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Die „Seelen-Aerzte“

Im Dokument Nietzsches Gesundheitsphilosophie (Seite 167-173)

VIII. Kapitel: Der Arzt der Seele und der Philosophische Arzt als neuer Arzt, der die

21. Die „Seelen-Aerzte“

Nietzsche behauptet, dass seine Philosophie eine andere Seite des Daseins, die er selbst getadelt hat, freiwillig aufsucht.867 Für ihn ist die Philosophie das Mittel der Heilung, die das Gebiet der Unwahrheit, das sich hinter der Wahrheit verbirgt bzw. die immanente Möglichkeit der Krankheit, die der Gesundheit innewohnt, auflösen kann. Damit ist gemeint das Missverständnis der Welt und des Lebens, das durch die gegensätzliche Beziehung zwischen Wahrheit und Unwahrheit produziert wird, und das Missverständnis des Leibes, das durch die gegensätzliche Beziehung zwischen Gesundheit und Krankheit produziert wird.

Darum ist der Philosoph nicht der Anhänger einer Wahrheit, die vom Gesichtspunkt der Wahrheit das Gebiet der Unwahrheit bestimmt und vom Gesichtspunkt der Krankheit das Gebiet der Gesundheit missversteht, sondern er ist ein Arzt, der am Ort des lebendigen Lebens die Krankheit und das Leiden des Menschen diagnostizieren und heilen kann. Für einen solchen Philosophen ist die Philosophie die Heilmittel der Existenz.

Für Nietzsche ist die Philosophie nicht das Mittel einer Rechtfertigung über die zweite Welt (die wahre Welt868), die durch die dogmatische Perspektive des idealischen Gedankens immer wiedererscheinen wird, sondern ein Mittel der Zerstörung, das das Missverständnis über diese zweite Welt und das zweite Leiden (vom asketischen Priester bzw. Arzt der Seele – „Seelen-Aerzte“869 – verliehen) auflösen kann. Zugleich ist sie das medizinische Mittel, das für die neue Bejahung des Leibes als grundlegendes Element in der wirklichen Lebenswelt gegen die alte metaphysische Interpretation eine psychologisch-physiologische Frage aufwerfen kann.

daß ich alles Ausgehen von der Selbstbespiegelung des Geistes für unfruchtbar halte und ohne den Leitfaden des Leibes an keine gute Forschung glaube. Nicht eine Philosophie als Dogma, sondern als vorläufige Regulative der Forschung.870

Der Leib ist lebendig und damit Sinnbild des Lebens. Wird als der Leib krank, dann wird auch das Leben krank. Aus dieser Erkenntnis, die das dualistische Missverständnis zwischen Wahrheit und Unwahrheit, Gesundheit und Krankheit auflöst, leitet Nietzsche die Forderung

867 „Philosophie, wie ich sie bisher verstanden und gelebt habe, ist das freiwillige Aufsuchen auch der verwünschten und verruchten Seiten des Daseins“ (N 16[32], in: KSA, Bd. 13, S. 492).

868 Vgl. GD, Wie die „wahre“ Welt endlich zur Fabel wurde, in: KSA, Bd. 6, S. 80-81.

869 FW IV, 326, in: KSA, Bd. 3, S. 553.

870 N 26[432], in: KSA, Bd. 11, S. 266.

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nach einer Veränderung der Philosophie des Leibes und des Lebens ab. Das heißt, nach Nietzsche trennt der Dualismus zwischen Wahrheit und Unwahrheit, trennt also die Weltanschauungen, die Beziehung zwischen Diesseits und Jenseits und ferner lässt er in der Beziehung zwischen Leib und Seele den Leib als Gegenstand der Verachtung sinken. So ist schließlich der Dualismus die grundlegende Ursache, warum die organische Beziehung zwischen Leib und Leben zerstört wird.871

Giebt es eine gefährlichere Verirrung, als die Verachtung des Leibes? Als ob nicht mit ihr die ganze Geistigkeit verurtheilt wäre krankhaft zu werden, zu den vapeurs des „Idealismus“! Es hat Alles nicht Hand und Fuß, was von Christen und Idealisten ausgedacht worden ist: wir sind radikaler. Wir haben die „kleinste Welt“ als das überall-Entscheidende entdeckt: [∙∙∙] Das bisher Verachtetste ist in die erste Linie gerückt. ich füge die Unmoralität hinzu: Moralität ist nur eine Form der Unmoralität, welche in Hinsicht auf den Vortheil, den eine bestimmte Art davon hat,

