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3. Die Neuen Rechten im Netz

3.2 Die Neuen Rechten und soziale Medien

3.2.3 Die Neuen Rechten im Netz

da-41 von ausgegangen wird, dass die Hemmschwelle angehoben werde und die wenigs-ten Menschen unter ihrem echwenigs-ten Namen beleidigen oder belästigen würden (vgl.

Steinke 2019). Kritiker*innen sehen hier jedoch gleich mehrere Probleme. Zum einen habe eine Klarnamenpflicht keine so abschreckende Wirkung wie die Union hoffe. So gebe es genug Menschen, die zu ihren Aussagen stehen und bereitwillig mit Klarna-men ihre Überzeugungen vertreten würden (vgl. Hurtz 2015). Zum anderen würde eine Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken auch dazu führen, dass Menschen, die sich online anonym Hilfe suchen oder mit Betroffenen jedweder Art austauschen möchten, zwangsweise geoutet würden. Nicht zuletzt würden bereits von Belästi-gung, Hetze oder Gewalt Betroffene durch eine Klarnamenpflicht schnell von den Täter*inne*n im Internet gefunden werden (vgl. Steinke 2019).

42 Die sich für eine demokratische Zivilgesellschaft und gegen Rechtsextremismus ein-setzende Amadeu Antonio Stiftung (vgl. o. J.a: 21) hat vier Ziele der Neuen Rechten im Netz herausgearbeitet. Sie wollen online erstens neue Mitglieder rekrutieren, zweitens Debatten prägen, um die Deutungshoheit in gesellschaftlichen Diskursen zu erlangen, drittens Gegner*innen einschüchtern, und viertens Propagandamaterial bereitstellen.

1. Neue Mitglieder rekrutieren

Gerade das Internet stelle einen Anschluss an die Lebenswelt von Jugendlichen dar (vgl. Pfeiffer 2006: 160), was durch die oben genannte JIM-Studie bestätigt wird (vgl.

mpfs 2020: 24). Als eine eigene Welt mit spezieller Sprache und Mythen würde das Internet reizen und gerade, wenn immer mehr Kinder und Jugendliche einen Inter-netzugang haben, werde es wahrscheinlicher, dass diese während eines „Streif-zug[s] durch das Netz oder bei der gezielten Recherche über Suchmaschinen ir-gendwann an rechtsextreme Inhalte gelangen und […] mit rassistischer und men-schenverachtender Propaganda konfrontiert werden“ (Glaser 2004: 234; vgl. ebd.).

Außerdem falle es durch die mediale Verstärkung leichter, Jugendliche für spektaku-läre Aktionen zu gewinnen (vgl. Rafael 2018: 129), wie sie in Abschnitt 3.1.3 bereits beschrieben wurden. In Videos auf YouTube und anderen Plattformen könne die Ideologie persönlich herübergebracht und Zuschauer*innen gebunden werden. Statt einen Text über die sogenannte Umvolkung auf einer Website zu lesen, könne ein*e Interessierte*r hierzu ein Video mit Menschen, die ihm*ihr bestenfalls sympathisch vorkommen, anschauen (vgl. a.a.O.: 130f.). Die Videos seien professionell und schnell produziert, die Kommentierung sei „frech“ (a.a.O.: 131), häufiger politisch un-korrekt und immer aktuell (vgl. a.a.O.: 130f.). Die Neuen Rechten würden folglich da-von profitieren, dass fast jede*r ein Smartphone und/oder Laptop/Computer hat, mit dem Videos angeschaut und anschließend mit Freund*inn*en geteilt werden können (vgl. a.a.O.: 128). Das Teilen und Liken fungiere hier als „Moment niedrigschwelliger Agitation“ (Salzborn 2015: 57). Auch im Bereich Gaming wird festgestellt, dass Dis-kussionen beispielsweise in Chats von Onlinespielen immer politischer würden und neurechte Akteure*Akteurinnen versuchen würden, mit der Verbreitung von rassisti-schen, sexistischen oder antisemitischen Narrativen oder Verschwörungserzählun-gen die Spieler*innen aufzuhetzen (vgl. Amadeu Antonio Stiftung (o. J.b). Um explizit Mitglieder der Gaming-Community zu erreichen, spiele darüber hinaus Gamification

