• Keine Ergebnisse gefunden

TEIL II: EMPIRISCHER TEIL

8 Ergebnisse der ExpertInneninterviews

8.2 Selbststigmatisierung

Bewältigungsres-41

sourcen für Betroffene. Auch diejenigen Freunde/Freundinnen, die zu den Betroffenen halten und diese aufgrund ihrer Erkrankung nicht fallenlassen, werden als hilfreiche Be-wältigungsressourcen beschrieben (5, 165–168). Allgemein seien die engen sozialen Kontakte wie beispielsweise eine funktionierende Partnerschaft, die Familie und die Ge-schwister eine wichtige Bewältigungsressource für Betroffene (4, 59–61).

42

den Weg trauen. Wandelt auf schmalstem Grad und hofft nur, dass die Medikamente um Himmels willen wirken mögen (3, 236240).

Weiterhin wird berichtet, dass die depressive Phase selbst zu einer Selbststigmatisierung bei Betroffenen beitrage (1, 241–243). So komme es vor, dass Betroffene während einer depressiven Phase ihre eigene Person als faul beschimpfen und sich selbst die Schuld für alles geben (5, 96–98). Allerdings könne auch die Manie zu einer Selbststigmatisierung beitragen. Denn wenn Betroffene wieder aus ihrer Manie herauskommen, würden sie sich oft für ihr Verhalten während der Manie schämen.

Wenn der Erkrankte selbst von seiner Manie herauskommt, dann schämt er sich na-türlich auch selber, dann guckt er und denkt, was hab ich da alles gemacht. Er ver-gisst es ja nicht, er weiß ja, dass er das getan hat und ist dann natürlich auch völlig ir-ritiert und verunsichert, was eben sein Selbst anbelangt, mehr noch als die Umwelt.

Das führt dann natürlich auch zu Selbststigmatisierung (5, 67–70).

Darüber hinaus bringen die ExpertInnen die Problematik zum Ausdruck, dass je mehr die Betroffenen sich selber stigmatisieren, desto schwieriger es für sie werde, ihren Alltag zu führen und die Leistung zu erbringen, welche die Gesellschaft ihnen abverlange (5, 209–

212). Beispielsweise würden sich Menschen mit einer Bipolaren Störung damit schwertun, neue Leute kennenzulernen, da sie das Gefühl hätten, etwas vor diesen Menschen zu verbergen (1, 224–225).

8.2.2 Bewältigungsstrategien und -ressourcen

Die befragten ExpertInnen geben einige hilfreiche Hinweise, wie Betroffene mit der Prob-lematik der Selbststigmatisierung umgehen können. Ihnen wird empfohlen, auch nach der Erkrankung ihre Hobbies weiterhin genauso auszuüben. Auf diesem Wege könnten sie die Selbststigmatisierung vermeiden und erkennen, dass sie trotz der Erkrankung vieles problemlos weiter ausüben können (2, 267–270). Eine wichtige Rolle bei der Reduzierung von Selbststigmatisierung spiele ein hohes Selbstbewusstsein der Betroffenen (1, 231–

233). Denn die Selbststigmatisierung können Betroffene nur selbst bewältigen, indem sie ihre Identität und ihre eigene Person akzeptieren (4, 86–92). Diesbezüglich äußert sich ein Experte/eine Expertin folgendermaßen.

Das ist eine allgemein menschliche Geschichte, dass wir alle nicht wirklich lernen, uns selbst vorbehaltlos zu lieben. Also uns anzunehmen, mit all dem, was wir sind, in der Dunkelheit und im Licht, weil wir sind beides (5, 233–235).

Weiterhin wird angemerkt, dass es vielen Menschen mit einer Bipolaren Störung besser geht, wenn sie sich nicht zu sehr mit der Erkrankung identifizieren (1, 160–163). Demnach sollen die Betroffenen die Erkrankung nicht als einen großen Teil ihrer Person oder ihrer Identität betrachten. Weiterhin weist ein/e ExpertIn darauf hin, dass Betroffene Stigma

43

nicht als ein Außenleben betrachten sollen, sondern von innen. Folglich dürfen Betroffene selbst ihre Andersartigkeit keineswegs als negativ betrachten, sondern lediglich als an-ders (4, 416–424). Wie im Umgang mit der öffentlichen Stigmatisierung sei es auch zur Reduzierung von Selbststigmatisierung hilfreich, sich selbst über die Erkrankung zu in-formieren und sich Wissen darüber anzueignen (2, 274–275). Es sei also sehr wichtig, dass Betroffene sich aktiv mit dem Thema der Stigmatisierung auseinandersetzen und keinesfalls tatenlos die Stigmatisierung akzeptieren (4, 262–272). Ein/e Befragte/r macht die Wichtigkeit, dass Betroffene sich mit dem Thema beschäftigen, mit den folgenden Worten deutlich:

Und je mehr sich die Leute darauf einlassen zu sagen, hier ist was woran ich arbeiten kann und das ist etwas, was ich erstmal annehme als Plattform. Je mehr das im Be-wusstsein ist, desto leichter ist es, was zu tun. Das kommt aber nicht sofort, der Pro-zess. (4, 305–308).

Dazu gehöre ebenfalls, dass Betroffene in sich hineinschauen und sich reflektieren, um die eigenen Möglichkeiten zu erkennen.