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Ferner verursacht das Problem des Dualismus ein tiefes Missverständnis über Gesundheit und Krankheit aus dem Leiden der Seele des Menschen.873 Das Leiden ist Symptom eines Schuldgefühls, das asketische Priester und Arzt der Seele in den Menschen erwecken, um ihr Selbst in die von ihnen gewünschte Richtung zu verändern: „der Priester ist der Richtungs-Veränderer des Ressentiment. Jeder Leidende nämlich sucht instinktiv zu seinem Leid eine Ursache; genauer noch, einen Thäter, noch bestimmter, einen für Leid empfänglichen schuldigen Thäter, – kurz, irgend etwas Lebendiges, an dem er seine Affekte thätlich oder in effigie auf irgend einen Vorwand hin entladen kann“.874 Durch den schwachen Willen, geschaffen vom christlichen Trost, und durch die unheilbare Krankheit der Seele, die solchen Trost als Heilmittel annimmt und eine noch größere Krankheit im Inneren großzieht, nimmt der Mensch ein Schuldgefühl an und missversteht schließlich und endlich Gesundheit und Krankheit. Und ein solch tiefes Missverständnis der Gesundheit und Krankheit, also des Dualismus von Gesundheit und Krankheit enthüllt sich als Ressentiment des Kranken (Schwachen) gegenüber den Gesunden (Starken). So kommentiert Nietzsche: „Der asketische

871 Über die philosophische Diskussion der dualistischen Beziehung zwische Leib und Seele, vgl. Seifert, Josef, Das Leib-Seele-Problem und die gegenwärtige philosophische Diskussion, Darmstadt 1989.

872 N 14[37], in: KSA, Bd. 13, S. 236.

873 Vgl. GM III, 15, S. 372-375 16, S. 375-377 17, S. 377-382, in: KSA, Bd. 5.

874 GM III, 15, in: KSA, Bd. 5, S. 373-374.

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Priester hat die seelische Gesundheit verdorben, wo er auch nur zur Herschaft gekommen ist“.875

Er (der asketische Priester – S.B.L.) hat sie zu vertheidigen, seine Heerde – gegen wen? Gegen die Gesunden, es ist kein Zweifel, auch gegen den Neid auf die Gesunden; er muss der natürliche Widersacher und Verächter aller rohen, stürmischen, zügellosen, harten, gewaltthätig-raubthierhaften Gesundheit und Mächtigkeit sein. Der Priester ist die erste Form des delikateren Thiers, das leichter noch verachtet als hasst. Es wird ihm nicht erspart bleiben, Krieg zu führen mit den Raubthieren, einen Krieg der List (des „Geistes“) mehr als der Gewalt, wie sich von selbst versteht.876

Nietzsches Diagnose der Verkleinerung und die Nivellierung des Menschen als die Krankheit des modernen Europas habe ich in dieser Arbeit bereits untersucht. Der Untergang des Starken und der Herrenmoral ist laut ihm das Resultat des Sieges der Schwachen und der Sklavenmoral. In diesem Kontext entwickelt sich mit dem Ressentiment des Schwachen gegenüber dem Starken (Gesunden, Herrenmenschen) das Gefühl der Rache als Resultat der mechanischen877 passiven Reaktion878 des Schwachen (Kranken, Sklavenmenschen), der nur von vorübergehendem Trost und Erlösung abhängt. Der Sieg dieses Ressentiments der Schwachen wird durch das Schuldgefühl der Starken über seine Glück erlangt. Nietzsche nennt dieses Schuldgefühl des Starken ein „verhängnissvolleres Missverständnis“879 und eine

