967 auf 147 Punkte. Vgl. ebd., S. 32–33.

24 Jiří Maňák, Čistky v Komunistické straně Československa v letech 1969–1970, Praha 1997.

25 Jan Rataj, Československo v proměnách komunistického režimu, Praha 2010, S. 371;

Martin Štefek, Za fasádou jednoty. KSČ a SED po roce 1985, Červený Kostelec 2014, S. 83;

Michal Macháček, Gustáv Husák, Praha 2017, S. 429.

26 Štefek, Za fasádou jednoty (wie Anm. 25); Macháček, Gustáv Husák (wie Anm. 25), S. 429–432.

27 Lubomír Štrougal, Ještě pár odpovědí, Praha 2011, S. 74.

zusammengearbeitet. Zu ihnen gehörten unter anderem die fünf Verfasser des Einladungsbriefes zur sowjetischen Intervention in die Tschechoslowakei.28

Die andere, kleinere Gruppe um den Premierminister der Föderalen Regie-rung, Lubomír Štrougal, war in wirtschaftlichen Fragen eher pragmatisch aus-gerichtet. Zu Teilen bestand sie aus ehemaligen Reformern, die nach der Inva-sion von 1968 auf den von der Sowjetunion vorgegebenen Kurs eingeschwenkt waren. Laut Martin Štefek lavierte Generalsekretär Husák zwischen diesen beiden Lagern im ZK-Präsidium und wirkte als Parteiführer konziliant und politisch ausgleichend.29 Der Historiker Karel Kaplan zählt die Präsidiums-mitglieder Peter Colotka, Josef Kempný, Miloslav Hruškovič, Josef Korčak, Lubomír Štrougal und Václav Hůla zu den Gefolgsleuten des Generalsekretärs.30

Differenzen zwischen den beiden Gruppen lassen sich in der Beurteilung des Prager Frühlings,31 in wirtschaftlichen Fragen und auch mit Blick auf die Beziehungen zur Sowjetunion ausmachen. Beide Gruppen stellten das Ver-hältnis zur Großmacht nicht in Frage; dieses war sakrosankt. Hinsichtlich des Verbleibs der seit der Invasion von 1968 auf tschechoslowakischem Territorium stationierten sowjetischen Truppen gingen die in Erinnerungen post festum ge-äußerten Ansichten allerdings auseinander.32 So betont Lubomír Štrougal in seinen Erinnerungen, er habe wiederholt mit Husák darüber gesprochen, dass ein Abzug der Roten Armee in der Bevölkerung eine sehr positive Aufnahme fände. Obwohl Letzterer Štrougals Ansicht teilte, verfolgte er diese Angelegen-heit aufgrund der ablehnenden Haltung der sowjetischen Seite nicht nachhaltig.

Beide Lager bemühten sich um das Wohlwollen der Sowjetunion, die sie re-gelmäßig über das Geschehen in Prag informierten.33 Die Mitarbeiter der

sow-28 Das Schreiben trägt die Unterschriften von Alois Indra, Drahomír Kolder, Antonín Ka-pek, Oldřich Švestka und Vasil’ Bil’ak. Vgl. František Janáček / Marie Michálková, Příběh zvacího dopisu, in: Soudobé dějiny 1 (1993), S. 87–101, http://www.68.usd.cas.cz/files/

studie/Pribeh_zvaciho_dopisu.pdf (Stand: 7.7.2019); Lutz Prieß, Der Einladungsbrief zur Intervention in die ČSSR 1968, in: Deutschland Archiv 27 (1994), S. 1252–1255.

29 Štefek, Za fasádou jednoty (wie Anm. 25); so auch Lubomír Štrougal in seinen Erinne-rungen: Lubomír Štrougal, Paměti a úvahy, Praha 2009, S. 215; ders., Ještě pár odpovědí, Praha 2011, S. 57, 74–75 u. 102.

30 Kaplan, Politbüro (wie Anm. 4), S. 9; ders., The Communist Party (wie Anm. 4), S. 102.

31 Nach 1989 äußerten Husák und Štrougal Kritik an dem Dokument »Die Lehren aus der krisenhaften Entwicklung in Partei und Gesellschaft nach dem XIII. Parteitag der KPČ«, in welchem die konservativen Kräfte der KPTsch die Ereignisse des Prager Frühlings in ihrem Sinne als »Konterrevolution« interpretierten. Macháček, Gustáv Husák (wie Anm. 25), S. 424.

32 Ebd., S. 483–486.

33 Michal Macháček hat als erster Forscher im Rossijskij gosudarstvennyj archiv novejšej istorii (RGANI) in Moskau Zugang zur Personalakte Gustáv Husáks bekommen. Diese von der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU geführte Akte besteht zu Teilen aus Gesprächsberichten, in den Angehörigen der sowjetischen Botschaft sowie andere im Dienste der Sowjetunion stehende Personen über ihre aus den Unterredungen mit tschechoslowakischen Politikern sowie deren Mitarbeitern und Ratgeber gewonnenen Informationen berichten. Vgl. ebd.; Štrougal, Paměti a úvahy (wie Anm. 29), S. 215.