43 vermehrt eine Rolle. Im Netzwerk Reconquista Germania würden beispielsweise den Teilnehmer*inne*n wie in einem Videospiel Ränge zugeteilt und es gebe Tagesauf-gaben (das Abonnieren eines bestimmten YouTube-Kanals, das Verbreiten eines bestimmten Twitter-Posts etc.), welche von den Mitgliedern ausgeführt werden müss-ten, um zum Beispiel in höhere Ränge (zum Oberbefehlshaber, General etc.) aufzu-steigen. Auch werden die sozialen Medien genutzt, um originelle Memes10 zu posten.

Hier würden durch sogenannte Meme-Wars Unentschlossene mit Humor geködert (vgl. Rafael 2018: 137ff.). Ergänzend lässt sich anmerken, dass Musik leicht durch soziale Medien verbreitet werden kann. Wie bereits in 2.2 ausgeführt, sei sie – neben Kleidung, Codes und Symbolen – aufgrund ihrer identitätsstiftenden Parolen und Klänge ein ideales Mittel, um Jugendliche in die Szene zu führen (vgl. Salzborn 2015: 59). Kurzum seien soziale Medien der „ideale Ort für die intensive Einbindung in neurechte Denkweisen“ (a.a.O.: 74) von Menschen mit wenigen sozialen wie poli-tischen Teilhabemöglichkeiten, aber einem grundsätzlich rechten Weltbild (vgl.

a.a.O.: 74f.). Deswegen wird insbesondere in sozialen Netzwerken versucht, diese Zielgruppe an sich zu binden.

2. Debatten prägen

Das Anbinden der Zielgruppe geschehe unter anderem dadurch, dass Themen auf-gegriffen und diskutiert werden, die in der breiten Gesellschaft größtenteils abgelehnt werden (zum Beispiel sexualisierte Gewalt an Kindern) und welche dann mit Forde-rungen aus der rechten Szene verbunden werden (zum Beispiel Einführung der To-desstrafe, Ausweisung ausländischer Männer). Das Ergebnis ist in diesem Fall das viral gegangene Thema Todesstrafe für Kinderschänder (vgl. Salzborn 2015: 57).

Dieses Beispiel macht deutlich, wie die Neuen Rechten das Internet nutzen, um die politische Stimmung zu beeinflussen und Debatten zu prägen (vgl. Rafael 2018:

127). Auf diese Weise können unter anderem „unterschwellig Islamfeindlichkeit und Verschwörungstheorien, die Abwertung Fremder, Rassismus und Hass“ (ebd.) ver-mittelt werden (vgl. ebd.). Als weiteres Beispiel dient der Begriff Lügenpresse, wel-cher durch Akteure*Akteurinnen der Neuen Rechten vermehrt in den sozialen Medi-en gestreut wurde und Einzug in dMedi-en gesellschaftlichMedi-en Diskurs gMedi-enommMedi-en hat. Der Begriff wird seit Mitte des 19. Jahrhunderts diffamierend genutzt und ist später durch

10 Memes: „kleine Filmsequenzen oder Fotos, die mit witzigen kurzen Texten versehen werden“

(Rafa-el 2018: 127).

44 Nationalsozialist*inn*en mit der antisemitischen Verschwörungserzählung verbunden worden, dass die liberale Presse von Juden*Jüdinnen und politischen Gegner*inne*n gesteuert werde (vgl. Probst 2018). Auch würden Fake-Accounts auf Social-Media-Plattformen für vermeintliche Befürworter*innen angefertigt, um mit einer „‚virtuelle[n]

Armee‘“ (Rafael 2018: 139) den Eindruck entstehen zu lassen, eine große Anhä-ngerschaft zu haben (vgl. a.a.O.: 138f.). Der Auftritt der Neuen Rechten im Netz ist somit laut Rafael (a.a.O.: 137) ein „strategisch geplantes und organisiertes Konzept zur ideologischen Machtergreifung im gesellschaftlichen Raum“. Hierbei handle es sich um eine Normalisierungsstrategie, wie sie aus der klassischen rechten Szene bekannt sei. Eine Normalisierungsstrategie verfolge das Ziel, bisher in der Gesell-schaft Geächtetes zur Selbstverständlichkeit zu erklären, was wiederum zur Errei-chung des höheren Ziels – die Meinungsführerschaft im öffentlichen Diskurs und die Beeinflussung der Politik – beitragen solle (vgl. a.a.O.: 127,137).