„schändliche Verweichlichung des Gefühls“880. „Dass die Kranken nicht die Gesunden krank machen - und dies wäre eine solche Verweichlichung“.881

er (der asketische Priester – S.B.L.) wird es dazu unter Umständen nöthig haben, beinahe einen neuen Raubthier-Typus an sich herauszubilden, mindestens zu bedeuten, – eine neue Thier-Furchtbarkeit, in welcher der Eisbär, die geschmeidige kalte abwartende Tigerkatze und nicht am wenigsten der Fuchs zu einer ebenso anziehenden als furchteinflössenden Einheit gebunden scheinen. Gesetzt, dass die Noth ihn zwingt, so tritt er dann wohl bärenhafternst, ehrwürdig,

875 GM III, 22, in: KSA, Bd. 5, S. 392.

876 GM III, 15, in: KSA, Bd. 5, S. 372.

877 GM III, 18, in: KSA, Bd. 5, S. 382-384.

878 Vgl. Deleuze, Gilles, Schizophrenie & Gesellschaft. Texte und Gespräche 1975-1995, Frankfurt am Main 2005, S. 194-195. „Diesen Geist der Rache nennt er (Nietzsche – S.B.L.) „Ressentiment“. Damit ist, in wörtlicher Übersetzung, ein reaktives Gefühl gemeint, in dem und mit dem jemand von seiner eigenen Schwäche abzulenken versucht. Mit dem Ressentiment wird das Gefühl der eigenen Unterlegenheit durch Abwertung der Überlegenen kompensiert. Der Schwache hält sich schadlos am Starken“ (Gerhardt, Volker, Ressentiment und Apokalypse. Nietzsches Kritik endzeitlicher Visionen, in: Edmund Braun (Hrsg.), Die Zukunft der Vernunft aus der Perspektive einer nichtmetaphysischen Philosophie, S. 283).

879 GM III, 14, in: KSA, Bd. 5, S. 371.

880 GM III, 14, in: KSA, Bd. 5, S. 371.

881 GM III, 14, in: KSA, Bd. 5, S. 371.

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klug, kalt, trügerisch-überlegen, als Herold und Mundstück geheimnissvollerer Gewalten, mitten unter die andere Art Raubthiere selbst, entschlossen, auf diesem Boden Leid, Zwiespalt, Selbstwiderspruch, wo er kann, auszusäen und, seiner Kunst nur zu gewiss, über Leidende jederzeit Herr zu werden. Er bringt Salben und Balsam mit, es ist kein Zweifel; aber erst hat er nöthig, zu verwunden, um Arzt zu sein; indem er dann den Schmerz stillt, den die Wunde macht, vergiftet er zugleich die Wunde – darauf vor allem nämlich versteht er sich, dieser Zauberer und Raubthier-Bändiger, in dessen Umkreis alles Gesunde nothwendig krank und alles Kranke nothwendig zahm wird.882

In diesem Kontext ist die Unterschied des Starken und Schwachen, des Gesunden und des Kranken gleichbedeutend mit der Beziehung zwischen Bejahung und Verneinung über die Heilungsweise des asketischen Priester beziehungsweise des Arztes der Seele. Im Gegensatz zur Heilungsweise des Priesters als Lebensform des Schwachen, der die Krankheit und das Leiden als „Schuldgefühl“883, als „Strafzustand“884 versteht, und schließlich den Kranken zum Sünder macht, hinterfragt die Heilungsweise des Arztes als Lebensform des Starken die grundlegenden Ursachen der Krankheit und des Leidens und macht durch seine innere Macht Krankheit und Leiden885 zum Gegenstand der Bejahung und der Überwindung, um wieder gesund zu werden.

Verschiedene Unzufriedenheit. – Die schwachen und gleichsam weiblichen Unzufriedenen sind die Erfindsamen für die Verschönerung und Vertiefung des Lebens; die starken Unzufriedenen – die Mannspersonen unter ihnen, im Bilde zu bleiben – für Verbesserung und Sicherung des Lebens. Die Ersteren zeigen darin ihre Schwäche und Weiberart, dass sie sich gerne zeitweilig täuschen lassen und wohl schon mit ein Wenig Rausch und Schwärmerei einmal fürlieb nehmen, aber im Ganzen nie zu befriedigen sind und an der Unheilbarkeit ihrer Unzufriedenheit leiden;

