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Außer-77 dem versteht er die Soziale Arbeit wie in Abschnitt 4.2 beschrieben als Menschen-rechtsprofession (vgl. 661f.) und leitet somit einen Auftrag für sie im Spannungsfeld der Neuen Rechten ab: Sozialarbeitende sollten eine Haltung haben, welche sich an den Menschenrechten und der Demokratie orientiert und somit nicht kompatibel mit neurechten Einstellungen ist (vgl. 664-667). Neben dem Argument nennt er noch die Tatsache, dass die Soziale Arbeit in der Gesellschaft wirke und sich mit Themen be-schäftigen müsse, die in der Gesellschaft verbreitet sind. Dies treffe auf die Neuen Rechten und deren Ideologie zu (vgl. 672ff.). Der interviewte Experte bestätigt auch hier die in dieser Arbeit geteilte Definition der Sozialen Arbeit und ihrem politischen Auftrag wie in Abschnitt 4.1 und 4.2 dargelegt.

78 und zum anderen nicht-ideologische Hinwendungsmotive, die mit verschiedenen Formen der Bedürfnisbefriedigung (Zugehörigkeit und Anschluss, Selbstverwirkli-chung, Anerkennung) zusammenhängen. Darüber hinaus wurde die politische, wirt-schaftliche und gesellwirt-schaftliche Situation in Deutschland in den Jahren 1933, 1967 und heute verglichen und festgestellt, dass die Strukturen als Voraussetzung für Rechtsradikalismus sowie Konzepte wie die der relativen Deprivation, des drohenden Privilegienverlusts und auch kapitalistischer Krisen als Entstehungsmöglichkeit für rechtsextreme Tendenzen in einer Gesellschaft damals wie heute relevant waren bzw. sind.

Da keine einheitliche Definition der Neuen Rechten formuliert ist, wurde sich diesem Begriff sowohl aus politisch-historischer als auch politisch-phänomenologischer Sicht angenähert. So können die Neuen Rechten als Ableger der französischen Nouvelle Droite, als die modernisierten Alten Rechten, als Nachfolger der Konservativen Re-volution oder als Zwischenform aus den drei Entstehungsmöglichkeiten betrachtet werden. Sie zeichnen sich durch ihre intellektuelle Metapolitik, Kulturhegemonie und Ethnopluralismus aus, verbreiten den Mythos vom Großen Austausch und orientieren sich an heteronormativen Geschlechterverhältnissen, weshalb sie sich gegen den sogenannten Genderwahn aussprechen. Daneben bewegen sie sich habituell zwi-schen Elite und Avantgarde und nutzen das Internet verstärkt und teilweise als Hauptkommunikationsform. Zu den relevantesten Parteien und Gruppierungen gehö-ren die AfD, die Identitäre Bewegung und Pediga.

Um zu verstehen, weshalb das Internet und insbesondere Social Media eine häufig genutzte Plattform der Neuen Rechten darstellen, wurde zunächst der Begriff der sozialen Medien bestimmt. Zu den wichtigsten Charakteristika von Social Media zäh-len Reichweite, Usability, Kostengünstigkeit, Aktualität sowie die Pull-Funktion. Über soziale Medien können Informationen ausgetauscht und Inhalte wie Fotos, Videos und Texte generiert werden und sowohl in privater als auch öffentlicher Form vor-handen sein. Hier können jedoch Echokammern entstehen, die häufig eine Verzer-rung der Meinungsbildung als Folge haben. Außerdem treten in sozialen Medien vermehrt kognitive Verzerrungen wie Bestätigungsfehler auf. Mit Fake News können darüber hinaus absichtlich Desinformationen und Propaganda gestreut werden und durch die Anonymität im Internet sowie in geschlossenen Gruppen von Messenger-Diensten besteht die Möglichkeit, im Geheimen zu agieren. Die Neuen Rechten nut-zen die Funktionsweisen von Social Media und rekrutieren auf diese Weise neue

79 Mitglieder. Sie haben ein geschärftes Bewusstsein für eine zielführende Vermarktung ihrer Interessen und Ansichten, und gerade Jugendliche fühlen sich durch Gamifica-tion, Memes, Codes, Musik und das Verbotene angesprochen. Hier konnte durch die herangezogene JIM-Studie verdeutlicht werden, dass nahezu alle Jugendlichen in Deutschland ein Smartphone mit Internetzugang besitzen und täglich nutzen. Das Smartphone mit Apps wie YouTube, WhatsApp, Instagram und anderen stellt somit einen alltäglichen Begleiter dar, über den leicht neurechte Inhalte konsumiert werden können. Außerdem stellen die Neuen Rechten im Internet Propagandamaterial be-reit, prägen die Debatten in sozialen Netzwerken und haben ferner die Möglichkeit, Gegner*innen einzuschüchtern. Die erste Forschungsfrage nach der Präsenz der Neuen Rechten im Netz konnte somit bejaht werden.