Das meinich mit Introspektion, also in sich hineinzuschauen und zu gucken, was ist denn da und wo sind die Möglichkeiten und wo sind die Unmöglichkeiten. (…) Da ist nicht unbedingt nur was krank, sondern das, was ich vielleicht als krank bezeichnet hab, hat ja auch Chancen in sich drin (4, 285–289).

Wie bei der Bewältigung von öffentlichen Stigmatisierungserfahrungen, spielt die Selbst-hilfegruppe auch bei der Bewältigung von Selbststigmatisierung eine essentielle Rolle.

Durch die Teilnahme in einer Selbsthilfegruppe würden Betroffene erkennen, dass sie mit der Erkrankung nicht allein dastehen. Sie würden beispielhaft an anderen Betroffenen sehen, dass trotz der Erkrankung ein „normales“ Leben möglich ist. Der/die Befragte misst dieser positiven Wirkung von Selbsthilfegruppen auf Betroffene einen großen Wert bei.

Für mich z.B. war es das erste Mal in meinem Leben, dass ich jemandem gegenüber-saß, der dieselbe Erkrankung hat wie ich. Und ich hab mich unheimlich schnell mit den Leuten verbunden gefühlt. Wenn man sich durch irgendein Merkmal von den meisten Menschen in seiner Umgebung unterscheidet, dann tut es gut, jemanden, der das gleiche Merkmal hat, zumindest mal zu sehen, um zu sagen: Hey, ich bin nicht der einzige. Oder was für mich wahnsinnig toll war: Ich war ziemlich depressiv und ich war mir sicher, dass ich nie einen Beruf haben könnte und dass ich nie Familie haben werde. Und dann hab ich auf einen Schlag gesehen, da sind Menschen neben mir, die haben die gleiche Erkrankung und die haben auch mindestens so schwere Pha-sen mitgemacht. Die erzählen aber von ihrer Ausbildung, von ihrem Studium, von ih-rem Beruf, von ihrer Frau, von ihih-rem Freund, von ihren Kindern. Einfach mal zu se-hen, wie andere Leute mit ihrer Erkrankung leben können und gut leben können, das ist eine unheimlich wichtige Erfahrung (1, 165–176).

44

Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass ein Stigma nur dann funktioniere, wenn jemand es für sich als solches akzeptiere. Diesen Prozess können Betroffene gemeinsam in einer Selbsthilfegruppe umkehren.

Ein Stigma funktioniert nur dann, wenn jemand es auch für sich als solches akzeptiert.

Ich hab‘ keine Wunde mehr, ich hatte sie aber. Und diesen Prozess umzukehren und auf den neuen Weg zu bringen, ist das, was man auch gemeinsam in Gruppen, Selbsthilfegruppen miteinander gut auf den Weg bringen kann (4, 210–213).

Die positive Wirkung der Teilnahme in einer Selbsthilfegruppe wird auch in der folgenden Aussage eines Experten/einer Expertin ersichtlich.

Also ich glaube diejenigen, die zu einer Selbsthilfegruppe gehen, beschäftigen sich damit. Und kommen früher oder später auf den Gedanken: Hey, wie sehr mach ich mich selber fertig, wie sehr schadet es mir, dass ich mir selbst dieses Stigma gebe (1, 238–240).

Verschiedene Aussagen der Befragten deuten darauf hin, dass die Betroffenen keinesfalls hilflos der Situation ausgeliefert sind. Das Thema Stigmatisierung wird vielmehr als ein Wechselspiel zwischen den Eindrücken von außen und der eigenen Sichtweise auf die Erkrankung betrachtet.

Stigmatisierung ist ja nicht nur etwas von außen. Wir sind ja im ständigen Wechsel-spiel. Es gibt diesen Spruch: Die Welt ist wie ein Spiegel, lächele hinein und sie lä-chelt zurück. Also so wie ich mich gebe, wie ich auftrete, wie ich auch selbstbewusst bin, selbstbewusst mit meiner Erkrankung umgehe (5, 180–183).

Ähnliches beschreibt auch folgende Aussage:

… dieses Thema Stigma, Wunde, Wundmal, ist ja eine von außen induzierte Erschei-nung, um es mal neutral zu sagen. Eine von außen induzierte Erscheinung ist das Thema Stigma für den, der das von außen hineinbekommt aus dem gesellschaftlich antizipierten Bereich. In Wirklichkeit aber ist es ja auch nur dann wirksam, wenn je-mand, der ein Stigma zugetan oder zugeschoben bekommt, das für sich als Stigma annimmt, sonst nicht (4, 199–204).

Zusätzlich sehen die ExpertInnen Psychotherapie als eine gute Möglichkeit, mit der Selbststigmatisierung umzugehen, indem das Thema dort mit dem Therapeuten/der The-rapeutin besprochen und behandelt wird (1, 249–257). Aber auch nahe soziale Gruppen wie beispielsweise die Familie oder enge FreundInnen könnten dazu verhelfen, Stigmata unwirksam zu machen (4, 215–218). Des Weiteren erklärt ein/e ExpertIn im folgenden Zitat, dass ein hohes Bildungsniveau bei den Betroffenen den Umgang mit der Selbst-stigmatisierung deutlich vereinfache.

… die Lernfähigkeit, die Möglichkeit sich selber zu reflektieren, Retrospektion und das, was dazu gehört in sozialem Kontakt mit anderen Menschen, ist wirklich wichtig. Und das höhere Bildungsniveau spielt einfach eine Rolle da an der Stelle (4, 240242).

45