überdies sind sie die Förderer aller Derer, welche opiatische und narkotische Tröstungen zu schaffen wissen, und eben darum Jenen gram, die den Arzt höher als den Priester schätzen, – dadurch unterhalten sie die Fortdauer der wirklichen Nothstände!886

Nach Nietzsche versucht der asketische Priesters mit seinem ärztlichen Instinkt, der das Leiden der Seele des Menschen und sein Leben heilen will, das psychologische

882 GM III, 15, in: KSA, Bd. 5, S. 373.

883 GM III, 20, in: KSA, Bd. 5, S. 389.

884 GM III, 20, in: KSA, Bd. 5, S. 389.

885 Für Nietzsche bedeuten die Krankheit und das Leiden „Hemmung des Willens durch ein Hindernis“ (Lorenz, Andreas, Das Verhängnis des Mitleids oder Schopenhauer contra Nietzsche als Erzieher, in: Marta Kopij und Wojciech Kunichi (Hrsg.), Nietzsche und Schopenhauer. Rezeptionsphänomene der Wenderzeiten, Leipziger Universitätsverlag, S. 327).

886 FW I, 24, in: KSA, Bd. 3, S. 398.

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Krankheitssymptom des schwachen Menschen, der durch sein eigenes Schuldgefühl leidet vom religiös-moralischen Standpunkt zu diagnostizieren und zu heilen. „Die priesterliche Medikation“887 als das Versprechen der Erlösung, das die Gegenwart verneint, ist für Nietzsche nicht mehr als ‚eine schuldige Heilungsweise‘888, die die grundlegende Krankheit des Inneren unberührt ruhen lässt und durch „eine bloße Affekt-Medikation“889 bloß das Leiden vor übergehend abschwächt. Eine solche Behandlung kann nicht die grundlegende Heilung für die psychologisch-physiologische Gesundheit des Menschen sein.

Man erräth nunmehr, was nach meiner Vorstellung der Heilkünstler-Instinkt des Lebens durch den asketischen Priester zum Mindesten versucht hat und wozu ihm eine zeitweilige Tyrannei solcher paradoxer und paralogischer Begriffe wie „Schuld“, „Sünde“, „Sündhaftigkeit“,

„Verderbniss“, „Verdammniss“ hat dienen müssen: die Kranken bis zu einem gewissen Grade unschädlich zu machen, die Unheilbaren durch sich selbst zu zerstören, den Milder-Erkrankten streng die Richtung auf sich selbst, eine Rückwärtsrichtung ihres Ressentiments zu geben („Eins ist noth“ –) und die schlechten Instinkte aller Leidenden dergestalt zum Zweck der Selbstdisciplinirung, Selbstüberwachung, Selbstüberwindung auszunützen. Es kann sich, wie sich von selbst versteht, mit einer „Medikation“ dieser Art, einer blossen Affekt-Medikation, schlechterdings nicht um eine wirkliche kranken-Heilung im physiologischen Verstanden handeln.890

Für Nietzsche ist das asketische Ideal, das die Zeiten, die Völker, die Menschheit unerbittlich auf dieses „Eine Ziel“ gelenkt hat891, der Glaube selbst als unbedingter Wille zur Wahrheit. Das asketische Ideal versteht Nietzsche als nicht mehr als „einen metaphysischen Glaube“, der das Diesseits verneint und das Jenseits bejaht, also immer nur „der Glaube an einem metaphysischen Werth, einen Werth an sich der Wahrheit“.892

Ferner sagt Nietzsche im Fragment über die Ärzte der Seele und den Schmerz in Die fröhliche Wissenschaft, dass eine gemeinsame Unart, die alle Moralprediger und Theologen wie auch der asketische Priester haben, ist, zu meinen, dass sie das Leiden und die Unglücke des Lebens als Krankheit ansehen, die ohne die Erlösung Gottes nicht heilen kann. Sie ersetzen die Veränderungsmöglichkeiten des Lebens durch Leidenschaft und Willen durch ein Leben als religiösen Glauben. Nach Nietzsche hat ihre religiöse Lüge als Ursache der

887 GM III, 17, in: KSA, Bd. 5, S. 377.

888 Vgl. GM III, 20, in: KSA, Bd. 5, S. 388.

889 GM III, 16, in: KSA, Bd. 5, S. 375.

890 GM III, 16, in: KSA, Bd. 5, S. 375-376.

891 GM III, 23, in: KSA, Bd. 5, S. 395-396.

892 GM III, 24, in: KSA, Bd. 5, S. 400.

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psychologischen Unruhe des Menschen das existenziale Vereitelungssymptom des Lebens zur Folge.