Weiterhin konnte gezeigt werden, dass die Soziale Arbeit sowohl an der Gesellschaft sowie am Individuum ansetzt und hier vermittelt. Sie hat das Mandat der Gesellschaft bzw. des Staates sowie des Individuums, welches sich durch die Soziale Arbeit Un-terstützung erhofft. Außerdem verfügt sie über ein politisches Mandat, da nur auf diese Weise gesellschaftliche Veränderungen angestrebt und umgesetzt werden können. Des Weiteren orientiert sich die Soziale Arbeit an der Demokratie und den Menschenrechten und hat den Anspruch, advokatorisch zu arbeiten. Da die Soziale Arbeit in der Gesellschaft ansetzt, erscheint es konsequent, dass sie dort aufkom-mende Themen aufnimmt und behandelt. Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass es sich bei den Neuen Rechten um ein Handlungsfeld der Sozialen Ar-beit handelt. Als Teilantwort auf die zweite Forschungsfrage kann somit festgehalten werden, dass die Soziale Arbeit mit dem sich verstärkenden Verhältnis von den Neu-en RechtNeu-en und dNeu-en sozialNeu-en MediNeu-en konfrontiert sieht und demnach Aufträge be-stehen.

Um bestens auf die Zielgruppe und die verschiedenen Phasen einer Radikalisierung eingehen zu können und Angebote auf sie zuzuschneiden, erscheint es sinnvoll, die verschiedenen Formen der Prävention zu berücksichtigen. Unter die primäre Präven-tion fällt die Stärkung der demokratischen und menschenrechtlichen Haltungen. Die sekundäre Prävention hat zum Ziel, (neu-)rechtsaffine Personen, Sympathi-sant*inn*en und Mitläufer*innen, die sich zu einem rechtsextremen bzw. neurechten Lebensstil, rechtsextremen bzw. neurechten Aussagen, Gruppen oder Parteien hin-gezogen fühlen, aber noch kein geschlossenes Weltbild haben, zu erreichen und mit ihnen zu arbeiten, um eine Loslösung aus der Szene bzw. von den übernommenen

80 Einstellungen zu ermöglichen. Zur Zielgruppe der tertiären Prävention zählen schließlich Personen, die bereits tief in den Strukturen der (Neuen) Rechten veran-kert sind. Hier ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Radikalisierungsgeschich-te, den Hinwendungsmotiven und den verinnerlichten Normen und Werten das Ziel.

Diese Reflexion soll zu einem Ausstieg aus den Strukturen führen. Daneben kann die Soziale Arbeit Unterstützung in den Lebensbereichen anbieten, die sich durch den Ausstieg drastisch verändern.

Wichtig für die Arbeit mit (neu-)rechten Personen ist, dass Sozialarbeitende stets sich selbst und die Paradoxien ihrer Arbeit reflektieren und sich diese bewusst ma-chen. Darüber hinaus sind Aufrichtigkeit, ideologische Unabhängigkeit sowie ausrei-chend politisches Wissen unabdingbar für eine erfolgreiche Arbeit in diesem Span-nungsfeld. Nicht zuletzt muss berücksichtigt werden, dass es sich um einen heraus-fordernden Arbeitsbereich handelt, bei dem eine dysfunktionale Parteilichkeit nicht zielführend wäre. Daher wurden verschiedene Ansätze für die Arbeit mit (neu-)rechten Menschen vorgestellt, darunter der konfrontative, subversiv verunsi-chernde, akzeptierende, biografisch-narrative und seit Neuestem der digitale Ansatz.

Da sich die Ansätze – mit Ausnahme des digitalen Ansatzes – nie konkret auf die Neuen Rechten oder die Neuen Rechten im Netz beziehen, wurde ein leitfadenge-stütztes exploratives Expert*inn*en-Interview durchgeführt, um sowohl Deutungs- als auch Prozesswissen sowie Orientierung und allgemeine Sondierung in diesem Feld zu erlangen. Nach der Durchführung des Interviews und der anschließenden Aus-wertung lässt sich der Teil der zweiten Forschungsfrage nach einem passenden An-satz mithin beantworten: In der Sozialen Arbeit mit neurechtsaffinen Menschen im Netz erscheint es sinnvoll, bei diesen durch eine Ansprache einen Key-Moment zu triggern, durch den wiederrum die Legitimation gegeben ist, weiter ins Gespräch zu kommen. Im besten Verlauf kann es zu einem Veränderungsimpuls kommen, der je nach Überzeugungsschwere und Motivation des*der Klienten*Klientin zum Einstieg in die Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit führen kann. Besagte Ansprache kann jedoch nur gelingen, wenn neurechtsaffine Menschen auf einer habituellen, ideologi-schen Ebene angesprochen werden und die Ansprache daran orientiert ist, was die Zielgruppe interessant und spannend findet. Außerdem erscheint ein medienpäda-gogischer Hintergrund sinnvoll. Betont werden sollte außerdem stets die Freiwilligkeit und das Engagement vonseiten der Adressat*inn*en bzw. Klient*inn*en als Voraus-setzung für eine erfolgreiche Arbeit.

81 Abschließend ist festzuhalten, dass das Internet als „wesentlicher Rekrutierungsort“

für die Neuen Rechten bezeichnet werden kann. Nicht zuletzt verdeutlicht diese Ar-beit, dass es weiterer Konzepte der Sozialen Arbeit bedarf, welche sich mit den Neu-en RechtNeu-en auseinandersetzNeu-en, ohne dabei online und offline weiterhin getrNeu-ennt zu denken.

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