jetischen Botschaft und andere in Moskaus Diensten stehende Informanten, wie Journalisten und Beschäftigte des Geheimdienstes (KGB), sammelten relevante Informationen direkt in der Tschechoslowakei. Sie teilten in ihren Berichten nach Moskau zumeist die Ansichten der konservativ-dogmatischen Gruppe um Vasil’ Bil’ak und Alois Indra.34

1.1 Der Generalsekretär

Dem Generalsekretär kam offiziell die Rolle eines primus inter pares in her-ausgehobener Position zu.35 Nur er hatte Zugang zu allen Informationen, was neben der Kaderpolitik sein vorrangiges Machtmittel war. Er entschied, wovon die anderen Politbüromitglieder Kenntnis erhielten. Er allein war der direkte Ansprechpartner des sowjetischen Generalsekretärs. Andererseits hing er un-mittelbar vom Wohlwollen der Sowjetunion ab, und auch er musste Rücksicht auf die bestehenden Machtverhältnisse im Politbüro nehmen, wo die konserva-tiv-dogmatische Gruppe aufgrund der sowjetischen Unterstützung die Mehrheit innehatte. In der Regel sorgte der Generalsekretär zu Beginn seiner Amtszeit dafür, in den Spitzenorganen (PB und Sekretariat) ihm genehme Persönlichkei-ten durchzusetzen. Husák gelang es aufgrund der starken Position der Hardliner nie, ein ihm völlig loyales Organ zu schaffen.

Den Werdegang des Generalsekretärs Gustáv Husák wird man nicht als den eines typischen Parteifunktionärs bezeichnen können.36 Der Slowake hatte noch in der Zwischenkriegszeit in Bratislava Jura studiert. Seit 1929 gehörte er dem Kommunistischen Jugendverband, seit 1933 der KPTsch an. Am Slo-wakischen Nationalaufstand gegen die Nationalsozialisten beteiligte er sich in einer herausgehobenen Position. In den ersten Nachkriegsjahren hatte Husák wichtige Partei- und Regierungsämter in der slowakischen Teilrepublik inne.

1950 wurde er jedoch im Rahmen eines stalinistischen Schauprozesses des

»bourgeoisen Nationalismus« beschuldigt, aller Ämter enthoben und zu lebens-langer Haft verurteilt. Erst 1960 erfolgte seine Amnestie, die Rehabilitation ließ weitere drei Jahre auf sich warten.37 Der Aufstieg in wichtige Parteiämter war Husák auch weiterhin verwehrt. Er wirkte in dieser Zeit am Institut für Staat und Recht der Slowakischen Akademie der Wissenschaften und verfasste unter anderem eine Monographie zum Slowakischen Nationalaufstand.38 In der Zeit des Prager Frühlings setzte er sich dann für die Föderalisierung der beiden

34 Ebd., S. 413.

35 Kaplan, The Communist Party (wie Anm. 4), S. 95.

36 Zur Biographie Husáks vgl. Macháček, Gustáv Husák (wie Anm. 25); Michal Pullmann, Gustáv Husák (1913–1991). ČSSR: Der Herr mit Vergangenheit, in: Martin Sabrow / Susanne Schattenberg (Hg.), Die letzten Generalsekretäre. Kommunistische Herrschaft im Spätsozialismus, Berlin 2018, S. 145–170.

37 Pullmann, Gustáv Husák (wie Anm. 36), S. 147.

38 Gustáv Husák, Der slowakische Nationalaufstand, Berlin 1972.

Teilrepubliken ein. Es war das einzige Reformprojekt jener Zeit, welches die Invasion der Warschauer Paktstaaten überdauern sollte. Nach dem Einmarsch konnte er Brežnev davon überzeugen, dass er die richtige Person für den Vorsitz der KPTsch sei und eine ›Konsolidierung‹ der Verhältnisse im Einklang mit der Sowjetunion herstellen werde. Im Unterschied zu anderen kommunistischen Parteiführern, die in der Regel zuvor jahrelang im Parteiapparat als Sekretäre gewirkt und sich umfangreiche Netzwerke aufgebaut hatten, verfügte Husák 1969 aufgrund seiner Biographie über keine nennenswerte Gefolgschaft unter den Parteifunktionären.39

Gustáv Husák stand in der Umbruchzeit nach der militärischen Invasion am 21. August 1968 mit dem KGB-Agenten Elisej Sinicyn in Kontakt, der eine direkte Verbindung zum sowjetischen Generalsekretär Leonid Brežnev her-stellte. Sinicyn wirkte dann seit März 1970 als offizieller Vertreter des KGB beim tschechoslowakischen Innenministerium.40 Er übergab Husák einen modernen amerikanischen Sender, mit dem er direkt mit Brežnev kommunizieren konn-te.41 Der Vorsitzende der Föderalen Regierung, Lubomír Štrougal, erinnerte sich, dass zwischen Brežnev und Husák wöchentlich Telefonate stattfanden.

Nach diesen habe Štrougal oft Anweisungen erhalten, um diverse Maßnahmen zu ergreifen bzw. vorzubereiten.42

Auch über einen anderen Kanal fand ein informeller Austausch zwischen den beiden Generalsekretären statt. Husák genoss das Privileg, auf Einladung der

Auch über einen anderen Kanal fand ein informeller Austausch zwischen den beiden Generalsekretären statt. Husák genoss das Privileg, auf Einladung der

Im Dokument Politisches Entscheiden im Kalten Krieg (Seite 128-147)