Die Seelen-Aerzte und der Schmerz. – Alle Moralprediger, wie auch alle Theologen, haben eine gemeinsame Unart: alle suchen den Menschen aufzureden, sie befänden sich sehr schlecht und es thue eine harte letzte radicale Cur noth. Und weil die Menschen insgesammt jenen Lehren ihr Ohr zu eifrig und ganze Jahrhunderte lang hingehalten haben, ist zuletzt wirklich Etwas von jenem Aberglauben, dass es ihnen sehr schlecht gehe, auf sie übergegangen: sodass sie jetzt gar zu gerne einmal bereit sind, zu seufzen und Nichts mehr am Leben zu finden und miteinander betrübte Mienen zu machen, wie als ob es doch gar schwer auszuhalten sei. In Wahrheit sind sie unbändig ihres Lebens sicher und in dasselbe verliebt und voller unsäglicher Listen und Feinheiten, um das Unangenehme zu brechen und dem Schmerze und Unglücke seinen Dorn auszuziehen. Es will mir scheinen, dass vom Schmerze und Unglücke immer übertrieben geredet werde, wie als ob es eine Sache der guten Lebensart sei, hier zu übertreiben: man schweigt dagegen geflissentlich davon, dass es gegen den Schmerz eine Unzahl Linderungsmittel giebt, wie Betäubungen, oder die fieberhafte Hast der Gedanken, oder eine ruhige Lage, oder gute und schlimme Erinnerungen, Absichten, Hoffnungen, und viele Arten von Stolz und Mitgefühl, die beinahe die Wirkung von Anästheticis haben.893

Zentral ist Nietzsches Aussage, dass bisher der Fluch der Menschheit nicht das Leiden, sondern die Sinnlosigkeit des Leidens war.894 Durch diese Erkenntnis hat der Mensch eine existenzial-schöpferische Veränderungsmöglichkeit, dem Leiden und dem Unglück des Lebens einen neuen Sinn zu verleihen. Eine derartige künstlerische Veränderungsmöglichkeit des Menschen ist Fähigkeit der Bejahung des notwendigen Leidens, das ein Künstler für die Geburt seines Kunstwerks fühlen muss, und zugleich Wille zur Überwindung.

wir haben Hülfsmittel in unserer Tapferkeit und Erhabenheit, sowie in den edleren Delirien der Unterwerfung und der Resignation. Ein Verlust ist kaum eine Stunde ein Verlust: irgendwie ist uns damit auch ein Geschenk vom Himmel gefallen – eine neue Kraft zum Beispiel: und sei es auch nur eine neue Gelegenheit zur Kraft! Was haben die Moralprediger vom inneren

„Elend“ der bösen Menschen phantasirt! Was haben sie gar vom Unglücke der leidenschaftlichen Menschen uns vorgelogen! – ja, lügen ist hier das rechte Wort: sie haben um das überreiche Glück dieser Art von Menschen recht wohl gewusst, aber es todtgeschwiegen,

893 FW IV, 326, in: KSA, Bd. 3, S. 553-554.

894 GM III, 28, in: KSA, Bd. 5, S. 411.

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weil es eine Widerlegung ihrer Theorie war, nach der alles Glück erst mit der Vernichtung der Leidenschaft und dem Schweigen des Willens entsteht!895

Nunmehr fordert Nietzsche einen neuen Arzt der Seele, also einen Arzt, der die Krankheit der Seele heilen kann, gegenüber dem Arzt der Seele, der das Leiden als Schuldgefühl auffaßt, die Wahrheit als Heilmittel der Krankheit und der religiöse Glaube als Symbol der gesamten Gesundheit des Menschen.

Im Dokument Nietzsches Gesundheitsphilosophie (Seite 167-173)