3. Gegner*innen einschüchtern

Ein weiteres Ziel der Neuen Rechten im Netz sei die Einschüchterung der Geg-ner*innen bzw. „all jeder, die als anders wahrgenommen werden“ (Amadeu Antonio Stiftung o. J.a: 21). Diese finde durch Drohungen, Beleidigungen und Diffamierungen sowie durch rassistische Begriffe, Entmenschlichung, Dämonisierung und Degradie-rung statt und wird allgemeinhin als Hate Speech bezeichnet. Es gehe dabei jedoch um mehr als die Verbreitung von Hass (vgl. ebd.). Vielmehr sollten die Betroffenen demoralisiert sowie Debatten emotionalisiert und somit erschwert werden, sodass die

„vereinfachenden Welterklärungsmuster der extremen Rechten an Attraktivität ge-winnen“ (ebd.). Das Verhalten der Neuen Rechten im Internet kann hier mit dem von

„Wölfe[n] im Schafspelz“ (ebd.) beschrieben werden, da sie in sozialen Medien an-fänglich als vermeintlich normale User*innen auftreten und sich erst später bzw. nach einer Kontaktaufnahme zu ihrer Ideologie bekennen würden (vgl. ebd.). Des Weite-ren können auch die bereits genannten Meme-Wars angebracht werden, mit denen Gegner*innen diskreditiert würden. Darüber hinaus würden Fake-Profile von politi-schen Gegner*inne*n erstellt, um diese schlecht dastehen zu lassen. Um politipoliti-schen Gegner*inne*n zu schaden, würden die Neuen Rechten außerdem doxxen. Hierunter wird die Veröffentlichung persönlicher Daten wie Klarnamen und Wohnadresse von Gegner*inne*n in sozialen Medien verstanden (vgl. Rafael 2018: 138f.).

45 4. Propagandamaterial bereitstellen

Durch das Internet hätten an rechtsextremen Inhalten interessierte Menschen die Möglichkeit, ohne sozialen Druck und Kontrollen niedrigschwellig Waren und Infor-mationen zu beschaffen. Dies würden die Neuen Rechten nutzen, um ihr Propagan-damaterial zu verbreiten (vgl. Salzborn 2015: 58). Hierfür würden die Neuen Rechten auch die Möglichkeit nutzen, dass auf Plattformen wie YouTube Untertitel in ver-schiedenen Sprachen hinzugefügt werden können, um auch Personen anzuspre-chen, die nicht oder nicht gut deutsch sprechen (vgl. Rafael 2018: 128). Hinzu kommt, dass die Neuen Rechten wie die Identitäre Bewegung für ihre Videos häufig

„verwackelt aufgenommene Filmschnipsel“ (a.a.O.: 129) nutzen würden, welche „in schnellen Sequenzen dramatisch zusammengeschnitten werden“ (ebd.), wodurch der Eindruck entstehe, dass eine noch so kleine Aktion eine breite Bewegung und etwas Großes sei (vgl. ebd.). Die Identitäre Bewegung lädt außerdem in sozialen Netzwerken direkt nach einer Aktion Videos oder noch währenddessen Live-mitschnitte hoch (vgl. Speit 2018d: 42), sodass sie durch „poppige[…] Bildinszenie-rungen“ (Weiß 2017: 93) und mit geringem technischen Aufwand einen großen me-dialen Effekt erreichen und gleichzeitig virale Werbung schaffen (vgl. ebd.). Nicht zu-letzt können die Neuen Rechten in den sozialen Medien einen Personenkult um die Vordenker*innen und Anführer*innen aufbauen (vgl. Rafael 2018: 130). Sie würden sich „[r]aus aus dem konspirativ-verborgenen Rechtsextremismus, hin zum Gesicht-zeigen und zum persönlichen Einstehen für die vertretene Ideologie“ (ebd.) bewegen.

Im Rahmen dieser Schilderungen und bezugnehmend auf den vorigen Abschnitt und die dort vorgestellten Aspekte Echokammern und Filterblasen, kognitive Verzerrun-gen, Fake News und Anonymität wird deutlich, dass die Neuen Rechten sämtliche bereits aufgezeigte Möglichkeiten von sozialen Medien und dem Internet für ihre Zwecke zu nutzen verstehen. So führt zum Beispiel der Algorithmus auf Plattformen wie YouTube dazu, dass neurechte Inhalte den User*inne*n empfohlen werden und diese sich durch so gebildete Echokammern gegebenenfalls mit der Zeit radikalisie-ren. Dies legt eine Studie nahe, die das Kommentierverhalten von verschiedensten Nutzer*inne*n analysiert hat und so versucht, Radikalisierungspfade nachzuzeichnen (vgl. Horta Ribeiro et al. 2019: 2). Auch kann es hier zu kognitiven Verzerrungen kommen.

46 Für die Verbreitung des neurechten Propagandamaterials und die Diskursverschie-bung können ferner Fake News erstellt und geteilt werden. Auch das Erstellen von Fake-Accounts für die eigene Gruppe oder Gegner*innen kann zu einer derartigen Manipulation gezählt werden (vgl. Appel/Doser 2020: 12ff.).

Ebenfalls dazu gehört die Möglichkeit der Vernetzung über das Internet, bei der häu-fig Anonymität eine Rolle spielt. Da die Zahl der rechtsgerichteten Organisationen nach den rechtsextremen Anschlägen der 1990er Jahre zurückgegangen war, hatten sich mehr Zellen und Bündnisse geformt, welche sich wiederum über das Internet gut vernetzen konnten. So wurde zum Beispiel auch die flexible Vorbereitung von Aktio-nen möglich (vgl. Pfeiffer 2006: 160, 162f.). Darüber hinaus gibt es insbesondere seit den letzten zehn Jahren viele Möglichkeiten, schnell und ohne große Vorkenntnisse eine Website aufzubauen. Auch Social Media ist bei der Bereitstellung von Inhalten einfach und kostengünstig (vgl. Rafael 2018: 128), wie im vorigen Abschnitt be-schrieben. Nicht zuletzt laufe häufig die Mittelakquise unter anderem durch Crowd-funding und Spendenaufrufe über das Internet (vgl. a.a.O.: 136).

Zusammenfassend lässt sich für diesen Abschnitt festhalten, dass die Neuen Rech-ten die modernen Formen der Kommunikation und (Eigen-)Darstellung nutzen, um neurechte Themenfelder attraktiv zu machen. Auf Social Media werden politische Ideen im privaten bzw. gesellschaftlichen Bereich platziert, ohne dass der*die Rezi-pient*in dies immer merkt. Die rechte Szene profitiert somit von den technischen Möglichkeiten des Internets und nutzt wie oben dargestellt die Werkzeuge Authentizi-tät, Transparenz, Kommunikation auf Augenhöhe, Kontinuität sowie Relevanz, um sich online zu vermarkten. Die JIM-Studie macht deutlich, dass Jugendliche Smart-phones und Social-Media-Apps täglich nutzen und so besonders empfänglich für Anwerbeversuche der Neuen Rechten sein können. Durch Filterblasen kann es au-ßerdem dazu kommen, dass User*innen permanent in ihren Annahmen bestätigt werden, was dazu führen kann, dass immer weniger tatsächlich differenzierte Mei-nungsbildung stattfindet. Mithilfe von Algorithmen können ferner neurechte Inhalte zum Beispiel auf YouTube für User*innen empfohlen werden, welche zu einem Ein-stieg in die neurechte Szene führen können. Außerdem sind die Neuen Rechten über das Internet gut vernetzt, sodass spontane Aktionen einfach geplant werden können.

Das oberste Ziel ist dabei stets, die gesellschaftliche Debatte zu prägen und den Diskurs zu verschieben. Hierfür wird auch auf das Erstellen und Teilen von Fake

47 News zurückgegriffen. Politische Gegner*innen können durch Hate Speech einge-schüchtert werden.

4. Sozialarbeiterische Aufträge im Spannungsfeld der Neuen